Die niedergeschriebenen Daten der Akte führte Gina zum Bett eines krebskranken Mannes, der den Kampf an diesen verlor. Er war erst Mitte 30. Die Sensenklinge eröffnete das Tor zum nächsten Leben. Langsam entschwand die Seele aus dem Körper und lief zum Garten Eden zu. Dies geschah kleinen Schritten, da die Seele selbst nicht realisierte, allen irdischen Leidens entbunden worden zu sein. Erst kurz vorm Garten Eden beschleunigte die Seele ihre Schritte. Die Brücke brach, nachdem der Mann sich im Garten Eden befand. Ginas Blick ruhte noch eine Weile auf den von Krankheit gezeichneten Leib. Die Stille wurde gestört durch den Hilferuf eines Seelengeleiters. Gina reagierte und folgte dem Ruf, der unmittelbar aus der Nähe kam. Sie fand sich im Krankenzimmer wieder, in der eine demente Frau untergebracht worden war. Durch ihre Erkrankung war sie garstig geworden und ihre Seele lebte dies weiter aus. Der unerfahrene Seelengeleiter hatte damit seine Probleme. Er konnte die Brücke nicht instand halten. Der Geist stand im Raum, losgelöst von seiner Hülle und voller Wut.
"Verpiss dich! Ich brauche keine Hilfe!" Mit einer ungeheuren Kraft stieß der Geist den Seelengeleiter von sich. Er wurde gegen die Wand geschleudert und seine Sense schnitt ihn ungläubig in den Arm.
"Shit." fluchte er und biss die Zähne zusammen. Gina schritt in den Raum und stellte sich zwischen ihm und dem Geist. Fritz kam hinterher und blieb bei dem verletzten Todesgeist. Die alte Frau spürte die Präsenz des Sensenmannes und hielt inne.
"Geh weg!" keifte dieser, nun deutlich ängstlicher. Gina lächelte nur, kam näher und führte die Sense an den Geist heran. Jeglicher Versuch auszuweichen scheiterte. Das Sensenblatt berührte den Geist und trotz jeglicher Wehr baute Gina die Brücke auf. Mit ihrer Kraft schaffte sie es die Frau ins nächste Leben zu bringen.
Ihrer Aufmerksamkeit galt nun Fritz und dem Todesgeist. Fritz half den Seelengeleiter beim aufstehen, Gina öffnete direkt ein Portal.
"Bringen wir ihn zu den Heilern." Es war Felicia, die sich ihnen annahm und die Schnittwunde des Mannes versorgte. Er bedankte sich leise bei ihr und verließ den Raum. Nachdem er rausging betraten Fritz und Gina diesen. Felicia säuberte nebenbei den Arbeitsplatz. Sie schenkte dem Ehepaar ein aufrichtiges Lächeln.
"Schön euch zu sehen." Nach der Säuberung stand sie auf und gab ihren Sohn einen Wangenkuss.
"Habt ihr den Herrn hergeführt?" Fritz nickte und sah seine Mutter weiter lächeln. "Was haltet ihr davon, wenn wir uns am Samstag zu einem Familientreffen zusammenfinden?" schlug sie vor und ihre Idee fand Anklang.
"Dieses Mal werde ich dich wieder im Kartenspiel besiegen." Schelmisch grinste Fritz und Felicia hob eine Augenbraue.
"Das glaubst du doch wohl selbst nicht." Mutter und Sohn fingen zu lachen an. Sie verabschiedeten sich voneinander und Felicia begleitete sie zur Tür. Das Ehepaar begab sich in die Menschenwelt zurück. Felicia schloss die Tür hinter sich und ging den Flur entlang.
Schnellen Schritten kam von hinten Jayna auf sie zu.
"Felicia!" rief sie, bevor sie Felicias Schulter umfasste. Beide blieben auf der Stelle stehen.
"Hättest du einen Moment? Es gibt was Wichtiges zu besprechen." Jaynas Stimme wurde leiser und sie sah Felicia in die Augen.
"Ja, klar." Ein wenig verwirrt über dieses plötzliche Gespräch folgte Felicia Jayna in das Büro der leitenden Ärztin. Sie schloss die Tür hinter sich und stand Jayna gegenüber, die es vermied, sich hinzusetzen. Felicia legte fragend leicht den Kopf zur Seite.
"Worüber möchtest du sprechen?" An Jaynas Reaktion merkte sie, dass es ihr schwer fiel, darüber zu sprechen.
