Friedlich lag Mikel in Musukos Armen. Er schlief und seine Träume schickten ihn auf sonderbare Reisen. Er träumte von zwei schönen Frauen. Eine mit braunen Haar und einer weißen Strähne, die sich deutlich abzeichnete. Sie trug ein schwarzes Gewand. Ihre Begleitung hatte wallendes langes braunes Haar mit Wellen. Ihr Kleid war grün. Das Gesicht erkannte Mikel wieder. Er hatte es bereits öfters in seinen Meditationen und Reisen gesehen. Die Erscheinung beider versetzte ihn in einen ruhigen Zustand, trotzdem war eine kleine Stimme in ihm voller Sorge. Denn diese Stimme wusste, er würde fortan alles auf Erden zurücklassen. Allen voran dachte er an Musuko. Seinem geliebten Gemahl.
„Guten Abend, Mikel Fukkatsu.“ Begrüßte Mutter Natur ihn und stand seiner Seele gegenüber. Gina hielt sich im Hintergrund. „Ich danke dir für dein Vertrauen in mir.“
„Ich danke dir. Ich weiß nicht ob ich noch wäre, hätte ich nicht den Glauben an dich gefunden.“ Mutter Natur umfasste seine Hände. „Du weiß, warum ich hier bin, oder?“ Fragte sie behutsam nach und Mikel nickte. „Ich werde abgeholt, ist es das?“ Mutter Natur nickte. „Du brauchst keine Angst haben. Ich bin bei dir.“ Sie blickte von Mikel zu Gina. Gina holte ihre Sense hervor. Es war so weit. Sie kam Mikel näher, welcher aus Reflex die Augen schloss. Interessanterweise spürte er nichts von der Sense, während Gina diese ansetzte und Kontakt zu seiner Seele aufbaute.
„Gibt es etwas, woran du dich gerne zurück erinnerst?“ Fragte Mutter Natur und lenkte Mikel ab. Er vernahm seine eigenen Todesdaten, die Gina auflistete, nur noch ganz leise.
„27.1.1770.“ vernahm er leise.
„Der Hochzeitstag mit meinem Geliebten. Ich bin so dankbar, dass ich ihm begegnet bin. Ich liebe ihn so sehr.“ Er fing zu lächeln an, während eine Träne der Glückseligkeit seine Wange hinunterlief. „Ich werde ihn immer lieben.“ Seine Tränen wurden mehr. Er ließ jede Einzelne laufen, ließ jede Emotion heraus und befreite seine Seele ein Stück weit mehr. Mutter Natur wischte sie zaghaft weg und gab ihm durch ihre Berührung ein beruhigendes Gefühl. Es gab nichts, was er fürchten müsse. Er war nicht alleine. Er war geschützt und bereit, das nächste Leben anzutreten. Denn er wusste, er würde Musuko wiedersehen.
Musuko hatte das Gefühl, ein lautes Atemgeräusch zu hören und schreckte intuitiv auf. Instinktiv blickte er zu Mikel, rüttelte leicht an seiner Schulter, aber sein Körper zeigte keine Regung. So schnell wie sein alter Körper es noch konnte, machte er das Licht an. Er fühlte weder Puls, noch beschlug der kleine Handspiegel, den er vor Mikels Nase hielt. „Nein, Mikel.“ Hauchte er, griff nach dem Handy und tätigte einen Anruf.
Die Beerdigung war am 15.2.1770.
In der Kapelle saßen lediglich Musuko und drei weitere, die Mikel gut in Erinnerung gehabt hatten.
Sterbe jung, wenn du wünschst, dass viele Menschen deiner Beerdigung beiwohnen.
Musuko wusste, Mikel hätte keine große Beerdigung gewünscht. Er wollte in kleinem Kreise beigesetzt werden und keine große Aufmachung um sich herum haben. Diesen Wunsch hatte Musuko ihm erfüllt.
Die drei anderen Anwesenden verschwanden zeitnah. Musuko verblieb am längsten an Mikels Grab. Er kniete sich hin, hatte dabei aber leichte Mühen.
„Wer hätte gedacht, dass ich als Sohn einer Bestatterin euch alle überlebe.“ Scherzte er, aber seine Trauer schluckte seinen Humor. Er legte die faltige Hand auf den Grabstein und fuhr mit den dünnen Fingern über die Gravur.
„Ich werde die Rituale beibehalten. Ich knack noch die 100.“ schmunzelte Musuko und schloss sanft seine Augen. „Sag mal, wie ist es denn so, da drüben?“
In und außerhalb der Turnhalle waren die unterschiedlichsten Stände aufgebaut. Draußen stand eine Hüpfburg, Imbissstände. Innen befand sich eine Kinder-Disco, eine Tombola und Kinderschminken. Shadia wartete an der Seite, bis die junge Dame ihren kleinen Musuko, sieben Jahre alt, fertig geschminkt hatte. Die Dame vollzog den letzten Pinselstrich und zeigte Musuko das Werk im Spiegel.
„Tada, gefällt es dir?“ Fragte sie mit einer hohen Stimme und Musuko musterte das Make-Up. Mit diesem sah er aus wie ein Skelett. „Ja!“ Er lief zwei Schritte zu seiner Mutter. „Mama schau, so will ich jetzt immer aussehen!“ Lachte er und Shadia schmunzelte. „Natürlich kannst du das, du kleines lebende Skelett.“ Er klatschte in die Hände. „Sehe ich jetzt so aus wie die Menschen die du immer beerdigst?“ fragte er laut und Shadia stieg augenblicklich die Röte ins Gesicht.
