Mutter Natur kannte keine Entspannung mehr. Die Umstände machten sie sowohl wütend, als auch traurig. Der Erde zeigte sich ihre Emotionen durch ein starkes Gewitter.
Mutter Natur hielt inne und auch der Zeiger der Uhr bewegte sich stockend. Ihre Füße gaben nach und Mutter Natur kniete auf dem Boden. Der weiße Tod sah zu ihr und kniete sich ebenfalls hin. Sanft umfassten ihre Hände Mutter Naturs Schultern. "Ich möchte nicht mehr... Ich brauche Hilfe, eine Pause. Es wird mir zu viel." hauchte sie und stand den Tränen nahe. Ihr Gehilfe fühlte diesen Schmerz regelrecht und hoffte, dass Mutter Natur zur Besinnung fand. Er hatte die ganze Zeit über Mutter Naturs schlechter werdenden Zustand beobachtet und sich gewünscht, dass sie Erholung findet.
Ihre stoppende Arbeit machte den Himmel auf sie aufmerksam und ein Engel aus der Fraktion machte es sich zur Aufgabe, nach dem Rechten zu sehen. Ein Himmelsportal öffnete sich und Mutter Natur zuckte zusammen, als sich der Besuch des Himmels ankündigte. Der weiße Sensenmann wurde hellhörig und hatte das Bedürfnis, seine Erschafferin zu beschützen. Der Engel sah Mutter Natur knieend auf dem Boden und verschränkte den Blick. Er neigte den Kopf leicht nach unten. "Sehr geehrte Mutter Natur, uns ist aufgefallen, dass sie nicht mehr an den Menschenhüllen arbeiten. Gibt es dafür einen Anlass?" fragte er direkt nach und Mutter Natur traute sich kaum, ihn anzusehen. "Ich bin erschöpft." hauchte sie und der Engel tat als hätte er sie nicht verstanden. "Wie bitte?" Mutter Natur, haben Sie das Abkommen mit unseren edlen Himmelsfürst vergessen?" hakte er streng nach und im weißen Sensenmann brodelte Wut auf.
"Lass sie! Sie hat niemanden, der ihr die Arbeit für einen Moment abnimmt!" entfuhr es dem weißen Tod und es war egal, ob er damit den Hass auf sich zog. "Unser Himmelsfürst erschafft die Seelen, Mutter Natur die Hüllen. Diese Abmachung existiert bereits seit Jahrhunderten." fuhr der Engel ihn an, doch der weiße Tod ließ sich nicht klein reden. "Ja? Und wie anstrengend ist es, eine Seele zu erschaffen? Die Schicksale der Seele übernehmen auch die Gehilfen des Himmels. Da hingegen ist Mutter Natur alleine, wenn es um die Entstehung der Hüllen geht." Der Sensenmann der Tiere scheute sich nicht, den Engel in die Augen zu sehen.
"Unterstehen Sie sich, den Himmel als faul zu bezeichnen. Mutter Natur steht es frei, sich Gehilfen anzuschaffen." Der Engel wurde lauter, aber der Gehilfe von Mutter Natur blieb unbeeindruckt. Mutter Natur hatte das Wortgefecht vernommen und wollte diesen Streit nicht.
"Bitte, das bringt doch nichts." flüsterte sie, doch ihre Worte zeigten keine Macht. Die Stimmen aller verstummten, als sich ein weiteres Licht auftat. Augenblicklich verneigte sich der Engel, als der Himmelsfürst als Licht vor ihnen erschien.
"Entschuldigt mein unangemeldetes erscheinen." sagte er mit zarter stimme und begab sich mit Mutter Natur auf einer Höhe.
"Bitte seid nicht respektlos ihr gegenüber, sie tut viel für uns." Er und Mutter Natur blickten sich an, dabei sah er das Grau in ihren Augen. "Mutter, es schmerzt, dich in diesem Zustand zu sehen. Ich werde tun, was in meiner Macht liegt, damit du zur Ruhe finden kannst." Sanftmütig sprach er mit ihr. Mutter Natur senkte den Blick. "Danke." hauchte sie und der Himmelsfürst richtete sich an seinen Engel.
"Gehen wir! Wir werden darüber im Himmel sprechen." wies er an, verabschiedete sich und Mutter Natur war mit ihrem Gehilfen alleine. Der weiße Tod sah dem Himmel kritisch hinterher und vertraute ihm nicht. "Er soll sich an diese Worte halten. Das letzte Mal als dir eine Pause versprochen wurde, war diese auch zu kurz." sprach er seine Zweifel aus, doch seine Erschafferin war erneut optimistisch und in den Augen ihres Gehilfen leichtgläubig.
"Ich werde die Zeit für mich nutzen. Ich möchte als erstes unbedingt in den Garten Eden. Begleitest du mich?" Mit einem seichten Lächeln auf dem Gesicht folgte der weiße Tod Mutter Natur in den Garten Eden.
