Seit einigen Tagen drechselte Alma nur bei den Sensenschmieden und Sibylle begutachtete ihre jetzigen Werke. "Ich sehe, Sie haben die Technik verfeinert. Dann möchte ich, dass Sie mir jetzt genau zuhören!" Alma freute sich über das Lob, setzte die Schutzbrille ab und hörte Sibylle zu. Sibylle stellte einen dicken unförmigen Stamm vor Alma hin. "Sie wissen, was Sie tun müssen.", erklärte Sibylle forsch, da ihr Almas Erfahrung bekannt war. "Bis Morgen verlange ich ein gutes Ergebnis!" fuhr sie streng fort und Alma nickte versichernd.
Kaum war Sibylle verschwunden, sah sich Alma den Stamm genau an und bearbeitete ihn soweit, dass sie ihn in der Drechselbank einspannen konnte. Sie bearbeitete den Stamm grob und wollte weiter machen, als Sibylle ihr sagte, dass sie Feierabend machen dürfte. Wiederwillig räumte Alma auf, aber ärgerte sich innerlich, dass sie nicht weiter machen konnte, da sie gerade eine große Freude daran hatte. Den nächsten Tag konnte sie kaum abwarten und sie war gut davor, den Sensenstab fertig zu bekommen.
Am nächsten Lehr Tag setzte Alma sich sofort wieder an den Sensenstab ran, auch wenn ihr anfangs ein Fehler passierte, der sie innerlich aufregte. So gut es eben möglich war, versuchte sie diesen zu beseitigen und arbeitete instinktiv an dem Stab, bis sie zufrieden mit der Länge und Dicke war. Es folgten letzte Feinarbeiten, wie schleifen und Alma war mit dem Endergebnis glücklich. Der Stab war glatt und einigermaßen eben. Mit diesem Holzstab lief sie zu Sibylle und präsentierte ihr Werk. "Sie sind schon fertig?" hinterfragte Sibylle ungläubig, aber nach wie vor kühl. "Zeigen Sie mal!"
Damit entriss Sibylle Alma grob den Holzstab und musterte diesen ausführlich. "Ich bin zufrieden. Sie haben das Beste aus dem Stamm rausgeholt und der Stab liegt gut in der Hand. An einigen Punkten ist er allerdings weniger gleichmäßig, aber diese Perfektion erlangt man erst nach Jahren." erklärte Sibylle und drückte Alma den Stab ausdruckslos wieder in die Hand. "Bewahren Sie diesen gut auf." meinte Sibylle ruhig.
"Ja!" Es erleichterte Alma, dass Sibylle zufrieden war und das motivierte sie sehr. Schnell säuberte Alma alles und verstaute den Holzstab, bevor sie zu Sibylle zurück kehrte. "Sie kommen gerade richtig, Frau Corenzola." merkte die Schmiedemeisterin an und präsentierte Alma eine große Metallsense. Mit funkelnden Augen sah Alma zu dieser und war fasziniert von Sibylles Können. Die nächste Aussage überraschte Alma jedoch.
"Und nun gehen Sie mit dieser zur Erde und geleiten diese Seele!" Sibylle überreichte ihr eine Akte und die Sense. Verdutzt schaute Alma, aber Sibylle wiederholte ihre Worte nur. "Los, geleite diese Seele!" Kalt funkelte sie Alm an, welche nickte und beides gut verwahrte, bevor sie mit ihrer Sense ein Portal öffnete.
Fies grinsend sah ein Sensenschmieder zu Sibylle. "Sie tun es immer wieder und schicken die ahnungslosen Lehrlinge los. Wenn sie doch nur direkt diese Sense verwendet hätte, dann wäre es Ihr direkt aufgefallen." Die Schmiedemeisterin schaute kühl zur Stelle, an welcher Alma zuvor noch gestanden hatte. "Irgendwie müssen die Lehrlinge lernen, was das Wichtigste beim Sensen schmieden ist."
Noch in Arbeitskleidung stand Alma in einer Wohnung und musterte den Mann, welcher an einem starken allergischen Schock sterben sollte. Sie zückte Sibylles Sense, als der Moment gekommen war und trat behutsam an den Körper heran. Gerade als sie die Seele geleiten wollte, erkannte sie jedoch schockierend, dass sie keine Brücke aufbauen konnte!
