Das Ereignis hing noch in Almas Knochen, trotzdem ging sie zur Lehre und lenkte sich ab. Es erleichterte Alma auch, dass ihr Vater wusste, wer sie damals sexuell belästigt hatte und dass die Person nun ihre gerechte Strafe erhielt. An dem heutigen Tag war es ruhig bei den Sensenschmieden, was selten vorkam. Deshalb nahm Sibylle sich die Zeit, Alma das Handwerk sorgfältig zu zeigen. Alma war dabei, Sensenblätter zu formen. Aufmerksam schaute Sibylle ihr zu und musterte das Handwerk genau. Sie ließ Alma sofort stoppen, wenn ihr etwas auffiel und korrigierte sofort. Sibylle sprach es nicht aus, doch lobte sie sich Almas Lernfähigkeit und wie sorgfältig sie beim arbeiten dabei war.
Schließlich bat Sibylle Alma, aufzuhören und erklärte ihr ausführlich etwas über das Formen einer Sense. Alma war fasziniert von den Erklärungen und nickte. "Es dauert, bis sich die Technik verfeinert. Sie stehen gerade erst am Anfang." Davon ließ sich Alma allerdings nicht entmutigen und nickte eifrig. Sibylle verstand Almas Begeisterung nicht wirklich, aber fand es gut, dass sie bemüht war. Sie ließ es sich nicht anmerken und sprach es nicht aus, doch Sibylle hatte das Gefühl, dass Alma die Lehre trotz vieler Hürden meistern würde.
"Wissen Sie, auch ich bin einst angefangen. Mein Lehrmeister war ein rigoros kalter alter Herr, welcher seine Lehrlinge auch schlug. Jedoch war sein Können von unfassbarem Handwerk und er schmiedete einst die Henkerssense." Bei dem Begriff Henkerssense horchte Alma auf, auch wenn sie überrascht war, dass Sibylle etwas von sich und ihrer Lehrzeit erzählte. "Die Henkerssense?" fragte Alma interessiert nach und Sibylle nickte mit verschränkten Armen. "Die Sense, mit welcher der Henker die Sünder hinrichtet, um deren Seele auszulöschen. Es ist die einzige Sense, welche damals vom Tod und dem Himmel gesegnet wurde." Alma nickte, bevor Sibylle ihr befahl, weiter zu machen, woraufhin sie sich daran machte, die Sense zu formen und man in der Werkstatt nur noch die lauten Geräusche der Sensenschmieden vernahm.
Es war der Tag von Fabiolas Hinrichtung. In den letzten Tagen war sie alleine in der Zelle gewesen, ohne dass Josef sich einmal nach ihr erkundigt hatte. Sie hatte geschrien und versucht, sich zu wehren, doch gebracht hatte es nichts. Schließlich kam der Moment, in dem der Henker in die Gilde trat. Die Gilde verschloss sich und Ketten legten sich um das Türschloss. Der Henker lief zur Tür neben der Gilde, öffnete diese und ging hinein. Auch diese Tür wurde geschlossen. Ein paar Treppen weiter hielt der Henker inne, trat durch eine weitere Tür und folgte den kommenden Treppen, bevor dieser in einem Raum gelangte, in dem nur die sogenannte Henkerssense an der Wand hing, wie eine Umkleidekabine. Die Henkerssense besaß einen Holzstab und war mittelgroß. Sie wirkte sehr scharf.
Josef und Justin standen bereits im Raum und warteten. Beide verbeugten sich nur, als sie den Henker sahen. Die Stimmung war angespannt, niemand sagte ein Wort und der Henker zog sich in der Umkleide eine lange schwarze Robe an, die der des Todes ähnelte. Ein schwarzes Tuch verdeckte das Gesicht des Henkers. Zudem trug der Henker schwarze Handschuhe und lief komplett in schwarz gehüllt aus der Kabine. Würdevoll griff er nach der Henkerssense und die Gehilfen des Todes folgten ihm durch eine hölzerne Tür.
Der Henker stand vor dem Kerker, in dem Fabiola geschwunden und wutverzerrt saß. Die Gehilfen stellten sich rechts und links von der Tür, beide Hände hinter dem Rücken und die Köpfe leicht gesenkt. Die Tür des Kerkers öffnete sich und der Henker trat in diesen. Fabiola schrie und versuchte wegzukommen, doch konnte sie sich nicht von den Ketten losreißen. "Das ist nicht gerecht!!" brüllte sie und ohne ein Wort zu sagen, hob der Henker die Henkerssense an. Bevor Fabiola ein weiteres Wort sagen konnte, schlug der Henker ihr den Kopf ab.
