Niklas tat etwas, was Gina bereits vorhergesagt hatte. Er verdrängte und versuchte das Leben weiterzuführen, als wäre alles wie immer. Das Gespräch schwirrte in seinem Kopf umher, aber er lenkte sich ab, so gut es ging. Die ersten zwei Tage herrschte eine Distanz zwischen den Beiden, am dritten Tag ließ sich Gamia auf ihn ein. Sie redete sich ein, er habe keine weiteren Symptome und zum Teil sei er ein unsterblicher Todesengel.
Niklas traf sich mit Johannes in der Gilde, erwähnte mit keinem Wort aber den Vorfall, der sich ereignete. Jedoch merkte Johannes, dass Niklas auf Zwang versuchte ein Gespräch über alles mögliche zu führen. Dies ging solange bis Johannes ihn sagte, kurz still zu sein. Niklas entschuldigte sich und kam Johannes kurz näher.
Dieser rümpfte die Nase und wedelte sich mit der Handfläche frische Luft zu.
"Nimm mir das nicht übel, aber du hast Mundgeruch." merkte er an und Niklas zuckte zusammen.
"Wie? Ich habe Gamia heute noch geküsst, sie hätte doch was gesagt."
"Du weiß, dass Todeswesen schlechte Gerüche nicht wahrnehmen können?" Niklas erstarrte augenblicklich und stand auf.
"Ich gehe jetzt." murmelte er und Johannes wollte ihn erst aufhalten.
"Sorry, ich wollte dich nicht verletzen."
"Ist schon gut." rief Niklas schnell, während er schon zur Tür gerannt war. Sein Ziel war die gemeinsame Wohnung und er erwischte Gamia im letzten Moment. Sie war gerade auf dem Weg zum Akten abgeben.
"Gamia, ich war bei Johannes. Er sagte ich hätte Mundgeruch." Gamia fühlte sich ein wenig überrumpelt von seiner Aussage. Sie umfasste seine Arme und schaute ihn beruhigend an.
"Mir ist nichts aufgefallen."
"Du kannst es auch nicht riechen." entgegnete er und Gamia merkte, dass sie es nicht mehr schön reden konnte. Stattdessen strich sie über seine Wange, sah ihn an und flüsterte: "Es ist alles gut. Ich liebe dich. Ich zeige es dir." Sie drückte ihre Lippen auf seine und ihre Zunge den Weg zu seiner finden.
Der Zungenkuss vertiefte sich und Gamia spürte die seine. Bis sie das Gefühl hatte, etwas gummiartiges rundes zu spüren. Sie löste den Kuss sofort und spürte das Etwas in ihrem Mund. Sofort spuckte sie es aus und bei dem Anblick dessen, was vor ihr lag, bekam sie zum ersten Mal das Gefühl, spucken zu müssen.
Eine große Made kroch auf dem Boden umher.
Niklas sah es ebenfalls. Sein Magen verkrampfte sich und er wollte spucken, aber stattdessen wurde es ein Husten. Dem Husten folgte ein grünlich-bräunliches Gemisch aus seinem Munde in seine Hand. Er weitete die Augen, dachte an Ginas Worte und blickte Gamia um Hilfe flehend an. "Ich will zu den Heilern! Schnell! Bitte!" Gamia nahm ein Tuch und glas, in welcher sie die Made verwahrte. Sie nahm sie mit zu den Heilern, da diese nicht ganz uninteressant für diese sein sollte.
Das Pärchen bestand darauf, mit Felicia zu sprechen und saßen vor ihr. Gamia hielt die Hand von Niklas, welcher den Kopf gesenkt hatte. Er vermied jeden Blick. Felicia strahlte eine ruhige Autorität aus, in ihrem inneren brodelte die Nervosität. Sie hatte immer geahnt, dass dieser Tag kommen würde.
Verzweifelt schilderte Gamia ihrer Großmutter die Geschehnisse. Sie erzählte von dem Hustenanfall, seinen körperlichen Veränderungen und zum Schluss holte sie die Made hervor. Felicia weitete die Augen, nahm das Glas zur Hand und beobachtete diese eine Weile.
"Niklas hat sie erbrochen." gab Gamia leise kund. Es war ihr unangenehm dies zu sagen, aber Felicia verstand jedes Wort. Sie sah beide nicht angewidert an, sondern ernst. Sie setzte das Glas ab und setzte zum reden an, brach aber ab, da sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Kurz überlegte sie noch einmal und sprach dann aus, was beide bereits geahnt, aber nicht wahrhaben wollten.