Mutter Natur sprach mit ihren Venefica, zu denen sie lange keinen Kontakt hatte und beide Seiten freuten sich über den Austausch. Was Mutter Natur besonders machte war die Nahbarkeit zu ihren Gläubigern. Diese Gespräche ließen Mutter Natur ihre Arbeit an den Hüllen vergessen und mit ein paar ihrer Venefica ließ sie sich auf ein gemeinsames Bad in einem See ein. Nackt genossen sie das Wasser auf ihrer Haut, während ihr Gehilfe erneut nur zusah. Der weiße Tod beobachtete Mutter Natur eine Weile, bevor er sich verabschiedete und sich dazu entschied, seiner Berufung nachzugehen. Er versprach nach getaner Arbeit zurückzukehren. Er ließ Mutter Natur alleine und hoffte, dass sie wieder glücklich wurde. Die darauffolgenden Tage beobachtete der weiße Tod den Zustand von Mutter Natur, die viel Zeit in ihren Garten Eden verbrachte. Dort war sie für ihre Venefica da, sowohl die, die noch lebten, als die, die bereits verstorben waren. Mutter Natur meditierte, umsorgte die Tiere und als größte Errungenschaft erschuf sie ein neues Geschöpf, welches aus der Kreuzung zweier Tiere entstand. Voller Stolz präsentierte Mutter Natur ihre Schöpfung ihren Gehilfen, welcher sich sehr für seine Erschafferin freute.
"Es wäre mir eine Ehre, mich um dieses Lebewesen zu kümmern, wenn es die Schwelle des Todes überschreitet." sagte der weiße Tod lächelnd und Mutter Natur fühlte sich geschmeichelt. Sie hatte lange kein neues Tier mehr erschaffen. Es war etwas Besonderes für beide. Mit einem zufriedenen Gefühl schickte Mutter Natur das Tier auf die Erde und vor Freude schimmerten ihre Augen. Der weiße Tod sah dies und hoffte, dass er Mutter Natur öfters so glücklich sehen konnte.
Mutter Naturs Auszeit hatte zur Folge, dass die Bevölkerung ein stück zurück ging und weniger Babys geboren worden. Die Menschen zogen den Klimawandel als Grund in Erwägung und dass die Menschen dadurch die Hoffnung an die Zukunft verloren.
Der weiße Tod hätte sich gerne für seine Erschafferin gewünscht, dass diese nicht mehr zurück zu ihrer Tätigkeit müsse, doch die Erholung währte nicht lange und Mutter Natur durfte weitere Hüllen für den Himmelsfürst erschaffen.
Genauestens beobachtete der weiße Tod Mutter Natur und wie er bereits befürchtet hatte, liefen die ersten paar Wochen gut, bis sie langsam wieder in der Spirale gefangen war, in der sie zuvor war.
"Das kann doch nicht sein." hauchte der weiße Tod, als er Mutter Natur durchgehend am arbeiten sah. Und erneut bestätigte sich der geheime Hass des weißen Todes auf den Himmel. "Hauptsache er bekommt was er will. Dass er sie dabei kaputt macht ist ihm in Wirklichkeit doch egal. Von wegen gegenseitige Abmachung, Ausbeutung ist das." fluchte der weiße Sensenmann, behielt seine Gedanken diesmal aber für sich. Zu oft hatte er für Mutter Naturs Besserung gehofft, doch wurde er am Ende immer enttäuscht, dass er mittlerweile der bitteren Realität ins Auge sah. Früher oder später sah er Mutter Natur komplett zusammenbrechen.
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Viktorius stand neben dem Geist des Menschens, der sich vor geraumer Zeit das Leben genommen hatte. Er behielt Recht mit seiner Aussage, dass niemand nach ihm gucken würde. Auch bei Viktorius zweiten Besuch ließ sich die Seele nicht geleiten, stattdessen erzählte diese: "Tagein, tagaus sah ich meinen eigenen Körper dabei zu, wie er verwest. Und jedes Mal fühlte es sich ein Stück mehr wie eine Erlösung an. Diese wertlose Existenz soll weiter verschwinden und von Getier zerfressen werden." Dabei blickte diese auf das Gerippe.
Viktorius fühlte den Schmerz dieser Seele und empfand einst genauso. Er wollte selbst im Tode nicht mehr existieren. Sein Versuch sich auszulöschen machte ihn zu dieser Existenz, die er heute ist.
Viktorius ließ die Seele zurück in ihrem Dasein und wandelte durch das Dorf Mynrane, in welches er früher gelebt hat. Er lief zu der Stelle, an der einst sein Haus gestanden hat. Nach seinem Tod stand es einige Zeit leer, bis es von einer Großfamilie bezogen wurde, die nicht pfleglich damit umging, was zum Abriss des Gebäudes führte. Er ließ das Dorf hinter sich und öffnete das Tor zum Garten Eden. Mutter Natur hatte ihm erlaubt, zu kommen und zu gehen, wann es ihn beliebte. Er betrat den Garten Eden und begegnete Tiffany, die zusammen mit Berta im Wald saß. Tiffany saß in ihrem hellrosa Kleid im Gras, während Berta all ihre Kleidung niedergelassen hatte.