„Petri, wir sind Sonntag wieder von der Bestatterfachmesse zurück. Macht euch beiden ein schönes Wochenende.“ Verabschiedete Shadia sich von Petri und Musuko, fünf Jahre alt. Sie gab beiden einen Kuss und nahm ihren Koffer, der vor der Haustür stand. Amy wartete bereits im Auto auf sie. Shadia setzte sich auf den Beifahrersitz.
„Ich hoffe echt, Petri kümmert sich gut und mich erwartet daheim kein Saustall. Ich lass beide echt ungern alleine.“ Murmelte Shadia zerknirscht und sah mit Stirnfalten zurück zum Haus.
„So, dann wollen wir das jetzt richtig ausnutzen, dass deine Mama nicht da ist, nicht?“ Lachte Petri und setzte sich auf die Couch. Mit der Handfläche klopfte er auf den Platz neben sich. „Hüpf rauf, großer.“ Musuko sah ihn fragend an und stieg dann auf die Couch.
„Was möchtest du gucken oder spielen? Ich hab ein Kart-Racing Game, das könnte dir gefallen.“ Er schaltete die Spielekonsole an und startete das Spiel. Er reichte Musuko den Zweitkontroller. „Ich zeig dir, wie es geht.“
Musuko sah die vielen bunten, schnellen Bewegungen auf dem Fernsehbildschirm und hatte Mühen, dem zu folgen.
„Du bist das lila Auto, nicht das Grüne.“ Korrigierte Petri und Musuko nickte. Nachdem sein Vater die Runde gewann, legte Musuko den Kontroller zur Seite. „Das ist langweilig.“ Murmelte er und Petri kratzte sich fragend am Kopf. „Was möchtest du denn machen?“
Musuko stand auf und ging an den kleinen Bücherschrank, der im Wohnzimmer stand. Er nahm eine DVD aus diesem und reichte diese Petri. Er begutachtete die DVD mit dem Titel „Klein-Geisterchen und die Friedhofsgeister.“ Eine Kinderserie, in der ein kleiner Geist mit anderen Geistern auf dem Friedhof lustige Interviews führte, was sie zu Lebzeiten erlebt haben.
„Die hast du doch schon fünfmal gesehen?“ Musuko nickte. „Du spielst deine Spiele jeden Tag.“
„Das ist was anderes. Ich bin ja nicht fertig, das geht immer weiter.“ Fragend sah Musuko seinen Vater an. Petri lächelte. „Ok, wir schauen das. Bevor wir die DVD starten, was möchtest du essen?“
„Pizza.“ War die schnelle Antwort und Petri griff zum Telefon. „Dann bestelle ich uns welche.“
„Aber es ist noch Pizza im Kühlgerät.“ Widersprach Musuko und Petri schmunzelte. „Nene, wir lassen uns das dieses Wochenende richtig gut gehen.“ Er bestellte die Pizza mit dem größten Umfang, die angeboten wurde und sah sich die gesamte Serie mit Musuko ein. Vor dem Ende der letzten Folge schlief er ein und Musuko neben ihm.
Shadia kam Sonntag Nachmittag wieder und fragte beide, wie das Wochenende war. Freudestrahlend erzählte Musuko, wie schön es gewesen sei, und man sah Shadia die Überraschung darüber in ihrem Gesicht an.
Mit der Taschenlampe lief der Friedhofswärter über den Friedhof und blieb mit dem Lichtstrahl bei dem frischen Grab von Mikel hängen. „Hey, guter Herr, bitte gehen sie heim. Der Friedhof hat nur bis 22 Uhr geöffnet.“ Musuko hörte nicht auf den Wärter und er kam näher, rüttelte an Musukos Schulter, der zur Seite kippte.
„Fuck!“ Der Wärter schrak leicht zurück, tastete nach Musukos Puls. Der Puls war nicht mehr vorhanden.
Musuko sah zu seinem Körper. Gina geleitete seine Seele. Er grinste.
„Ich bin einen ehrenhaften Grufti-Tod gestorben, hehe.“ Er hörte Ginas Stimme weiter zu. „Todesursache, Herzinfarkt.“ Zu dieser Aussage konnte sich Musuko ebenfalls keinen Kommentar verkneifen. „Ich hatte die ganze Zeit über doch ein Herz.“
Gina geleitete seine Seele in den Garten Eden. Seine Seele nahm das Aussehen seines 25-Jährigen ich an. Das Erste, was er im Garten Eden tat, war die genaue Inspizierung seines Körpers, genauer gesagt seiner Haut.
„Sie sind alle noch da! Meine Tattoos! Mutter Erde sei Dank!“ Erleichtert sah er sich um und hatte das Ziel, seine Geliebten aufzusuchen.
Shadia, Heather, seine Großeltern und Mikel erwarteten ihn bereits in einem Zimmer, welches dem früheren Wohnzimmer von Shadia ähnelte. Er sah all seine Liebsten und verdrückte mehr als nur eine Träne. „Ihr seid alle hier.“ Nacheinander umarmte er alle um sich herum, wissend, dass er willkommen und angekommen ist.