Viktorius war zum Sensenmann zurückgekehrt und berichtete ihm von dem Suizid.
"Ich habe Gina getroffen." erwähnte er und der Tod nickte. "Sie wird die nächsten Tage einem besonderen Seelengeleit nachgehen." Viktorius hatte seine Sense noch in der Hand und plante den Ort des Todes wieder zu verlassen. Der Tod selbst hielt ihn auf.
"Bitte warte. Wir wollen mit dir über etwas reden."
"Wir?"
Kurz darauf klopfte es an der Seitentür und Mutter Natur betrat den Raum. Sie sah anmutig aus und lief lächelnd auf die Beiden zu. "Guten Tag, Viktorius von Eden. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen." Viktorius nickte und senkte den Kopf, als er sie sah. Der Tod stellte sich zu ihr. Josef beobachtete beide und Justin vertiefte sich in seinen Akten. Tod und Leben sahen Viktorius an wie ein Elternpaar, dass ihren Kind am Wochenende erzählten, dass sie in den Vergnügungspark fuhren. Mutter Natur ging einen Schritt auf Viktorius zu.
"Viktorius, wie du sicher erfahren hast, gibt es keinen Himmel mehr. Gut und Böse wurden eins und die Seelen des Himmels leben nun im Garten Eden-", "Tiffany!" unterbrach Viktorius und entschuldigte sich kurz darauf. Mutter Natur schmunzelte, dass er an sie dachte.
"Sie bat mich um einen Gefallen. Sie wünschte sich, dass ich dir berichte, dass du sie fortan wieder besuchen kannst. Ganz sagte mir ihre Bitte nicht zu.", Viktorius stockte. "Warum solltet ihr euch nur kurz sehen und nicht die Zeit miteinander verbringen dürfen? Ich hielt Absprache mit Gevatter Tod und wir fanden eine Einigung." Mutter Natur lächelte. "Ich möchte dich von deiner Berufung befreien und dir eine neue Hülle schenken. Mit dieser wirst du fortan im Garten Eden leben können."
Viktorius glaubte kaum, was er dort hörte. "A-aber meine Menschlichkeit. Etwas in mir wurde durch die Henkerssense ausgelöscht! Und wer geleitet dann die Seelen der, die sich selbst das Ende setzen?" fragte er ungläubig nach, aber Mutter Natur behielt ihre Gelassenheit bei. "Darüber habe ich mir bereits Gedanken gemacht." Hinter ihr zog der Sensenmann die Henkerssense hervor. "Ich werde dich zu dem machen, der du vor dieser Gestalt warst. Die Seelen der Menschen, die sich dem Freitod hingeben, gebe ich in die Obhut der Sensenmänner. Sie werden diese Seelen geleiten und fortan auch nicht mehr in die Totenwelt."
Viktorius glaubte seinen Ohren nicht. "W-was meint Ihr?" Mutter Natur lächelte.
"Selbstmördern eine Strafe aufzuerlegen war der Plan des Himmelsfürst, nicht meiner. So wie ich meine Venefica, die durch eigene Hand starben, in meinen Garten Eden aufnahm, werde ich auch andere Menschen in meinen Garten Eden lassen, dessen Tod vor ihrer Zeit geschieht." Viktorius hätte Mutter Natur umarmen wollen, erinnerte sich aber daran, wer sie war. Er hätte geweint, hätte er gekonnt.
Mutter Natur klatschte in die Hände. "Nun denn! Ich werde mich deiner annehmen. Folge mir." bat sie und voller Dankbarkeit nahm sie die Henkerssense entgegen. Viktorius folgte ihr in den Raum, in der der Tod Seelen in Empfang nahm. Mutter Natur und Viktorius standen sich gegenüber.
