Die Nue (jap. 鵺(Kanji) bzw. ぬえ (Hiragana)) ist ein Mischwesen aus dem japanischen Volksglauben. Es wird auch als japanische Alptraumchimäre bezeichnet.
Etymologie
Nue als Wort erscheint in der ältesten japanischen Literatur wie dem Kojiki (712) und dem Wamyō Ruijushō (ca. 934). Basierend auf dem Man’yōgana, der historischen Schreibweise, wurde das Wesen früher nuye ausgesprochen. Damals bezeichnete das Wort jedoch die Erddrossel (Zoothera aurea).
Im Heike Monogatari aus dem 13. Jahrhundert soll die Nue zusätzlich zu dem genannten Erscheinungsbild die Stimme einer Erddrossel besessen haben.
Merkmale
Die Nue hat, nachdem Heike Monogatari (jap. 平家物語, dt. Erzählungen von den Heike (eine Clanfamilie)), den Kopf eines Affen, den Körper eines Tanunki, die Beine eines Tigers und eine Schlange als Schwanz (gelegentlich auch als Viper spezifiziert).
In Genpei Jōsuiki, auch bekannt Genpei Seisuiki (源平盛衰記), hat die Nue den Rücken eines Tigers, die Beine eines Marderhundes und den Schwanz eines Fuchses. Darüber hinaus gibt es Dokumente, die besagen, dass während der Muromachi-Zeit (1336–1573) einige Tiere mit dem Kopf einer Katze und dem Körper eines Huhns auftauchten, welche eventuell auch den Nue zugerechnet werden könnten.
Die Nue ist in der Lage sich in eine schwarze Wolke zu verwandeln und fliegen. Die Nue besitzt die Stimme einer Erddrossel, allgemein wird ihr Ruf als wehklagend beschrieben.
Nue gelten als Boten von Unglück und Krankheiten.
Vorkommen
Der genaue Lebensraum der Nue ist nicht abschließend geklärt, Sichtungen dieser Wesen konnten nur im Himmel, in Begleitung schwarzer Wolken gemacht werden. Die meisten Sichtungen lokalisieren sich in der Präfektur Kyōto in der Kinki-Region auf der japanischen Hauptinsel Honshū.
Lebensweise
Über die Lebensweise ist nicht viel bekannt.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Die Nue im Heike Monogatari
Nach dem Heike Monogatari erkrankte der Konoe-tennō (76. Tennō/Kaiser von Japan) im Sommer 1153, nachdem er jede Nacht schreckliche Albträume hatte. Weder Medikamente noch Gebete hatten irgendeine Wirkung auf seine Krankheit, und die Ursache wurde auf eine Art bösen Geist zurückgeführt, der jede Nacht am frühen Morgen den Palast heimsuchte. Diese Ereignisse gipfelten einige Tage später in einem Sturm, der gegen 2 Uhr morgens über dem Kaiserpalast aufkam. Der Blitz schlug in das Dach ein und setzte es in Brand.
Der Samurai Minamoto no Yorimasa (japanisch 源 頼政; * 1106; † 1180) wurde gerufen, um dem bösen Geist den Gar auszumachen. Yorimasa brachte seinen treuen Begleiter I no Hayata und seinen legendären Bogen, den er von Minamoto no Yorimitsu erhielt, mit, um das Monster zu bekämpfen. In der Nacht flog ein seltsamer Wind über sie hinweg, gefolgt von einer schwarzen Wolke. Yorimasa feuerte seinen Pfeil in die Wolken über dem Palast, und aus dem Himmel ertönte ein schrecklicher Schrei. Sekunden später stürzte eine Nue aus der Wolke auf die Erde. I no Hayata sprang auf den Körper und versetzte ihm den letzten Schlag. (In anderen fassung bedarf es keinen Gnadenstoß, weil die Nue bereits durch den Pfeil getötet worden ist). Der Kaiser erholte sich sofort von seiner Krankheit. Damit kein Folgefluch zu befürchten war, lud Yorimasu die Nue auf ein Schiff, um den Körper im japanischen Meer zu versenken. Das Schiff wurde auf dem Kamo-Fluss für diesen Zweck sich selbst überlassen.
In einer lokalen Erweiterung dieser Geschichte wurde schließlich das Boot mit der Leiche der Nue am Ufer in der Nähe des Dorfes Ashiya in der Präfektur Hyogo angespült. Auch dort fürchtete man sich vor einem Folgefluch und die Bürger begruben die Nue ordnungsgemäß. Der Grabhügel Nuezuka ist noch heute an jener Stelle zu besichtigen.
Dies ist die populärste Variante der Geschichte, es existieren aber weitere Orte, an denen die Nue angeschwemmt worden seien soll.
Die Geschichte wurde um 1435, von Zeami Motokiyo, in ein Nō-Stück namens Nue, verarbeitet.
Für seine Leistung wurde Minamoto no Yorimasa, vom Kaiser, das Katana Shishiō, der "König der Löwen", verliehen, das noch heute im Nationalmuseum Tokio ausgestellt ist. Das Ereignis begründete auch Yorimasas Ruf als Monstertöter und er tötete einen zweiten Nue während der Herrschaft eines späteren Kaisers.
