Ein ungewöhnlich ruhiges Gefühl umfing ihn und er stand in einem Raum. Er sah helles Licht, aber nicht den Himmelsfürst und den Tod. Eine Stimme ertönte. "Viktorius von Eden.", Verwundert blickte er um sich. "Ich bin der Himmelsfürst und Sie stehen vor dem jüngsten Gericht. Warum haben Sie selbst über Ihren Todeszeitpunkt bestimmt?" fragte dieser, die Engel flogen um den Himmelsfürst in ihrer Spektralform, einem hellen Licht und lauschten dem Gespräch. Viktorius sah diese ebenfalls nicht und hörte der Stimme zu.
"Warum? Weil das Leben grausam war! Es hat mir nichts geboten, mich immer nur mit Füßen getreten. Warum sollte ich dann noch leben?" antwortete er ruhig und der Himmelsfürst hörte ihn an.
"Jede Seele trägt ein Laster. Einige Laster wiegen mehr, doch sie sind unausweichlich für die Prüfung." "Prüfung?" fragte Viktorius ungläubig. "Ist das Leben nur ein Test?" hakte er nach und der Himmelsfürst stockte. "Eine Prüfung um zu sehen, ob ihr Menschen meinen Himmel würdig seid." gab er schließlich kund und Viktorius hob die Augenbraue. "Das Leben ist ein Geschenk, ihr sollt es nicht einfach wegwerfen. Ihr Leben hätte Ihnen noch viel Gutes beschert." fuhr der Himmelsfürst fort und Viktorius glaubte nicht an seine Aussage.
"27 Jahre meines Lebens waren die Hölle auf Erden. Wie soll ich da noch an Besserung glauben? Woher soll ich das wissen?" Kritisch musterte er seine Umgebung. "Es steht in Ihrem Schicksalsbuch, welches ich Ihnen zu Lebtagen nicht offen legen kann." antwortete der Himmel und Viktorius glaubte nicht, was er da hörte. Es versetzte ihn in Auffuhr und er fühlte sich, als würde der Himmelsfürst seine Aussagen umgehen.
"Schön, dass Sie das wissen, es bringt nur mir in meinem Leben nichts, weder Hoffnung noch Mut. Und was soll das heißen, Schicksalsbuch? Sind die Leben der Menschen wirklich vorbestimmt? Ich dachte, wir hätten einen freien Willen! Das ist nicht gerecht! Wozu gebt Ihr uns einen freien Willen, wenn Ihr unser Leben bestimmt? Dann sind all unsere Taten nichtig! Wir sind nur Ihre Marionetten!" Seine Stimme wurde lauter und er fühlte sich durch diese Begegnung mit seiner Weltansicht bestätigt. Der Himmelsfürst versuchte ruhig zu bleiben.
"Ich merke, Sie haben viele Fragen. Ich kann Ihnen nicht alle Geheimnisse offenbaren. Dieses Wissen wäre für einen Menschen nicht tragbar. Ich gebe Ihnen vor diesem jüngsten Gericht die Chance, sich mir zu offenbaren. Ich möchte Ihrer Seele, die sich selbst ihr Todeszeitpunkt setzte, trotzdem eine Chance geben, in den Himmel geleitet zu werden." Der Himmelsfürst nahm Rücksicht auf Viktorius, dass diese Situation zu viel für ihn sei und deshalb die Emotionen schwer zu kontrollieren waren. "Sie sind immerhin eines meiner Geschöpfe. Ich liebe alle meine Seelen." Barmherzig wartete der Himmelsfürst auf eine Antwort von Viktorius. Dieser konnte sich mit der scheinheiligen Welt des Himmels nicht anfreunden.
