Das neue Jahr begann mit einer Katastrophe. Ländlich gelegen hatte sich ein Tornado gebildet. Obwohl der Tornado entfernt von einer größeren Menschenmenge war, zog er sechs Tote mit sich. Felicia und Cedric standen mitten im Tornado, welcher keine Auswirkungen auf sie hatte. Sie geleiteten die Seelen zwei junger Männer, die den Tornado filmen wollten, die Gefahr aber unterschätzten. Beide geleiteten die Seelen in den Himmel.
Ihr Sohn war ebenfalls in der Nähe und geleitete mit drei weiteren Todeswesen die vierköpfige Familie, die auf dem Bauernhof gelebt hatte und dem Tornado zum Opfer fiel. Frederic geleitete die Mutter und führte sie in den Himmel. Das Geleiten aller Seelen lief ruhig ab.
Der weiße Sensenmann war für das Geleit der Hoftiere zuständig, die dem Tornado ebenfalls zum Opfer fielen. Nach dieser ehrvollen Aufgabe, kehrte sie zu Mutter Natur zurück und wie sie es bereits erwartet hatte, ging es ihr emotional nicht gut. Sie wirkte durch den Wind und fing zu hyperventilieren an. Augenblicklich ergriff der weiße Tod Mutter Naturs Hände.
"Atmen wir gemeinsam." sagte sie ruhig und ihre Erschafferin nickte. Nach einigen Minuten war sie wieder mehr bei sinnen, bis sie schluckte und anfing, bittere Tränen zu weinen. "Ich weiß nicht mehr, wie ich das alles schaffen soll!" schluchzte sie und ihr Gehilfe zog sie an sich. "Es ist so viel und nimmt kein Ende. Ich.. Ich will doch nur wieder zu meinen Venefica, den Garten Eden." flehte sie und Mutter Natur in diesem gebrochenen Zustand zu sehen, erschrak sogar den weißen Sensenmann. Zeit verstrich, in der Mutter Natur weinend in den armen ihres Gehilfen lag, bis sie die Tränen mit dem Ärmel wegwischte. "Wir müssen weiter machen."
Juliette weinte Tränen, als Shadia zur Abholung kam. Ihre Mutter war friedlich mit einem Lächeln im Gesicht verstorben. Shadia senkte den Kopf, als sie ihre jahrelange Freundin tot im Bett liegen sah, verrichtete aber stumm ihre Aufgabe. Genau wie bei anderen Angehörigen oder Bekannten schaltete sie in den Autopilot und erledigte nur ihre Arbeit. Ihr Sohn war genauso. Bei der letzten Abholung war er dabei, als sie seine ehemalige Lehrerin Frau Ricords versorgten und es hatte ihn ebenfalls unberührt gelassen. Seine ehemalige Lehrerin war nach ihrer Todgeburt in eine Psychiatrie eingewiesen worden, aus welcher sie nach einiger Zeit wieder entlassen wurde. Ihr Leben war nach dem Tod nicht mehr dasselbe und nach der Entlassung wurde bei ihr Krebs diagnostiziert, welchem sie auch erlag.
Justinas Körper wurde in dem Sarg in den Bestatterwagen gebracht und Shadia wechselte ein paar letzte Worte mit Juliette, die im Wohnzimmer ihrer Mutter saß. Seit wenigen Jahren war Juliette Pastorin und ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass sie ihre Reden bewundert. Worte, die sie immer mit Stolz erfüllt hatten. "Ich werde Mutters Arbeit fortführen. Ich bin mir sicher, sie ist glücklich darüber, beim Himmelsfürst sein zu dürfen."
Justinas Seele stand in einem großen, hellen Raum. Sie wusste, dass sie im Himmel war, aber nicht, wo sie nun war. Plötzlich erhörte sie eine Stimme. "Herzlich Willkommen, Justina Kreuzberg. Sie kennen mich als Himmelsfürst und haben Jahrzehnte meine Worte an die Menschen weitergegeben. Dafür danke ich Ihnen zutiefst." erzählte er sanft und Justina war voller Stolz, ihren gelobten Himmelsfürst vor sich zu haben. Sie verneigte sich und dankte. Der Himmelsfürst sprach ruhig mit ihr und verabschiedete sich von ihr. Daraufhin traf Justina ihren geliebten Gatten wieder und wusste, dass das, woran sie jahrelang geglaubt hatte, richtig war.
