Frau Kreuzberg kehrte zu ihrer Tochter Juliette heim, die nach der Rede heimgekehrt war. Justina zog sich um und kleidete sich in einem weißen, langen Pullover und einer blauen Jeans. Sie löste ihre geflochtenen Zöpfe und die gewellten, langen Haare, die langsam immer grauer wurden, fielen ihr ins Gesicht. Aus der Küche nahm sie sich ein Glas Wasser und gesellte sich zu Juliette, die in der Wohnstube in ihrem königsblauen Kleid mit kurzen Ärmel saß. "Es war eine wirklich außergewöhnliche Beerdigung, aber eine schöne." erzählte Justina ihrer Tochter beim hinsetzen und lächelte zufrieden. "Ich fand deine Rede wieder sehr schön, Mutter. Irgendwann möchte ich ebenfalls solche Reden kundtun." lobte Juliette und sah ihre Mutter als Vorbild. Sie dachte an Heathers Worte vor einiger Zeit. "Danke dir. Du wirst eine tolle Pastorin. Ich bin dankbar dafür, diese Reden in unserer Kirche abhalten zu dürfen. Wenn ich nur daran denke, dass diese Kirche nicht mehr hätte sein können. Das verdanken wir dem Mädchen Heather." schwärmte Justina und dachte an frühere Zeiten. Mittlerweile war die Kirche weitestgehend renoviert wurden. "Weiß du zufällig, wie es ihr und ihrem Bruder heute geht?" fragte Justina, doch Juliette wusste es nicht.
Heather saß am Küchentisch und musterte ihren Bruder kritisch. "Sehe ich gut aus?" fragte er, bevor Heather aufstand und einen Fussel von seiner blauen Jacke entfernte. Sie musterte das graue Hemd dazu und die blaue Jeans. "Ich finde es löblich, wie viel Mühe du dir für dieses Date gibt's." lobte sie. "Danke." Er wollte seine leichte Nervosität verdecken. "Und wenn sie das nicht anerkennt, komme ich vorbei!" warnte Heather vor. "Ich hoffe, sie ist nicht wie die letzten drei Dates. Sonst lebe ich mein Leben alleine mit meiner Schwester." Da sie ihm so nahe stand, ergriff er die Gelegenheit und kitzelte sie an der Taille. "Nein! Stopp!" flehte Heather, doch Damian zeigte kein Erbarmen und warf sie auf das Sofa.
"Bevor du überhaupt mit einer zusammen kommst, möchte ich mir auch ein Bild von ihr machen! Immerhin soll sie ja meine Schwägerin werden und die Mutter meiner Nichten und Neffen!" lachte Heather und Damian sah Heather entsetzt an. "Wer spricht denn gleich von Kindern?" Empört kitzelte er seine kleine Schwester erneut.
Damian war beruflich einen Schritt zurückgetreten und erlaubte sich mehr Pausen. Nach einiger Überlegung hatte er die Firma behalten und führte sie weiter. Seit geraumer Zeit war er auf Partnersuche, erfolglos. Heather hatte die Schule erfolgreich abgeschlossen und arbeitete in einer Bäckerei im Büro. Ihr machte dies sehr viel Spaß. Sie lebte noch mit ihren Bruder zusammen und hatte auch nicht vor, auszuziehen. Ihre Freundschaft zu Musuko hatte sie weiter vertieft. Nebenbei setzte sie sich für wohltätige Zwecke ein und verbrachte ein Wochenende damit, mit freiwilligen Helfern, den Stadtpark nach einer Party zu säubern. Dabei sammelte sie viel Pfand ein, welches sie zum Teil sparte und spendete. Manchmal musste ihr Bruder sie bremsen und erwähnte, dass sie zu gutherzig sei und sie aufpassen solle, bevor sie arg betrogen werden könnte.
Damian lief zum Restaurant in der Nähe, wo er zwei Plätze reserviert hatte. Heather machte es sich dafür alleine auf dem Sofa gemütlich und sah durch die vielen Filme, die der Streamingdienst ihr vorschlug. Viel Zeit zum gucken hatte sie allerdings nicht, denn als sie nach einer Dreiviertelstunde auf ihr Handy sah, erblickte sie eine Nachricht von Damian.
Hättest du Lust, herzukommen und mit mir zu essen?