Tiffany stand auf und umfasste Viktorius Hände. Kurz darauf gab sie ihm einen seichten Kuss auf die Lippen und sie setzten sich wieder auf das Gras. Es war Tiffany selbst vor Berta unangenehm, ihre Liebe zu zeigen. Berta versicherte ihr immer, dass nichts schlimm daran sei, aber Tiffany konnte sich nicht überwinden. Berta erzählte etwas von sich, um die Stille zu durchbrechen. "Einer meiner Nachkommen ist Ziehvater eines Mädchens, die ebenfalls an Mutter Natur glaubt. Leider ist in meinem Stammbaum nicht mehr viel von meinem Wissen weitergegeben worden, bis auf die Kräuterheilkunde. Du erinnerst dich an all die Kräutertees, Tiffany?" schmunzelte Berta und Tiffany nickte. "Die waren immer sehr wohltuend." Viktorius konnte nicht viel von sich erzählen. Er wollte nicht über die Toten reden, dessen Seele er geleitete. Darum hörte er meistens nur zu. Berta wusste auch immer, wie sie die Stille durchbrechen konnte, wofür Tiffany ihr insgeheim dankte.
Lange währte das Treffen nicht und Viktorius ging seiner Berufung nach, während Tiffany den Rücktritt ins Himmelsreich antrat. Im Himmel fand sich Tiffany in ihrem alten Elternhaus wieder, in welchem auch ihre Eltern und totgeborene Schwester am Tisch saßen.
Nach dem Tiffany auf dem Scheiterhaufen verbrannte und sich für den Himmel entschied, war sie mehr als überrascht, ihre Familie wiederzusehen. Besonders der Anblick ihrer Mutter und Schwester hatten ihr die Tränen in die Augen getrieben. Ihre Mutter war wunderschön im Himmel, wo Tiffanys letzten Erinnerungen an ihr ein von Geschwüren gezeichneter Körper war. Auch ihre Schwester als junge Frau zu sehen war ein unbegreiflicher Moment. Ihre Schwester Veronica sah ihrer Mutter ähnlich.
Thompson war der Einzige, der genauso war, wie Tiffany ihn in Erinnerung hatte und bei ihrem ersten Wiedersehen sprach er all seinen Stolz zu ihren Sohn aus. Das hatte Tiffany zum weinen gebracht und in diesem Moment wurde ihr erneut klar, wie unrecht die Bewohner aus dem Dorf hatten.
Ihre Mutter entschuldigte sich für ihr verhalten zu Lebzeiten ihrer Krankheit und Tiffany fand ihren Frieden mit der schlimmen Zeit. Im Himmel war ihre Mutter wie zu Zeiten, bevor die Krankheit die Familie zerstörte. Anfangs wusste Tiffany nicht, wie sie mit Veronica umgehen sollte, doch nach einer Umarmung brach das Eis schnell und Tiffany erkannte, was für ein wundervoller Mensch Veronica gewesen wäre.
Die Familie saß am Küchentisch ihres alten Hauses zusammen und Tiffany erzählte von Berta und Viktorius, wie sie beide im Garten Eden traf.
"Bedauerlich, dass ich ihn nie persönlich begegnen werde. Ich möchte schon denjenigen kennenlernen, der meine Tochter glücklich macht." meinte Thompson, während seine Frau entgegnete: "Du würdest es nicht nur bei einem Hallo belassen, du würdest ihn auf Herz und Nieren prüfen, dass er ja geeignet für sie ist. Das wissen wir alle." Seine Töchter schmunzelten und Thompson entgegnete: "Ich will nur das Beste für meine Töchter. Bei Viktorius wäre es sowieso zu spät. Immerhin haben die Beiden schon einen Sohn zusammen bekommen." Delia, seine Frau, war sich da nicht ganz sicher und vermutete, dass er Viktorius trotzdem unter die Lupe nehmen würde, wenn er könnte.
Das muntere Gespräch wurde durch ein Klopfen an der Holztür unterbrochen. Alle vier empfanden dies als ungewöhnlich und kurz darauf ertönte eine Stimme.
"Guten Tag, es tut mir leid ihr Beisammensein zu stören. Es geht um ein Anliegen des Himmelsfürst. Tiffany Dronner, ich möchte Sie darum bitten, mir zu folgen." sprach die klare Stimme des Engels und Tiffany war mehr als überrascht, diese Worte zu vernehmen. Sie konnte sich auch keinen Beweggrund vorstellen. Ohne Widerworte öffnete sie die Tür, warf noch einen Blick zu ihrer Familie und folgte dann dem Engel zum Himmelsfürst.