Einer alternativen Variante der Geschichte zufolge verwandelte sich der Geist der Nue in ein Pferd, erhielt den Namen Kinoshita und wurde von Yorimasa gehalten. Das Pferd mit Nue-Ursprung war ein gutes Pferd, doch wurde es von Taira
no Munemori gestohlen, was dazu führte, dass Yorimasa eine Armee gegen den Taira-Clan aufstellte und das Pferd so töten musste.
Eine wieder andere Variante der Gesichte, aus der Stadt Kumakogen, im Bezirk Kamiukiana, Präfektur Ehime, dass die Nue tatsächlich Yorimasas Mutter gewesen ist. Einst, während der Blütezeit des Heike-Clans, lebte Yorimasas Mutter versteckt in ihrer Heimatstadt und betete zum Drachengott, der sich in einem Teich eingenistet hatte, um das militärische Vermögen ihres Sohnes und die Wiederherstellung des Genji-Clans zu ermöglichen. Den Teich nannte man Akakuragaike und er befand sich in den Bergen. Aufgrund ihres Hasses auf die Familie Heike verwandelte sich der Körper der Mutter in eine Nue und flog nach Kyoto. Dort machte Yorimasas Mutter, in Gestalt einer Nue, den Kaiser krank. Als die Mutter erfuhr, dass ihr Sohn sie töten sollte und sein Versagen in dieser Mission womöglich seinen Tod bedeutet hätte, ließ sie sich von dem Pfeil treffen. Er durchbohrte ihren Körper, doch die Nue konnte zum Akakuragaike-Teich zurückkehren, wo sie der neue Schutzpatron für dieses Gewässer wurde. Doch bald darauf starb sie an der Pfeilwunde.
Die Nue vom Hamana-See
Westlich des Hamana-Sees in der Präfektur Shizuoka fiel eine Nue aus dem Himmel. Es wird erzählt, dass Ortsnamen wie Mikkabi-cho Nueyo, Dozaki, Hahira und Ona im Bezirk Hamana in der Stadt Hamamatsu auf Kopf, Körper, Flügel und Schwanz einer Nue bassieren. Allerdings ist nicht überliefert, wie diese Flügel ausgesehen haben sollen.
Trivia
- Im Manga Detektiv Conan wird das Fabelwesen Nue als Tarnung eines Täters aufgegriffen. Außerdem bildet es das Cover auf Band 91.
- Chymäre ist ein klassischer Yo-kai vom Rang S mit dem Element Blitz und gehört dem Stamm Mystikka an. Das Wesen existiert seit Yo-kai Watch 2.
Taxonomische Stellung
Aufgrund ihrer Erscheinung wird die Nue auch als japanische Chimäre bezeichnet und ähnelt dem Mantikor, einem griechisch-persischen Fabelwesen (welches in manchen Fassungen auch als Löwen-Drachenmischwesen beschrieben wird). Als Chimäre erfüllt die Nue definitionsgemäß Mischwesen-Charakter, da einer ihrer Teile der Schwanz einer Schlange ist, ist auch der reptiloide Mischwesencharakter, die Charakteristik der Drachen, erfüllt. (Die weniger gängigen Beschreibungen der Nue, erfüllen entweder die Charakteristik nicht oder sind nicht eindeutig der Nue zuzuweisen). Innerhalb der Drachen ist die Stellung der Nue noch sehr fraglich und wird sich erst mit der Zukunft klären können.
Gelegentlich wird auch die Nue als Raijū bezeichnet, was den Ansatz, dass es sich bei den Raijū um eine informelle Gruppe handelt und keine monophyletische Abstammungsgemeinschaft, weiter bekräftigt.
Nachweise
- Aoyama, Gosho: Detektiv Conan Band 90–91, Egmont Verlag, 2017
- Foster, M. D. (2015) The Book of Yokai. University of California Press, Berkeley.
- Sekien, T.; Alt, M. and Yoda, H. eds. (2017) Japandemonium Illustrated: The Yokai Encyclopedias of Toriyama Sekien. Dover Publications, New York.
- The Obakemono Project: Nue (Memento vom 2. Juli 2013 im Internet Archive) https://web.archive.org/web/20130702223621/http://www.obakemono.com/obake/nue/ Abgerufen am 2.04.2024
- Yokai.com: "Nue" https://yokai.com/nue/ Abgerufen am 2.04.2024
- Yokai-watch.fandom.com "Chymäre" https://yokai-watch.fandom.com/de/wiki/Chym%C3%A4re?so=search
- 多田克己『幻想世界の住人たち(日本編)』 IV、新紀元社〈Truth In Fantasy〉、1990年。ISBN 978-4-915146-44-2。
- 田辺眞人『神戸の伝説』神戸新聞総合出版センター、1998年。ISBN 978-4-87521-076-4。
- 村上健司『妖怪ウォーカー』角川書店〈Kwai books〉、2002年。ISBN 978-4-04-883760-6。
- 村上健司『京都妖怪紀行 - 地図でめぐる不思議・伝説地案内』角川書店〈角川oneテーマ21〉、2007年。ISBN 978-4-04-710108-1。
- 村上健司『日本妖怪散歩』角川書店〈角川文庫〉、2008年。ISBN 978-4-04-391001-4。