Die kleinen Engel saßen auf Mutter Naturs Schulter. Mutter Natur sah zu dem deformierten Baby, das tot in den Armen seiner weinenden Mutter lag. Gevatter Tod stand neben ihr. Er hatte die Seele in den Himmel gebracht. Mutter Natur fasste sich nachdenklich an das Kinn.
"Ich habe den Eindruck, als wolle man etwas erschaffen, aber das nötige Talent ist nicht vorhanden." erklärte sie ihren Eindruck über die monströsen Hüllen. Zaghaft strich Mutter Natur über den Kopf des Babys.
"Und was gedenkst du, zu tun?" hinterfragte der Sensenmann und Mutter Natur drehte sich zu ihn.
"Den Himmelsfürst besuchen."
Zusammen kehrten sie in den Raum des Todes zurück. "Er hat auf jeden Fall die Seelen für diese Körper geschaffen." erzählte Mutter Natur, während sie den Raum betraten. Gina und Justin saßen auf ihren Plätzen und blickten zu den beiden. Der Tod sprach mit seinen Schützlingen. "Mutter Natur und ich werden den Himmelsfürst besuchen. Ihr werdet in der Zeit eurer Berufung folgen. Wir werden bald zurückkehren." erklärte der Tod und begab sich mit Mutter Natur zur Tür, die sie zum Himmel brachte.
Der Himmelsfürst empfing beide in seiner himmlischen Atmosphäre, in der sie unter sich waren. Mutter Natur und Gevatter Tod behielten ihre Erscheinung bei. Der Himmel zeigte sich als gleißendes Licht.
"Herzlich Willkommen.", grüßte der Himmel vornehm. "Was führt euch zu mir?" Er begutachtete beide und sein Blick blieb bei Mutter Natur hängen. Mutter Natur trat hervor und schilderte die Ereignisse.
"Auf der Erde sind Babys zur Welt gekommen, dessen Körper missgestaltet war. Sie verstarben aufgrund dessen. Ich habe diese Hüllen nicht geschaffen. Was hat das zu bedeuten? Wer hat diese Hüllen erschaffen?"
Stille kehrte in dem Raum ein. Der Himmel durchbrach diese und beichtete in kläglicher Stimme: "Ich habe diese Körper kreiert. Verzeiht mir! Die Wünsche und Gebete der Menschen waren so groß, aber ich kann keine Hüllen entwerfen!" Er kam Mutter Natur näher. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt, dass der Himmelsfürst dafür verantwortlich war.
"Darum brauche ich dich. Du siehst erholt aus. Wollen wir unser Bündnis nicht wieder aufnehmen?" hauchte er und flößte ihr diese Worte ein. Mutter Natur weitete die Augen. Der Himmel strich über ihre linke Körperhälfte.
"Ich brauche deine wunderschönen Hüllen für die Seelen, Mutter." Sie blickte zur Seite und schloss die Augen.
"Du bist mehr wert! Es kann so nicht mehr weitergehen!"
Die Worte des weißen Todes tauchten in Mutter Naturs Kopf auf. "Der weiße Tod würde mich dafür schlagen, wenn ich ja sage." dachte Mutter Natur und öffnete langsam wieder die Augen. "Nein.", Der Himmel wich von ihr. "Dieses Bündnis existiert nicht mehr." Sie sah zum Himmelsfürst und lächelte dabei. "Ich bitte dich!" flehte der Himmel weiter, doch Mutter Natur Meinung blieb unverändert. "Ich möchte dich bitten, keine Hüllen mehr zu erschaffen." sprach sie gestochen scharf und ihr Gegenüber verstummte.
"Ja, ich werde keine Menschenkörper mehr kreieren." gab der Himmel sein Wort und seine Besucher verneigten sich leicht. "Wir danken."
Sie kehrten zurück zu Gina und Justin. "Wie ist es gelaufen?" fragte Justin direkt und Mutter Natur schmunzelte über seine Neugierde. "Der Himmelsfürst hat gebeichtet, dass er die Hüllen erschaffen hat. Wir baten ihn, dies zu unterlassen. Dieser Bitte kam er nach." erzählte Mutter Natur, aber Justin hatte Fragen zu dem Geschehnis.
"Das ist gut, aber warum wiesen die Hüllen Merkmale von Dämonen der Hölle auf?" hakte er nach und Mutter Natur konnte ihn darauf keine Antwort geben. "Ich dachte, der Himmel ist allmächtig." Mutter Natur senkte den Blick. "Nein, das ist er nicht. Deshalb gab es dieses Bündnis. Er hat das Konzept der Seele verstanden, aber nicht das eines Körpers." erklärte sie und fuhr weiter fort. "Ich hätte alles selbst geschaffen. Durch das Bündnis nahm er mir die Seelen ab." Fragend schaute Justin sie an.
