Mutter Natur umfasste ihre Brust. "Ich sehe keinen Sinn darin, es zu töten." Die zwei Augen des Himmelsfürst verengten sich. "Ich bin kein minderwertiges es! Bild dir nicht ein, du wärst allmächtig. Du kannst nicht einmal töten!" Ein Lächeln stahl sich auf Mutter Naturs Lippen.
"Wirklich nicht?"
Daraufhin wurden ihre Hände zu knöchernen Händen und sie lief zu einen der Verwalter-Engel. Ihre Knochenhand berührte das Gesicht des Engels. Augenblicklich zuckten die Flügel zusammen und das Gesicht löste sich in Asche auf.
"Nein! Wie kannst du es wagen?!" kreischte der Himmelsfürst und seine verkümmerten Arme schlugen um sich. "Seitdem der Tod mir eine seiner Rippen vermachte, ist es mir möglich, alles zu tun, was er kann. Wie sonst konnte ich den weißen Tod als Gehilfe erschaffen?" Sie kam den Himmelsfürst näher und seine Größe hinderte ihn daran, sich fortzubewegen. "Wenn ich wollte, könnte ich noch mehr Engel töten. Ich könnte selbst dich ruckzuck auslöschen." Ihre Knochenhände berührten beinahe seine fleischige Masse. "Bleib mir vom Leib!", Mutter Natur umfasste schmunzelnd ihr Kinn. "Was willst du?!" verlangte der Himmel zu wissen und Mutter Natur setzte eine klare Ansage.
"Hol den Höllenfürst."
Der Himmel lachte nur. "Das wird nicht möglich sein! Das Böse kann den Himmel nicht betreten!" Zu seiner Überraschung blieb Mutter Natur ruhig. Ihre Hände nahmen ihre menschliche Form an. "Oh doch, kann es. Ihr seid immerhin gleich.", Die fleischige Masse brodelte. "Aber bevor du dies tust, lass uns bitte noch einige Vorkehrungen treffen." Sie drehte sich zum Sensenmann um und nickte ihm zu. Dieser stand weiterhin schützend vor seinen Gehilfen. "Schließ die Augen und kehrt ins Zwischenreich zurück." Beide taten, wie es ihnen befohlen wurde.
"Tod, geleite all die Seelen bitte in meinen Garten Eden! Ich kümmere mich um die kleinen Engel!" Gevatter Tod folgte ihrem Befehl und machte von seiner Macht gebrauch, mehrere Seelen auf einmal geleiten zu können. Die Seelen spürten, dass im Himmel etwas vor sich ging und dass dies nicht positiv war. Der friedvolle Ort wurde zu einem Ort der Angst. Mutter Natur fühlte die kleinen Engel in der Nähe und fand sie alle zusammen vor. Ihre Körper zitterten, die Augen waren aufgerissen.
"Was passiert mit dem Himmel?" Ihre Stimmen waren kläglich.
"Folgt mir, ich bringe euch zu einem anderen schönen Ort. Dem Garten Eden." Sie vertrauten Mutter Naturs zarter Stimme und sie öffnete ein Portal, welches die kleinen Engel in ihren Garten Eden brachte.
Der Himmel wurde nur noch vom Himmelsfürst und seinen Engel beheimatet. "Keine Seele und kleiner Engel sind mehr hier. Rufe den Höllenfürst herbei!" befehligte Mutter Natur und der Himmel ging in sich. Er sammelte seine Kräfte, um den Höllenfürst zu beschwören und der Himmel fing an, zu rütteln. Es rumpelte und wurde laut, ähnlich eines einstürzenden Gebäudes. Dunkelheit kehrte in den Himmel ein und vor dem Himmelsfürst stand eine dunkle, fleischige Masse übersät von den Teufelsausgeburten. Das helle und dunkle Licht berührten sich nicht. Zwischen den Fürsten standen Leben und Tod. "Ich mache euch einen Vorschlag." sprach Mutter Natur laut aus und sah ohne Scheu zu den Gestalten. "Ich empfinde Gut und Böse als essentiell in dieser Welt. Ihr bildet ein Gleichgewicht, wie Leben und Tod es tun. Ich möchte, dass ihr miteinander eins werdet und möchte euch dafür eine Hülle schenken. Eine menschliche Hülle, damit ihr nicht mehr in der Gestalt leben müsst, die ihr jetzt besitzt." Sie regte den Kopf empor, um die großen Gestalten anzusehen. "Eine Hülle?" wiederholte der Himmel und die Hölle gab nur ein Knurren von sich. Mutter Natur nickte.
