Johannes fand sich nach dem Besuch bei seinen Eltern in der Gilde ein. Henrik wartete bereits auf ihn.
"Johannes, es gibt Neuigkeiten, die wir besprechen müssen." setzte er an, legte die Akten zur Seite und wandte seine Aufmerksamkeit an Johannes. Johannes setzte sich neben Henrik.
"Und die wären?" Henrik verflochtete die Finger miteinander.
"Samuel Serptes wird erlöst." Johannes hob beide Augenbrauen.
"Bekommen wir ein neues Gildenmitglied?" fragte er nach und Henrik schüttelte den Kopf.
"Die Gehilfen des Todes werden uns aushelfen." Johannes nickte und war über diese Antwort zufrieden. "Es bleibt alles wie vorher oder? Bezüglich meiner Arbeitszeit?" Sorge schwang in seiner Stimme mit und diese nahm Henrik ihn direkt.
"Mach dir darüber keine Gedanken. Wir werden das bis zum Ende hinbekommen." versicherte der Gildenführer und obwohl Johannes lächelte, senkte er den Kopf.
Johannes übernahm die Gilde und merkte immer wieder, dass seine Gedanken abschweiften. Er dachte an Sarah, die Reiter der Apokalypse, Samuels Erlösung. Es fiel ihm schwer, mit Gina und Samuel zu reden, als er beide sah. Samuel erahnte bereits, woher Johannes Verschwiegenheit kam.
"Henrik hat dir von der Erlösung erzählt, stimmts? Johannes, wir wussten, dass dies irgendwann so kommt. Es gibt keinen Grund zur Sorge, Gevatter Tod hat alles im Griff." Er sagte dies leicht und offen heraus, nahm Johannes jedoch nicht sein Gedankenkarusell. Mit Gina tauschte er nur ein Hallo und Schüß aus, bevor sie in die Menschenwelt verschwand.
Das Portal schloss sich hinter Gina und sie stand vor einem kleinen Haus, an dessen Briefkasten der Name Suflows stand. Der Briefkasten war in Regenbogenfarben bemalt und es standen die Namen Torben, Liam und Vicky auf diesen. Gina lief durch die Tür ohne diese zu öffnen und glitt hinauf in das Schlafzimmer, elegant wie ein Geist. Sie stand vor dem Ehebett des Paares und holte die Akte hervor. Sachte fuhr ihre Sense zu Liams Herz hinunter und seine Seele begab sich über die Brücke. Gina genoss das ruhige Seelengeleit und zählte seine Tugenden auf. Liam war still, während sie seine Seele in den Garten Eden brachte und kurz bevor sie ihn hinüberführte hörte sie ihn sagen: "Jetzt kann ich Vicky öfters sehen."
Gina beendete das Geleit und blickte ein letztes Mal auf Liams Körper, dessen Herz aufgegeben hatte.
Kurze Zeit später wurde Torben von dem Bedürfnis auf Klo zu gehen geweckt. Diesem Bedürfnis ging er nach und kehrte ins Bett zurück. Bevor er sich die Decke nahm, hielt er inne. Er blickte zu Liam und sein Magen verkrampfte sich leicht.
"Liam?" fragte er und strich über den noch warmen Oberarm seines Gattens. Er rüttelte ihn leicht, aber bekam keine Reaktion. Er beugte sich hinunter zu seinem Brustkorb, horchte und hörte nichts. Er schlug die Hände vor dem Mund und stieg aus dem Bett. Torben griff nach seiner Brille, die er mehrmals verfehlte und nach seinem Handy, welches er beinahe fallen ließ. Zittrigen Händens wählte er die Nummer des Notrufs.
Der Notdienst konnte nur noch den Tod feststellen. Vegetierend saß Torben auf der Couch und wählte Vickys Kontakt aus. Er rief sie mehrmals hintereinander an, bis er durchkam und ihr die Nachricht mitteilen konnte.
Vicky wurde hellwach, nachdem sie vom Tod ihres Vaters erfuhr und weckte den Mann neben ihr. Dieser sah sie verschlafen an.
"Was los? Alptraum?" Hektisch schüttelte Vicky den Kopf. "Ich fahre nach Brütteln. Mein Vater ist gestorben." Sie knöpfte sich ihr Hemd zu.
"Und mich lässt du alleine?" hakte der Mann nach und Vicky stockte.
"Wie bitte?! Vater ist tot! Ich fahr da jetzt hin!" keifte sie ihn an und er erwiderte in ebenso garstigen Tonfall: "Wenn du jetzt gehst, bin ich auch weg." Vicky fing leise zu schmunzeln an, packte die wichtigsten Sachen in einen Rucksack und meinte trocken: "Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun."
