Seit Ausbruch der Pandemie war Justin so oft in den Krankenhäusern gewesen, er kannte diese bereits blind. Die Hektik und Emotionen der Menschen ließ er an sich vorbei ziehen. Er blickte auf seine Akten.
"Oh, mal ein Geleit, dessen Grund nicht Nigreos pellis ist." Er teleportierte sich in das Zimmer eines älteren Herrn, dessen Körper die Funktion aufgegeben hatte. Sein Herz hörte zu schlagen auf und Justin brachte die Seele in den Garten Eden.
"Tut gut, ruhige Seelengeleit dazwischen zu haben." Mit der Sense in der Hand lief er durch die Flure und vernahm die unterschiedlichsten Emotionen wahr. In einem Raum wurde die Bekämpfung einer Krankheit gefeiert, in einem anderen wurde der Tod eines Geliebten betrauert.
Aus einem Zimmer vernahm Justin eine laute, erzürnte Stimme. "Ich lass mir nicht die Arme amputieren! Sehen Sie zu, dass die Infektion zurück geht! Ohne Arme kann ich ja gar nicht mehr! Ich lass mich doch nicht pflegen!" Justin blickte in den Raum zur älteren Dame, die mit der Pflegerin scharf ins Gericht ging.
"Frau Krachten, wir versuchen alles, damit die Infektion zurück geht, aber wenn sie nicht endlich aufhören an ihre Wunden zu gehen, wird das nichts!" Empört sah Claudia die Pflegerin an.
"Dann will ich sie mal sehen, wenn sie so einen Juckreiz haben!" Justin beobachtete das Szenario eine Weile, bis er zu Gevatter Tod zurückkehrte, um die ersten Akten abzugeben. Beide tauschten einmal die abgeschlossenen gegen neue Akten aus und Justin kehrte zurück zum Krankenhaus. Ein Ort, der für unbestimmte Zeit sein Arbeitsplatz sein würde.
Der Gedanke um ihre Tante schwirrte in Sarahs Hinterkopf umher. Ihr Onkel schrieb ihr seit zwei Tagen, dass er keine Symptome zeigte und es von seiner Frau keine Neuigkeiten gab. Heute ereilte sie allerdings ein Anruf über ihr Handy von ihren Onkel. Sie ging schneller ran, als Tomas dachte.
"Ah, Sarah."
"Hi, Onkelchen. Geht es Tantchen besser?" Eine kurze Stille folgte. "N-nicht wirklich. Die Krankheit hat sich nicht weiter ausgebreitet, aber durch ihre Kratzerei hat sich eine bakterielle Infektion gebildet. Wenn sie großes Pech hat, müssen sie ihr die Arme amputieren." Sarah schlug die Hand vor dem Mund.
"Ach du scheiße! Direkt beide?"
"Ja und du weiß wie sie ist. Sie soll nicht sehr freundlich zu den Pflegern sein. Aktuell hat sie mit Fieber zu kämpfen." Sarah fasste sich an die Stirn.
"Und was sagen eure Kinder dazu?"
"Meine Tochter ist ganz aufgelöst, aber meine Söhne. Also der Jüngste wusste nicht, was er sagen soll und den Anderen habe ich erst nicht erreicht. Ich habe ihn darüber geschrieben, aber er hat nur stumpf mit ok geantwortet. Verübeln kann ich es ihnen nicht."
"Dann hoffen wir mal, dass die Infektion zurückgeht." Sarah seufzte.
"Hoffe ich auch. Ich möchte ehrlich sein, ich habe angst, dass sie ein Pflegefall wird. Ich kann das nicht. Sie wäre so ein garstiger Mensch, schlimmer wie jetzt. Die würde mich fertig machen, wenn der Tee nur einen Grund zu heiß ist. Ich weiß aber auch, dass sie keinen anderen Pfleger wollen würde. Ich habe das Bestattungsunternehmen! Da könnte ich mich nebenbei nicht Vollzeit um sie kümmern!" Sarah konnte die Verzweiflung in seiner Stimme hören.
"Hey, noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Es kann noch viel passieren. Claudia hat Haare auf den Zähnen. Die schnauzt den Sensenmann noch an, dass sie nicht gehen will und zerbricht vorher seine Sense, bevor er ihre Seele holt." Beide lachten leise, aber Sarahs Lachen verstummte, als sie an Johannes dachte.
"Ich glaube den Tod ist nicht mal deiner Tante gewachsen."