"Ich habe ein Schreiben vom Tod bekommen, mich bei ihm einzufinden. Wir wissen beide, was dies bedeutet." Felicias Augen weiteten sich leicht und sie nickte.
"Meine Frage an dich lautet nun, ob du nach mir die Nachfolge der leitenden Ärztin der Heileranstalt antreten möchtest?"
Starren Blickes wich Felicia zurück.
"Irgendwann wirst du die Heilerabteilung leiten, ganz wie dein Vater."
"Ich weiß nicht, ob ich das möchte." platzte es aus ihr heraus und Jayna zuckte leicht zusammen. Jayna ergriff Felicias Hände.
"Wenn du nicht möchtest, wird sich jemand anderes finden. Ich dachte nur an deine bewundernswerten Qualitäten." Sie sah wie Felicia den Kopf schüttelte.
"Ich danke dir, aber ich kann und möchte dies nicht." lehnte Felicia ab und ließ Jaynas Hände los.
"Ist es wegen?"
"Reden wir nicht darüber." Felicias Blick schweifte zur Seite.
"Ich gönne ihm diesen Erfolg nicht." hallte es in Felicias Kopf wieder. Diese Gedanken wurden von Jayna durchbrochen.
"Bitte erzähl Alma noch nichts, wenn du sie siehst." bat Jayna eindringlich und Felicia nickte.
"Natürlich nicht." Beide blickten sich an und kamen sich für eine letzte, herzliche Umarmung näher.
Jayna zögerte es immer weiter hinaus, die Abteilung zu verlassen. Sie unterhielt sich viel mit ihren Kollegen, räumte ihr Büro pingelig auf, bis ein Heiler sie darauf ansprach, dass sie schon lange da sei. Jayna verabschiedete sich und lief langsam zur Gilde.
"Bitte sei nicht da." wisperte sie immer wieder vor sich her. Sie wartete, bevor sie die Türen zur Gilde öffnete und zu ihrem Glück war Johannes anwesend.
"Guten Tag, ich habe ein Schreiben vom Tod erhalten." erwähnte sie leise, als könne es wer Unbefugtes vernehmen. Johannes nickte und ließ sie gewähren. Bevor sie den Raum des Todes betrat hielt sie noch einmal inne, setzte sich ein Lächeln auf, was nicht ihre Empfindungen widerspiegelte und betrat den Raum.
Vegetierend saß Jayna auf dem Sofa, bis sie die Tür ihrer Wohnung vernahm. Es war Alma, mit der sie sich gezielt verabredet hat. Das Paar gab sich einen Kuss zur Begrüßung, der länger ging wie gewohnt. Dies schürte in Alma bereits ein unwohles Gefühl. Jaynas Blick ihr gegenüber bestätigte die Vermutung.
"Worüber möchtest du reden?" fragte Alma vorsichtig. Jayna setzte mehrmals zum reden an, aber erst beim vierten Mal gelang es ihr.
"Ich werde erlöst."
Eine angebrochene Weinflasche und zwei Gläser Wein standen auf dem Tisch. Eines der Gläser war leer, das andere halb voll. Das Leere gehörte Alma und wurde mit dem letzten Rest der Flasche aufgefüllt.
"Haben wir noch mehr?" fragte sie lallend. Ihr Vater verneinte.
"Sich betrinken ist nicht die Lösung." Mit rollenden Augen nippte sie an dem Glas.
"Warum wollen einige unsterblich sein? Es ist beschissen. Wenn deine Partner es nicht auch sind, wirst du nur immer wieder aufs neue Liebesschmerz erfahren. Ich habe darauf keine Lust mehr." Ihre Lider schlossen sich und sie stützte den Kopf an ihrer Handfläche ab.
"Ich bleibe ab sofort alleine." Henrik vernahm diesen Satz und hob eine Augenbraue.
"Bist du dir sicher oder sagst du dies, da du verletzt bist?" Alma sagte zu seiner Frage nichts, denn sie konnte es nicht.
"Vielleicht kommt nochmal eine Seelengeleiterin in dein Leben."
"Vielleicht... Ich will aber nicht ständig die Partnerin wechseln. Ich möchte eine langfristige Beziehung."
"Die hattest du doch."
"Aber immer mit Todesgeistern die ermordet oder erlöst worden sind. Ich bin kein Mensch, die sich dessen bewusst sind. Ich bin ein Todesengel und lebe nun mal ewig." Ein Hauch Verzweiflung schwang in ihrer Betonung mit.