"Bei der letzten Erzählung habe ich rausgehört, dass die ersten Seelen von dir geschaffen worden." Mutter Natur nickte und konnte sich denken, was er sagen wollte. Da setzte sie an. "Der Garten Eden ist mein Himmel. Ich habe die ersten Seelen geschaffen. Ich weiß, dass viele glauben, er hätte die ersten zwei Seelen entworfen, die vom Garten Eden vertrieben worden. Bis auf ihr und wenige Auserwählte wissen nicht viele davon. Er schlug das damals vor, um meine Venefica beschützen zu wollen."
"Oder um sich in den Vordergrund zu stellen." widersprach Justin und Mutter Natur hielt inne.
"Du hast Recht... Seine Begründung, sie zu schützen ergab nie Sinn, aber er hat es aussehen lassen, als wäre es sinnig. Ich habe mich naiv von ihn einnehmen lassen." hauchte sie und umarmte sich mit ihren Armen selbst. Der Sensenmann legte seine knochige Hand auf ihre Schulter. "Es ist nicht deine Schuld. Er hat dich eingenommen gehabt, aber dies ist nun vorbei." ermutigte er sie und Mutter Natur neigte den Kopf zu seiner Robe. "Du hättest es damals tun sollen." wisperte sie und Gevatter Tod legte den Arm um sie.
Justin und Gina blickten zu dem Gespann. Justin hatte über Mutter Naturs Worte nachgedacht. "Mir geht das mit den Hüllen nicht aus dem Kopf. Einer der vier Engel aus der Fraktion ist gefallen, da er sich über den Himmelsfürst stellte, indem er Menschen erschaffen wollte. Der Höllenfürst und die vier Teufel entstanden. Die Engel aber wurden von den Himmelsfürst geschaffen. Ist es dadurch nicht möglich, dass der Himmels- und Höllenfürst dieselben Geschöpfe sind?"
Mutter Natur weitete entsetzt die Augen, als hätte Justin etwas Verbotenes gesagt. Die Stimmung kippte in eine unangenehme Atmosphäre und augenblicklich klopfte es an der Seitentür. "Stell den Himmelsfürst nicht zu sehr in frage." hauchte Mutter Natur ängstlich und die Tür öffnete sich.
Die drei Engel der Fraktion betraten den Raum.
"Der Himmelsfürst erbittet euch alle bei sich!" Der Tonfall war streng und deutlich. Mutter Natur zitterte und folgte dem Tod. Seine Gehilfen liefen hinter ihm. Zu viert folgten sie den Engel durch die Tür zum Himmelsfürst.
"Willkommen zurück, Mutter Natur und Gevatter Tod. Euch heiße ich auch willkommen, Gina und ganz besonders Justin." Er sprach wie jemand, der die Zähne zusammen biss. Justin fühlte sich eindringlich beobachtet. Die Vier blieben alle dicht zusammen.
"Ihr seht aus wie eine Familie." merkte der Himmelsfürst an und hinter dieser Anmerkung verbarg sich etwas Finsteres. Justin spürte die Präsenz des Himmelsfürst näher an sich kommen. "Ich bin überall. Ich sehe und höre alles. Ist dir die Fürstenlästerung ein Begriff?" Justin schaute zu dem Licht. "Sind Sie dann auch in der Hölle?"
Justins Gegenfrage ließ den Zorn des Himmels größer werden. "Ich erinnere mich, wie du als Lehrjunge vor mir standest. Ich habe dem Tod deine Seele überlassen. Hätte ich aus dir nur einen kleinen Engel gemacht! Wenn ich dich ansehe merke ich, dass es eine gute Entscheidung war, dich arroganten Sensenmann im Bauch deiner Mutter verrecken zu lassen! Ohne mich wärst du auch nur ein behindertes Kind geworden!" Die düsteren Worte ließen Justin zurücktreten. Er schluckte die harten Sätze. "Nein, wegen Ihnen wäre ich ein behindertes Kind geworden. Sie haben die Kontrolle über die Schicksale. Und selbst wenn ich ein kleiner Engel geworden wäre, dann wäre es so gewesen.", Er verschränkte die Arme. "Meine Frage haben Sie immer noch nicht beantwortet. Sie reden sich nur raus." merkte Justin gestochen scharf an und der Himmelsfürst kicherte. "Ja, der Höllenfürst und ich sind ein und dasselbe Geschöpf."