Die Sense war nutzlos und nur eine gewöhnliche Sense. Der erste Schreck war überwunden und Alma nahm stattdessen ihre eigene Sense in die Hand. Sie hatte schnell reagiert und geleitete die Seele. Mitten im Geschehen tauchte Sibylle mit ihrer simplen Holzsense auf, um Alma beizustehen, als sie erkannte, dass Alma alles unter Kontrolle hatte. Begeistert ließ Sibylle ihre Sense verschwinden und nahm die zuvor geschmiedete zur Hand. Die Akte war abgeschlossen, die Seele geleitet und Sibylle war stolz auf Alma, allerdings verbarg sie dies. "Das haben Sie hervorragend gemacht. Was ist Ihnen aufgefallen?" Direkt fragte Sibylle und Alma erzählte von ihren Beobachtungen. "Mit dieser Sense war es mir nicht möglich, die Seele zu geleiten." Bestätigend nickte Sibylle. "Kommen Sie mit, dann werden Sie erfahren, was der letzte und wichtigste Schritt beim Schmieden einer Sense ist."
Beide kehrten zurück und Sibylle umfasste die Sense. "Wir werden jetzt zur Gilde gehen und mit dem Tod reden." Zusammen traten sie zur Gildentür, die direkt in der Nähe war und klopften an. Ihnen wurde Einlass gewährt und zufälligerweise war Henrik, welcher mehrere Akten schrieb, anwesend. "Guten Tag, Frau Klinke." grüßte er und erblickte Alma an ihrer Seite. Es freute ihm sehr, seine Tochter zu sehen. "Hallo Alma." Sibylle schaute Henrik scharf gestochen an. "Sie kennen meinen Lehrling?" Daraufhin musterte sie beide und erkannte die Ähnlichkeit. "Verstehe." Sibylle klopfte selbstständig an der Tür, da sie den Tod bereits gut kannte und deshalb musste Henrik ihren Besuch vorher nicht ankündigen. Zusammen traten sie in den Raum und Alma schaute sich aufmerksam um. Sie erblickte eine Gestalt von einer Robe verdeckt und einen weißhaarigen Jungen.
Beide Frauen verbeugten und grüßten vornehm. "Das ist mein neuer Lehrling Alma Corenzola." stellte Sibylle Alma vor, welche sich noch einmal verbeugte. Der Sensenmann schaute zu ihr und irgendwie war er stolz, als er ihre Aura spürte. Er musste an Henrik denken und freute sich sehr. "Eine weitere Sense, die gesegnet werden soll?" stellte der Tod fest und stand auf. "Sieh hin und lerne." bat Sibylle und der Sensenmann nahm die Sense in die Hände. Eine besondere und himmelsähnliche Aura ging von Gevatter Tod aus und die Seele wurde von der Aura des Todes umhüllt. Justin beobachtete den Tod aufmerksam dabei und Alma verstand langsam, was vor sich ging. Sibylle schaute kühl vor sich hin, sie wusste bereits, was vor sich ging und hatte es sehr oft mitbekommen. Der Sensenmann überreichte Sibylle die Sense. "Die Sense ist nun gesegnet." teilte er mit und scharfsinnig verstand Alma, was geschehen war. "Eine Sense muss also erst gesegnet werden, bevor man mit dieser Seelen geleiten kann."
Der Tod und Sibylle nickten. Sie verabschiedeten sich voneinander mit einer Verbeugung. Alma schien den Tod sehr begeistert zu haben, was vor allem daran zu liegen schien, dass sie der Sprössling von Henrik war und er zu der Dronner-Familie einen besonderen Draht hegte.
Kaum waren Sibylle und Alma gegangen, wandte sich der Tod an Justin. "Es wird übrigens Zeit, dass du deine Himmelslehre machst. Die Lage hat sich beruhigt und der Himmel ist bereit, dich zu empfangen. Demnächst wird dich ein Engel abholen." erklärte der Tod sachlich und Justin nickte, während er die Akte zu ende schrieb. "Was erwartet mich dort? Was wird mir gelehrt werden?" fragte er ruhig nach, aber der Tod gab ihm darauf keine genaue Antwort. "Das wirst du dort erfahren. Außerdem steht es dir frei, den Himmelsfürst Fragen zu stellen." Aufmerksam hörte Justin zu und widmete sich weiteren Akten zu.
Nach einem kurzen Klopfen betrat Henrik mit einem Stapel Akten den Raum, welche Justin entgegen nahm und daraufhin in ein anderes Zimmer verschwand. Der Sensenmann musterte Henrik und sprach dann seine lobenden Worte aus. "Mir war nicht bekannt, dass du eine Tochter hast." Seufzend grinste Henrik. "Bis vor kurzem wusste ich das selber nicht einmal.", Der Gildenführer schmunzelte. "Ich bin aber sehr stolz, sie zu haben. Sie ist sehr talentiert." lobte Henrik lächelnd und der Tod nickte, als Justin wieder kam und sich Henrik verabschiedete.