"Ich möchte außerdem, dass der Himmel ausgelöscht wird. Mein Garten Eden wird der Himmel sein. Die Hölle darf weiterbestehen, um das Gleichgewicht zu wahren. Ihr werdet in der Hölle leben." erzählte Mutter Natur weiter und der Himmel erhob direkt Einspruch.
"Nein! Das ist nicht fair!" Aus der Kehle des Höllenfürsten hingegen war nur ein verzehrtes hämisches Gelächter zu vernehmen. Mit scharfen Blick starrte Mutter Natur den Himmel an. "Ich entscheide darüber! Nicht du!" zischte sie und zur Drohung wurden ihre Hände wieder zu Knochen. Der Himmel verstummte. "Nun denn, Lass mich euch das Geschenk der Hülle geben!"
Mutter Natur erlöste die Geschöpfe von ihrer Form und modellierte eine Neue. Der Tod beobachtete sie stumm dabei. Mit ihren Fingerfertigkeiten erschuf sie eine für die Beiden perfekte Hülle.
"Es ist vollbracht."
Der Himmel und die Hölle öffneten ihre Augenlider. Sie bewegten den nackten Arm vor ihren Augen und begutachteten die Finger, die sie steuern konnten. Beide erblickten die langen Beine vor sich. Sie senkten den Blick weiter auf ihren Körper und schrien!
Auf dem Brustkorb blickte ihn die Fratze des anderen entgegen!
Instinktiv wollten sie flüchten, doch sie kamen nicht von ihrer sitzenden Position auf. Ihre Köpfe und Rücken waren miteinander verbunden.
"Was hast du uns angetan?!" brüllte der Himmel. Sein Gesicht wirkte trotz der Wut zart und makellos. Die Visage der Hölle hingegen war verzerrt, faltig und grinste mies drein. Der Himmel besaß langes, weißes Haar, die Hölle schwarzes. Ihre Körper besaßen keine Geschlechtsmerkmale.
"Ich sagte doch, ich gebe euch eine Hülle und lasse euch eins werden." entgegnete Mutter Natur lächelnd.
"Und jetzt steht auf. Wir müssen in die Hölle, damit der Himmel fallen kann." Ihre Anweisung war streng und die Geschöpfe mussten sich aufrichten, was ihnen mit Mühen gelang. "Dass der Himmel fällt ist wie ein Gewinn für mich." zischte die Stimme des Bösen durch die Köpfe beider und lachte. "Ja? Vergiss nicht, fortan ist das Gute immer an deiner Seite." Das Höllengesicht knurrte.
Die vier Mächte kehrten in die Hölle ein und ließen den Himmel hinter sich. Der Himmel und die Engel fielen in sich zusammen. Fortan existierte kein Himmel mehr.
In der Hölle begutachtete Mutter Natur die Dämonen und gequälten Seelen. Die Höllenkreaturen mieden die Nähe zu ihr. Dass der Höllenfürst verändert war und sich mit den Himmel einen Körper teilte, blieb ihnen nicht verborgen. Mutter Natur erhob laut die Stimme.
"Der Himmel ist gefallen, aber nicht der Himmelsfürst! Die Hölle wird bestehen bleiben.", Krächzende Jubelschreie der Teufel und Dämonen ertönten. "Aber nicht die Höllenwesen!"
Das Jubeln verstummte und brüllen ertönte. Das ließ Mutter Natur unbeeindruckt. "Gut und Böse werden das Gleichgewicht der Welt halten. Sie werden wie Engel und Teufel sein!" Einer der großen Teufel, Mactans, löste sich von der Scheu und stürzte sich auf Mutter Natur. Unbeeindruckt packte sie ihn mit ihren Händen, die ihre Haut verloren und zu den Händen des Todes wurden. Dies war die Auslöschung des ersten der vier Teufel.
