Die Aspis ist ein schlangengestaltiges Wesen mit Ursprüngen aus der griechischen Mythologie, die aus dem Blut der Medusa entstanden sein soll. Sie wird auch als Asp, Aspic, Ägyptische Asp(is), Chersaiai, Chelidoniai, Hypnalis, Ptuades; Akschub, Pethen, Zipheoni (Hebräisch); Plasyos, Hascos (Arabisch); Aspe, Aspide (Italienisch); Bivora bzw. Víbora (Spanisch); Schlang Gennant (Deutsch) und irreführend auch als Ägyptische Kobra, Ägyptische Viper oder Aspisviper beschrieben.
Merkmale
Die Beschreibungen der Aspis sind vielfältig und von der Zeit geprägt, in der sie erzählt wurden.
Die ursprüngliche Beschreibung der Aspis beschreibt sie als die erste Schlange, die aus Medusas Blut geboren wurde, sie sei die giftigste aller Schlangen und ihr Körper sei von Gift übersättigt. Es wird in den ursprünglichen Quellen nie ersichtlich, ob die Aspis eine spezifische Schlange, wie die Aspisviper (Vipera aspis) oder einem Mischwesen aus allen Giftschlangenmerkmalen, welche die Griechen fürchteten, darstellte. Geht man davon aus, dass die Aspis eine solche Mischung ist, ist sie schon damals als Drachenwesen zu identifizieren.
Marcus Annaeus Lucanus (* 3. November 39 n. Chr. in Corduba; † 30. April 65 in Rom), ein römischer Dichter, beschreibt die Aspis als Schlangenwesen mit einem Kamm oder einem geschwollenen Hals, was an eine Kobra erinnert.
Nikandros (auch Nikandros von Kolophon genannt, (* um 197 v. Chr. in Kolophon, Ionien; † um 133 v. Chr. möglicherweise in Pergamon)), griechischer Arzt, Grammatiker und Dichter und Verfasser der ältesten bekannten giftkundlichen Werke, beschreibt die Aspis als 1,8 Meter lang mit vier Reißzähnen und zwei "Tuloi" ("Kissen" oder "Matten") über der Stirn der Aspis. Diese Beschreibung zeigt deutlich, dass die Aspis keine gewöhnliche Schlange seien kann, den Giftschlangen besitzen zwei Reißzähne, nicht vier, weiter sind die Kissenwülste über der Stirn auffälliges Merkmal dieses Wesens. Zum Angriff richtet sich die Aspis aus einer zusammengerollten Postion auf und ihr giftiger Biss verursacht einen schmerzlosen Tod. Was im Widerspruch zu mancher Symptomatik steht, in welcher der Biss ersticken, Krämpfe und Würgen hervorrufen soll. Wiederum gilt in anderen Überlieferungen, dass der Biss nicht zwingend tödlich seien muss. Gelangt das Gift beispielsweise in die Augen, führt es zum Erblinden, ähnlich wie bei dem Gift der Speikobras.
Neben dem giftigen Biss, wird der Aspis auch eine giftige Haut bescheinigt, welche bereits bei Berührung tötet.
Philoumenos spricht von drei Arten der Aspis. Der Chersaiai, der "terrestrischen", ägyptischen Asp, welche Deckungsgleich mit der Uräusschlange (Naja haje) ist und eine Länge von 3 bis 4 Ellen erreichen soll. Die Chelidoniai, die "schwalbenfarbene" Aspis. Diese hat große Ähnlichkeiten zur Aspisviper, welcher allerdings keine Wasserschlange ist, wie es die Chelidoniai zu sein scheint. Die Ptuaden ("Spucker") beschreiben die Gruppe der Speikobras.
Von Interesse ist Philoumenos Beschreibung allerdings durch die Beschreibung der Hypnailis, welche er ebenfalls zu den Aspen zählt, deren Name sich daher ableitet, dass sie gewiss ihre Opfer in den ewigen Schlaf schickt.
Im Psalm 58 wird ebenfalls die Aspis erwähnt, die Schlange habe ein schlechtes Sehvermögen und verstopfe ihre Ohren, um nicht von andächtigen Gebeten und ähnlichem ergriffen oder verzaubert zu werden. Gleiches gilt für Musik. Um diese nicht hören zu müssen, verschließt die Aspis ein Ohr mit dem Schwanz und drückt das andere auf den Boden. Meist tritt dieses Merkmal in Beschreibungen auf, in der die Aspis eine Verkörperung derer darstellt, welche sich der Botschaft Gottes widersetzen oder im Fall eines Wächterdrachens, der einen Schatz bewacht.