"Bitte nicht erschrecken." bat sie und ihre linke Hand wurde zur Hand des Todes. "I-ich dachte die Henkerssense löscht alles aus." murmelte Viktorius. "Die Seelen existieren nicht mehr bei Bewusstsein, das stimmt. Wirklich ausgelöscht? Nein." Sie kam näher auf Viktorius zu, die Sense in der Hand des Todes. "Jeder Mensch hinterlässt Spuren, mögen sie noch so klein sein. einige Spuren bleiben, andere verwaschen mit der Zeit, aber trotzdem gab es diese Existenz, die unwiderruflich ist. Viele leben durch Erinnerungen weiter, die sich durch Schriften, Erzählungen, kinematographische Aufzeichnungen, Werke aller Art auszeichnen können oder durch Nachfahren." Mutter Natur ließ die Sense los, welche augenblicklich an Ort und Stelle verblieb, über den Boden schwebte. "Weiß du, Sensen sind Brücken für die Seelen, um sie in die andere Welt zu bringen. Der Sensenmann bräuchte eigentlich keine, genauso wenig wie seine Gehilfen oder meine Gehilfen." Mutter Natur schmunzelte und strich mit beiden Händen über die Sensenklinge. "Er empfand es als schöner mit der Sense. Wie ein modisches Accessoire. Er hat sie in meinen Garten Eden gebaut. Der Sensenstab ist aus einen meiner Bäume, einem Apfelbaum genauer gesagt, geschnitzt worden. Bei der Schneide half ich ihn mit den Materialien. Ich werde seine Freude über die Fertigstellung nie vergessen." Mutter Natur lächelte und ihre Augen schimmerten weniger grau, wie noch zuvor.
"Selbst heute lasse ich den Sensenschmiedern die Materialien zukommen. Ich glaube, die Scythe Maker haben sich nie gefragt, warum immer Material da ist und woher es kommt." Sie kicherte und stumm hörte Viktorius ihr zu. "Verzeih, ich bin abgeschweift." Ihre Augen fixierten die Klinge, die sie mit beiden Händen umfasste und schloss dann die Augen. Sie horchte hinein und spürte innerlich Präsenzen. "Die Seelen, die die Henkerssense auslöscht stecken auf dieser Brücke fest, ohne es zu wissen. Heißt, ihre Seelen sind ohne Bewusstsein in der Henkerssense gefangen. Das bedeutet auch, dass deine Menschlichkeit hier ist." Sie tauchte tiefer in die Sense ein und vernahm die Präsenzen aller Seelen, die der Henker gerichtet hatte.
"Dieses eingebildete Gör! Spielt sich auf, weil sie die Tochter vom Gildenmeister ist!"
"Ich möchte Mami wiedersehen."
"Welch Ungerechtigkeit. Verzeih mir, dass ich nicht bei dir und deiner Mutter sein kann. Ich wollte doch nur Erlösung für dich." Mutter Natur horchte weiter.
"Ich will sterben." Sie hielt inne. "Ich kann ihr nichts bieten." Ihre Hand des Lebens umfing diese Stimme und Viktorius sah, wie aus der Henkerssense ein gleißendes Stück hellen Lichtes entzogen wurde.
"Meine Menschlichkeit." hauchte er und Mutter Natur musterte das Licht in ihrer Hand des Lebens. Sie nahm die Sense und legte diese zur Seite. "Deine Menschlichkeit habe ich, aber in dieser Hülle kann ich dich nicht zu Tiffany lassen." Mutter Natur kam näher.
"Verzeih mir, was ich nun tun werde." Ihre Knochenhand legte sich um seinen Hals und der Strick zog sich fester um ihn. Es fühlte sich erneut an, als würde ihm die Luft zugeschnürt werden. Es knackte in seinem Genickt, wie zu dem Moment, als er sich erhängte und seine Hülle fiel zu Boden. Mit der Hand des Todes nahm sie sein verbliebenes Stück Seele an sich. Sie führte die Hände näher zusammen und seine Seele und die Menschlichkeit verschmolzen miteinander. Die Hülle von Viktorius löste sich in ihre drei Bestandteile auf und verschwanden. Mutter Natur kniete sich auf den Boden und behütete die Seele von Viktorius, die ein gleißendes Licht war. Ihre Knochenhand wurde wieder menschlich und sie hielt einen Moment inne. "Dann wollen wir mal eine Hülle erschaffen." Und sie nahm Erde, Asche und Staub, um Viktorius einen neuen Körper zu schenken.
