Mutter Natur verabschiedete sich und kehrte mit dem weißen Tod zum Garten Eden zurück. Sie musste ihre Venefica über die Geschehnisse aufklären, dass sie den Himmel nicht mehr besuchen konnten. Sie wusste, dass dies zu Aufregung führen würde.
Gina dachte derweil an ihr Leben auf Erden und an das von ihrer Tochter und Niklas. Was würde daraus werden? Würde Niklas ihnen einfach in das Zwischenreich folgen, wenn die Erde unbewohnbar wird? Diese gravierende Veränderung machte ihr viele Gedanken, doch sie wusste, dass sie am Ende neutral ihrer Arbeit nachgehen würde. Sie war immerhin ein Sensenmann und damit unsterblich. Eine Tatsache, die mitunter erschreckend sein konnte. Sie würde das Ende der Welt miterleben und das danach. Das Unvorstellbare nach dem Ende.
Wie Mutter Natur bereits erwartet hatte, waren ihre Venefica nicht erfreut über ihre Kundgebung. Sie waren ihr dankbar, dass sie sich erkundigt hatte, gleichzeitig waren sie von Traurigkeit und Wut erfüllt. Einige Familien konnten sich nun nie wieder sehen. Berta war ebenfalls betrüb darüber, Tiffany nicht mehr sehen zu dürfen. Mutter Natur verstand die Reaktion all ihrer Venefica und versuchte diese zu beruhigen. An der jetzigen Situation konnte sie nur wenig ändern.
Mutter Natur hatte noch eine weitere Person vor sich, die sie besuchen musste, um diese über die Lage aufzuklären. Beim Klopfen an der Holztür zuckte Viktorius vor Verwunderung zusammen. Er bekam keinen Besuch in seinem persönlichen Ort und fragte sich darum umso mehr, wer dies sei.
"Guten Tag, Viktorius von Eden. Verzeih die Störung. Darf ich eintreten?" vernahm er Mutter Naturs wohltuende Stimme und ließ sie hinein. Sie verneigte sich vornehm und Viktorius grüßte sie nervös. Er und Mutter Natur setzten sich auf eine der Bänke in der kahlen Kirche. Mit Viktorius sprach sie, wie zu ihren Venefica, ruhig.
"Ich bringe keine guten Nachrichten." sprach sie und erzählte den Grund ihrer Anwesenheit. In Viktorius löste es das Gefühl wie bei ihren Venefica aus. Traurigkeit über den fehlenden Kontakt, Wut auf den Himmelsfürst. Viktorius Wut ihm gegenüber wurde größer. "Glaube ist nur eine Ausrede, um etwas zu rechtfertigen. Er hat es wegen mir und Tiffany getan, ganz bestimmt. Um sich noch irgendwie als Sieger zu fühlen." zischte er und Mutter Natur fand es interessant, dass er die gleichen Ansätze wie ihr Gehilfe hatte.
"Sicher hat er etwas gegen mich, weil ich seine Welt hinterfrage und damit sein Ego verletze. Vermutlich, weil er weiß, dass ich nicht ganz Unrecht habe." entfuhr es Viktorius erzürnt und auch ihn versuchte Mutter Natur zu beruhigen. "Ich verstehe seine Handlung auch nicht, aber der gegenseitige Konflikt bringt euch nicht weiter. Dazu wird, egal wie wahr deine Worte auch sein mögen, der Himmelsfürst immer am längeren Hebel sitzen."
Dieser ungeschönten Wahrheit musste Viktorius wider Willen ins Auge sehen.
Die Menschen wussten nicht, was sich bei den höheren Mächten abspielte, doch sie spürten die Auswirkung dieser. Einige wollten sich nicht eingestehen, dass ihre Handlungen Konsequenzen für die Umwelt hatte oder verleugneten die äußeren Umstände. Wiederum andere setzten sich noch energischer für den Umweltschutz ein, auch wenn sich einige bereits eingestehen mussten, dass die letzte Chance vertan war und die Erde langsam am sterben war. Die Veränderung der Umwelt sorgte dafür, dass es mehr Tote durch Umweltkatastrophen und die aktuellen Umstände gab. Gleichzeitig gingen auch die Geburtenzahlen zurück. Auch die Geschöpfe von Mutter Natur litten unter diesen Veränderungen. Interessanterweise gab es darunter Tiere, die sich den neuen Umständen anpassten.
