Der Luu (mon.: луу, trationell ᠯᠤᠤ, alt.: улу, ulu, otk.: 𐰠𐰇, auch Lu) ist der Drache der mongolischen Mythologie. Er ist der einzige bekannte Vertreter der Gattung Luu.
Etymologie
Das Wort "Luu" stellt eine Ableitung des chinesischen Lóng (chinesisch 龍) dar.
Merkmale
Der Luu hat einen langgestreckten, schlangenartigen Körper. Die Beine sind entweder stark verkümmert oder überhaupt nicht mehr existent oder der Luu hat vier Beine (meist handelt es sich hier um Darstellungen, die sich stark am chinesischen Lóng orientieren und gerade in der Moderne populärer werden, während ältere Luu meist Beinlos erscheinen).
Der Luu wird mehrheitlich deutlich schlangenartiger als andere Lóngdrachen beschrieben. Der Kopf und die Ohren sind die eines Rindes. Über den Ohren sitzen überwiegend unverzweigte Geweihstangen, welche bei manchen Exemplaren auch verzweigt erscheinen. Die Schnurrhaare an der Schnauze sind entweder vergleichsweise kurz oder typische Lónglänge dafür aber deutlich breiter als bei anderen Lóngdrachen. Die Mähne des Kopfes ist voluminös. Luu besitzen große, dämonische Augen und eine lange Zunge. Der Drache erscheint grün beschuppt und bildet einen flammenden, roten Rückenkamm aus, welcher von Kopf bis zum Schwanz verläuft. Die Schwanzspitze bildet eine flammende Quaste aus. In Darstellungen, welche eher dem chinesischen Lóng nachempfunden sind, kann der Luu auch gelb oder weiß geschuppt auftreten und besitzt in der Regel einen deutlich schwächeren Rückenkamm mit kleinerer Schwanzquaste. Solche drastischen Angleichungen könnten auf eine Hybridisierung hindeuten, ähnlich wie beim vietnamesischen Lóng-Rồng.
Der Luu gilt als König des Wassers, verärgert man ihn durch mangelnden Respekt, kann er Drachenkrankheiten auslösen - eine mongolische Sammelbezeichnung für sämtliche Krankheiten, die mit dem Wasser zu tun haben, wie etwa Cholera.
Vorkommen
Der Luu ist endemisch für die Mongolei und lebt dort vorrangig in den himmlischen Luftlebensräumen, aber auch in allen Gewässern.
Lebensweise
Fortpflanzung
In "Der Lohn der Freundschaft" wird beschrieben, dass ein großes Schlangenwesen durch das Entfernen des Topaz aus ihrer Stirn zu einem Drachen werden kann.
Alternativ wird auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass die Metamorphose von Schlangenwesen zum Luu nach 1000 Jahren erfolgt, eine gängige Entwicklungszeit für Lóngdrachen.
Kulturelle Bedeutung
Archäologie
Ein Team der Universität Ulaanbaatar und des Henan Provincial Institute of Cultural Heritage and Archaeology fand 2019 ein Grab mit silbernen Drachen. Die bei der Ausgrabung untersuchten Gräber gehörten Xiongnu-Aristokraten oder Aristokraten des Hunnenstaates und beherbergten gleich zwei exquisite silberne Drachenstatuen. Man geht davon aus, dass dies den kulturellen Austausch und die Interaktion zwischen der chinesischen und der mongolischen Gesellschaft in der damaligen Zeit zeigt.
Astrologie
Die mongolische Mythologie besitzt Drachen, sie sind aber deutlich weniger relevant, als in anderen ostasiatischen Mythen. Wie auch andere ostasiatische Länder haben auch die Mongolen einen Kalender mit Tierkreiszeichen und somit das Jahr des Drachen. Hier besitzt der Luu die größte Relevanz für die mongolische Kultur.
Mythologie
Der Lohn der Freundschaft
Es war einmal ein armer Mann, der von einem weisen Lama (tibetischer Gelehrter) in einem fernen Land hörte. Er machte sich auf den Weg dorthin, um zu lernen, wie er selbst ein solcher Gelehrter werden könne. Unterwegs traf er einen anderen armen Mann, der ihn bat, den Lama zu fragen, wie er von seiner Armut befreit werden könne. Dann traf er einen reichen Mann, dessen 18-jährige Tochter im Leben noch kein Wort gesprochen hatte. Für ihn solle er den Lama fragen, wie die Tochter ihre Stimme finden könne. Schließlich traf er eine riesige Schlange, die nach 1000 Jahren ein Drache hätte werden sollen, und er sollte den Lama fragen, warum dies nicht passiert sei.
Als der Mann schließlich bei dem Lama ankam, fragte er zunächst nach den Lösungen der Probleme der anderen. Der Lama offenbarte ihm, dass unter der Ulme nordöstlich des Hauses des armen Mannes ein großer Schatz vergraben lag, den dieser nur ausgraben müsse. Für den reichen Mann teilte der Lama mit, dass die Tochter von selbst zu sprechen beginnen würde, sobald sie den Mann sehen würde, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Schließlich wusste der Lama noch, dass sich im Kopf der Schlange ein Topas befindet. Wenn man diesen entfernen würde, würde sie ein Drache werden.
Da der Lama jeder Person nur drei Antworten pro Jahr gab, konnte er dem Mann keinen Ratschlag auf seinen Wunsch geben. Anstatt ein Jahr bei dem Lama zu warten, beschloss der Mann, zurückzukehren und den anderen ihre Antworten zu überbringen, damit sie nicht länger warten mussten. Zuerst traf er die Schlange und entfernte den Topas aus ihrem Kopf, worauf diese zum Drachen wurde und in den Himmel aufstieg. Sobald der Mann den Topas in die Hand nahm, wurde er ein schöner Jüngling, gekleidet in feinste Stoffe und gelehrt in der tibetischen und mongolischen Literatur.