Eine Zeit verging, bis Mutter Natur aus der Tür kam. Die Henkerssense in der Hand, die sie dem Tod überreichte. Hinter ihr lief Viktorius, gehüllt in einer weißen Decke. Er schaute sich seine Umgebung und ihre Gestalten an. Der Tod und er blickten sich an, ohne jegliches Gefühl. Ihm fehlten die Worte, bevor Gevatter Tod sprach und nur sagte: "Werde glücklich." Es war, als wäre zwischen beiden nie etwas gewesen.
Mutter Natur umfasste Viktorius Schulter. Er verdeckte sich immer noch mit der Decke und zufällig erhaschte er einen Blick auf seine Arme. "Die Narben sind noch da." merkte er an und Mutter Natur nickte. "Natürlich. Sie gehören zu dir und sind deine Lebensgeschichte." Vor ihnen tat sich das Portal zu Garten Eden auf. Dieses war umrangt von Ästen und Blättern. Sie verabschiedeten sich vom Tod und begaben sich in den Garten Eden.
Im Garten Eden hüllte Mutter Natur ihn in die Kleider seiner Lebtage. Er ließ die Decke fallen, welche daraufhin verschwand und als seinen persönlichen Himmel gab sie ihm das Haus, welches er früher bewohnte. "Sollte sich Unwohlsein bei dir einfinden, richte dich an mich." erklärte sie und Viktorius nickte, bevor er sie fragte: "Der Himmelsfürst existiert nicht mehr?" Mutter Natur faltete die Hände zusammen und verstrahlte ihre friedvolle Autorität. "Nicht ganz. Es wurde mit der Hölle zu Gut und Böse. Ich habe ein paar deiner negativen Aussagen über ihn mitbekommen. Vielleicht beruhigt es dich zu wissen, dass du nicht unrecht mit denen hattest." Auf Viktorius Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab. "Ich wusste es." Mutter Natur bat durch eine Handbewegung um Ruhe. "Wir wollen uns nicht darauf fokussieren. Konzentrieren wir uns auf Tiffany." Viktorius folgte ihr durch den Garten Eden und musterte die grünen, sandigen, eisigen Landschaften und Seen. Vor ihnen tat sich ein kleines Haus auf und Viktorius erkannte Tiffanys Haus wieder. Mutter Natur und er waren in ihren persönlichen Himmel.
Sie klopfte an der Holztür.
"Tiffany Dronner?" fragte Mutter Natur und die Tür wurde ihr geöffnet. Tiffany schlug die Hände vor den Mund und Tränen überkamen sie. "Ich bin der Bitte nachgegangen und gab ihm eine neue Form." Tiffany umfasste Mutter Naturs Hände. "Danke, ich danke dir, Mutter Natur." Erfreut lächelte Mutter Natur.
"Geh zu ihm. Er ist, wie du ihn zu Lebzeiten kanntest. Ich werde gehen. Ich habe noch ein Gespräch vor mir." Mit einer leichten Verbeugung ging Mutter Natur.
Tiffany und Viktorius sahen sich in die Augen und Viktorius griff nach seinen rechten Arm. Tiffany fasste den Mut und umarmte Viktorius innigst. Vorsichtig legte er seine Arme um sie. In dieser Position verweilten sie einen Moment, atmeten den Duft des Anderen ein und genossen die Zärtlichkeit ihres Gegenübers. Sie lösten die Umarmung. "Möchtest du reinkommen und meine Familie kennenlernen?" fragte sie ruhig und sah dabei zur Seite.
"J-ja." Bei den Gedanken, gleich neue Leute kennenzulernen, fingen Viktorius Hände an zu zittern. Was würden sie von ihn halten? Es war schließlich Tiffanys Familie. Mit dieser wollte er sich auf jeden Fall gut stellen.
Tiffany nahm ihn an die Hand und führte ihn in das Haus ihrer Eltern. "Mutter? Vater? Veronica? Ich möchte euch jemanden vorstellen." rief sie und ihre Familie fand sich gebannt am Küchentisch ein. Sie erblickten Viktorius. Dieser hob vorsichtig die Hand.