Wie bei allen mythologischen Schlangen wurde auch die Aspis in mittelalterlichen, europäischen Illustrationen häufig mit Beinen und anderen Drachenzügen versehen. Sie sind noch immer durch das Verstopfen der Ohren als Aspis zu erkennen, auch wenn ihre Gestalt nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Schlangenwesen gemeinsam hat. So haben sie entweder zwei Beine und zwei Flügel oder vier Beine mit Flügeln und könnten wie die Amphisbaena eine mögliche (unbemerkte) Beobachtung europäischer Drachenmetamorphose sein.
In der romanischen Bildhauerei erscheint die Aspis als Drache mit Kamm oder Mähne; der Aspisdrache aus der Kirche Saint-Sauveur von Nevers ist eine Art sechsbeinige Echse mit abgeflachtem Kopf und einer Mähne, die sich über den ganzen Körper zieht.
Vorkommen
Die Art besiedelt die mediterranen Gebiete in Europa und Afrika. Dort findet man sie meist am bodenlebend oder semiaquatisch. In der Nähe alter und/oder magischer Bäume bzw. Wälder können Aspen ebenfalls verstärkt auftreten.
Lebensweise
Verhalten
Bei Geräuschen, welche der Aspis nicht zusagen (Gebete, Musik, Losungsworte) verstopft sie eines ihrer Ohren mit dem Schwanz und das andere presst sie auf den Boden.
Prädatoren
Der Ichneumon (Herpestes ichneumon), dessen Name sich aus dem altgriechischen ableitet und so viel bedeutet wie "Aufspürer" und auch als "ägyptisches Wiesel" verstanden werden kann, ist eine Mangustenart und soll die Aspis bejagen. Um sich vor ihren giftigen Bissen zu schützen, soll sich das Tier in Schlamm hüllen. Da es aber nicht seine Nase in Schlamm hüllen kann, da es sonst die Aspis nicht mehr erschnüffeln könnte, kann die Aspis hier immer noch zum Angriff ansetzen. Der Ichneumon frisst auch die Eier der Aspis. Was nicht nur Ähnlichkeiten zum Basilisken aufzeigt (mit seiner Erzrivalität zum Wiesel), welche sich wohl aus der Aspislegende entwickelt hat, sie zeigt auch, dass die Aspis deutlich mehr realistische schlangenartige Charakter besitzt.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Auch wenn die Aspis häufig als schlechtes Wesen beschrieben wird, sind nicht alle Aspis unwiderruflich schlecht. Eine weibliche Aspis verliebte sich in einen ägyptischen Jungen, warnte ihn vor Gefahren und bewachte ihn ein Leben lang.
Aspis als Wächter
Des Weiteren bewacht die Aspis den Karfunkel, auch Drachenstein oder Draconis genannt. Diesen erhält man nur, wenn man der Aspis ein bestimmtes Losungswort mitteilt. Die Aspis verstopft aber vor jedem das Gehör, bei dem sie weiß, dass dieser das Losungswort kennt. Gelegentlich wird angegeben, dass die Aspis den Karfunkel in der Stirn tragen soll. Was ihr eine Ähnlichkeit zu den Naga-Drachen Indiens geben würde.
Weiter heißt es, dass die Aspis einen Baum bewache, dessen Harz wie aromatischer Balsam wirke und wenn man diesen erhalten möchte, die Schlange mittels Musik in den Schlaf spielen müsste, ähnlich dem Wächterdrachen aus Jason und das Goldene Vlies. Bemerkt die Aspis einen bevor man spielt oder während des Spiels, so verstopft sie ihre Ohren und der Versuch, dass Balsam zu erhalten ist gescheitert.
Symbolik
Ägypten
Kleopatra soll sich, in dem sie sich eine Aspis, welche das Symbol der Pharaonen sei, an ihre Brüste legte, getötet haben. In diesem Fall ist klar die Rede von der Hypnalis - was einem Tod im Schlaf gleich kommt. Hier wird die Aspis und damit auch die Hypnalis der Ägyptischen Kobra gleichgesetzt.
Bibel
Die Aspis wird in der Bibel und christlich, religiösen Darstellungen, als Sinnbild derer verwendet, welche die Botschaft Gottes ablehnen. Sie reiht sich damit ein, in das negative Bild der Schlangen, deren Anfang in der Garten-Eden-Geschichte mit Adam und Eva zu finden ist.
Wissenschaftliche Erklärungsversuche
Es ist anzunehmen, dass die Ursprünge der Aspis aus der Aspisviper (Vipera aspis) hervorgehen, verbunden mit anderen Giftschlangen, welche in den jeweiligen Regionen ähnlich gefürchtet waren für ihre Giftigkeit.