Justinas Beisetzung führte mehrere Menschen in die Kirche. Viele Menschen, die ihre Reden kannten. Juliette saß in der vordersten Reihe, hinter ihr hatten sich weitere Personen aus der Kirchengemeinde eingefunden. Heather, Damian und Musuko hatten sich getroffen, um zusammen zu sitzen. Das Reden übernahm ein anderer Pastor aus der Gemeinde und Shadia ging ihrer Berufung als Bestatterin nach. Sie wusste, Justina hätte es so gewollt. Während die Urne beigesetzt wurde, herrschte ein ruhiger Wind und Juliette hatte das Gefühl, ihre Mutter und Engel wären in der Nähe. Für sie war es ein ehrwürdiger Abschied von ihrer Mutter gewesen.
Die Zeit zog ins Land und Juliette sprach leidenschaftlich die Reden in der Kirche. Im Hinterkopf hatte sie immer die Worte ihrer Mutter und die von Heather, die sie immer aufgebaut haben, indem sie sagten, dass ihre Reden wundervoll seien. Regelmäßig besuchte sie ihr Grab und hatte immer das Gefühl, ihre Anwesenheit zu spüren.
"Und dann hat sie mich mit der Begründung, sie möge keine roten Haare abblitzen lassen." erzählte Johannes schmunzelnd und lehnte sich an den Grabstein seiner Mutter. "Nein, wie gemein. Dabei sind rote Haare so schön." entgegnete Jorina lachend, die sich zu ihm gesellt hatte. Auf ihrem Grab lagen frische, orangene Blumen, die Johannes besorgt hatte. Ein wenig entfernt stand ein Engel, der auf Jorina achtete. Mutter und Sohn lehnten sich beide an den Grabstein, für Menschen waren sie unsichtbar.
"Vater kommt die Tage auch noch vorbei." erwähnte Johannes und Jorina lächelte. "So wie immer, ich kenne ihn."
Beide hatten die Beine angewinkelt. "Wie geht es dir in der Gilde und Totenwelt?" fragte sie behutsam nach. "Ganz gut. Jetzt brauchte ich mal wieder eine Auszeit, aber gelegentlich vergesse ich selbst, dass ich ja ein Halbblut bin. Ich werde dort gut aufgenommen. Letztens war ich mit Henriks Tochter einen trinken." erzählte er munter und Jorina freute sich, dass es ihm gut mit den Umständen ging. "Ich bin stolz auf dich und das, was du erreicht hast. Du hattest es auch nicht immer leicht mit deinem Schicksal, das man dir in die Wiege gelegt hat." meinte Jorina mit einem nachdenklichen Blick. Dabei dachte sie auch an ihr Leben, welches nicht immer gut zu ihr war. "Weiß du, ich hatte nicht viel. Ich hatte ein geringes Einkommen und eine kleine Wohnung, aber ich hatte dich." erwähnte Jorina mit einem stolzen Lächeln und zog Johannes zu sich. "Du bist mein wertvollster Besitz. Lass dich nicht unterkriegen." Bei diesen Worten umarmte Johannes seine Mutter von der Seite. "Ich werde dich nicht enttäuschen." versprach er und kehrte nach einer langen Verabschiedung zurück zur Gilde.
Johannes begegnete in der Gilde den Dronner-Zwillingen, die bei bester Laune und einem Glas Wein waren. "Hallo Johannes! Ich erzähl dir sofort, was ansteht!" grüßte Henrik munter und machte mit ihn die Übergabe. "Nachher wird einer verurteilt. Hier ist die Strafakte." erklärte Henrik und Johannes las von dem Seelengeleiter, der einen anderen Todesgeist verletzt hatte. "Danke.", sagte er ruhig und lief zu seinem Platz in der Gilde.