Heather stand auf. "Oh nein." seufzte sie, zog sich eine nette Bluse an und rannte dann regelrecht zum Restaurant. Dem Wirt erklärte sie, dass sie zu Damian gehörte und setzte sich zu ihm an den Tisch. "Das tut mir leid." murmelte sie und Damian versuchte, die Situation gelassen zu nehmen. "Sieht so aus, als hätte ich mich eben für meine Schwester hübsch gemacht." schmunzelte er und der Kellner nahm erst die Getränkebestellung entgegen.
"Ich hatte ja genug Zeit zum überlegen." scherzte Damian, als der Kellner wiederkam und die Speisebestellung entgegennahm. Damian wählte Rindfleisch in eigener Soße mit Rotkohl und hauseigenen Knödeln dazu als Gericht, während Heather die vegetarische Bolognese probierte. "Danke, dass wenigstens du mich nicht versetzt hast." Heather merkte an seinen Aussagen, dass er am liebsten etwas gegen die Wand treten wollte.
"Das ist jetzt schon der vierte Versuch in drei Jahren, ich gebe es auf. Ich mache weiter mein eigenes Ding. Scheiß auf Familienleben." sagte er pessimistisch und Heather versuchte ihn irgendwie aufzumuntern. "Meistens kommt es unerwartet, wenn man nicht danach sucht." Von Damian folgte nur ein Blick, der zeigte: "Dein Ernst?"
"Hast du ihr schon geschrieben?" hakte Heather nach und Damian nickte. "Ja, aber keine Antwort, obwohl sie seit 10 Minuten online ist." Heather seufzte, während sie die Spaghetti aufrollte. "Weiß du, die erste möchte keine Beziehung, weil ich mit meiner Schwester zusammenlebe, die Zweite wird eifersüchtig, als ich der Kellnerin Trinkgeld gebe, die Dritte wollte nur mein Geld und die Vierte lässt mich komplett sitzen."
"Vielleicht solltest du es mit Männern versuchen."
Stille
Heather realisierte ihre ausgesprochenen Worte und brach mit Damian in schallendes Gelächter aus. "Nein, danke. Kein Interesse." entgegnete er. Beide lachten und brauchten einen Moment, um sich zu beruhigen. "Aber Musuko vielleicht." murmelte Heather und ihr Bruder sah entsetzt zu ihr. "Heather! Er ist in deinem alter! Und das aus deinem Mund!" Ein Lachen konnte er sich trotzdem nicht verkneifen. Beide ließen den Abend ausklingen und Damian hatte seinen Ärger bereits vergessen.
Gina streckte die Klinge nieder und geleitete die Seele des kräftigen Mannes, der auf dem Bahnhof einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Menschen versuchten erste Hilfe zu leisten, doch es misslang ihnen. Diesem Körper hauste keine Seele mehr inne. Gina beobachtete die Menschen dabei, wie sie das ableben langsam realisierten. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sich ihr ein Sensenmanngeist zeigte.
"Es gibt Turbolenzen im Totenreich, komm schnell!" flehte dieser und Gina teleportierte sich umgehend zurück zu Gevatter Tod. Dieser schien, wie auch Justin, in Aufregung zu sein. "Was ist geschehen?" wollte Gina umgehend wissen. "Vor der Gilde sind Seelengeleiter, die nicht mehr geleiten wollen!" erklärte der Tod und Gina war fassungslos. "Ich dachte, es wären nur Einzelfälle und das nicht Größeres dahinter steckt! Die letzte Zeit war es doch so ruhig!" Justin und Gina sahen die vielen Akten vor sich liegen. "Die Seelen haben Vorrang! Die Gilde wird sich um die Todesgeister kümmern!" wies Gevatter Tod und sie leisteten seinem Befehl Folge.
Die Gilde stand komplett zu viert vor den über 30 Todesgeistern. Ein Mann mit mittellangen, braunen Haar und Vollbart hatte das Sagen in der Gruppe. Unterstützt wurde er von zwei weiteren Männern. "Mein Name ist Herr Fehrles und wir wollen in dieser Welt keine Seelen mehr geleiten! Wir empfinden es als ungerecht, für eine zweite Chance unbezahlt diese psychisch belastende Arbeit zu verrichten! Welche höhere Macht denkt sich dies aus?" Seine Stimme war laut und direkt. Henrik ergriff das Wort und richtete sich an die Streikenden. "Wir sind für diese Regeln nicht verantwortlich. Wir führen sie nur aus. Dies wird Ihnen auch der Tod erklären!" Er und Herr Fehrles sahen sich an. "Dann lass mich mit dem Tod sprechen! Wir werden diese Welt revolutionieren!"