Gina saß mit Fritz auf dem Dach ihres Hauses. Er trug seinen schwarzen Ledermantel, den er immer zum Seelengeleiten anzog. Entspannt ließen sie die Zeit ausklingen und ließen den Blick über den Hof schweifen.
"Denkst du es wird Zeit, ins Totenreich zu ziehen?" fragte Gina gedankenverloren. "Und was ist mit Gamia?" Sorge zog sich durch Fritzs Gesicht. Gina blickte in Fritzs Gesicht. Ihr Ausdruck war herzlich, ihre Worte sanft aber schneidend.
"Ich verstehe, dass du sie in deiner Nähe haben möchtest, aber sie ist eine erwachsene Frau mit eigenen Entscheidungen. Wenn sie sich dazu entschließt, zu bleiben, ist dies ihr Wille. Sie ist nicht weg. Wir sind nicht von ihr abhängig und sie nicht von uns. Wir können nicht auf alles Rücksicht nehmen und dürfen an uns denken. Wir werden sie trotzdem sehen und besuchen können. Es wird nichts anderes sein." Fritz erwiderte nichts und nahm ihre Worte gedanklich in sich auf. Er fand kein logisches Gegenargument und nickte nur. "Ich hatte heute vermehrt Seelengeleit von ärmeren, obdachlosen Menschen, die an Unterernährung dahinschieden." erwähnte Fritz.
"Es ist der Hunger, der über die Welt einherfällt." machte Gina sich die Umstände bewusst und ließ die Apokalypse dabei unerwähnt. Trotzdem verstand Fritz ihre Aussage.
"Die Weltgeschichte nähert sich dem Ende, richtig?" Gina ließ seine Frage unbeantwortet.
Gina und Fritz kehrten ihrem Haus den Rücken zu. Sie zogen ins Totenreich, während Gamia und Niklas auf der Erde verblieben. Die Familie sah sich regelmäßig, sehr zum wohlwollen von Fritz.
Gamia folgte Niklas zur großen Halle, wo die Traktoren standen. Niklas war fast 80 Jahre alt, wirkte aber drei Jahrzehnte jünger. Körperlich und mental fühlte er sich fit. Gamia stand am Eingang der Halle und ließ den Blick zum einstigen Haus ihrer Eltern schweifen.
"Das Angebot meiner Eltern bleib bestehen, jederzeit zu ihnen zu kommen." merkte Gamia an. Sie sah zu Niklas, der auf den Traktor gestiegen war und setzte sich neben ihm. "Müssen wir dieses Thema durchkauen?" murrte er und ließ den Schlüssel stecken.
"Menschen bleiben auch auf der Erde, obwohl diese zerfällt." merkte er an und zuckte mit den Schultern. "Menschen haben keine Wahl, du schon." Gamia blickte Niklas in die Augen und ließ die Fältchen außer acht.
"Ich lebe schon mein Leben lang auf der Erde. Ich kenne diesen Ort." Er ergriff Gamias Hand. "Niklas, die Welt stirbt. Wenn es nötig ist, werde ich in die Totenwelt gehen. Wenn dieser Moment kommt hätte ich dich gerne an meiner Seite." Sie streichelte seine Hand mit ihren Fingern.
"Was ist, wenn ich mich unwohl fühle in der Totenwelt? Ich bin immer noch menschlich." fragte er besorgt und Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn. Gamia kam direkt eine Person in den Sinn. "In der Totenwelt gibt es ein Halbblut. Er lebt im Zwischenreich und kommt gut damit aus. Gelegentlich erdrückt ihn die Welt, aber dann geht er auf die Erde." Nicht überzeugt blickte Niklas Gamia an.
"Und was ist, wenn die Erde bis dahin unbewohnbar ist?"
"Der Garten Eden ist ebenfalls sehr wohltuend. Vielleicht solltet ihr euch kennenlernen. Es könnte dir gut tun, einen Gleichgesinnten zu treffen." Niklas dachte über ihr Angebot nach.
"Es ist wie das Angebot mit meiner Oma. Es steht immer noch und ich sehe keinen Nachteil darin." erinnerte sie ihn und Niklas senkte den Kopf. "Ich würde gerne, aber ich habe angst. Ich habe lieber alles so wie es ist und ich es kenne. Das gibt mir ein sicheres Gefühl. Ich mag solche großen Veränderungen nicht. Solange alles noch geht, warum sollte ich was verändern oder planen? Ich kann vieles sowieso nicht kontrollieren und lasse es lieber auf mich zukommen." Er berührte ihre Hand mit seiner Stirn. "Bitte lass uns diese Zeit noch solange nutzen wie möglich. Dich beeinflussen die Umstände der Welt doch nicht." versuchte er das Gespräch zu einem Ende zu bringen. Gamia ließ dies nicht zu.