"Ich war eben bei Mutter, deshalb bin ich vielleicht noch nicht ganz da." erklärte Johannes und Henrik zeigte volles Verständnis dafür. "Ich bleibe sonst noch für einen Moment, wenn du möchtest." bot er seinen Gildenkollegen an, doch Johannes lehnte ab und daraufhin verabschiedeten sich die Brüder von ihm.
Cedric und Henrik liefen den dunklen Flur der Totenwelt entlang. "Was hältst du davon, wenn wir die Tage wieder unsere Eltern im Himmel besuchen?" überlegte Henrik und mit Cedric steuerte er das Büro von Felicia an. "Das könnten wir wirklich tun." antwortete Cedric und hatte keine Einwände. Er klopfte an Felicias Bürotür und betrat dieses. Felicias saß an ihrem Schreibtisch, neben ihr ein hoher Aktenstapel. Sie schrieb die Akte noch zu ende, legte die Feder zur Seite und Cedric beugte sich zu ihr runter, um ihr einen Kuss zu geben. "Habt ihr Wein getrunken?" hakte Felicia nach. Todeswesen waren gegen bestimmte Gerüche immun, aber Alkohol rochen sie. "Ja, aber nur ein Glas." meinte Cedric und Felicia seufzte. "Henrik, mach meinen Mann nicht zu einer Schnapsdrossel." ermahnte sie gestochen scharf und Henrik nickte nur. Cedric hatte sein Augenmerk auf was anderes gerichtet. "Felicia, du sollst doch die Akten nicht so hoch stapeln. Wehe, du möchtest die alle auf einmal tragen. Ich helfe dir." meinte er und selbst nach hundert Jahren hatte sich Felicia dies nicht abgewöhnen können. Cedric nahm die Hälfte des Stapels, doch bis zur Tür schaffte er es nicht mehr. Eine Akte rutschte hinunter und kurz darauf lagen alle auf dem Boden. Henrik lachte, Cedric war peinlich berührt und Felicias Überraschheit wich einem Seufzer.
Sie kniete sich und half ihn dabei, alle Akten aufzusammeln. "So viel dazu. Du bist halt nicht so geübt wie ich darin, den hohen Stapel elegant zu tragen." scherzte Felicia und Cedric merkte nur an: "So haben wir uns kennengelernt." Dabei hielt er ihr eine Akte hin. Sorgfältig sortierten sie alles und Henrik half ihnen auch dabei, alle Akten aufzusammeln. Diese stellten sie auf den Schreibtisch ab. "Mein Bruder und ich haben übrigens darüber gesprochen, unsere Eltern wieder zu besuchen." erwähnte Cedric und Henrik stellte sich zu seinem Bruder. "Wenn es euch nichts ausmacht, könnte ich mitkommen. Ich habe deine Eltern noch gar nicht kennengelernt. Wenn ihr diese Treffen aber für euch sein wollt, ist das okay." fragte Felicia und Cedric musste sich eingestehen, dass sie nicht unrecht hatte. Seine Eltern kannten ihre Enkelsöhne nicht persönlich und auch von Felicia wussten sie lediglich von Erzählungen und Beobachtungen. Sein Bruder hatte keine Einwände und Felicia freute sich, ihre Schwiegereltern endlich kennenzulernen.
Am Tag des Besuches kämmte Felicia ihre Haare und suchte sich ein Kleidungsstücke heraus, die nicht kaputt waren. In der hintersten Schrankecke entdeckte sie dabei einen Karton, der gefüllt mit alten Kleidern aus ihrer Jugendzeit war. Dabei fiel ihr auch ein Hemd in die Hand, die der Bestickung P.C. Kurzerhand erinnerte sie sich daran, wie Paul es ihr gegeben hatte, nachdem sie wieder ein furchtbares Wochenende bei ihrer Mutter verbracht hatte. Damals meinte er, dann könne sie es beim nächsten Mal mitnehmen, vielleicht sei es dann erträglicher.