Tomas Worte sollten Recht behalten. Claudias Fieber stieg über 40 Grad an und ihr Körper konnte dem nicht standhalten. Justin stand an Claudias Seite. Er sah zu ihren bandagierten Armen und setzte die Sense an, um ihre Seele zu geleiten. Ihre energische Stimme tönte sofort ins einen Ohren wieder.
"Ich dachte nicht, in diesen Alter an so etwas zu sterben. Alles nur wegen dieser einen, die krank zum Kaffeeklatsch kommen musste! Ich hätte noch leben können! Wenn ich nicht dagewesen wäre, wenn ich auf... Tomas gehört hätte." Justin vernahm einen Funken Reue in ihren Worten.
"Zumindest werden wir uns nie wieder streiten können. Ist doch etwas Schönes, dass jetzt jeder von uns sein Leben für sich leben kann." Ihre anfängliche Wut wandelte sich in Erleichterung. Ihre Seele befand sich auf der Brücke, während Justin ihre Todesdaten vorlas.
"Claudia Krachten, ich geleite Sie." Er blickte auf die Akte, auf der Totenreich stand, aber es fühlte sich für ihn nicht richtig an. Er sah zu ihren Tugenden und Sünden. Sie war ein sturer Mensch gewesen, der sich nichts gefallen ließ und eine gezwungene Ehe mit einen Mann führte, nur weil ein Kind zwischen ihnen entstanden war. Claudias Seele faltete die Hände zusammen.
"Es wäre besser für ihn und die Kinder gewesen, hätten wir uns scheiden lassen. Er hat mich genauso wenig geliebt, wie ich ihn. Viele Diskussionen waren unnötig und hätten vermieden werden können, hätten wir uns nicht zu etwas gezwungen, was wir nicht sind. Ein Ehepaar." Justin blickte erneut zur Akte und dann zur Seele.
"Sie hat nichts mehr, was sie bereuen oder lernen muss." dachte er.
"Ich geleite sie in den Garten Eden." Ihre Seele fand ihren Weg und Justin schloss das Seelengeleit ab. Er nahm sich eine Feder und änderte den Eintrag Totenreich durch ein rot geschriebenes Garten Eden. Er sah zu ihren leblosen Körper und kehrte kurz darauf zum Sensenmann zurück. Justin überreichte ihm die Akte.
"Sie hat bereut, während ich die Seele geleitete. Darum brachte ich sie in den Garten Eden." Der Tod sah sich die Akte an. "Es ist alles in Ordnung. Dies kommt vor. Nicht allzu häufig, eher bereuen die Menschen, ihre Zeit vergeudet zu haben. Dank Mutter Natur ist es uns gestattet, die Seelen in ihr dementsprechendes Reich zu geleiten. Der Himmelsfürst hätte dies nicht erlaubt." Er schlug die Akte zu und legte sie zur Seite.
"Mir gefällt das Regime von Mutter Natur viel besser." Justin setzte sich und blickte zum Tod. "Ja, mir auch."
Tomas teilte den Tod seiner Frau seiner Nichte und Kindern mit. Nach Beendigung der Quarantäne, die sich auf fünf Tage belief, fanden sich seine Kinder und Sarah bei ihm ein. Sie saßen bei Tomas im Wohnzimmer. Seine Tochter, die ihrer Mutter ähnelte, saß neben Sarah und ließ sich von ihr in den Arm nehmen. Vor ihr lagen verbrauchte Taschentücher. Ihr gegenüber saßen ihre zwei Brüder. Einer von ihnen wirkte sanftmütig, der Andere als würde er das Treffen schnell hinter sich bringen wollen. Seine Arme waren verschränkt, während sein Bruder sich mit den Stuhl zu Tomas gedreht hatte, die Hände zwischen den Beinen zusammengefaltet. Tomas setzte sich auf den Stuhl am Tischende und schaute in die Runde. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte, zu reden.
"Schön, dass wir uns alle zusammen setzen konnten. Wir saßen lange nicht mehr zusammen." Nervös faltete er seine Hände zusammen.
"Na ja bis auf den Fakt, das Mutter fehlt, weil sie tot ist." funkte ihn sein Sohn mit versteinerter Miene dazwischen. Ein verzweifelter Laut seiner Schwester folgte darauf.
"Ahh! Rede nicht so über ihren Tod als sei es dir egal!" Mit einer Taschentuchpackung warf sie auf ihn. Gekonnt wich er aus und die Packung landete auf den Boden.
"Oh ich vergaß, ihre Kopie sitzt mir direkt gegenüber." Sarah hielt ihre Cousine davon ab, von ihren Stuhl aufzustehen.
"Sie war auch deine Mutter, Hannes!" brüllte sie, aber ihr Bruder verharrte in seiner Position.