Bei den Menschen kam es zu mehr Kriminalität. Arme Personen, die stahlen um wenigstens etwas zu besitzen. "Warum können die Reichen uns nicht was abgeben? Dann wären wir alle glücklich." fragte ein Kind seine Mutter, die aufgrund einer Überflutung aus ihrer Heimatstadt geflohen waren.
Einige wenige Orte waren mittlerweile unbewohnbar geworden, weil sie zum Beispiel vom Wasser verschlungen wurden.
Die Negativität und Hoffnungslosigkeit der Menschen aufgrund der Umstände nährte das Böse, den Höllenfürst. Das erhöhte Aufkommen der Dämonen war auch den Seelengeleitern nicht entgangen. Vermehrt worden sie mit ihnen bei Todesfällen konfrontiert.
"Hört auf, die Menschen zu bösen Machenschaften zu verführen!" rief Gamia und schlug einen deformierten Wolfsdämon die Klaue ab, als er ihr zu nahe kam. Er knurrte bestialisch und sprang auf sie zu, um die Brücke zu zerbrechen. Gamia sah den Dämon erzürnt an. "Lass mich diese Seele geleiten." zischte sie und ihre Sensenmann-Aura verlieh ihr Autorität. Sie holte mit der Sense aus und der Dämon konnte nicht mehr ausweichen. Die Sense bohrte sich durch sein Maul durch seine ganze dämonische Fratze.
Gamia zog die Sense aus dem Leib der Kreatur, welche verzerrt brüllte und in die Hölle zurückkehrte. Gamia führte ihr Seelengeleit weiter fort. Es war die Seele eines jungen Mannes, der aus seinem Heimatort geflüchtet war, da dieser durch das Wetter unbewohnbar geworden war. Er stahl Kleidung von den anderen für sich selbst, doch zwei Männer hatten dies bemerkt und ihn zu Tode geprügelt. Gamia fand es nicht richtig, jemanden deswegen direkt umzubringen. Was er tat war für sie auch nicht richtig, aber den Tod hatte er nicht verdient. Wenn sie die Umstände beachtete, verstand sie seine Intention und fragte sich, ob sie selbst nicht auch zu solchen Mitteln greifen würde, wenn es notwendig sei.
Gamia kehrte zum Hof zurück. Ihre Eltern saßen mit Niklas auf ein Bier zusammen. "Ernte sieht nicht gut aus dieses Jahr." seufzte Niklas und war aufgrund dessen sichtlich gereizt. "Damit bist du nicht der Einzige. Vielen geht es so. Sieh dir die äußeren Umstände an. Da ist dies kein Wunder. Solange es euch finanziell und anderweitig gut geht." meinte Gina aufmunternd und saß mit gekreuzten Beinen auf ihren Gartenstuhl. Fritz schmunzelte. "Und ansonsten leihe ich euch was." Seine Frau seufzte.
"Oder wir verschwinden ins Totenreich und tun so, als wären wir nie hier gewesen." entgegnete sie, als Niklas trocken sagte: "Wenn das so weitergeht, mit der Erde, müssen wir das wirklich tun." Gina zuckte zusammen. Ihre Familie wusste von nichts. Was mit Mutter Natur war unterlag vorerst strengster Geheimhaltung. Es war noch nicht so weit, dass das Totenreich von den Umständen erfuhr, aber Gina wusste, dass der Tag kommen würde. Es war alles nur noch eine Frage der Zeit.
Mit den Jahren holte sich die Natur die ersten verlassenen Orte zurück. Dies war für Mutter Natur kraftspendend, auch wenn dies bei weitem noch nicht reichte, um sich zu erholen. Ihr tat es gut, keine Hüllen mehr zu erschaffen und im Garten Eden bei den Venefica sein zu dürfen. Sie wusste aber, dass sich die erde erst komplett erholen würde, wenn der Mensch von dieser verschwunden sei.