Taxonomische Stellung
Externe Systematik
Die Aspis gehört aufgrund ihrer Entstehung aus dem Medusenblut eigentlich zur Gruppe der Libyschen Schlangen. Allerdings wurde die Aspis in den Auflistungen dieser Schlangenwesen nie direkt erwähnt (Prester und Dipsas wurden in Beschreibungen von Isidor von Sevilla als Arten der aspis (hier im Sinne der Giftschlangen) bezeichnet). Die Libyschen Schlangen sind eine Gemeinschaft von mehreren Arten, die sowohl Drachen als auch mythologische Schlangen vereint (bei denen aber die Möglichkeit besteht, dass der Mischwesen-Charakter von Zeitzeugen nicht erkannt wurde). Damit handelt sich nicht um verwandtschaftliche Gruppe, sondern um ein Form-Taxa. Innerhalb der Libyschen Schlangen, wird die Aspis häufig in die nähere Verwandtschaft zur Prester, und damit auch Dipsas, gestellt, welche selber beide zu den mythologischen Schlangen gehören. Da die Aspis eine Verkörperung aller Giftschlangenmerkmale und im Besitz von vier Giftzähnen ist, ist sie klar als reptiloides Mischwesen zu erkennen.
Damit handelt es sich bei der Aspis mit Sicherheit um einen Drachen.
Da sich ihr Erscheinungsbild von der Antike bis in das Mittelalter wandelte und sie mit Beinen und Flügeln dargestellt wurde, scheint sie eine Metamorphose, wie die Amphisbaena durchzuführen. Da diese ebenfalls Medusischen Ursprungs ist, dürften beide Arten eine nähere Verwandtschaft besitzen. Die Erzrivalität zum Ichneumon erinnert an den Basilisken, welcher ebenfalls eine Metamorphose erlebte. Wie auch dieser zeigen manche Aspis-Darstellungen das Wesen mit Kamm. Es ist daher möglich, dass auch hier eine Verwandtschaft zum Basilisken und den Basiliskendrachen besteht.
Interne Systematik
Aufgrund der Vermischung mit vielen anderen Giftschlangen ihrer Region ist es schwer, die Aspis als alleinstehendes Wesen auszumachen.
Die Aspis besitzt vier Giftzähne und zwei Tuloi-Kissen über der Stirn. Das Sehvermögen der Art ist ungemein schlecht und der Hörsinn ist ihr wichtigster Sinn. Im Fall von Geräuschen (Gebete, Musik, Losungsworte), welche ihr Schaden bedeuten könnte, verstopft die Aspis eines ihrer Ohren mit dem Schwanz und presst das andere auf den Boden.
Weiter besitzt sie einen Nackenschild, ähnlich einer Kobra, oder zumindest die Fähigkeit den Hals stark abzuflachen. Sie erreicht eine Länge von gut 1,8 Metern. Die Aspis ist hochgiftig und kann ihr Gift über die Zähne, aber auch die Haut abgeben. Mal tötet das Gift sofort und erlaubt einen schmerzlosen Tod oder erstickt das Opfer in qualvollen Krämpfen und Würgen. Es ist anzunehmen, dass hierbei die abgegebene Giftmenge entscheidend ist. Wird das Gift über die Zähne gespien, wie bei den Speikobras, und gelangt es in die Augen, führt es zum Erblinden des Opfers.
Nach einer Lebensspanne von mehreren hundert Jahren scheint eine Metamorphose den Körper der Aspis zu verändern. Sie bildet zwei Beine und zwei Flügel aus, gelegentlich auch vier oder gar sechs Beine. Sechsbeinige Varianten verlieren meist wieder ihre Flügel, sodass anzunehmen ist, dass das dritte Beinpaar modifizierte Flügel darstellt. Mehrheitlich tragen Aspis mit mehreren Beinen einen Kamm oder eine Mähne. Die Giftigkeit und das Abwehrverhalten gegenüber Schall bleibt bei allen Aspisformen erhalten.
Innerhalb der Art könnten Unterarten vorliegen, was die Variationsbreite erklärbar machen dürfte, aber aufgrund der geringen Datenlage nur schwer beweisbar seien dürfte.
Die Hypnailis im Besonderen könnte eine eigene Art sein, da sie als einzige konsequent gleich tötet und ihre Opfer in einen ewigen Schlaf schickt und scheinbar nie eine Metamorphose erlebte, was sie von den anderen Aspis-Darstellungen separiert.
Nachweise
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