"Das kann ich leider nicht leugnen." Sarah nahm derweil die Taschentücher entgegen, die ihr anderer Cousin aufgehoben hatte und reichte ihrer Cousine eines, die zu schnäuzen anfing.
"Sie war eine tolle Frau."
"Für dich vielleicht, weil du als ersehnte Tochter auf die Welt gekommen bist! Vater kann selber bestätigen, dass `Mutter´ nicht glücklich darüber war, zwei Söhne zu bekommen!" Er sah zu Tomas, der unangenehm berührt zur Seite sah.
"A-also es gab schon einen Unterschied zu der Reaktion von ihr-" Ihm wurde das Wort abgeschnitten.
"Hörst du, Clara?" Beide funkelten sich finster an und Tomas ging dazwischen.
"Bitte kein Streit! Ich wollte mit euch über die Beerdigung sprechen! Wie ihr wisst sind die Bedingungen andere als vor einem Jahr. Nur wenige engste Familienmitglieder dürfen dieser beiwohnen."
"Ich gehe nicht hin!" Alle Blicke waren auf Hannes gerichtet. "Ihr könnt ja gerne hin, aber ich werde nicht mal ihr Grab besuchen. Diese Frau ist schon vor Jahren für mich gestorben. Ich werde mir das auch nicht weiter anhören. Redet alleine weiter, ich geh mir die Beine vertreten." Er stand auf und lief an seinen Vater vorbei.
"Hannes! Warte!" Er hörte nicht und Tomas sah in die Runde. Laut seufzte er und fasste sich an die Stirn.
"So hatte ich mir das nicht vorgestellt." Clara lag in Sarahs Armen und weinte. Sein jüngster Sohn beobachtete die Situation nur still. Tomas stand auf und folgte seinen Sohn.
Hannes saß vor der Haustür auf dem Vorsprung und rauchte.
"Lass deinen alten Herrn mal sitzen." Hannes rückte ein Stück und reichte Tomas wortlos die Schachtel mit dem Feuerzeug. Fast fiel ihm die Packung aus der Hand. Er zündete sich eine an, zog daran und hustete lautstark los. Sein Sohn schmunzelte.
"Gib her, du bist kein Raucher." Er drückte seine aus und rauchte die von Tomas weiter.
"Was bietest du mir auch eine an?"
"Nettigkeit?" Tomas musterte seinen Sohn. "Du bist muskulös geworden." Demonstrativ spannte Hannes den Bizeps an. "Jo. Bin fleißig am pumpen. Siehst aber immer in meinen Status."
"Jo."
Schweigen.
Tomas sah auf das Moos zwischen den Pflastersteinen.
"Wann ist unsere Familie so kaputt gegangen?"
"Schon in dem Moment als dir das Kondom gerissen ist und ihr Clara gezeugt habt."
Wortlos blickte Tomas zu Hannes. Dieser zuckte mit den Schultern. "Ist doch so. Das mit dir und Mutter war von Anfang an zum scheitern verurteilt. Ich und Timothy haben uns oft gewünscht, ihr würdet euch endlich scheiden lassen. Was meinst, weshalb wir nach Habu gezogen sind? Um Distanz zu schaffen.", Er drückte die zweite Zigarette aus. "Ich werde mich auch nicht umstimmen lassen. Ich werde ihre Beerdigung nicht besuchen." Hannes stand auf und half Tomas beim aufstehen. "Trotzdem war es mal schön, dich wiederzusehen, Vater." Er klopfte auf Tomas Schulter und beide liefen zurück ins Haus. Im Wohnzimmer weinte Clara sich die Seele aus dem Leib, während Sarah Trost spendete und Timothy ein Handyspiel spielte. Tomas klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu richten. Alle blickten zu ihm.
"Bevor das hier weiterausartet, besinnen wir uns kurz." Hannes lief zu seiner großen Schwester rüber und umarmte sie vorsichtig. "Sorry." Es kam nur leise und unverständlich über seine Lippen. Clara erwiderte die Umarmung nicht. Hannes löste diese und blieb neben ihr stehen. Sein Blick war auf Tomas gerichtet.
"Die Beerdigung findet am 3.8 um 11 Uhr statt."
"Ich möchte sie sehen." Clara schniefte und Tomas wollte die Hand auf ihre Schulter legen, aber sie wich zurück. "Ich möchte nicht umarmt werden." Tomas zog seine Hand zurück und ließ sich den Stich dieser Worte nicht anmerken. Sarah rückte näher an ihre Cousine heran.
