Am drauffolgenden Tag wurden weitere Sensen bei den Scythe Makern abgegeben und Henrik klopfte zuerst beim Tod an, als er seinen Dienst antrat. Beim eintreten verließ ein Sensenmanngeist gerade den Raum. Der Sensenmann und Gildenführer grüßten sich vornehm. Henrik richtete dem Tod die Nachricht in Ruhe aus. "Aktuell geben die Todeswesen ihre Erstsensen ab und scheinen sich an die Regelung zu halten. Die Sensenschmieden bewahren die Akten sorgfältig auf, um nachzuverfolgen, wer seine Sense schon abgegeben hat." Beide blickten sich an und der Tod freute sich über die positive Rückmeldung. "Ich danke dir, Henrik." Damit verabschiedeten sie sich voneinander und Henrik setzte sich an seinen Platz. Überraschend kam ihn Florenz entgegen. "Guten Tag, Florenz. Was führt dich denn hierher?" fragte Henrik verwundert nach, weil Florenz erst nach ihm Dienst hatte. "Der Tod möchte mich sprechen." antwortete Florenz lächelnd und betrat den Raum von Gevatter Tod.
"Herzlich Willkommen, Herr Gastrado. Wie schön, dass sie meiner Bitte so schnell nachkommen konnten." grüßte der Tod erfreut und Florenz erwiderte höflich: "Guten Morgen, ich bin sofort los, als ich die Nachricht von Ihrem Gehilfen erhielt." Gevatter Tod nickte, stand auf und lief die kurze Treppe hinunter. Dabei erzählte er von seinem Anliegen. "Herr Gastrado, seit Ihrem Tod am 11.4.1380 sind Sie für Ihre Sünden im Zwischenreich. Ich möchte Ihnen verkünden, dass Sie demnächst erlöst werden." Der Sensenmann stellte sich vor Florenz, welcher seinen Ohren nicht glauben konnte, als er das hörte und lächelnd die Augen weitete. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll." sagte Florenz überwältig, aber er freute sich darüber. "Ich danke Ihnen!" Er fuhr sich über die mittellang, gewellten, braunen Haare. "Es gibt keinen Grund, sich zu bedanken." meinte der Tod vornehm und sie verbeugten sich voreinander, bevor Florenz den Raum verließ. Dabei kam er an Henrik vorbei und wandte sich an ihn. "Worum ging es, wenn ich fragen darf?" erkundigte Henrik sich gelassen, als Florenz ihm entspannt erzählte: "Ich möchte es dir nicht vorenthalten, Henrik. Der Tod hat mir erzählt, dass ich bald erlöst werde."
Henrik musste diese Worte erst realisieren, bevor er angemessen darauf reagieren konnte. In ihm kamen viele frühere Erinnerungen hoch, denn Florenz hatte sich nach dem Tod seiner Eltern um die Zwillinge gekümmert. "Ich freue mich. Du bist schon solange in der Totenwelt, es ist gut, dass du demnächst erlöst wirst." Florenz lächelte nach wie vor und musste wohl auch an die frühere Zeit denken. Manchmal konnte er nicht glauben, dass die Zwillinge schon solange im Zwischenreich lebten und dass Henrik, welcher damals noch 14 war, mittlerweile der Gildenführer ist und wie sehr Cedric sich verändert hatte. Er kannte Cedric als gebrechlichen Jungen, der später eine kalte Mauer um sich gebaut hatte und nun glücklich, wie auch stärker im Leben stand. Bei den Zwillingen musste er immer etwas an Richard und Flavia denken. Nach ihrem Tod wurde er in der Gilde aufgenommen und darum gebeten, sich um die Zwillinge zu kümmern. Anfangs war er davon nicht begeistert gewesen, weil er nicht wusste, wie man sich um Kinder kümmert und mit ihnen umgeht, besonders wenn sie gerade ihre Eltern auf tragischste Weise verloren hatten.
Henrik und Florenz verabschiedeten sich bis später und der Gildenführer wandte sich seinen Akten zu.
Justin war ebenfalls dabei, Todesakten auszufüllen, als er stockte und die Akte vor ihm musterte. Der Tod bemerkte, dass Justin nachdenklich zu den Formularen schaute und fragte nach. "Justin, ist etwas?"
