Freitagmorgen
Musuko fuhr Heather zu ihrem Arbeitsplatz. Sie parkten auf einem kleinen Parkplatz hinter dem Büro und liefen das kurze Stück. Heather zitterte und beim ausatmen bildete sich Nebel. Es war kühl und die leichte Schneeschicht wies auf Frost hin. Heather trug eine schwarze Mütze mit Dämonenbadge, die sie von Musuko bekommen hatte. Das Motiv verbarg sie, so gut sie konnte. Die Mütze versteckte zusätzlich ihre ungewaschenen Haare. Musuko neben ihr hatte sich einen schwarzen Mantel angezogen und war eingepackt mit Mütze, Schal und Handschuhe. Er fror noch mehr als Heather.
Heather öffnete die Bürotür und vernahm zwei Stimmen. Eine davon konnte sie Sarah zuordnen. "Wenn dir das nicht mehr gefällt, kannst du auch bei mir anfangen." Es war eine männliche, ältere Stimme. "Nein, danke. Ich übernehme den Laden hier irgendwann mal. Außerdem fange ich mit 37 nicht nochmal eine Lehre an, Onkelchen." entgegnete Sarah und Heather vernahm ein Seufzen ihres Gegenübers.
"Was mache ich da nur? Meine Tochter will den Beruf nicht ausüben, meine Söhne sind in die Großstädte gezogen. So endet ein Familiengeschäft. Wie bei meiner Bestatter Kollegin Fukkatsu. Vier Generationen und ihr Sohn macht auch etwas anderes." Musuko wurde hellhörig.
"Was ist mit mir?" fragte er nach und dicht gefolgt von Heather sah er zu Sarah und ihrem Onkel, die sich zu ihm umdrehten. Sarahs Onkel war in einem formellen Anzug gekleidet. Die Haare fielen ihm bereits kreisrund aus und waren ergraut.
"Ach, Herr Krachten! Ich wusste ich kenne die Stimme." entfuhr es Musuko und beide blickten sich an. Herr Krachten, der beide Hände hinter den Rücken verschränkte, reichte ihm eine Hand. "Was für ein Zufall." meinte er erfreut und irritiert sahen Sarah und Heather zu den beiden. "Ihr kennt euch?" hakte Sarah nach. Beide nickten.
"Er kennt meine Mutter durch das Bestattungsinstitut. Haben sich gelegentlich getroffen, um sich auszutauschen. Ich habe ihn dadurch auch ein paar Mal gesehen." erklärte Musuko, den Blick an Heather gerichtet.
"Wir kennen uns schon Ewigkeiten! Ich muss ja gestehen, dass ich sie immer attraktiv fand. Nur leider ist sie dann mit diesen Vollidioten Petri zusammen gekommen und ist von ihm schwanger geworden." Man merkte ihm einen gewissen Groll aufgrund der verflossenen Liebe an. Musuko unterdrückte sein peinliches Empfinden. "Lass das nicht Tantchen hören." mahnte Sarah und ihr Onkel nickte. "Ja, hast Recht. Na dann, ich habe alles. Grüß mir Shadia, Marvin."
"Musuko, aber ja mache ich." korrigierte Musuko und Herr Krachten war es unangenehmer als Musuko. Er verschwand aus dem Büro und die Drei waren ungestört. Sarah nahm einen letzten schluck aus ihrer Friday Loading Tasse, bevor sie diese wegstellte.
"Heather, was machst du denn hier?" hakte Sarah mit einem ermahnenden Ton nach und umarmte sie dabei. "Dir mitteilen, dass ich die nächste Woche komplett raus bin, aber stell dich drauf ein, dass ich noch länger ausfalle." murmelte Heather.
"Damit habe ich gerechnet. Das war übrigens mein anderer Onkel vom Krachten Bestattungsinstitut. Er hat hier Kuchen bestellt." erklärte Sarah ruhig und Heather nickte.
"Wovon hat er eigentlich geredet?" Heathers Stimme klang lasch.
"Ach, das Krachten Bestattungsinstitut gibt es schon seit Jahre siebenhundertwasauchimmer. Kommt nicht damit klar, dass das Familienunternehmen wohl in der letzten Generation geführt wird. Faselt bei Familienfeiern auch immer davon, dass so all die Familienbetriebe aussterben, weil die Nachfahren ihr Erbe nicht antreten." Laut seufzte sie und fasste sich an den Kopf. Musuko entfuhr ein Schmunzeln. "Bestattungsunternehmen und Bäckerei passt toll zusammen. Ihre Frau ist verstorben? Bestellen Sie gleich den Kuchen für die Trauerfeier nebenan! Fehlt nur noch ein Florist." scherzte Musuko und Sarah prustete fast laut los über diese makabren Witz, aber sie riss sich zusammen. Heather konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dafür schätzte sie ihn als Freund.