"Wir werden da sein. Ich bringe den Kuchen mit." Sie sah zu Tomas, der nickte. Derweil steckte Timothy sein Handy in einer der vielen Taschen seiner schwarzen Hose.
"Ich werde nicht hingehen, egal ob sie meine Mutter war." Er stützte den Kopf an seiner Handfläche und sah zum Rest der Familie. Er visierte besonders seinen Bruder an. "Ich geh auch nicht, aber das sagte ich ja bereits." Hannes gesellte sich wieder zu Timothy.
"Ich kann es euch nicht verübeln. Es ist eure Entscheidung. Dann wäre das ja geklärt." Er senkte leicht den Kopf und seufzte. Sarah stand auf, um die Taschentücher wegzuräumen.
Vor sich hin vegetierend starrte Clara auf die einfarbige Tischdecke. Nachdem Sarah wiederkam stand auch sie auf.
"Wir sehen uns dann auf der Beerdigung." Ohne eine Umarmung oder weiteren Blickes verließ sie mit ihrer Cousine das Haus. Tomas stand alleine mit seinen Söhnen im Wohnzimmer da. Timothy verschränkte die Arme vor seinen ärmellosen weißen Oberteil. Er war kleiner wie Hannes und nicht allzu muskulös, aber man sah ihn an, dass er trainierte. Tomas wandte sich an seinen Jüngsten.
"Du wolltest letztens doch noch etwas mit mir besprechen." Timothy lockerte die Haltung.
"Ja! Ich wollte dich fragen, ob du noch ausbildest?" Ungläubig sah Tomas ihn an. "Äh ja, sicher. Warum fragst du?"
"Mir gefällt die Großstadt und mein Job nicht mehr. Ich wollte wieder herziehen und bei dir anfangen. Jetzt wo Mutter nicht mehr ist." Er lächelte freudig und Tomas starrte ihn überrascht an. Dann lächelte er stolz.
"Ja gerne! Ich freu mich! Die Nachfolge ist gesichert. Dann wird das Krachten Bestattungsinstitut noch eine Weile bestehen bleiben." Er überfiel Timothy mit einer Umarmung und einen stolzen Schulterklopfen.
"Ist gut Dad. Erstmal muss ich hier eine Wohnung finden und vielleicht gefällt es mir auch nicht. Er löste die Umarmung und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
"Das bekommen wir hin. Da kannst erstmal wieder hier einziehen. Gar kein Problem!" Tomas sprach impulsiv und Timothy stoppte ihn.
"Komm runter! Lass uns das in Ruhe besprechen. Erstmal sollte die Beerdigung vonstatten gehen. Wobei du sicher froh warst, als du von ihren Tod erfahren hast, oder? Zu uns kannst du ehrlich sein." Tomas stockte bei Timothys ungezügelten Worten.
"Froh war ich schon mal gar nicht, immerhin ist da ein Mensch gestorben. Mein erster Gedanke war eher, dass ich jetzt frei bin." Er flüsterte den letzten Satz fast nur. "Dachte ich es mir! Aber wer will es dir verübeln? Sie war zu uns keine gute Mutter und hat Clara offensichtlich bevorzugt. Zumindest du warst für uns da." Timothy lächelte und Hannes nickte bestätigend.
"Vielleicht etwas tollpatschig und hast dir ziemlich viel gefallen lassen, aber ansonsten bist du ein klasse Vater." fügte Hannes hinzu und Tomas fühlte sich geschmeichelt.
"Ich danke euch. Wenigstens ihr hasst mich nicht." Beide schüttelten den Kopf.
"Habt ihr keinen Kontakt zu eurer Schwester?" Beide nickten gleichzeitig. "Sie ist genauso anstrengend wie Mutter es war. Ich denke das beruht auf Gegenseitigkeit." erklärte Timothy. "Finde ich schade, aber ändern lässt es sich nicht. Ich freu mich euch wiederzusehen. Vielleicht jetzt wieder öfters. Möchtest du auch wieder herziehen, Hannes?" Er sah zu Hannes. "Ich überlege es mir." Lachend legte Timothy den Arm um Hannes Oberkörper, da er zu klein war, ihn über die Schulter zu legen.
"Als ob du so lange ohne deinen Zwillingsbruder aushältst! Ich gebe dir´n halbes Jahr und spätestens dann wohnst du bei mir in der Nähe. Soll ich direkt eine größere Bude suchen?" Timothy lachte und Tomas sah sich die ungleichen Brüder an. Hannes und Timothy waren zweieiige Zwillinge.
"Besprechen wir das auf dem Heimweg." Sie verabschiedeten sich von ihren Vater und stiegen in ein weißes Auto.