Sein Gehilfe seufzte und lächelte ruhig. Er stützte seinen rechten Ellbogen an seinem linken Handballen ab. "Das ist meine Mutter." murmelte er und der Tod blickte zu ihm. "Und dies ist die Akte deines Vaters." merkte der Tod an und überreichte Justin eine schwarze Akte. Diese blätterte Justin auf und verglich die Todesdaten seiner Eltern, bevor er diese niederschrieb. "Beide sterben relativ zeitnah und an einer Alkoholvergiftung, am selben Ort." Er seufzte gefasst und nahm beide Akten an sich. "Zumindest kommen beide an den Ort, an denen sie es verdient haben, hinzukommen." murmelte Justin kaltherzig und sah keine Verbindung zu seinen menschlichen Eltern. Er fühlte sich nicht mit ihnen verwandt, auch wenn sie ihn einst gezeugt hatten. Justin fand auch, dass er ihnen überhaupt nicht ähnlich sah und musterte die Bilder seiner Eltern. Beide waren ziemlich heruntergekommen, durch den täglichen Alkoholkonsum und sie waren etwas kräftiger. Justin verspürte einen leichten Ekel und las sich die Akten durch, in welchen hauptsächlich Sünden standen, unteranderem Diebstahl und bei seiner Mutter, wie sie betrunken einen Unfall verursachte und ihn verlor. Nach wie vor war Justin froh darüber, dass sich der Tod ihn angenähert hatte. Zwischendurch betrat Henrik den Raum mit einigen Dokumenten oder ein Sensenschmied kam vorbei, um Sensen segnen zu lassen.
Gegen Nachmittags löste Florenz den Dienst ab und schaute lächelnd zu Henrik. Beide schienen wohl etwas sagen zu wollen, aber ihnen fehlten die Worte, weshalb sie sich nur verabschiedeten. Im Gedanken war Henrik bei der bevorstehenden Erlösung und wollte seinem Bruder unbedingt davon erzählen.
Nach seinem Dienst suchte Henrik seinen Bruder daheim auf und Cedric war alleine. "Hallo Henrik, was führt dich her?" hakte Cedric nach und rechnete damit, dass es um die Mordserie gehen würde, doch dem war nicht so. Henrik entledigte sich von seinen Schnallenstiefeln und dem langen Mantel, bevor er sich zu seinem Bruder auf das Sofa ihm gegenüber setzte. "Ist Felicia Seelen geleiten?" fragte Henrik ruhig und musterte die Wohnung, bevor er sich wieder an Cedric wandte. "Ja, sie ist vor ein paar Stunden los." Cedric lächelte glücklich und fragte, ob Henrik etwas Bestimmtes wollte. Sein Bruder seufzte und strich durch die schwarzen Haare. "Florenz kennst du noch, oder?" hakte Henrik neutral nach und verwundert nickte Cedric. "Ja, natürlich. Warum fragst du?" Cedric schaute seinen Bruder direkt an. "Er wird demnächst erlöst."
Zuerst sagte Cedric nichts, dann wurde er still und nachdenklich. "Er ist auch wirklich lange in der Totenwelt." murmelte er und Henrik musste schmunzeln. "Dasselbe habe ich auch gesagt." Darüber amüsierte sich Cedric ebenfalls für einen Moment, bevor er seufzte und den Kopf senkte. "Ich würde gerne noch einmal mit ihm reden, wegen früher. Ich habe das Gefühl, ich bin ihm eine Entschuldigung schuldig, immerhin haben wir uns sehr oft gestritten, besonders zur Anfangszeit." Cedric fühlte sich schlecht Florenz gegenüber. Henrik konnte ihn verstehen. "Trotzdem hatte Florenz dich als Ziehsohn lieb und er mag dich immer noch. Sicher konnte er dein Verhalten nachvollziehen." erwiderte Henrik mit tröstenden Worten und Cedric nickte nur stumm. "Anfangs hat er es doch überhaupt nicht verstanden und konnte sich nicht durchsetzen." erinnerte Cedric sich und versuchte darüber zu lachen, doch es gelang ihm nicht. Dafür entlockte es Henrik allerdings ein Grinsen.