"Tod?"
Mutter Natur sah zu ihm und unbekümmert löschten sie mit ihrer gewaltigen Kraft die kreischenden Höllenwesen aus.
"Aaargh!" brüllte die Höllenfratze, aber Mutter Natur blieb unbesorgt und sah der Visage direkt in die dunklen Augen. "Es ist zwar deine Hölle, aber dieser Ort gehört fortan euch beiden. Ich kann immer sehen, was bei euch vor sich geht. Ihr könnt über mich lästern, aber begeht ihr andere Schandtaten, die mir widerstreben, werde ich meine Totenhände an euch anlegen." Ihr strenges Gesicht sah der Himmel durch die Fratze auf der Brust der Hölle. Und es fürchtete ihn.
"Die Seelen, die hier existieren und noch existieren werden, werden ihre eigene, persönliche Hölle durchleben." erklärte sie weiter und spürte mit dem Tod die Seelen dieses Ortes. Seelen, die deformiert wurden, hatten ihre Hülle zurück. Gefolterte Seelen waren frei von der Dämonenfolterung, doch waren fortan gefangen in ihren größten Ängsten.
Die Seele von Ivan war alleine. Keiner erinnerte sich an ihn, keiner beachtete ihn. Keiner glaubte an ihn. "Ich war doch ein Gott..." hauchte er und musterte seinen Körper, der nicht mehr mit seinen Eltern verschmolzen war.
Die Seele von Paul fand keine Aufmerksamkeit vom weiblichen Geschlecht mehr. "Zu alt und arrogant." hallte es in seinen Gedanken wieder. "Talentlos. Er hat seinen eigenen Vater ermordet und das als Arzt." vernahm er die Stimme seiner Mutter. "Das stimmt nicht." wisperte er, aber fand keine Zustimmung.
Die Seele von Alexander wandelte in Lumpen umher, immer auf der Suche nach Nahrung und Geld. Vertrieben von den anderen Menschen aus Orten, die für ihn als Schlafplatz dienen sollte.
Mutter Naturs Werk war getan. Mit der Vereinbarung von Gut und Böse spürte sie, wie sie immer mehr Kraft zurück erlangte. "Lass uns zu deinen Gehilfen." hauchte Mutter Natur und ließ Himmel und Hölle zurück. Beide mussten sich in ihrer neuen Existenz zurechtfinden und akzeptierten, den anderen immer bei sich zu haben.
Gina und Justin waren in Aufregung bei der Rückkehr beider. "Egal, was dort geschehen ist, es hat große Auswirkungen!" sprach Gina und ihre Hände zitterten. Mutter Natur umfasste Ginas Hände, die augenblicklich zu zittern aufhörten.
"Der Himmel existiert nicht mehr. Die guten Seelen werden fortan im Garten Eden leben. Ihr müsst euch auch keinen Höllenwesen mehr aussetzen." Sie erklärte ihnen die Geschehnisse, die sich zugetragen hatten.
Gina schlug die Hand vor den Mund und Justin blieb regungslos stehen. "Gibt dies dem Totenreich kund." bat sie und Justin erwachte aus seiner Starre.
"Wie konnte der Himmel überhaupt aus dir entstehen?" Mutter Natur lächelte. "Dein Wissensdrang ist nicht zu bändigen, hihi." Schließlich antwortete sie auf seine Frage. "Es geschah ganz natürlich. Aus all meinen Werken ist er wie eine Art Nebenprodukt entstanden. Auch der Höllenfürst entstand natürlich. Nichts hätte ihre Existenz verhindern können. Bei Tod wären neue entstanden. Sie gehören zum Kreislauf dazu. Alles hat zwei Seiten." Sie faltete die Hände zusammen und wandte sich an Gevatter Tod. "Solltet ihr Erlösungen vor euch haben, könnt ihr Sensenmänner dies vollbringen." erklärte sie und gesellte sich nah an ihn. Dabei bemerkte sie Josef, der still zuhörte und keine Miene verzog.
"Ich werde zum Garten Eden zurückkehren. Zu den guten Seelen, den kleinen Engeln und dem weißen Tod." Bevor sie gehen konnte hielt Justin sie erneut auf.