Er und Henrik gingen voran. Die anderen Todesgeister nahmen in dem Gildenraum Platz, stetig unter Beobachtung der anderen Gildenmitglieder. Henrik klopfte beim Tod und trat als Erster ein, um die Situation zu klären. Daraufhin wurde auch Herr Fehrles in den Raum gebeten.
In der Zwischenzeit sorgten sich die Gehilfen des Todes um die Seelen. Gina rannte das ganze Schiffsdeck mit ihrer Sense entlang, sprang und landete auf zwei schwarzen Flügeln im Wasser. Es war ein kleines Kreuzfahrtschiff, welches dem nassen Tod nicht mehr entkommen konnte.
Gina sah das ganze Szenario und geleitete dabei die Seelen der 53 Todesopfer. Eine weitere Tragödie der Schifffahrt.
Justin geleitete die Seelen einzelner Menschen. Seine erste Seele war die eines verunfallten Jägers. Eine weitere führte ihn zu einer alten Dame, die im Pflegeheim verstarb. Es war eine böse Seele, die er geleiten musste, denn diese Frau war im hohen Alter zu einem bösen Menschen geworden, der jeden feindselig gegenüber trat. Für Justin war dieses Seelengeleit trotzdem schnell überwunden und er schickte die Seele in die Hölle.
Herr Fehrles stand dem wahrhaftigen Tod entgegen und seine Autorität schüchterte ihn ein, auch wenn er es zu verbergen versuchte. Der Tod und er waren auf einer Augenhöhe. Henrik beobachtete beide mit Josef von der Seite aus. "Ich hörte, Sie möchten in dieser Welt keine Tätigkeit mehr verrichten und zweifeln diese an?" fragte der Sensenmann und sein gegenüber nickte. "Ich empfinde es nicht als richtig. Wie kann man eine Welt erschaffen, in welcher man jeden Tag den Tod begegnet? In der ich mich dem fügen muss, um vielleicht irgendwann Erlösung zu finden? Wir können das nicht, das ist krank. Wieso tun Sie das?" fragte Herr Fehrles und war weiterhin direkt, aber im Gegensatz zu eben ruhiger, da der Sensenmann ihm doch unterbewusst Respekt einflößte.
Es lag nicht im Ermessen des Todes, seinem Gegenüber Angst einzujagen. Ruhig ging er auf Herr Fehrles ein. "Ich habe diese Welt nicht gemacht. Ich kann genauso wenig etwas an dem Konzept verändern, wie Sie. Wer dafür verantwortlich ist, dass dies so ist, wie es ist, ist der Himmelsfürst. Er hat das Konzept der Seele erschaffen. Ich selber führe nur seine Anweisungen aus. Wenn Sie mit jemanden sprechen müssten, dann mit ihm." erklärte Gevatter Tod und erst war sein Gegenüber ungläubig, doch dann war er überzeugt.
"Ich möchte eine Audienz! Wenn ich jemanden überzeugen muss, dann ihn." Für einen Moment war es still. Der Tod hatte seine Zweifel, aber er kam der Bitte nach und lief durch die Tür zum Himmel. Er hoffte, dass es Herr Fehrles besser verstehen würde, wenn es der Himmelsfürst erklärte.
Es dauerte einen Moment, bis der Tod zurückkehrte. Er nickte beim betreten des Raumes. "Der Himmelsfürst heißt sie willkommen und erklärt Ihnen gerne die Details!" Herr Fehrles verspürte jetzt schon einen kleinen Sieg und mit einem festen Ziel vor Augen lief er durch die Tür auf den Himmel zu.
Herr Fehrles fand sich in einem hellen Raum wieder. Er sah nichts, außer das helle Licht und den Himmel, zu denen die Menschen blickten. "Herzlich Willkommen, Miles Fehrles. Der Sensenmann berichtete, dass Sie mehr über das Konzept dieser Welt erfahren möchten." Die zarte Stimme des Himmelsfürsten ließ Miles stocken und er vergaß fast sein Anliegen. "J-ja! Ich möchte wissen, warum ich als Sünder im Totenreich Seelen geleiten muss?! Das es eine 2.te Chance sein soll, habe ich verstanden, aber warum? Es gibt genügend Todesgeister, denen es zu viel ist! Der Tod und seine Gehilfen sind sicher mächtig, wozu die Menschenseelen?" Für einen Moment kehrte Ruhe ein.