Der Himmelsfürst beobachtete die Menschen und die erde. Seit den Katastrophen hatten einige ihren Glauben an ihn verloren. Wieder andere fanden durch diese Umstände den Glauben zu ihn. Dies war auch bei einer 29-jährigen der Fall. "Bitte Himmelsfürst, mein Freund und ich wünschen uns sehnlichst ein Kind. Bitte gewähre uns diesen Wunsch." flehte sie und sie sah den Himmelsfürst als letzte Option, sich ihren unerfüllten Kinderwunsch zu erfüllen.
Ein Engel überbrachte den Himmelsfürst das Gebet. "Ihr Unwissenden.", hauchte er. "Hätte Mutter Natur ihr Handwerk nicht niedergelegt, hätte sich euer Wunsch schon längst erfüllt." In seinen Unterton fand sich Wut wieder. "Wegen ihr durften so viele Schicksalsbücher verändert werden." merkte er unerfreut an und der Himmelsfürst überlegte. Er wollte seinen Gläubigern diesen Wunsch erfüllen. "Die Seele kann ich erschaffen." murmelte der Himmelsfürst, als der Engel zu ihm sprach. "Sie sind allmächtig. Sie haben auch uns geschaffen. Ich bin mir sicher, Sie können genauso tolle Hüllen wie Mutter Natur erschaffen." Diese Aussage seiner Gehilfen stärkte den Himmelsfürst. "Genau. Wenn Mutter Natur mir diese Arbeit nicht mehr abnimmt, werde ich sie selber verrichten!" Daraufhin kreierte der Himmelsfürst die Seele des Kindes. Es sollte ein Junge werden und der Himmel gab ihm das mit, was einen Menschen ausmachte. Schicksale, den Charakter, Vorlieben, Stärken und Schwächen. Danach machte er sich an die menschliche Hülle.
Neun Monate später
Gina und Justin waren dabei, Akten zu bearbeiten, während der Tod bei einem größeren Seelengeleit war. Eine weitere Umweltkatastrophe hatte die Menschen heimgesucht. Beim Schreiben der Akten fiel Gina etwas ins Auge. "Justin, sieh dir das an." bat sie und überreichte ihn zwei Akten. Er blickte hinein. "Zwei Todgeburten, ja.... oh jetzt verstehe ich, was du meinst." Auf den zweiten Blick erkannte er, worauf Gina hinauswollte.
"Aber, sieh her, ich hatte auch eine Akte von einem Baby, das nicht lebend zur Welt kommt." Er suchte diese und präsentierte ihr die Akte. Mit einem kritischen Blick musterte Gina diese. "Ich dachte, es sei nichts besonderes, wenn man sich die Einflüsse der Welt ansieht. Erinnere dich, als das mit dem Kraftwerk war. Danach hatten wir viele Menschen, die der Krebs dahingerafft hat oder andere körperliche Beschwerden hatten." meinte er und spielte mit der Feder in der Hand umher.
"Ich halte das für keinen Zufall. Wir sollten Mutter Natur fragen. Vielleicht sind das welche ihrer letzten Hüllen, die sie erschaffen hat. Du weiß, wie erschöpft sie zum Ende war. Wer weiß, ob ihr dadurch diese gravierenden Fehler passiert sind." erwähnte Gina ruhig und sah zu Justin. "Das sollten wir auf jeden Fall tun, doch als erstes sollten wir uns selbst ein Bild davon machen." schlug Justin vor und nach Abgabe der anderen Akten und Rückkehr von Gevatter Tod, brachen die Gehilfen auf, um die besagten Seelen zu geleiten.
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Sie schrie unter Schmerzen, aber sie wusste, wofür sie es tat. Es waren schöne Schmerzen wenn sie wusste, dass sie dafür einen neuen Menschen Leben schenkte. Obwohl ihr gesagt wurde, dass das Kind nicht gesund zur Welt kommen wird, wollte sie dieses Baby. Immerhin hatte sie es sich so sehr gewünscht und dafür gebetet. Selbst als sich dieser Wunsch erfüllte und sie von der Behinderung erfuhr, war sie dem Himmelsfürst dankbar.
Gina und Justin standen bei der Frau Anfang 30. Sie sahen die kleinen Engel, die vor ihnen auftauchten. "Hallo. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen." merkte Gina an und die kleinen Engel nickten bestätigend.
"Wir haben auch Mutter Natur sehr lange nicht mehr gesehen, seitdem sie keine Hüllen mehr erschafft." merkten sie an und waren aus dem selben Grund da, wie die Sensenmänner.
