Im Beisammensein ihrer Gefährten meditierte Mutter Natur in einer Waldlichtung. Tiefen Atemzüge frischer Waldluft erfüllte ihre Körper. Jedes Einatmen schenkte neue Kraft, jedes Ausatmen kehrte alte Last hinaus.
Mit einem Anliegen kehrte Gevatter Tod in den Garten Eden ein. Er spürte Mutter Naturs und die Anwesenheit ihrer Venefica. Mit Bedacht hielt er sich zurück. Mutter Natur spürte seine Aura mit jeder Faser ihres Körpers und es war, wie Gedanken lesen, denn sie sprach seine aus.
„Du störst in keinster Weise.“ Sagte sie mit ihrer sanften Stimme und gab dem Tod ein beruhigendes Gefühl.
Sie beendete die Meditation und klinkte sich aus. Ihre Venefica meditierten ohne sie weiter. Es war Mutter Natur ein wohltuender Anblick. Ohne Gewandung lief Mutter Natur neben Gevatter Tod und führte ihn zu ihrer gemeinsamen Lichtung. Es war ihr gemeinsamer Ort, an welchen sie ungestört sein konnten. Gevatter Tod entzog sich an diesem Ort ebenfalls seinem Gewand.
„Was führt dich zu mir?“ Mit ihrer Handfläche strich sie über das Gras.
„Es geht um Johannes Soroski. Der 11.11.1769 naht. Du weiß, er ist ein Halbblut.“ Fing Gevatter Tod zu erzählen an und Mutter Natur verstand bereits. „Er wurde von einer Menschenfrau geboren. Das Blut der Lebenden in ihn überwiegt.“
„Er zeigt bereits Anzeichen körperlicher Gebrechen der Menschen seines Alters. Es bereitet ihn Mühen, die Treppen zur Gilde hinaufzulaufen. Sein Klagen ist über Rückenschmerzen und Knieschmerzen. Ich möchte ihn das Schicksal, welches einst Niklas ereilte, ersparen. Wenn seine Zeit gekommen ist, soll sein Körper nicht über den Zenit gehen. Ihm soll Erlösung widerfahren.“ Er kniete sich zu Mutter Natur.
„Weiß er von seinem kommenden Ableben?“ Der Tod nickte.
„Bring ihn am Tage seines Todes zu mir. Ich werde ihn fragen, wie er fortan weiterleben möchte. Er wird kein Leid ertragen müssen.“
„Dies werde ich tun. So soll es sein.“ Gevatter Tod und Mutter Natur blickten sich an.
„Es werden immer weniger Todeswesen. Der einzige noch verbliebene der Gilde wird Henrik sein.“ Erwähnte der Sensenmann. Mutter Natur umfasste seinen Wangenknochen mit ihrer offenen Handfläche. „Solltest du Hilfe benötigen, teilst du mir dies bitte mit. Vergisst nicht, du bist der einzig wahre Tod.“ Grazil zog sie ihn zu sich, legte sich auf den Rasen nieder, der Knochenmann über ihren Leib gebeugt. Ihre Haut spürte seine Knochen auf sich. Obwohl der Tod kalt sein sollte, empfand sie nur wärme in dem Moment.
Die Hand lag auf seinem Schädel, sein linker Knochenarm umfasste ihre Schulter. Voller Glückseligkeit lagen sie aufeinander, Mutter Naturs Augen gen Himmel gerichtet. Seine Augenhöhlen starrend auf den Rasen.
„Kannst du sie spüren, deine Rippe in mir?“ Hauchte sie und er legte seinen Schädel unter ihren Busen, nahe des Bauches. Wie ein werdender Vater, der seinem Kind im Bauche seiner Mutter zuhört. Mit den Knochenfingern strich er über ihre Rippen.
„Ja, ich spüre sie, klar und deutlich.“
Friedlich lagen sie dort. Leben und Tod vereint.
Am Tage seines Todes wartete Johannes bereits auf den Sensenmann in der Gilde. Johannes Haar ergraute langsam und fing an, kreisrund auszufallen. Falten zeichneten sein Gesicht ab. Henrik wartete mit Johannes auf die Anwesenheit des Todes. Er hatte sich einen Wein eingeschenkt und Johannes gefragt, ob ihm ebenfalls nach einem war. Er hatte, anlässlich der Situation, zugesagt und sich einen kleinen Schluck genehmigt.
Der Sensenmann verließ den Raum des Todes und lief auf Johannes zu.
„Guten Tag. Magst du mir folgen?“ Er reichte ihm die Hand und bevor Johannes diese entgegennahm, verabschiedete er sich ein letztes Mal von Henrik.