"Die kleinen Engel existieren noch?" Mutter Natur nickte. "Ja, sie hätten schließlich eine Hülle gehabt, wären sie nicht vor dem Licht den Pfad des Todes gegangen. Ich gedenke ihnen einen menschlichen Körper zu schenken." Sie öffnete bereits das Portal zum Garten Eden vor sich.
"Ihr wisst, mein Garten Eden steht euch jederzeit frei." Damit verließ sie das Zwischenreich.
Der Tod und seine Gehilfen setzten sich auf ihre Plätze. "Ich werde umgehend eine Notfallversammlung einberufen." erklärte er und schickte mehrere Sensenmanngeister aus, die laut im Totenreich verkündeten:
"Alle Todeswesen denen es möglich ist, mögen sich umgehend in der Gilde einfinden!"
Henrik zuckte bei der Ansage zusammen und räumte seinen Wein weg. Er bereitete sich darauf vor, die Menge zu begrüßen, bis er die Hand von Gevatter Tod auf seiner Schulter spürte.
"Lass mich dies machen und höre zu." Den Tod außerhalb seines Raumes anzutreffen ließ Henrik mit erstaunen zurück. Dieses erstaunen zeigte sich auch bei den anderen Todeswesen durch geweitete Augen oder Hände, die vor Mündern gehalten wurden. Getuschel entstand und nach Eintritt der letzten Person bat Gevatter Tod umgehend um Ruhe. Keiner gab mehr einen Ton von sich und der Tod ergriff das Wort.
"Willkommen meine geehrten Todeswesen! Ich bin Gevatter Tod und stehe nun persönlich vor euch, um eine wichtige Kundgebung zu machen.", Weiterhin herrschte schweigen im Saal. "Es sind große Veränderungen geschehen. Der Himmel existiert nicht mehr. Alle guten Seelen leben nun im Garten Eden und hier schließt meine Bitte an. Fortan werden die Seelen in die Hölle, das Zwischenreich oder Garten Eden geleitet werden. Wer seine Verwandten treffen möchte wird fortan zum Garten Eden gehen." Die Todeswesen fingen an untereinander zu reden.
"Ist der Garten Eden nicht der Ort der zwei vertriebenen Seelen?" "Gibt es noch Engel?" "Warum der Himmel und nicht die Hölle?" Der Sensenmann hörte all diese Worte und bat um Ruhe. Er musste den Seelengeleitern Antworten geben.
"Aus dem Garten Eden worden nie die ersten zwei Seelen vertrieben. Der Garten Eden war ein Himmel für die Venefica von Mutter Natur. Wir entschlossen uns dazu, Himmel und Garten Eden nicht mehr zu trennen." Was wirklich geschehen war vermochte er nicht zu nennen. Dies war nur den größeren Mächten vorbestimmt.
"Es existieren keine Engel und Höllenwesen mehr. Der Himmels- und Höllenfürst haben Frieden miteinander geschlossen." Die Todeswesen glaubten kaum, was sie da vernahmen. "Am Ende werden wir weiterhin unsere Aufgabe verrichten und die Seelen der Menschen geleiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit." Er verließ den obersten Gildenplatz und kehrte in seinen Raum zurück. Lautes Gerede brach bei den Seelengeleitern aus. Dieses hielt bis außerhalb der Gilde an und diese Informationen verbreiteten sich im ganzen Totenreich. Tagelang sprachen sie über diese großen Veränderungen.
Mutter Natur zeigte sich den Seelen im Garten Eden. Stolz spiegelte sich in ihren Augen. Der weiße Tod trat neben sie. "Ich habe Ewigkeiten davon geträumt, meine Geschöpfe alle in meinen Himmel zu haben." Der weiße Tod umfasste ihre Schulter. "Ich bin stolz auf das, was du getan hast." Der weiße Tod lächelte und ließ von Mutter Natur ab, damit sie ihre Ansprache halten konnte. Ihr Gehilfe beobachtete sie dabei in ihrer Haltung, die offener war, als zuvor. Mutter Naturs Augen bekamen ein Stück weit ihre grüne Farbe zurück und generell fand der weiße Sensenmann, dass Mutter Natur sich zu erholen schien.