"Ich bin übrigens auch hier, um Kuchen zu bestellen. Ich muss mich immerhin um alles formelle kümmern. Zum Notar darf ich auch noch." Zu dritt setzten sie sich und Sarah nahm die Bestellung auf. "So, fertig." rief Sarah und Heather dankte. "Schreibst du mir eine Rechnung?" fragte sie leise, aber Sarahs Blick war verwundert. "Nein, nein. Dafür wirst du nicht zahlen. Das sponsert der Betrieb. Abgesprochen und genehmigt durch die stellvertretende Chefin Sarah Krachten, also mir." Ihre aufgedrehte Art brachte Heather zum kichern. Ihre Geste rührte sie.
"Danke. Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Sie hielt ihre Tränen zurück, aber Sarah sah es ihr an und reichte ihr ein Taschentuch. Dankend nahm Heather an, wischte die Tränen weg, die sie nicht aufhalten konnte und putzte sich die Nase.
"Ich gehe noch eine rauchen. Raucht dein Freund?" Sie zeigte mit der offenen Zigarettenschachtel zu Musuko, der kopfschüttelnd ablehnte. "Einmal und nie wieder. Man ganz davon ab, dass mich mein Freund schneller verlassen würde, als ich gucken könnte." Sarah steckte die Schachtel wieder ein, als es überraschend vom Heather kam: "Ich nehme eine."
Musuko und Sarah starrten Heather mit geweiteten Augen an. "Vergiss es. So fängt das an! Ich dachte auf der Beerdigung auch, ach eine Zigarette, passt schon. Denkste, 14 Jahre klebe ich schon am Nikotin. Ich bin die Letzte, die dir eine geben würde. Pass auf sie auf, dass sie nicht anfängt, Musuko, richtig?"
Er nickte. "Werde ich. Sie kommt sowieso nicht mehr in meine Wohnung, wenn sie nach Rauch stinkt. Mein Freund ist hochsensibel. Der riecht das, wenn sie die Wohnung betritt noch hinter verschlossener Tür." Musuko lächelte.
"Sehr gut!" meinte Sarah zufrieden und zu dritt verließen sie das Büro, damit Sarah in Ruhe rauchen konnte. Musuko stellte sich zwei Schritte weiter weg. Als sie ihre Zigarette im Aschenbecher ausgedrückt hatte, umarmte Sarah Heather zum Abschied. "Bis dahin alles Gute." Heather erwiderte die Umarmung und begab sich danach mit Musuko zum Auto, der auffällig an seinen Kleidern roch. "Mikel wird es riechen, ganz bestimmt." murmelte er zähneknirschend und schloss das Auto auf. Vor der Wohnungstür ermutigte Heather Musuko.
"Er wird das nicht riechen können." Musuko hingegen war nicht überzeugt. Beim betreten der Wohnung linste Mikel aus der Küche. Sein Blick verengte sich und er kam näher.
"Ihr stinkt. Ich wasche eure Jacken. Und geht bitte duschen. Ich möchte später nicht das ganze Wohnzimmer lüften müssen." Beide konnten keine Widerworte leisten und ihnen wurden ihre Jacken nach ihrer Erlaubnis abgenommen. "Aber ich glaube duschen ist nicht verkehrt." murmelte Heather und nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen den Fingern. Musuko überließ ihr den Vortritt und stellte sich an den Küchenrand. Mikel war fokussiert dabei, die Schnitzel aus Tofu goldbraun zu braten. "Komm mir nicht nahe, dein Haar stinkt noch nach Rauch." Instinktiv roch Musuko an einer schwarzen Haarsträhne. "Und sag nicht, ich übertreibe!" bat er ängstlich, aber Musuko sah ihn nur fragend an.
"Warum sollte ich? Ich habe dich doch nie für etwas lächerlich gemacht." erinnerte Musuko und Mikel gab ihn recht. "Ja. Ich bin es nur gewohnt, weiß du? Meine Eltern, Lehrer, Freunde."