"Guten Tag. I-ich bin Viktorius von Eden." Er verbeugte sich leicht, so wie er es aus Lebzeiten noch kannte. Danach sah er in die Gesichter. Er konnte keines davon kennen, aber er hatte bei allen das Gefühl, dass sie zur Dronner-Familie gehörten. Veronica stellte sich als erste vor und Viktorius erinnerte sich an Tiffanys Erzählung über ihre Schwester.
"Ich bin Delia, sehr erfreut." stellte sich Tiffanys Mutter vor und zum Schluss kam Thompson. Dieser stand von seinen Stuhl auf und baute sich vor Viktorius auf, welcher ihn gerade die Hand reichen wollte. Gebannt sahen Delia und Veronica zu den beiden. Tiffany seufzte über das Verhalten ihres Vaters. "Du bist also der Viktorius von dem meine Tochter so viel erzählt hat?" Langsam nickte Viktorius.
"Sehr erfreut, Viktorius. Ich bin Thompson. Nenn mich gerne beim Vornamen." Er verneigte sich leicht und schüttelte Viktorius Hand. Innerlich atmete Viktorius auf. "Musstest du dich wieder aufspielen? Er hat bestimmt gedacht, du wirfst ihn raus." ermahnte Delia und rollte mit den Augen. "Delia, es geht um unsere Töchter. Die Gatten, die sich uns vorstellen, müssen sich bewusst sein, dass sie aufpassen sollen, wie sie unsere Kinder behandeln." Seine Gattin seufzte. "Setz dich." bat Thompson schließlich und rückte zu seiner Tochter, damit Tiffany und Viktorius Platz hatten, nebeneinander zu sitzen. Thompson sah zu seinem Schwiegersohn.
"Ich denke ihr passt ganz gut zusammen." merkte er lächelnd an und es war ein aufrichtiges, warmes Lächeln. Tiffanys Finger krallten sich in ihr Kleid und auch Viktorius mied jeden Blick, den er ausweichen konnte.
"Also, von Eden, richtig?" murmelte Thompson und Viktorius blickte auf. "Richtig." flüsterte er so, dass Thompson ihn noch verstehen konnte.
"Dann sind deine Eltern Klarissa und Clarence gewesen?" Viktorius nickte nur. "Jaa, die kenne ich auch noch. Clarence hat immer den Hintern versohlt bekommen und sich von jedem abgewandt. Hat immer die Nase demonstrativ hochgehalten um zu signalisieren, wie viel besser er ist. Meine Schulfreunde und ich haben nur darüber gelacht." Auch jetzt schmunzelte Thompson über die Anekdote. "Und Klarissa hat überall im Dorf von der arrangierten Ehe mit Clarence erzählt. Sie war unheimlich stolz auf die Verlobung. Ob sie sich bewusst war, dass ihre Eltern dies nur getan haben, um nicht ins Armenhaus zu müssen?" Er lächelte darüber und interessiert sah Viktorius auf. Er hatte von einigen der Erzählungen nichts gewusst. Für ihn waren seine Eltern immer arrogante Leute ohne Mitgefühl gewesen.
Thompson sprach am meisten am Tisch über die verschiedensten Erinnerungen. Delia wies ihn mit Handzeichen schon daraufhin, weniger zu reden. "Ich glaube, die können dir sonst gleich gar nicht mehr zuhören." meinte sie und bestätigend nickte Thompson. "Oh, entschuldigt. Dann erzählt ihr etwas!" bat er und sah zu Tiffany, die mit einer Hand den Kopf abstützte, während sie mit der anderen Viktorius Hand unter dem Tisch hielt. "Äh... Wir haben überlegt, noch weiter zu gehen." Sie sah Viktorius an, der nicht richtig zu verstehen schien. "Wohin denn? Zu Berta oder meinem Enkelsohn?" Erst als Thompson dies sagte, verstand Viktorius, was Tiffany gemeint hat. "Zu Richard." Tiffany erhob sich aus ihren Stuhl und Viktorius folgte ihr kurz darauf.