"Niklas Körper ist gestorben. Durch sein Halbblutdasein lebt er wie ein jeder von uns, aber sein Körper verwest. Er verwest langsamer wie ein regulärer Körper." Augenblicklich begann Gamia zu schluchzen während Niklas Körper sich verkrampfte. Felicia reichte Gamia ein Tuch und hätte sie am liebsten umarmt. "Und was können wir dagegen tun?" Tränen tropften auf Gamias Hand. Felicia lehnte sich vor.
"Ich würde gern ein paar Untersuchungen durchführen. Wir könnten den Prozess verlangsamen, aber nicht gänzlich aufhalten." Ein weiterer Schwall Tränen überkam das Pärchen.
"So möchte ich nicht leben. Nicht wie eine lebende Leiche." kam es aus Niklas Munde.
"Stimmst du den Behandlungen trotzdem zu?" fragte Felicia. Gamia sah ihn hoffnungsvoll an.
"Bitte tue es. Innerlich möchtest du Gewissheit haben. Bitte lass dir helfen." Ihre Worte waren ein flehen. Gamia erwartete, dass sie erneut auf Sturheit stoßen würde, aber in Anbetracht der Umstände bekam Niklas Klarheit. Er musste sich eingestehen, dass er nicht mehr davon laufen konnte.
"Ich mache es. Mir bleibt ja keine andere Wahl." Er und Gamias Hände hielten sich fest aneinander. Sein Bein wippte ununterbrochen.
"Was kommt auf mich zu?" fragte er ängstlich nach und wollte genauestens wissen, was ihn erwartet.
"Ich habe bereits eine Untersuchung mit Johannes vor Jahren durchgeführt." Niklas erinnerte sich.
"Ich werde mit dir einige Standardchecks durchführen, deine Werte prüfen. Dazu kommen Röntgenaufnahmen und Maßnahmen um dein Inneres einzusehen." erklärte Felicia und schlug den Gedanken an ihren Erzeuger zur Seite. Niklas schluckte. Seine Hände zitterten.
"O-okay. Wann können wir anfangen?" Seine Stimme stolperte beim fragen.
"Am liebsten so zeitnah wie möglich. Lass uns morgen früh beginnen." Niklas nickte nur. Sie verließen das Arztzimmer.
Weinend lagen sie sich in der Wohnung in den Armen. Niklas betrachtete sich als Monster und abartig. Seine Gedanken ließen keine Nachtruhe zu. Gamia legte den Kopf auf seinen Brustkorb. Zum ersten Mal hörte sie keinen Herzschlag.
Gamia brachte Niklas am Folgetag zu Felicia. Ihre Hände wollten sich kaum voneinander lösen. Zur Verabschiedung gab es eine große, lange Umarmung.
"Du schaffst das. Es ist für dein Wohl." Sie hauchte einen Kuss auf seine Wange.
Felicia beobachtete das Szenario stillschweigend. Mit äußersten Feingefühl näherte sich Felicia Niklas an, um mit ihm diverse Untersuchungen nachzugehen. Sie nahm ihm Blut ab, röngte ihn und kontrollierte weitere seiner Werte. Niklas wirkte apathisch und ließ dies einfach über sich ergehen. Die gesamte Prozedur laugte ihn zunehmend aus. Er wollte, dass dies zeitnah endete und sein Wunsch wurde erhört. Beide saßen in Felicias Arzt-Zimmer.
"Ich werde die Tage berichten, wenn die Ergebnisse da sind. Ich habe Gamia einen Sensenmanngeist geschickt. Sie sollte gleich zum abho-" Es klopfte bereits an der Tür und Felicia bat Gamia hinein. aufgeregt stand sie im Zimmer.
"Na dann. Ich werde euch einen Brief schicken wenn ihr vorbeikommen könnt." Nickend dankte Gamia und nahm Niklas an die Hand. Felicia bemerkte die geröteten Augen von Gamia.
Während das Pärchen den Weg heim antrat, begab sich Felicia in das Labor.
Sie wertete die Ergebnisse aus und mit jeder weiteren Auswertung wurde ihr Blick besorgniserregender.
Schließlich kam sie zum Ultraschall. Sie senkte den Blick und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie schlug die Hände vors Gesicht.
"Mein Erzeuger hatte Recht." hauchte sie.
Bereits am nächsten Tag erhielten Gamia und Niklas einen Brief, zur Heilerabteilung zu kommen.
Zitternd, die Hände fest ineinander verschlungen und verschränkten Beinen saßen sie vor Felicia. Felicia hatte die Unterlagen vor sich hingelegt. Ihr Blick war ernst und Niklas erwartete bereits das Schlimmste. Felicia legte die Hand auf die Dokumente. Ihre Worte wählte sie mit Bedacht.