"Ich muss zugeben, dass es mich selber immer erschrocken hat, wenn ich dich brüllen gehört habe. Die Dinge, die du ihm dabei gesagt hast, waren ebenfalls nicht sehr harmlos und ich habe dich auch nicht wiedererkannt." gab Henrik zu und überschlug wie Cedric die Beine, nur dass Henrik das linke Bein über das Rechte tat und es bei seinem Bruder genau anders herum war. Ungerne erinnerte Cedric sich daran. "Stimmt, ich habe ihm Sachen gesagt wie, dass er nie ein Vater für mich sein wird, er als Ersatzvater eine beschissene Arbeit macht, ich ihn hasse und nur zurück zu unseren Eltern wollte." Der Ältere der Zwillinge wurde ein wenig traurig und er bekam Schuldgefühle. Henrik sah ebenfalls etwas betrüb aus. "Du warst damals sehr aggressiv und hast sogar mit Gegenständen um dich geworfen. Als wir zu ihm gezogen sind, wolltest du immer zurück zu unserer alten Wohnung und hast Florenzs Wohnung fast komplett zerlegt! Ich erinnere mich daran, dass du dein ganzes Zimmer verwüstet hast, als wir bei ihn einzogen. Es hat mir immer wehgetan, dich so zu sehen, aber ich hatte, abgesehen von der Sorge, auch ein wenig Angst. Du bist mein Zwillingsbruder und ich habe dich nicht wieder erkannt." Bedrückt senkte Henrik den Blick und Cedric zuckte zusammen, als er davon erfuhr. Es war das erste Mal, dass Henrik ihm davon erzählte und Cedric war sich damals nichts bewusst gewesen, wie es sich für seinen Bruder angefühlt haben musste. Reuevoll senkte Cedric den Kopf. "Daran habe ich gar nicht gedacht, das tut mir leid." Jedoch lächelte Henrik nur aufmunternd. "Es ist in Ordnung, ich bin lange drüber hinweg. Es war damals schwer für dich und ich hätte dir mehr beistehen sollen. Doch es ist so passiert und wir haben unsere Differenzen niedergelegt." ermutigte Henrik und aufmunternd blickten sich die Brüder an. "Florenz hat gerade Dienst. Wir können ihn nach diesem besuchen gehen." schlug Henrik vor und Cedric hatte gegen diese Idee nichts einzuwenden. Lächelnd stimmte er zu und war sich mit Henrik einig.
Die Zwillinge setzten ihren Plan in die Tat um und trafen sich, um gemeinsam Florenz zu besuchen. Sie wussten noch, wo seine Wohnung war und Henrik klopfte an. Beide waren etwas angespannt und ihnen wurde die Tür geöffnet. "Cedric? Henrik? Was für eine Überraschung! Kommt rein!" bat er fröhlich und knöpfte seinen obersten Hemdknopf zu. Die Brüder zogen ihre Schuhe aus und sahen sich um. Zwar hatte die Wohnung sich ein bisschen verändert, doch ihnen überkam ein nostalgisches Gefühl. Alle drei setzten sich zusammen. "Lass mich raten, ihr seid sicherlich hier, um ein letztes Mal mit mir zu reden, bevor ich erlöst werde, oder?" fragte Florenz grinsend nach und beide nickten nur. Nach einer kurzen Stille war Cedric der Erste, der zu sprechen anfing. Ihm überkam eine leichte Traurigkeit.