"Wenn Sie alle Seelen lieben würden, würden Sie ihnen nicht solch grausamen Dinge antun. Sie sind wie meine Eltern. Sie sollten mich eigentlich lieben, aber sie tun es nicht. Diese ganze Welt ist Heuchlerei! Es wird von einem freien Willen gepredigt, der nicht existiert. All die Prediger sind wohl auch nur ihre Handlanger. Sie schreiben etwas in Ihre Schicksalsbücher, wie es Ihnen gerade passt. Ist das jetzt auch mein freier Wille oder nur etwas vorbestimmtes in Ihren Buch? Sind Sie deshalb wegen meinen Suizid so aufgebracht? Weil es jetzt nicht mehr nach Ihnen läuft! Ich sage Ihnen, es werden weitere wie mich geben, die Ihren Schicksalsbüchern einen Strich durch die Rechnung machen!" Er gestikulierte mit den Händen, wurde laut und mies gestimmt. Der Himmelsfürst war ein friedliches Wesen, doch Viktorius Worte ließen Zorn in ihn aufkeimen.
"Viktorius von Eden, Sie wissen nichts über das Universum und seine Regeln! Sie unterstellen mir Dinge, zu die der Höllenfürst in der Lage wäre, nicht ich! Warum sollte ich meinen Seelen, meine stolzeste Schöpfung, misshandeln? Ich bin gütig und erweise Ihnen eine zweite Chance, trotz Ihres Vergehens." Der Himmelsfürst konnte sich dank der Engel beherrschen, aber seine Geduld näherte sich dem Ende. "Vergehen? Wenn Sie Ihre Geschöpfe lieben und Ihnen diese grausamen Dinge nicht antun, warum wird der Selbstmord, mein freier Wille, als Vergehen geachtet, wenn ich den Suizid, die Flucht zum gütigen Himmelsfürst, als letzte Möglichkeit sah, dem grauen zu entkommen?" hinterfragte Viktorius skeptisch weiter und der Himmelsfürst verstummte. Dies gab Viktorius die Bestätigung zu seiner Aussage, doch der Himmelsfürst fuhr die Diskussion weiter fort. "Ihr Vergehen sorgt nicht nur hier für Furore sondern auch im Totenreich. Erzähl mir, Tod, wie ist es Ihnen ergangen?"
Gevatter Tod wurde vom Himmel auserkoren, etwas beizutragen und seine Meinung kund zu geben. Bis jetzt stand er neutral zwischen beiden.
"Sein Tod kam überraschend, plötzlich. Es musste schnell gehen. Es bestand die Gefahr, seine Seele zu verlieren." antwortete er ruhig und der Himmelsfürst nutzte diese Antwort. "Hören Sie, Viktorius von Eden, Ihr Suizid hätte Sie Ihre Seele, Ihre Existenz kosten können. Deshalb ist es eine Sünde, den Freitod zu wählen!" erklärte der Himmel und Viktorius sah dem kritisch entgegen. "Die Wahrheit ist eine andere. Sie wollen nur Ihr Antlitz wahren. Sowohl die Welt der Lebenden, als auch diese ist grausam. Ich hatte immer noch gehofft, meine Existenz dient einem höheren Zweck, aber sie dient der höheren Macht nur dazu, als Belustigung zu existieren. In so einem Universum möchte ich nicht existieren. Der Himmel ist so falsch, dass es egal wäre, ob ich hierher oder in die Hölle kommen würde."
Mit dieser Aussage erzürnte er den Himmelsfürst komplett und auch die Engel in ihrer strahlenden Form konnten ihn nicht aufhalten.
"Sie wissen gar nichts! Ich werde Sie in die Hölle schicken, damit Sie spüren, wie grausam diese ist und wie gütig der Himmel ist! Ich gebe ungläubigen Seelen immer eine Chance, in den Himmel zu kommen. Trotz Ihres fehlenden Glaubens sind Sie trotzdem meine Kinder. Ich hätte Ihnen gerne, trotz des Freitod, den Zugang zum Himmel gewährt, aber das Gespräch hat mir gezeigt, dass Sie es nicht würdig sind." Viktorius spürte den Zorn vom Himmelsfürst und der Sensenmann bekam das schleichende Gefühl, dass es kein gutes Ende nimmt und schritt als neutraler Zuhörer ein.