Das Baby erblickte das Licht der Welt. Statt Freude löste es jedoch erschrecken aus. Es schrie kurz auf, bevor es ruckartig zuckte, als hätte es einen epileptischen Anfall und schließlich verstarb. Die Ärzte konnten nur noch den Tod feststellen.
Gina und die kleinen Engel schützten die Seele und brachten sie in den Himmel, während diese klagende Worte von sich gab. "Wäre ich doch nur in einen anderen Körper geboren worden." Nach diesem Geleit blickten die Sensenmänner auf den kleinen Körper des Menschen. Dabei bekamen sie das Gespräch der Ärzte mit, die der Patientin mitteilten, dass das Baby tot sei.
"Nein! Ich will ihn zumindest noch einmal sehen!" flehte sie unter bitteren Tränen und nervös fragten die Arzthelfer, ob sie dies wirklich wolle. Die Patientin bestand sehnlichst darauf und man brachte ihr das tote Baby.
Beim Anblick des Babys weiteten sich ihre Augen und sie wurde starr vor Schreck. Das Baby war deformiert.
Ein Auge war größer, als das andere. Die Nase war schief und das Baby besaß einen ungewöhnlichen geformten Kiefer. Der linke Arm war klein und verkümmert, dazu war dieser am Oberkörper verwachsen. Die Beine waren verdreht und mit diesen hätte das Kind nie laufen können. Die Frau konnte sich diese Deformationen nicht erklären.
Gina und Justin hatten genug gesehen und kehrten zurück. "Das war nicht die einzig deformierten Hülle. Es wird noch mehr geben." merkte Gina an und holte die zwei Akten hervor, in denen ebenfalls Babys aufgrund ihrer körperlichen Leiden versterben.
Der Sensenmann hatte seinen Gehilfen zugehört und erkundigte sich, was sie genau beschäftigte. Daraufhin klärte Gina ihn auf und präsentierte die Akten. "Du bist doch eng mit Mutter Natur. Wir würden sie gerne fragen, was mit diesen Hüllen ist."
Gina verschränkte die Arme, während der Tod weiterhin die Hüllen auf den Fotos begutachtete. Er sah auf die Hülle eines Mädchens, dessen Oberlippe nach oben gespreizt war und die drei kleine verkümmerte rechte Arme besaß. Er überlegte und ließ sich mehrere Gedanken durch den Knochenschädel gehen.
"Findet ihr nicht auch, dass diese menschlichen Hüllen Merkmale der Höllendämonen aufweisen?" fragte er und zu dritt sahen sie sich die Hüllen an. Mit den Knochenfinger zeigte der Tod auf die Akte mit den Jungen, dessen Seele sie geleitet hatten. "Sein Kinn sieht beinahe wie ein Wolfskiefer aus." Er zeigte auf das Mädchen.
"Und sie hat Merkmale des Spinnenteufels Mactans." merkte er an und verwies auf weitere Merkmale der vier Teufel. Dem Wolfsteufel Canis, dem Spinnenteufel Mactans, der Schlangenteufel Serpentes und der Fledermausteufel Chiroptera.
Fragend sahen sich alle an. "Aber der Höllenfürst erschafft keine Hüllen. Seine Versuche Menschenkörper zu erschaffen ist das, was wir unter den Teufeln verstehen." murmelte Gina und der Sensenmann stand mit den Akten unter dem Arm auf. "Ich werde Mutter Natur fragen, ob sie einen Moment Zeit für uns hat." meinte Gevatter Tod und schickte einen Sensenmanngeist zum Garten Eden.
Mutter Natur saß auf einem dicken Baumstamm und genoss den Wind, der durch den Baum wehte, bis ihr der Sensenmanngeist erschien und eine Papierrolle überreichte. Sie nahm diese zur Hand und las diese aufmerksam durch.
"Der Tod braucht meinen Rat? Natürlich, er darf immer zu mir in den Garten Eden." sagte sie aufgeschlossen und schickte den Geist zurück. Nach Erhalt der Antwort nickte Gevatter Tod seinen Gehilfen zu und wies Josef an, den Raum zu hüten, bis sie zurück seien. Stumm nickte Josef und folgte diesem Befehl.