„Lass dir das mit der Gilde nicht zu Kopf steigen, haha.“ Henrik rollte mit den Augen und hob das Weinglas. „Ich doch nicht.“
Johannes folgte dem Tod zu Mutter Natur, die auf der Lichtung bereits auf sie gewartet hatte. Sie grüßte Johannes herzlich und bat ihn, sich hinzusetzen. Sie kam direkt auf die Thematik zu sprechen.
„Johannes Soroski, wie du weiß, naht dein Todesdatum. Du bist ein Halbblut. Wir möchten dir die Entscheidung überlassen. Möchtest du nach deinem Tode im Garten Eden oder als Todesengel weiterleben?“ Johannes musste unweigerlich an Niklas denken. Er war froh, dass es ihm erspart geblieben ist, bei Bewusstsein zu verwesen. Im Gegensatz zu Niklas brauchte Johannes ein wenig mehr Bedenkzeit, bevor er sich entschied und seine Seele zum Todeszeitpunkt vom Tod geleitet werden konnte.
Sarah leckte genüsslich den Löffel mit Vanillepudding ab. „Kaum zu glauben, dass es die Bäckerei nur wegen Pudding gab.“ Murmelte sie und verließ ihr kleines eigenes Paradies, um einen Spaziergang im Garten Eden zu tätigen. Jedes Mal verlor sie die Zeit darüber, wie lange sie bereits unterwegs war. An einem Baum hielt sie an und sah über die weite Landschaft
„Es ist schön hier nicht?“
„Ahh!“ Sarah sprang erschrocken zur Seite, als sie Johannes Stimme hörte und kurz darauf sah, wie er sich kopfüber vom dicken Ast hängte.
„Was machst du im Garten Eden?“ Sie hielt inne. „Irgendwas ist anders an dir.“ Stellte sie dann fest und musterte ihn. Johannes sprang vom Ast hinunter zu ihr und stand vor ihr. „Ich bin kein Halbblut mehr.“
„Du bist kein Halbblut mehr?“
Johannes nickte. „Ich bin, eher meine Hülle, hatte ihr Ablaufdatum erreicht und ich wurde gefragt, wie ich fortan weiter leben möchte. Ich hatte die Wahl. Todesengel oder Geist im Garten Eden. Ich entschied mich für zweiteres.“ Auf seinen Lippen lag ein freches Grinsen und Sarah versuchte ihm zu folgen, so gut sie konnte.
„Ich denke, ich verstehe.“ Sie senkte den Kopf, aber Johannes ausgelassenen Worte ließen sie ihre Aufmerksamkeit direkt wieder ihm zu teil werden.
„Wie gefalle ich dir jetzt so, als Vollblutgeist?“ Neckte er und Sarah boxte ihn leicht gegen den Arm. „Musst du darauf noch rumreiten?“ Murrte sie, aber konnte ein Lachen nicht verbergen. „Du hast mir schon vorher gefallen.“ Murmelte sie zerknirscht vor sich hin, aber Johannes verstand jedes Wort. Er kam ihr auffällig näher.
„Ähm, warst du schon bei deinen Eltern?“ Versuchte Sarah das Thema abzulenken. „Na klar.“ Mittlerweile hatte er Sarah gegen den Baum gedrängt. „Aber du hast dich nicht wegen mir für den Garten Eden entschieden, oder?“
„Vielleicht, doch ein bisschen.“ Meinte er schulterzuckend und grinste schelmisch. Sarah musste sich eingestehen, dass sie sich dem nicht entziehen konnte. „D-das hättest du echt nicht tun mü-“, ohne Vorwarnung verfing Johannes sie in einen Kuss.
Verwirrt sah Sarah ihn an. „W-was ist los mit dir? Du überraschst mich. Schwirrt dir das nicht mehr im Hinterkopf rum, was ich dir einst gesagt habe?“
„Schon, aber ich reite da nicht mehr drauf rum. Sie werden nie komplett vergessen sein, aber sie haben schon lange keine Macht mehr wie einst.“ Er legte die Arme um sie und küsste sie erneut.
„Du solltest auch nicht mehr zu viel darüber nachdenken. Dass du es tust, zeigt mir, dass es dir nicht egal ist. Das bedeutet mir was.“ Er blickte sie an und seine Worte gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie halfen ihr, sich ein Stück mehr zu verzeihen. „Reite lieber auf anderen Dingen rum.“ Schmunzelte er neckisch und entlockte Sarah ein freches Grinsen. „Mit Vergnügen.“