"Niklas, dies mag sein und du hast nicht ganz unrecht, aber bestimmte Dinge sollte man planen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Erde unbewohnbar werden wird. Du sagst, mich beeinflussen die Umstände nicht. Wenn wir von den extremen Wetterverhältnissen reden mag dies stimmen, aber wir hatten das Gespräch, dass es den Menschen auffällt. Nicht nur das Aussehen, auch dass ein fast 80 Jahre alter Bauer so fit und ohne Mühen seine Felder pflegt?" Sie hob eine Augenbraue und Niklas wurde sich dessen zum ersten Mal richtig bewusst. Er verharrte in seiner Bewegung und knirschte leicht mit den Zähnen.
"Darüber habe ich nie nachgedacht." Beide sahen sich ruhig an ohne ein Wort zu wechseln, bis Niklas unsicher fragte: "Wie verbleiben wir jetzt?"
-------------------
Gamia fand sich in der Gilde ein. Johannes tätigte gerade die Übergabe mit Henrik und Gamia wartete diesen Moment. Nach erfüllter Pflicht kam Johannes zu ihr.
"So, hallo. Wollen wir?" fragte er frei heraus und sie verließen die Totenwelt. Niklas wartete bereits auf die Ankunft der Beiden und stand vom Gartenstuhl auf, als er das Portal erblickte.
Er und Johannes standen sich gegenüber. Gamia stand ruhig neben den beiden. Johannes lächelte und grüßte, wie er es auch bei Besuchern der Gilde tat. Sie reichten sich die Hand und stellten sich aneinander vor. Niklas war dabei zurückhaltender. Für einen Moment war es ruhig und sie spürten die Halbblut-Aura des jeweils anderen. Niklas traute sich kaum was zu sagen, darum übernahm Johannes die Führung.
"Schön, deine Bekanntschaft zu machen und nicht nur von einem anderen Halbblut zu hören. Ich denke es wird uns beiden gut tun, sich mal auszutauschen." Beide setzten sich auf die Gartenbank neben dem Gartenstuhl.
"Ich würde euch alleine lassen." erwähnte Gamia und winkte ihnen zum Abschied. Eine Geste die beide erwiderten.
Beide bemerkten im Laufe des Gespräches, wie ähnlich und ergänzend sie waren. Niklas fand es bewundernswert, wie Johannes im Totenreich leben und agieren konnte. Johannes empfand Niklas Leben als angenehm. In einem waren sich beide einig: dass das Halbblut-Leben sie mehr oder weniger forderte und sie eine Auszeit benötigten.
Die Männer waren sich sympathisch und vergaßen die Zeit während ihres Austausch. Es tat ihnen gut, sich nicht mehr alleine zu fühlen.
"Wir sollten uns mal wieder austauschen." beschloss Johannes und Niklas war mit der Idee einverstanden.
Er verabschiedete sich von Johannes und sah, wie dieser zurück zur Totenwelt ging.
Zwei Stunden später kam Gamia vom Seelengeleit wieder und sah Niklas seelenruhig in der Küche sitzen. Sie kam auf ihm zu, gab ihn einen Kuss und setzte sich auf seinen Schoß.
"Ich merke schon, es war ein ergiebiges Gespräch?" Sie schmunzelte.
"Ja, danke dafür. Es tat wirklich gut, mit einem Vertrauten zu sprechen." Mit der Nase stupste er ihre Wange an und verführte sie zu einem Kuss. "Außerdem habe ich nochmal unser Gespräch überdenken können.", erwähnte er und Gamia wurde hellhörig. "Ich möchte mit dir in das Zwischenreich ziehen. Ich meine, für die Menschen bin ich schon ein Rentner, der mit einem Bein im Grab steht. Irgendwann enden die Dinge nun mal und dann muss man weiterziehen." Seine Hand streichelte ihr Haar, sein Arm legte sich um ihre Hüfte und ihre Lippen vertieften sich zu einem Kuss.
Ein nachfolgendes Unwetter zerstörte Großteile der Ernte, was Niklas als Zeichen sah, den Hof stillzulegen und hinter sich zu lassen. Der Schritt tat ihm im Herzen weh, da er an seine Eltern und deren Vorfahren dachte, die diesen Ort stets hegten und pflegten. Innerlich wusste er aber, dass seine Eltern voll und ganz hinter seiner Entscheidung stehen würden.