"Entschuldigt uns. Beim nächsten Mal bringen wir Richard mit." Tiffany umarmte ihre Eltern und Schwestern. Viktorius blieb stehen, bis Thompson und Delia zu ihm kamen. Zum Abschied reichten sie ihm die Hand. Tiffany und Viktorius liefen zur Tür und verabschiedeten sich. Kaum waren sie aus der Tür sprachen Thompson und Delia über den Besuch.
"Er passt zu ihr. Sie braucht so ein ruhiges Kerlchen. Ein lauter Proll wäre nichts für unsere zarte Tiffany." Delia nickte und stimmte ihren Ehemann zu. "Man hat ihm angemerkt, wie unangenehm es ihm war. Hat nicht viel gesprochen, aber ich mag ihn."
Tiffany und Viktorius liefen Hand in Hand durch den Garten Eden. "D-deine Eltern waren nett." murmelte er und Tiffany war froh, dass ihre Eltern ihn angenommen hatten. "Ich fand es schön, dass du mitgekommen bist." Sie gab ihn einen schnellen Wangenkuss, der beide erst erröten ließ.
"Und jetzt geht es zu Richard?" fragte Viktorius nach und Tiffany nickte. Sie merkte Viktorius sein Unwohlsein an. "Ich weiß nicht, ob ich bereit dazu bin, u-unseren-" Er quälte sich diese Worte auszusprechen. "Unseren Sohn zu treffen?" sprach Tiffany seinen Satz zu ende und beide hielten an.
"J-ja.... Er kennt mich doch nur als diese... diese Gestalt. Will er mich überhaupt kennenlernen? Ich war immerhin nie für ihn da... Außer als diese Gestalt an seinem Tod. Ich habe dich alleine gelassen."
"Ich war nie alleine. Berta war da." unterbrach Tiffany. "Ja, aber ich hätte als V-vater..." Tiffany nahm seine beiden Hände.
"Hey.... Ich habe dir meine Schwangerschaft verschwiegen. Wir wissen beide um deine psychische Erkrankung und was dir im Totenriech widerfuhr. Ich glaube Richard wird das verstehen. Sprecht euch aus und kommt langsam aufeinander zu. Pass auf, wir machen das gleich wie folgt. Ich rede mit Richard über deinen Besuch, bis ich dich hineinbitte und ihr in ruhe reden könnt. Ich glaube es kommt zu überraschend, wenn wir einfach vor ihm stehen." Diesen Vorschlag stimmte Viktorius zu und dankte Tiffany dafür. Tiffany war angespannt und biss sich auf die Lippe. Gleich würden alle drei zum ersten Mal nach über hundert Jahren als Familie zusammenstehen.
Tiffany stand vor der Tür zum Himmel ihres Sohnes und klopfte an. "Warte hier, ich bin gleich wieder da." Sie betrat den Himmel und fand sich im Wohnzimmer ihres Sohnes wieder. "Mutter! Hallo!" hörte sie ihn rufen und er schlang beide Arme um sie. Dafür musste er sich bücken, da Tiffany kleiner war als er. Flavia und Tiffany grüßten sich mit einer winkenden Handbewegung. "Richard? Hast du einen Moment Zeit? Es gibt etwas, worüber ich mit dir sprechen muss." Ihre Stimme wurde leise und ihr Sohn nickte.
"Natürlich. Flavia? Ich bespreche kurz etwas mit meiner Mutter!" entschuldigte er sich und Flavia nickte. "Du findest mich im Klavierzimmer." Damit waren beide ungestört.
"Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, Richard, aber es geht um deinen Vater.", erzählte Tiffany. "Mutter Natur gab ihm eine neue Hülle. Er wartet draußen. Ich glaube, ihr solltet euch kennenlernen." Ungläubig starrte Richard sie an. "Er ist nicht mehr die Gestalt mit dem Henkersstrick?" Tiffany nickte und sah Richard die Nervosität an. "Was geht dir durch den Kopf, mein Sohn?" hakte Tiffany mit ruhiger Stimme nach und strich über seinen Arm. "Ich kenne ihn doch nur als Suicide Hangman und wollte ihn immer bekämpfen. Ich sah ihn immer als Böse an, was er als Suicide Hangman tat. Denkst du er will überhaupt etwas mit mir zu tun haben?" In seinem Gesicht falteten sich Sorgefalten ab.