"Ich wollte mich nur dafür entschuldigen, dass ich dir früher soviel Ärger bereitet habe und nicht gerade sehr nett zu dir war." beichtete Cedric und verbeugte sich leicht. Florenz schaute ihn an, als würde er nicht wissen, worüber er spricht, als es ihm wieder einfiel. "Ach so, ich weiß, was du meinst! Das habe ich schon lange vergessen! Natürlich war ich auch mal sauer, wenn ich mit Henrik von der Gilde kam und die Wohnung so unordentlich war oder habe mir Gedanken gemacht, wenn du mir vorgeworfen hast, ein schlechter Ziehvater zu sein. Ich wusste aber, dass du an dem Tod deiner Eltern zu kämpfen hattest und konnte dich verstehen." Er war ganz ruhig und nahm Cedric gar nichts übel. Cedric überkam eine große Erleichterung und er dankte Florenz, welcher bescheiden meinte: "Alles in Ordnung, ich habe mich damals gerne um euch gekümmert, auch wenn es nicht leicht war. Ich bin einfach nur stolz darüber, was aus euch geworden ist! Als du nach der Lehre schleunigst ausgezogen bist, Cedric, habe ich mich sehr wohl gefragt, ob es dir gut ging. Ebenso bei dir, Henrik, als du wenige Monate später ebenfalls gegangen bist, auch wenn ich dich in der Gilde gesehen habe." erzählte Florenz in Erinnerungen schwelgend und Cedric dachte daran zurück, wie er Florenz nur kalt Schüss gesagt hatte, bevor er die Wohnung verließ, was er im Nachhinein bereute. Doch er versuchte nicht an vergangene Tage zu denken, sondern nach vorne zu schauen. Besonders weil er wusste, dass Florenz es ihm nie übel genommen hatte. "Ich finde es sehr schön, dass er mich noch einmal besuchen gekommen seid." merkte er erfreut an und faltete die Hände zusammen und lehnte sich etwas vor. "Ich bin gespannt, wann ich erlöst werde und wohin ich komme. Es war wirklich eine lange Zeit hier. Trotzdem bin ich froh darüber, dass es bald vorbei ist und wir werden sehen, ob ich in den Himmel oder die Hölle komme." Florenz seufzte gedankenverloren, während die Zwillinge hoffnungsvoll lächelten. "Wir würden uns wünschen, dass du in den Himmel kommst, aber wir sind nicht der Himmelsfürst und wissen nicht, was seine Pläne sind." ermutigte Henrik und blickte Florenz aufmunternd an, welcher ihm zustimmte. "Vielleicht lerne ich endlich meinen Sohn kennen." sagte Florenz mit einem leichten Schmunzeln und fragend schauten die Zwillinge zu ihm. Leicht senkte Florenz den Kopf, behielt seine positive Ausstrahlung allerdings bei. "Ich hatte zu Lebzeiten einen Sohn, Cornelius hieß er, daran erinnere ich mich. Leider trennte sich meine Geliebte damals von mir und nahm ihn mir. Ich sah beide nie wieder und hörte lediglich von Gerüchten, in denen es hieß, sie hätte jemand Neues gefunden und schon während unserer Ehe soll sie mich mit ihn hintergangen haben. Ob das stimmt, werde ich wohl nie erfahren. Ich bin auch froh, dass wir uns hier nie begegnet sind." Für einen Moment sah er nachdenklich durch die Wohnung, bevor er wieder zu den Zwillingen sah. "Jenachdem habe ich mich damals, nach dem sie gegangen war, nicht sehr gut aufgeführt. Ich wurde zum Gespött der Stadt, indem man über mich redete und ich fing an, erst gemein zu meinen Mitmenschen zu werden. einmal schlug ich das Fenster eines Mannes ein und erwischte dummerweise mit dem Stein noch seine Frau im Gesicht. Ich bereute es, doch diese Tat verschlimmerte noch alles und mir wurden die Menschen egal. Ich schrie meine Mitmenschen an oder schlug deren Fenster ein, wenn sie mir mies kamen. Schließlich starb ich und als ich in die Totenwelt kam, beschloss ich mein Leben zu ändern. Darum konnte ich dich damals so gut nachvollziehen, Cedric. Ich habe mich immer etwas in dir wiedererkannt." Die Drei schauten sich mitfühlend an und Cedric stockte. Florenz war nach einem Schicksalsschlag ebenfalls wütend geworden, obwohl die Zwillinge sich dies nicht von Florenz vorstellen konnten. Er war wieder der ruhige, wie vor dem Hintergehen seiner Frau und hatte Buße tan. Eventuell hatte er sich bei den Zwillingen einst vorgestellt, wie es gewesen wäre, wenn er seinen Sohn hätte bei sich haben können.
Die Zwillinge dankten, dass sie vorbeikommen durften und Florenz erwiderte, dass er sich sehr gefreut habe. Auch für Cedric war es ein weiterer Schritt gewesen, mit früheren Geschehnissen abzuschließen. Beide verabschiedeten sich voneinander und kehrten heim.