"Ich muss ehrlich zu euch sein. Es tut mir leid." Das Paar nickte. Felicia hielt noch einmal inne, bevor sie die Testergebnisse aussprach.
"Niklas, deine Worte ähneln dem eines toten Menschen. Du zeigst die Symptome eines Verstorbenen. Dazu zählen die Muskelstarre, der Verwesungsgeruch und die Insekten. Letzterem rührt noch einmal aus einen anderen Grund daher." Niklas schluckte bei ihren Worten. Sie holte ein Ultraschallbild hervor und reichte es ihm.
"Du besitzt nicht alle Organe, wie es bei einem Mensch der Fall ist. Die Organe, die du besitzt, haben ihre Funktion eingestellt und verwesen nun."
Niklas ließ das Bild auf den Boden gleiten. Augenblicklich überkam beide ein Schwall Tränen. Felicia reichte beiden zwei Tücher und es fiel ihr schwer, professionell zu bleiben. Kurzzeitig hasste sie sich für die Überbringung dieser Nachrichten.
"Und was kann man dagegen tun?" wisperte Gamia, wischte die Tränen aus den Augen. Felicia faltete die Hände zusammen.
"Komplett heilen können werden wir ihn nicht, aber wir können den Prozess verlangsamen. dafür wäre eine Operation nötig."
Beide Frauen erwarteten, dass Niklas auf stur stellen würde, aber entgegen dieser Erwartung stimmte er zu.
In der Wohnung legte sich Niklas erschöpft in das Bett. Die zwei Tage hatten ihm seine Kapazitäten gekostet. Er fühlte sich ausgelaugter wie sonst und erahnte, womit es zusammenhängen könnte. Den Gedanken schob er beiseite.
Gamia setzte sich aufs Bett, strich über seine Schultern und hörte ihn leise Tränen vergießen.
"Ich möchte kotzen und alles aus mir raus haben. Ich ekel mich vor mich selbst." Gamia beugte sich über ihn wie eine Beschützerin.
"Ich finde dich nicht eklig und möchte dich bei mir haben."
"Egal, wie verwest ich aussehe? Wie sehr ich stinke, auseinanderfalle oder von Insekten zerfressen sein werde?" Reiner Selbsthass sprach aus ihm. Gamias Schweigen sah er als Bestätigung.
"Wir tun alles, was nötig ist, okay?" widersprach Gamia und strich eine Haarsträhne aus seinem Gesicht, die lose an ihren Finger blieb.
"Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich so leben will. Wie Fleisch, das möglichst lange frisch gehalten wird oder ein Mensch, der unnötig am Leben gehalten wird." Diese Worte gaben Gamia einen Stich in ihrem Herzen.
"Lass dir eher was einfallen, wie ich dieser Existenz entkommen kann." Gamia wich zurück, winkelte ihre Beine an und schlug die Arme um diese.
"Deine Eltern würden genauso leiden, wie ich es tue." Niklas riss die Augen auf.
"Meine Eltern sind verantwortlich für diesen Zustand! so will ich ihnen gar nicht gegenüber treten!" blökte er laut und Gamia hatte einen wunden Punkt bei ihm getroffen.
"Bist du dir sicher, dass sie nicht davon erfahren sollten?" Ihre Stimme war zärtlich.
"Ja! Sie würden sich nur selbst dafür hassen. Das will ich ihnen nicht antun." Der Klang seiner Stimme erstarb.
Bis spät in die Nacht saß Felicia in der Heiler-Abteilung in ihrem Arztzimmer. Sie ging Niklas Bericht durch und holte den von Johannes hervor, dem irgendwann ein ähnliches Schicksal bevorstand. Immer wieder gingen ihr Pauls Worte durch den Kopf.
"Er wird irgendwann von innen verwesen!"
Sie schlug die offene Handfläche auf den Tisch, stand auf und lief mutigen Schritten zum Sensenmann. Sie stand vor ihm. Gina war im Raum und schüttelte bereits den Kopf, da wusste Felicia, dass Gina bereits um Rat gebeten hat. Kurzerhand bat sie um eine Audience bei Mutter Natur.
"Wenn es um Niklas geht, Mutter Natur sucht gerade selbst nach einer Antwort." mischte sich Gina ein, aber Felicia erwiderte nur: "Meine Intention ist eine andere."
Mutter Natur saß kniend vor einem Teich und beobachtete die Enten. Sie bemerkte den Besuch und drehte sich zu Felicia um.
"Guten Tag. Du bist angespannt. Was kann ich für dich tun?" merkte Mutter Natur an und brachte Felicia dazu, einen Moment inne zu halten. Felicia äußerte ihre Bitte. "Ich möchte bitte in die Hölle."