"Oh Richard, wenn du wüsstest. Viktorius hat ähnliche Sorgen wie du... Er fühlt sich wie ein schlechter Vater." Tiffany strich über seine Schultern. "Sprecht euch aus." riet sie ihrem Sohn genauso wie Viktorius. Richard folgte seiner Mutter schließlich durch die Tür hinaus, wo Viktorius bereits wartete.
Vater und Sohn sahen sich mit geweiteten Augen an. Zum ersten Mal sah Richard seinen Vater als Menschen, nicht als Gestalt, die Menschen negative Gedanken einflößte. Viktorius war seinem Sohn nur in der form des Suicide Hangman begegnet. Unteranderem bei seinem Tod oder im Totenreich bei unvorhergesehenen Todesfällen. Richard war ein Kopf größer als sein Vater. Tiffany stand ein Stück abseits von ihnen. Sie wichen den Blicken des jeweils anderen aus, bis Richard ein Gespräch aufzubauen versuchte.
"Mutter hat viel erzählt, wie ihr euch kennengelernt habt und alles." Er wollte seinen Suizid nicht erwähnen. "I-ich erfuhr im Totenreich, dass sie dich bekommen hat. Mir ist der Gedanke immer noch surreal, dass ich dein... Vater bin." Er verschluckte die letzten Worte beinahe und sie fühlten sich unrealistisch an, auszusprechen.
"Weiß du... Ich habe nie daran geglaubt, eine Familie zu gründen. Es war mir schon ein Rätsel, dass mich deine Mutter wollte." Beschämt lachte er und Richard erwiderte: "Glaub mir, für mich ist es bis heute ein Wunder, dass ich Flavia noch geheiratet habe." Beide schmunzelten. "Weiß du, ich habe dich nicht nur als Suicide Hangman gesehen. Ich habe oft an Mutters Erzählungen gedacht, dass du nicht so bist, wie du als diese Gestalt warst. Manchmal habe ich meinen erstgeborenen Sohn angesehen und mich gefragt, ob du auch so warst." Er verschränkte beide Arme vor der Brust und Viktorius fragte nach: "Wie war dein Erstgeborener denn?"
"Cedric? Ganz liebes Kerlchen, aber unheimlich schüchtern und ohne Selbstbewusstsein. Er hatte immer viel Angst und hat oft geweint. Wollte auch nie zur Gilde mitkommen. Sein Zwillingsbruder war das totale Gegenteil. Das war damals. Mittlerweile steht Cedric gefestigt im Leben. Man würde kaum mehr vermuten, wie er als Kind war." Über Viktorius Lippen stahl sich ein Lächeln wenn er daran dachte, dass Cedric es geschafft hatte, sich ein gutes Leben aufzubauen. Langsam kamen beide auf eine Wellenlänge und Tiffany beobachtete beide weiter von außen. "Ich denke, wir sollten wie Cedric, abschließen, was in der Vergangenheit vorgefallen ist und die 2.te Chance nutzen. Wir können uns jetzt endlich richtig kennenlernen." Richard lockerte seine Haltung und Viktorius überkam ein kleines Lächeln. "Komm her, Paps."
Damit umarmte er Viktorius. Er musste sich ebenfalls ein kleines Stück bücken. Viktorius ließ langsam die Arme um Richard gleiten und umarmte zum ersten Mal sein eigen Fleisch und Blut. Gerührt sah Tiffany zum Vater-Sohn Gespann. Eine kleine Träne lief ihr Gesicht runter und nachdem sie die Umarmung gelöst hatten, kam Tiffany dazu. sie zog beide zu sich. "Ich bin glücklich, dass ihr endlich euren Frieden geschlossen habt." Zum ersten Mal standen sie als Familie zusammen.