"Und jetzt komm nicht damit, dass sich noch ein Todesengel für mich findet. Ich will das nicht mehr." Sie stellte das leere Weinglas ab und winkelte die Beine an.
"Ich will nicht immer wieder aufs neue verletzt werden." schluchzte sie und Henrik rückte näher heran, um ihr tröstend über den Rücken zu streichen.
"Man ist nicht abhängig von einem Partner. Man kann auch alleine glücklich werden." merkte Henrik an. Alma wischte ihre Tränen weg. "Und das werde ich jetzt auch tun. Alleine bleiben." Ihr Pessimismus missfiel Henrik, aber in der aktuellen Situation war er machtlos. Er wusste, dass er auf Granit stoßen würde.
Derweil wurde Felicia von anderen Gedanken geplagt. Ein neuer Leiter für die Heilerabteilung wurde bestimmt. Wenn sie ihn sah, dachte sie an ihren Vater. Nicht, da er Paul ähnlich sah, sondern weil Felicia an Jaynas Angebot dachte. Sie hätte die Leitung übernehmen können, aber innerlich wollte sie Paul diesen Sieg nicht geben. Es war ihr schwer gefallen, die Heilerlehre ohne Gedanken an ihn zu machen. Wäre sie auf das Angebot eingegangen, hätte ihr dies nur mehr das Gefühl gegeben, dass sie wie ihr Vater sei. Cedric sagte ihr immer das Gegenteil, trotzdem schwang stet ein unwohles Gefühl bezüglich ihres Vaters mit. Dies machte sie innerlich wütend, denn sie wusste, dass sie nicht er war. Komplett ablegen konnte sie dies nicht.
Das Familientreffen lenkte sie von ihren Gedanken ab. Sowohl die Gespräche, wie auch das Kartenspiel, welches sie gegen ihre Enkelin verlor.
"Das hast du toll gemacht, Schatz." lobte Niklas, streichelte Gamias Rücken und gab ihr einen Kuss. Dabei wurden sie von Felicia gemustert. Gamia grinste und bemerkte Felicias lächelnden Blick. Dabei fiel ihnen nicht auf, dass Felicia Niklas besonders musterte.
"Wie wäre es mit noch einer Runde?" fragte Gamia schmunzelnd. Felicia hatte die Frage kaum realisiert und nickte nur schnell. Niklas war der Einzige, der sich aus dem Spiel raushielt.
Die Familie verabschiedete sich voneinander, allen voran Gamia und Niklas. Nachdem Fritz und Gina ebenfalls gegangen waren, seufzte Felicia besorgt. Sie lehnte sich an den Türrahmen.
"Ich mache mir Sorgen um Niklas." erwähnte sie und blickte zu Cedric.
"Man merkt ihm langsam an, dass er ein Halbblut ist. Ist es dir aufgefallen?" Sie drehte sich zu Cedric um und ließ die Tür langsam ins Schloss fallen.
"Du meinst sein äußeres?"
"Das auch, aber ich wollte auf was anderes hinaus. Es ist mir auch bei Johannes aufgefallen. Die verschwommenen, undeutlichen Todesdaten." Sie lief zum Sofa und setzte sich.
"Das meinst du. Ja tatsächlich ist es mir ins Auge gefallen, aber irgendwann blendet man dies aus." Er setzte sich neben seine Frau. "Ich muss immerzu an das denken, was mein Erzeuger erzählt hat. Dass Niklas Körper irgendwann nachgeben wird, er aber am Leben bleibt. Sowohl seiner, wie auch der von Johannes. Vermutlich ist das die Heilerin in mir, aber ich möchte ihnen dieses Schicksal gerne ersparen. Ich weiß von Gamia, dass Niklas sich weigert, aber eine Untersuchung wäre vielleicht nicht verkehrt." Cedric legte den Arm um sie.
"Ich verstehe dein Besorgnis. Schaden um Gewissheit zu bekommen würde es nicht. Ich denke bei Niklas spielt ganz viel Angst mit. Immerhin wollte dein Erzeuger ihn aufschneiden."
"Aber Cedric!" mahnte Felicia. "Er kennt mich doch. Es gibt mittlerweile andere Methoden, das Innere einzusehen. Aber gut, zwingen werde ich ihn nicht können." Felicia löste sich von Cedric und verschränkte die Arme.
"Ich geh schlafen. Ich darf früh raus." Mit diesen Worten lief sie ins Bad und anschließend ins Schlafzimmer.