"Wissen Sie, warum Menschen nie alles erfahren werden?" Irritiert schüttelte Miles den Kopf. "Menschen suchen auf alles eine Antwort. Sie sind wissbegierig, doch vertragen die Wahrheit nicht. Menschen sind nicht dazu in der Lage, alles zu verstehen. Besonders nicht, wenn es um die Geheimnisse des Universums geht." Die Stimme des Himmelsfürsten klang nicht mehr so zart, wie zu Anfang, sondern streng und leicht überlegen. Miles fing ungewöhnlicherweise zu zucken an. Es war ein Schauer, der ihm durch den Rücken fuhr. "Sie sind nicht die erste Seele, die mir Fragen zur Existenz und dieser Welt stellt." Miles musste schlucken. "K-können wir darüber reden, dass Menschen nicht mehr Seelen geleiten müssen? Es gäbe sicher andere Möglichkeiten." versuchte Miles das Thema wieder auf seinen Ursprung zu lenken, doch erfolglos.
"Wissen Sie, Miles Fehrles, ich gestalte Ihnen, für Ihre Interesse, mir eine Frage zu stellen. Egal, was Sie fragen, ich werde ehrlich darauf antworten." schlug der Himmelsfürst vor und Miles überlegte nervös. Er könnte seine Frage wiederholen, doch dann kam ihm eine Frage in den Sinn, die nicht nur ihn, sondern viele weitere Menschen beschäftigte. Die Ur-Frage, seit dem die Menschen einen Glauben besitzen.
"Wie sieht der Himmelsfürst aus?"
Miles vernahm erst keine Antwort von seinem Gegenüber. "Sie hätten mich vieles fragen können und entscheiden sich für die Offensichtlichste von allem? Was wird Ihnen dieses Wissen bringen?", meinte der Himmelsfürst, bevor er fortsetzte: "Wie Sie wünschen. Ich halte mein Wort. Wie Sie damit umgehen werden, wenn Sie die Wahrheit kennen, wird Ihre Angelegenheit sein." Daraufhin offenbarte sich der Himmelsfürst vor den Augen seines Gegenübers in wahrer Form und Miles...
Er schrie! Er schrie, wie noch nie zuvor! Seine Augen sahen es! Es brannte sich fest in sein Gedächtnis ein und ließ den Wahnsinn über ihn herfallen! Selbst, als der Himmelsfürst nicht mehr in seiner wahren Form vor ihm stand, hatte er Mund und Augen weit aufgerissen und verkrampfte sich. "Für Ihn wird es keine Erlösung mehr geben."
Kurz darauf kontaktierte er den Tod, welcher in den Himmel kam und Miles Zustand sah. "Er wollte zu viel und zahlt nun den Preis dafür. Bitte tu, was nötigt ist." Stumm gehorchte der Tod ihm, setzte die Klinge an und löschte Miles Seele aus. "Ich hoffe doch, die Situation im Totenreich beruhigt sich." sprach der Himmelsfürst und der Tod entgegnete nur: "Wird es."
Gevatter Tod besprach mit Henrik die weitere Vorgehensweise. Er besprach, was Henrik den Leuten sagen sollte und selbst zu Henrik konnte er nicht wirklich ehrlich sein. Er erzählte, dass die Verhandlung nicht erfolgreich war, aber Miles erlöst wurde. Was wirklich geschah blieb unter dem Himmel und dem Tod.
Henrik betrat die Gilde und sprach zu den Streikenden. "Die Verhandlung ist gescheitert. Es konnte keine Einigung getroffen werden, doch Miles Fehrles wurde erlöst. Eine Erlösung, die euch demnächst auch ereilen kann." Die Stimmung der Menge war gemischt. Sie glaubten, bald erlöst zu werden, einige riefen, sie wollen jetzt weg von dieser Welt. Einige sahen es als Erfolg, nahmen es hin oder wollten mehr. Schließlich erwähnte Henrik noch einmal die Folgen, wenn sie ihrer Tätigkeit nicht nachgingen und sie wurden mit dieser Warnung aus der Gilde geschickt. Henrik glaubte, dass dies noch nicht das Ende war und Cedric demnächst viele Todesgeister der Gilde vorführen durfte.