Für einen Moment floss Blut, doch dann verfiel ihr Körper zu Asche, Staub und Erde. Zuletzt ihr Kopf, dessen Gesicht die pure Wut ausstrahlte. Der Henker kehrte zurück zum Raum davor, säuberte die Henkerssense und entledigte sich von dem Gewand. Mit ausdruckslosen Augen lief der Henker aus dem Raum zurück zur Gilde. In der Zwischenzeit säuberten Justin und Josef den Kerker, bevor auch sie ihren Rückweg zum Tod antraten, wo sie diesem Bericht erstatteten. Seit der Hinrichtung von Fabiola waren mehrere Tage vergangen und Alma erleichterte es, als Henrik ihr berichtet hatte, dass der Henker sie gerichtet hatte. Sie war weiterhin fleißig bei der Lehre dabei und berichtete immer von ihren Fortschritten. Smeralda kam Henrik bis jetzt zweimal in der Gilde besuchen und sie erzählte viel von Alma. "Einmal wollte ich sie von der Schule abholen und war leider schon sehr spät dran. Sie war nicht dort, wo sie warten sollte und ich habe sie besorgt gesucht, als ich sie mit Klassenkameraden im Supermarkt gefunden habe, mit denen sie sich amüsiert unterhalten hatte." Smeralda schmunzelte und Henrik nahm lächelnd etwas von seinem Wein. Er freute sich, kleine Anekdoten über Alma zu hören. "Es war sicher entspannend, als sie in der Schule war, oder?" hinterfragte er und Smeralda überlegte, wie sie darauf antwortete und faltete die Hände zusammen. "Schon, es war auch eine Erleichterung für mich. Ich alleine musste ihr das nicht mehr lehren.", Dabei erinnerte Henrik sich an seine Kindheit, in denen deren Eltern ihnen noch das Wichtigste gelehrt hatten. "Ich weiß aber noch, als ich in meinem Büro arbeitete und wiederkam. Alma hatte sich gelangweilt und mir das auch direkt vorgeworfen. Daraufhin arbeitete ich wieder daheim, bevor sie Dinge fand, mit denen sie sich beschäftigen konnte." Weiterhin behielt Smeralda ihr ruhiges Lächeln bei und Henrik erinnerte sich an die erste Zeit mit Alma zurück. "Wenn sie sauer auf jemanden ist, sagt sie das auch direkt und macht ihrem Gegenüber oft ein schlechtes Gewissen. Sie kann tagelang dies der Person das auch spüren lassen." seufzte Smeralda und Henrik wusste sofort, was sie meinte, denn auch er hatte dies bereits am eigenen Leib erfahren. "Allerdings kann sie auch schnell verzeihen und ist der Person danach nicht nachtragend." Auch diese Erfahrung hatte Henrik bereits gemacht. Smeralda verschränkte die Arme, aber sah entspannt in die Gilde. "Es gab aber kaum Probleme mit ihr. Wenn ich sie in der Menschenwelt alleine gelassen habe, dann habe ich sie spätestens immer im Baumarkt gefunden." Auf einmal musste Smeralda kichern, als ihr etwas in den Sinn kam. Als Henrik sie kichern sah, musste er grinsen und hatte ein besonderes Gefühl in der Herzgegend. Lange hatte er sie nicht mehr so gesehen, aber er fand es schön, dass sie ihm gegenüber offener war, als zu Anfang. Am liebsten hätte er sie umarmt, doch er wollte es nicht überstürzen und Smeralda von sich aus kommen lassen.