"Weiß ich doch. Kann es sein, dass deine Angststörung wieder stärker wird?" hakte Musuko direkt nach und Mikel nickte. "Ich habe heute einen Termin bei meiner Psychologin." Er rührte die Soße an und griff dann nach einem Samtball, um sich zu beruhigen. Heather wurde fertig mit duschen. Ihre Haaren waren in einem Handtuch gewickelt. In der Hand hielt sie einen Fön.
"Ich föhn mir die Haare im Wohnzimmer, dann kannst du auch schon duschen gehen. Ist es okay, wenn ihr die Kleidung mit wascht?" erkundigte sie sich und beide nickten.
"Darf ich bei deiner Kleidung auch beigehen, wenn ich sie zusammenlege? Muss etwas gesondert gewaschen werden?" hakte Mikel nach und Heather sah ihn einen Moment ratlos an. "Da ist nichts besonderes zwischen und natürlich kannst du die Kleidung anfassen." antwortete sie dann munter und lief in das Wohnzimmer.
"Machst du bitte die Tür zu, während du föhnst?" bat Musuko, der Heather hinterherrief und ohne Widerworte ertönte nur das Geräusch einer verschlossenen Tür.
"Danke." flüsterte Mikel und piekste in eine der Kartoffeln, um zu prüfen ob diese bereits gar war. Musuko lächelte und begab sich in das Badezimmer. Nachdem Musuko seine Haare geföhnt hatte gab es Mittagessen und sie setzten sich an den Küchentisch. Mikel hatte mehr gekocht aufgrund von Heathers Anwesenheit. Sie aß lediglich ein Tofu-Schnitzel und vier Kartoffeln mit Soße. "Die Marinade ist gut." lobte Heather und Mikel dankte ihr. Musuko war froh, dass Heather überhaupt etwas zu sich nahm. Die Reste stellte Mikel in den Kühlschrank und Musuko räumte die Küche auf. Mikel begab sich zu seiner Therapiestunde und Musuko gesellte sich zu Heather. Sie lag auf der Couch und hatte sich eine Sendung im TV angemacht, die sie nicht wirklich verfolgte.
"Musst du noch ins Studio?" erkundigte sie sich und Musuko nickte. "Ja, um 15 Uhr sind zwei Termine. Zwei Freundinnen. Die eine möchte ein Axolotl als Tattoo und die andere eine Sensenmannente. Muss auch nicht mehr viel vorbereiten. Ich geh nachher rechtzeitig runter." Heather schmunzelte.
"Sowas stichst du auch?"
"Jaa, gelegentlich sind es auch mal keine Gruselkreaturen. Nicht oft, aber mache ich." Musuko genoss jeden Augenblick, in der er Heather lächeln sah. "Ach, wenn Mikel nachher zurückkommt, sprich ihn bitte nicht an. Er ist nach Therapiestunden immer ausgelaugt und braucht seinen Raum für sich." Heather verstand.
Mikel kehrte heim, kurz nachdem Musuko ins Studio hinuntergelaufen war. Heather sprach ihn nicht an und vegetierte auf dem Sofa. Sie dachte an das, was sie die Tage erledigen musste und fühlte sich davon überfahren. Sie erledigte formelle Angelegenheiten zeitig, doch hier prokrastinierte sie, denn es erinnerte sie immer mehr daran, dass ihr Bruder tot ist.
Am Samstag wurde Musuko in der früh von seiner Mutter angerufen. Verschlafen ging er an sein Handy. Heather schlief noch.
"Morgen, Mom. Was gibt's?" nuschelte er und Shadia entgegnete: "Ist Heather wach? Die Todesanzeige steht in der Zeitung und nicht nur eine. Ich bewahre euch die Zeitung auf."
"Ne pennt. Danke. Sag ich ihr. Ach soll von Krachten grüßen." murmelte er und kniff die Augen zu.
"Tomas? Wie erfreulich. Danke." Im Gegensatz zu Musuko war Shadia munter.
"Hat mich Marvin genannt." Shadia seufzte. "Typisch Tomas. Schon damals als ich dich auf die Welt gebracht habe, dachte er, du heißt Marvin. Naja, Tollpatschigkeit liegt bei den Krachtens in der Familie." Er hörte Shadia schmunzeln.