Der Himmelsfürst blickte zu Gevatter Tod. "Vielen Dank, dass du dir immer die Mühe gemacht hast, die Seelen in das entsprechende Reich zu geleiten, obwohl sie bei ein und derselben Gestalt landen." Der Sensenmannstellte sich zu Justin. "Nein, ich sehe einen Sinn in meiner Aufgabe. Ich kann und werde nicht zulassen, dass unschuldige Seelen in der Hölle gefoltert werden!" Er legte die Knochenhand auf Justins Schulter und sah zu Gina, die sich rechts von ihn stellte. Fragend sah Justin in den Raum. "Eines ist mir nicht klar... Wenn der Himmel keine menschlichen Hüllen erschaffen kann, warum sehen die Engel wie Menschen aus?"
"Es ist nur eine Maske, um friedvoll auszusehen. Würden die Menschen ihre wahre Gestalt sehen, wären sie erschrocken darüber." Der Himmel schmunzelte und augenblicklich schwand die menschliche Erscheinung der Engel.
Die Verwalter-Engel verloren ihre Gliedmaßen. Ihren Stümpfen entwuchsen große Flügel, sechs an der Zahl. Nur ihr Gesicht war als Mensch zu erkennen.
Die Propheten-Engel gaben ihren ganzen Körper auf. Nur ein großes Auge verblieb. Dieses entfaltete zehn große Flügel um sich herum.
Die Engel der Fraktion wurden zu einem riesigen Auge. Ringe umkreisten dieses und überall auf den Ringen sammelten sich weitere Augen an. Sie sahen in alle Richtungen. Rechts und links breiteten sich große Flügel aus.
Die Schutzengel wirkten am menschlichsten, würden sich auf ihren Hinterköpfen nicht die Kreaturen der Hölle regen.
"All diese Geschöpfe habe ich nach meinem Ebenbild geformt." Der Himmelsfürst sprach stolz empor und zeigte sich in all seiner Abscheulichkeit. Gevatter Tod stellte sich schützend vor seine Gehilfen, zog sie zu sich und ersparte ihnen den unvorstellbaren Anblick.
Mutter Natur stand angewurzelt vor dem Himmelsfürst, der sich in seiner wahren Gestalt zeigte. Sie schaute ohne einmal die Augen zu schließen auf dieses verstörende Wesen.
Eine große, fleischige Masse mit deformierten Körperteilen, Gesichtszügen und Augen, die alles sahen. Auf der knubbeligen Haut entwuchsen die Fratzen der vier Tiere, die die vier Teufel repräsentierten. Diese Tiere waren nicht als solche zu erkennen gewesen. Riesige Mäuler mit schiefen Zähnen, zuckende Spinnenbeine, verformte Fledermausflügel und stechendes Haar. Eine grausige Wolfsgestalt bewegte die Klauen, als würde sie ihre Beute erlegen wollen. Gehindert an der Jagd wurde der Wolf dadurch, dass sein unterer Leib mit dem Fleisch des Himmels verbunden war. Mutter Natur bewegte sich langsam auf den Himmelsfürst zu. Ihre Hand zitterte, als sie diese nach den Körper ausstreckte und über die knubbelige, feuchte Haut und der schwarzen Materie strich.
"Du bist groß geworden." hauchte sie und senkte den Kopf, wobei sie die Hand zurück zog.
"Ich bin nicht nur groß, ich bin allmächtig!" Mutter Natur ballte die Hände zu Fäusten. "Nein, das bist du nicht! Du kannst nur Seelen erschaffen, aber nicht die Welt, die ich kreiert habe. Ich bin allmächtig! Ich bin das Universum!"
Der fleischige Körper brodelte vor Wut. Schwarze und helle Nebelschwaden kreisten um ihn. "Ja, du hast das Konzept der Seele verstanden und den Himmel erschaffen, aber das macht dich nicht zum Herrscher über alles." Keine Sekunde wich Mutter Natur seinen Blicken aus. Der Himmelsfürst verdeckte seine Gestalt und erschien den Anwesenden wieder in einem hellen Licht. Gevatter Tod ließ von seinen Schützlingen ab und sie begaben sich in Mutter Naturs Nähe. "Und das, obwohl ich von dir abstamme!"
Mutter Natur senkte den Kopf und merkte die Blicke der Sensenmänner auf sich ruhen. "Damals war ich mir die Ausmaße deiner Existenz nicht bewusst. Es ist meiner Mutterliebe zu verdanken, dass dich der Schnitter nicht geholt hat..."