"Er ist eine Seele und unterliegt aktuell meiner Obhut. Ich habe Ihn noch nicht richtig an einen Ort geleitet, er ist immer noch auf der Brücke, auch wenn wir uns aktuell im Himmel befinden." Der Tod stellte sich zwischen die Beiden, in der Hoffnung, die Gemüter zu besänftigen. Er wusste, dass beide sich nicht gut verstehen, Viktorius den Himmelsfürst als Lügner und Heuchler sah und dies den Himmel erzürnte. "Ich würde seine Seele nicht in die Hölle geleiten wollen. Er hat keine Sünden begangen, außer seinen Suizid. Ihn des Himmels zu verweisen, weil seine Weltansicht Sie beleidigt...", Nur der Himmel konnte die Worte des Todes hören und der Sensenmann wusste, was er sagen musste, um die Gunst des Himmels zu gewinnen. "Sie sagten selbst, er habe nicht das Wissen über das Universum. Sie wissen es, warum lassen Sie sich von Unwissen in himmelsunwürdigen Emotionen versetzen?" Es war das, was der Himmelsfürst hören wollte und es besänftigte ihn. Er schien nachzudenken und fasste dann seinen Entschluss.
"Das Urteil ist gefallen! Ich werde Sie, Viktorius von Eden, nicht in die Hölle geleiten lassen, aber sie sind auch nicht dem Himmel würdig, noch nicht. Sie werden in das Zwischenreich kommen, wie jeder Sünder, der eine zweite Chance verdient, hinkommt.", erklärte er und der Tod war etwas erleichtert.
"Jedoch! Sollten weitere Menschen Ihrem Beispiel folgen, Menschen die nicht böse waren und ebenfalls den Freitod wählen, werden diese nicht, wie ich es eigentlich geplant, vor dem jüngsten Gericht antreten, sondern in das Zwischenreich kommen und dort solange verweilen, bis ihre Strafe als abgesessen gilt! So soll es sein!" fuhr der Himmelsfürst fort und Viktorius empfand dies als ungerecht. "Aber all die anderen Menschen..." Der Himmelsfürst unterbrach ihn.
"Schweig! Selbst jetzt zollen Sie keine Dankbarkeit für meine Güte! Ich habe so entschieden, dank Ihrer Hilfe! Nun, Tod, geleite Ihn mit zu Ihrer Welt!"
Damit kehrte der Himmel Viktorius den Rücken und der Tod nahm sich ihn an, setzte seine Sense an und brachte die Seele in das Zwischenreich.
Der Sensenmann empfing Viktorius in seinem Raum, wo er alle empfing, die in das Zwischenreich kamen. "Willkommen, Viktorius von Eden." grüßte er ihn und beide standen sich gegenüber. "Eigentlich würde ich meinem Sensenmanngeist den nächsten Schritt überlassen, aber in Anbetracht der Umstände werde ich Ihnen alles erklären, was Sie wissen müssen." Viktorius sah nicht begeistert aus, aber er blieb ruhig.
"Sie sind im Zwischenreich und sind nun ein Todesgeist. Ihre Aufgabe wird es sein, sich um die Menschen zu kümmern, die bald sterben werden, indem Sie ihre Seelen geleiten. Es gibt noch viele weitere Aufgaben zu verrichten. Dies werden Sie in der Lehre lernen. Vorerst finden Sie sich in Ihrer Wohnung wieder, bevor mein Geistgehilfe Sie morgen zum Unterricht begleitet." Aufmerksam vernahm Viktorius seine Worte und senkte den Kopf.
"So habe ich mir das Leben nach dem Tod nicht vorgestellt."
Tiffany verbrachte ihre Zeit bei Berta, um die Trauer zu bewältigen.
"Mein Mann und ich haben noch alte Kinderbetten für das Kleine, wenn du möchtest. Wir helfen dir natürlich auch gerne, wenn du noch was brauchst." bot Berta lächelnd an und Tiffany war ihr für dieses Angebot dankbar. Die Anschaffungen wären für sie eine Herausforderung, von den Kosten und selber bauen konnte sie nicht. Sie war froh, dass sie jemanden wie Berta hatte. Alleine wäre es schwerer für sie geworden.