"Er hat auch wieder davon gesprochen, wie attraktiv er dich fand." Musuko wurde munterer und um Heather nicht zu wecken lief er in die Küche. Er stellte das Telefonat auf laut. "Es schmeichelt mir nach wie vor." entgegnete Shadia und Musuko fragte unbedacht: "Mochtest du ihn damals auch?" Er gähnte und griff nach einer Schüssel. Seine Mutter sagte erst nichts. "N-naja als junge Frau Mitte 20 haben wir uns ein paar Mal getroffen. Ich glaube er hatte wirklich Hoffnung und auch meine Tante war von ihm begeistert. Dann habe ich aber deinen Vater kennengelernt und mich für ihn entschieden." erzählte Shadia peinlich berührt und Musuko füllte sich Cornflakes mit Mandelmilch auf.
"War es eine dumme Entscheidung?" hakte Musuko nach und von seiner Mutter hörte er keine Antwort. Nach einer Weile antwortete Shadia: "Überstürzt. Ich kannte Tomas, er hatte immer auf einen Anruf von mir gewartet, aber als mir langsam bewusst wurde, wie Petri wirklich ist, war ich schon von ihm schwanger." Musuko setzte sich an den Küchentisch und aß nebenbei seine Cornflakes. "Ist okay, Mom. Wir wissen beide was Petri für ein fauler Sack und Fremdgeher war." meinte Musuko unberührt. "Ich meine ohne den Penner wäre ich nicht die Person, die ich heute bin. Wärst du von Tomas schwanger geworden, wäre ich ja das tollpatschige Kind zweier Bestatter." Diese Worte aus den Mund ihres Sohnes zu hören munterte Shadia auf.
"Zum Glück hast du aber auch mehr von mir geerbt als von Petri." Beide lachten, als Shadia ihrem Sohn gegenüber anfing, Anekdoten zu erzählen. "Damals war ich richtig begeistert, als ich ihn besuchen kam und er erzählte, er hätte extra aufgeräumt. Mir ist erst im nachhinein klar geworden, dass er sonst nur selten aufräumte und einen guten Eindruck hinterlassen wollte, wie dämlich von mir! Er ist dann ja zu mir gezogen und rate mal, wer sich hauptsächlich um den Haushalt kümmern durfte?"
"Du?"
"Ja! Ich habe ihn morgens gesagt, er soll den Müll rausbringen, abends war der Müll immer noch da. Besonders als er arbeitslos war, war es am schlimmsten! Er war nur zuhause und trotzdem durfte ich nach der Arbeit putzen! Selbst als ich hochschwanger war, durfte ich kochen, einkaufen gehen. Ein wunder, dass ich dich nicht vor der Fleischtheke bekommen habe." erzählte sie impulsiv. "Einmal frisches Baby für drei Kilo zu kaufen. Es ist noch blutig! Plazenta jetzt im Sonderangebot." scherzte Musuko und brach in Gelächter aus. "Musuko!" rief Shadia und beide fingen laut zu lachen an.
Dies weckte Heather, die in die Küche gelaufen kam. Musuko entschuldigte sich umgehend, dass er sie geweckt hatte, als Shadia fragte: "Ist Heather da? Gibt's du sie mir kurz?"
Heather war irritiert, als Shadia ihr berichtete. "Ich habe Musuko schon von der Todesanzeige deines Bruders erzählt. Ich lege die Zeitung zur Seite. Übrigens war ich gestern mit seiner Versorgung beschäftigt. Möchtest du ihn noch einmal sehen und Abschied nehmen?" Heather brauchte Zeit, um die Worte zu realisieren. "J-ja, bitte. Danke." Sie gab Musuko wieder das Handy und lief ins Bad. Von dort hörte Musuko sie weinen.
"Mom? Ich lege auf, wir kommen später um 13 Uhr vorbei." Er ließ das Handy liegen und folgte Heather ins Badezimmer. Sie hatte die Tür offen gelassen und Musuko zog sie an sich. "Ich weiß nicht, ob ich das kann." schluchzte Heather, während Musuko erwiderte: "Wir gehen da zusammen hin, du musst da nicht alleine durch." Er ließ sie weinen, bis die letzten Tränen vergossen waren und ließ sie sich dann in ruhe umziehen. Die Cornflakes waren mittlerweile durchgeweicht und ungenießbar geworden. Trotzdem zwang Musuko sich diese hinunter. Heather aß nichts.
"Ich habe mal fünf Stunden geschlafen." merkte sie an. "Das ist doch gut." meinte Musuko und stellte die Schüssel in den Geschirrspüler. Er zog sich um und beide begaben sich auf den Weg zum Fukkatsu Bestattungsunternehmen.