Eiskalt warf sie es wieder in den Karton und zog ein schwarzes Hemd mit kurzen Ärmeln, ein ebenso schwarzen mittellangen Rock und Overkneesocks an. Cedric fand sie wunderschön in diesem Outfit. Henrik holte das Ehepaar ab und gemeinsam betraten sie den Himmel.
Richard und Flavia sahen genauso aus wie auf den Bildern, die Felicia von ihnen kannte. Sie reichten sich die Hand. "Felicia! Du bist also die, die unser Sohn Cedric so verehrt." schmunzelte Richard und Felicia fühlte sich geschmeichelt. "Du hättest dich nicht extra schick machen müssen. Wir wissen doch, wie du sonst gekleidet bist." schmunzelte Flavia und Felicia war peinlich berührt. "Ach, ich fand das gehörte sich trotzdem." murmelte sie und merkte, dass sie vor Nervosität am liebsten nach ihren Karten greifen wollte. Richard lächelte in ihre Richtung.
"Wie amüsant, dass mein Sohn mit der Tochter meines ehemaligen besten Freundes zusammen ist." Cedric weitete die Augen. "Ganz schlechtes Thema, Paps." erwähnte er mit einem Zähne knirschen und Felicia versuchte, nicht allzu kühl zu wirken. Richard merkte, dass er ein empfindliches Thema angesprochen hatte. "Ist schon okay." murmelte Felicia Cedric zu und wandte sich an Richard.
"Entschuldigt, aber warum waren sie mit Paul befreundet? Er war eine arrogante Person, die nur auf sich bedacht war und hat mir Dinge angetan, nur um seinen Wissensdurst zu stillen." fragte sie und man merkte ihr den Hass auf Paul in ihren Unterton an. Richard fühlte sich ein wenig vor den Kopf gestoßen.
"Wir kamen gut miteinander aus. Ja, er war eigen und das komplette Gegenteil von mir und man würde nicht gerade erwarten, dass wir miteinander auskommen. Vielleicht hat er mich damals nur als Anhängsel gesehen, wer weiß das schon, aber er hat mir zugehört. Wir hatten viele interessante Gespräche und seine andere Weltauffassung war mir sympathisch. Er fand das Konzept der Monogamie fragwürdig und kritisierte die Gesellschaft. Als jemand, der von der Gesellschaft verstoßen wurde, war er für mich jemand, der mich nicht verurteilte. Außerdem bewunderte ich seine Intelligenz und sein Können als Arzt." erklärte er ruhig und Felicia stockte, als er von Bewunderung sprach.
"Ich habe ihn auch bewundert, bis zu meinem 17.ten Lebensjahr. Er hat immer gesagt, dass ich ihm in nichts nachstehe. Ich wollte immer eine Heilerin werden, bis er mir all diese Dinge antat." Sie wahrte die Hand auf ihren Hemd an der Stelle, wo die Narbe entlang lief.
"Paul weilt nicht mehr im Totenreich. Wenn du Heilerin werden möchtest, was hält dich auf?" fragte Richard ruhig und Felicia fand keine Antwort auf seine Frage. "Ich bin mir sicher, unser Cedric würde dich dabei unterstützen." fügte Flavia hinzu und bestätigend nickte Cedric, welcher den Arm um seine Frau legte. Richard hatte nicht unrecht und seine Frage brachte sie zum nachdenken.
Trotz des holprigen Starts verbrachten sie zusammen einen schönen Tag im Himmel. bei ihrer Rückkehr in das Totenreich waren die Drei auch dementsprechend erschöpft. Henrik verabschiedete sich von dem Ehepaar, welches sich für das Bett fertig machte. Felicia streifte sich ihr schwarzes Nachtkleid über. "Ich fand es nett." meinte sie noch im Gedanken versunken und legte sich mit dem Rücken zu Cedric, welcher sie von hinten auf die Wange küsste. "Gute Nacht." wünschte er und schlief zeitig ein, während Felicia schlaflos im Bett lag.