"Denkst du, es wird ein Junge oder Mädchen?" hinterfragte Tiffany schmunzelnd und lächelte wieder ein wenig. Sie streichelte ihren kleinen Babybauch. Berta zuckte mit den Schultern. "Vielleicht weiß ich es schon, möchte es aber nicht sagen." schmunzelte Berta und Tiffany fragte nicht weiter nach. "Wie würdest du es denn nennen wollen?" hakte Berta nach und stützte den Kopf an ihren Handballen ab. Tiffany musste erst eine kurze Zeit überlegen. "Wenn ich eine Tochter bekäme würde ich sie nach meiner verstorbenen Schwester benennen. Meine Eltern nannten sie Veronica...", Gedankenverloren dachte sie an ihre kleine Schwester, die nie leben durfte. "Und wenn ich einen Sohn bekäme... Mein Vater hat sich immer einen Enkelsohn gewünscht namens Richard. Es steht für Reichtum und Stärke und er sagte immer, dass seien die Eigenschaften eines adligen Mannes. Für ihn stand es für ein erfolgreiches Leben. Er hatte sich immer nur das Beste für meine Kinder gewünscht, sollte ich welche haben." Ihre Hand lag immer noch auf ihren Bauch.
"Ich finde beide Namen wundervoll. Veronica Dronner, Richard Dronner, ich finde sie passen zu deinem Glück, egal ob es nun ein Junge oder Mädchen wird."
Der Vorfall von Viktorius Suizid war noch lange Gesprächsthema bei den Dorfbewohnern. Sie lästerten viel über den Toten, waren aber auch fassungslos, dass seine Seele vor seinem Todeszeitpunkt vom Tod geholt wurde.
"Heißt das, wir alle können selbst entscheiden, wenn wir sterben wollen?"
"Ja, aber was passiert dann mit der Seele? Der Himmelsfürst wird sicher erzürnt werden."
Tiffany versuchte die Stimmen zu überhören und fühlte sich wie nach Thompsons Tod. Zu dem Zeitpunkt hatten die Bewohner sie auch oft angesprochen. Diesmal war es kein ansprechen, sondern ein starren. Man sah ihr langsam das Leben unter ihrem Herzen an und das war neues Brennholz für das schon lodernde Feuer der Lästerei.
Die Verkäuferin des kleinen Ladens konnte den Blick nicht von Tiffanys Bauch abwenden und langsam reichte es Tiffany. "Ja, so sieht eine schwangere Frau aus. Wollen Sie noch ein Porträt davon haben?" fragte sie nach, die Frau schüttelte den Kopf und nahm das Geld entgegen. Beim einpacken der Konserven fragte die Frau schließlich schnippisch: "Sie waren doch von Edens Freundin. Ist es sein Kind?" Tiffany stockte und antwortete nicht darauf. "Also ja. Und Sie sind unverheiratet? Tze." Sie hob das Kinn an und gab Tiffany ein verachtendes Gefühl. Das spürte sie und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. "Sind Sie immer so unfreundlich? Wenn ja, wundert es mich, dass Sie diesen Laden halten können." Ohne eines weiteren Blickes zu würdigen lief Tiffany aus dem Laden.
Auf dem Heimweg liefen fröhlich spielende Kinder an ihr vorbei, die ein ausgedachtes Lied sangen, aber der Inhalt ließ Tiffany zusammen zucken.
"Der Hängemann, der Hängemann. Er hängt an einem Seil, einem Seil. Er blickt von der Kirche auf uns herab, der Hängemann, der Hängemann. Niemand mochte ihn. Er war sowieso traurig, der Hängemann. Es ist nicht schlimm, dass er starb, der Hängemann. Er schaut von der Kirche auf uns herab. Der Hängemann, der Hängemann."
Augenblicklich hielt Tiffany die Kinder auf. "Wartet! Was singt ihr da?" fragte sie nervös nach und die zwei Kinder zuckten mit den Schultern. "Das Hängemannlied. Es geht um den Mann, der an der Kirche hing." erklärte der Junge und Tiffany flehte. "Bitte hört auf, es zu singen. Es ist ein ganz furchtbares Lied." Die Jungs sahen sich an. "Nein, es ist lustig und sie können uns nichts verbieten. Sie sind nicht meine Mama!" entgegneten sie bockig und ließen Tiffany fassungslos stehen. Sie fand es traurig, dass Viktorius selbst nach seinem Tode noch so geächtet wird.