"Einmal habe ich sie von einer Veranstaltung auf der Erde abgeholt und sie lag glücklich lallend zwischen anderen Menschen und konnte kaum von alleine aufstehen. Ich war erst nicht begeistert, meine Tochter so betrunken vorzufinden, aber irgendwie war es amüsant, sie über irgendwas reden zu hören. Am nächsten Tag ging es ihr dementsprechend, aber mich hat es auch an diesen einen Abend erinnert, auch wenn wir nicht so betrunken waren." erinnerte Smeralda sich und Henrik wusste, welchen Abend sie meinte. "Wir waren aber schon ziemlich angetrunken. Ich weiß auch noch genau, was für ein Wein das war und muss gestehen, dass ich diesen Wein seit diesem Tag nie wieder getrunken habe." gestand er und auch Smeralda wusste direkt Bescheid. "Ein wunderbar fruchtiger französischer Wein." murmelte Henrik und nahm einen schluck von seinem Wein. Smeralda nickte und schaute schüchtern zur Seite. Ihr fiel es ein wenig schwer, das auszusprechen, was sie im Kopf hatte. "W-wie wäre es, w-wenn wir diesen Wein noch einmal z-zusammen trinken würden?" fragte sie leise und unsicher nach. Sie wurde nervös. Klar und deutlich hatte Henrik ihre Frage allerdings verstanden und war verwundert. Er überlegte und schwenkte sein Weinglas hin und her. "Wenn du das möchtest." sagte er dann ruhig und Smeralda blickte überrascht zu ihm, freute sich aber sehr. "Gerne. Da kommen sicher einige Erinnerungen hoch." Daraufhin stand Smeralda auf und verabschiedete sich. "Ich freue mich, wenn du zu Besuch kommst. Drück Alma lieb von mir." bat er, bevor sie die Treppe hinunterlief. "Mache ich."
Zuhause angekommen wurde Smeralda schon von Alma erwartet. Smeralda erschrak, als Alma mit verschränkten Armen und keinem Lächeln im Gesicht vor ihr stand. Ihre Mutter kannte diese Haltung sehr gut, setzte sich und fragte gelassen nach. "Was ist los?"
Kurzerhand lockerte Alma ihre Haltung und fragte direkt nach. "Warst du wieder bei Papa?" Das konnte Alma gut. Sie sprach direkt aus, was sie im Gedanken hatte und war da rigoros. Alma scheute sich nicht davor, eine Frage zu stellen oder ihrem Gegenüber zu sagen, was sie störte. Ihre Mutter stützte den Kopf an ihren Handballen ab und nickte, als Alma mit ihrer Fragerei fortfuhr. "Bitte sei ehrlich, liebst du Papa noch?" Ihr Gesichtsausdruck entspannte sich und Smeralda war so überrascht, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Allerdings war sie ehrlich mit ihrer Tochter. "Wir sind auf dem Weg, uns wieder anzunähern." Das schien Alma als Antwort zu genügen. Sie grinste und drückte ihre Mutter, bevor sie ihr gute Nacht wünschte und sich schlafen legte.
Cedric und Felicia hatten ebenfalls Besuch. Nach langem waren Fritz, Gina und Gamia wieder dort. Frederic war ebenfalls mit Ferdinand dort gewesen, doch waren sie beide bereits gegangen. Sie erfuhren alle Neuigkeiten, unteranderem was sich im Totenreich abgespielt hatte. Zusammen spielten sie auch einige Runden Karten, die meistens Felicia gewann. "Du bist gut, mein Sohn, aber deine Mutter ist dir nach wie vor überlegen!" grinste sie und sammelte die Karten ein. Kurz sah Fritz seine Mutter nicht sehr begeistert an, aber lächelte dann. Bei der Dronner-Familie war vieles unverändert geblieben. Es wurde spät und sie verabschiedeten sich voneinander. "Wir haben uns sehr gefreut, euch wieder zu sehen." rief Felicia mit funkelnden Augen und schmiegte sich an Cedric. Fritz und Gamia öffneten bereits ein Flügelportal, als Gina sich entschuldigte. "Ich muss nur noch schnell eine Akte zu den Praktikern bringen, dann komme ich sofort hinterher." Sie drückte Fritz einen Kuss auf die Lippen und lief zum Flur im Totenreich.
Gina warf einen Blick in die Akte. Der Todesfall war bereits abgeschlossen, doch übergab sie diese Akten immer den Praktikern, da sie nicht zur Gilde mochte. Auf dem Weg kam ihr Justin mit Josef entgegen. Mit geweiteten Augen lief sie an ihm vorbei. Auch Justin schaute fasziniert zu ihr. Während Gina sich geschockt umdrehte, verließ die Kraft sie und sie stürzte zu Boden. Justin beugte sich grinsend über die bewusstlose Gina und Josef hob sie kurzerhand hoch. "Das ist interessant." murmelte er und nahm die fallengelassene Akte zur Hand.
Langsam öffnete Gina die Augen. Ihr war schummrig, aber sie fühlte, dass sie auf etwas weichem, einem Bett, lag. Ihre Sicht wurde klarer, bis sie realisierte, wo sie lag. Sie hatte keine Kraft zum aufstehen und schwach murmelte sie: "Bitte nicht dieser Raum...." bevor sie erneut das Bewusstsein verlor und die Schwärze sie umfing.
Akt 4 Lehre Ende