Am nächsten Tag war Cedric mit abgeschlossenen Akten auf dem Weg zur Gilde und begegnete dorthin Markus, der Akten dabei hatte, die noch zu den Praktikern mussten. Seit längeren sah man ihn nur mit herunterhängenden Lippen und glasigen Augen. Er wirkte weniger streng wie einst damals und wollte nur noch in Ruhe gelassen werden. Cedric hielt bei ihm und lächelte vorsichtig. "Warten Sie, ich werde Ihnen die Akten abnehmen, ich kommen auf dem Weg an den Praktikern vorbei." Dabei nahm Cedric die Akten von Markus entgegen. "Danke." murmelte Markus kraftlos. "Mir war nicht bewusst, dass Sie bereits wieder arbeiten." Markus senkte den Kopf. "Ich kann meine Tätigkeit nicht vernachlässigen, jedoch nimmt mich dieser Verlust noch sehr mit. Es ist nicht lange her, dass Wilma ermordet wurde und nun ist selbst Mia nicht mehr. Ich habe nichts mehr und fühle mich wie zu Lebzeiten." Er versuchte tapfer dazustehen, aber Cedric sah ihm an, dass Markus ein gebrochener Mann war. "Jeden Tag denke ich an sie und erinnere mich immer wieder an Mias Worte, dass der schlimmste Schmerz ist, wenn die Eltern ihr Kind oder ein Kind seine Eltern verliert. Mehr schmerzt es allerdings zu wissen, dass beide nicht im Himmel vereint sein können." Markus kniff die Augen zusammen, biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Bei diesen Aussagen fühlte Cedric mit Markus mit und erinnerte sich an bestimmte Aspekte vergangener Tage.
"Wissen Sie, ich kann Ihren Schmerz sehr gut nachempfinden. Mit 14 verlor ich meine Eltern durch die Hand eines Teufels und mein Sohn war einst 20 Jahre verschwunden. Als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich an die ersten Tage, an denen wir auf ihn gewartet haben, bis wir uns eingestehen mussten, dass er nicht wiederkam. Mein zweiter Sohn war bestürzt darüber und ich werde nie vergessen, wie aufgelöst meine Frau war. Sie hatte Panik und Sorge um unser Kind, das lässt sich nicht beschreiben. Mehrmals und tagelang hat sie geweint und ich weiß noch, wie mich ihr lautes Schluchzen mehrmals aus den Schlaf gerissen hat. Sein Geburtstag war der schwerste Tag. Sie sagte zwar, dass sie spüren würde, wenn er nicht mehr wäre, doch die Ungewissheit hat uns lange begleitet und geplagt. Ich bin ehrlich, auch ich habe die ein oder andere Träne vergossen, darum ist es nicht schwach, wenn Sie sich nicht bereit fühlen. Reden Sie mit dem Obersten darüber, aber geben Sie nicht auf oder machen etwas Unüberlegtes." Bei seiner letzten Aussage musterte Cedric Markus gründlich und mit einer leichten Strenge. Er wusste, dass einige Todeswesen dazu neigten, sich selber die Sense in den Körper zu stecken, wobei sie unwissend ihre Seele auslöschten oder sich gegenseitig umbrachten, weil sie der Meinung waren, so schneller erlöst zu werden, doch dabei würde nur ihre Existenz vernichtet und wenn der gemeinsame Mord nicht funktionierte, wurde der Hinterbliebene vom Henker gerichtet. Da Cedric im Zwischenreich wie eine Art Detektiv und Polizist agierte, hat er schon öfters solche Todeswesen zur Gilde und zum Henker geführt.
Cedric lief zu den Praktikern und überreichte diesen die Akten, bevor er zur Gilde trat und an Jeremy vorbei lief, direkt zur Tür des Sensenmannes. Dieser freute sich über Cedrics Anwesenheit. Cedric war einer der wenigen Todeswesen, die direkt in den Raum des Todes eintreten durften, was zum Großteil auch daran lag, dass bereits seine Eltern eine tiefe Bindung zu Gevatter Tod hatten. "Ich danke dir, Cedric."
Nicht jeder durfte so vertraulich mit dem Tod reden und der Tod war zu fast niemanden persönlich. Auch wenn die Zwillinge engen Kontakt zu ihm hatten, war Cedric diesem gegenüber zurückhaltender als Henrik.