Als Nächstes kam er an die Jurte des reichen Mannes. Kaum sah dessen Tochter ihn, lachte sie. Er erzählte dem Mann, was der Lama gesagt hatte, und die Tochter unterbrach ihn und begann zu sprechen, worüber die Eltern sich sehr freuten. Schließlich ging er noch zu dem armen Mann, grub den Schatz aus und gab ihn diesem. Danach heiratete er die Tochter des reichen Mannes und lebte glücklich mit ihr.
Die Geschichte hat Ähnlichkeit zur koreanischen Legende Gieriger Imugi in der eine Imugi vor ein ähnliches Dilemma gestellt wird.
Die Gründung Pekings
Einer mongolischen Sage nach soll der letzte Kaiser der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368), Toghan Timur (Ukhaatu Khan, mongolisch ᠲᠤᠭᠤᠨᠲᠡᠮᠤᠷ, * 25. Mai 1320; † 23. Mai 1370), als er von Khitad baatar aus seiner Hauptstadt Ta T'ung vertrieben wurde, seine Kaiserin zurückgelassen haben. Khitad nahm die Kaiserin zur Frau, doch sie war zu der Zeit bereits im vierten Monat schwanger mit Toghans Sohn. Als Khitad ihr dicker Bauch auffiel, log sie ihn an und behauptete, dass sie krank vor Angst aufgrund der Revolution sei und deshalb ihr Bauch angeschwollen sei.
Doch da die Kaiserin fürchtete, dass Khitad ihr Kind, welches der rechtmäßige Erbe des mongolischen Kaisers war, töten würde, betete sie insgeheim zum Himmel, die Schwangerschaft um 12 Monate zu verlängern, so dass Khitad glauben würde, es würde sich um sein eigenes Kind handeln. Ihr Wunsch wurde ihr gewährt, und so wurde ihr Bauch wieder flach, bevor er später wieder dick wurde. Als das Kind im zwölften Monat zur Welt kam, war der Khitad sicher, dass es sein eigenes Kind sein musste, da zu viel Zeit seit der Vertreibung der Mongolen vergangen war.
Später hatte er einen zweiten Sohn mit der Kaisiern. Die beiden Söhne wuchsen gemeinsam auf.
Eines Nachts träumt der Khitad von zwei Drachen, welche zu ihm kamen. Der eine Drache war gelb, der andere schwarz. Der gelbe Drache kroch an seinem rechten und der schwarze an seinem linken Bein hoch. Unschlüssig was er von dem Traum halten sollte, wandte sich Khitad an einen Traumdeuter. Dieser offenbarte dem Herrscher das der schwarze Drache sein leiblicher Sohn sei (Hitdad bedeutet soviel wie "schwarzer Chinese"), der gelbe aber der Sohn des Mongolen. Da der gelbe Drache das rechte Bein hochkroch, würde er der Thronerbe sein. Nun war der Khitar in einer Zwickmühle, denn den mongolischen Sohn zu töten würde zu Erbschafts-Streitigkeiten und Unruhen führen, da jeder wusste, dass dieser erst 12 Monate nach der Vertreibung der Mongolen geboren worden war. Würde Khitad den mongolischen Sohn zu seinem Erben machen, würde es bedeuten, dass sein leiblicher Sohn betrogen werden würde.
So beschloss der Khitad, keinem der beiden etwas zu vererben und sie auszusenden, auf dass sie ihr eigenes Königreich gründen. So gingen die Söhne nach Peking, das noch ein unbedeutendes Dorf war, und machten es zu ihrer Hauptstadt.
Peking war bereits vor der Zeit des mongolischen Reiches Haupstadt verschiedener Dynastien. Unter dem Namen Cambaluc bzw. Dadu diente sie als Herrschersitz der mongolischen Yuan-Dynastie, bevor der erste Ming-Herrscher Hongwu zunächst Nanjing zu seiner Hauptstadt machte.
Später verlegte der dritte Ming-Kaiser Yongle seine Hauptstadt wieder an den Ort des alten Cambaluc und gab der Stadt den heutigen Namen Beijing (Nördliche Hauptstadt).
Jägerjunge
Es lebte einst ein geschickter Mann namens "Jägerjunge".
Dieser erfolgreiche verwaiste Jäger ging eines Tages seiner Arbeit nach, als er von oben aus dem Himmel einen Hilferuf einer dünnen weißen Schlange in den Klauen eines Falken hörte. Voller Mitgefühl schoss er den Falken mit einem Pfeil nieder und rettet so die Schlange. >Doch es war nicht irgendeine Schlange, es war die Tochter des Drachenkönigs.
Voll Dankbarkeit sagte sie zu Jägerjunge: "Komm und hol dir eine Belohnung – mein Vater wird dir alle möglichen Reichtümer anbieten, aber ignoriere diese und bitte um den runden Stein, den er im Mund hat. Du wirst jedes vierbeinige Wesen verstehen können. Aber erzähle niemals einem Menschen, was du gehört hast, sonst wirst du selbst zu Stein."
Ein Treffen zwischen dem Drachenkönig und Jägerjunge wurde nur wenig später in die Wege geleitet und tatsächlich fragte er nach dem Stein und ließ die Reichtümer unberührt. Der Drachenkönig schenkte ihm den Stein und von da an konnte Jägerjunge die Sprache aller vierbeinigen Kreaturen verstehen.
Doch eines Tages hörte er eine Ansammlung von Tieren darüber diskutieren, dass der nahe Berg ausbrechen und überfluten und alles auf seinem Weg zerstören würde. Auf diesem Weg lag das Dorf von Jägerjunge.
Da ihm keine andere Wahl blieb, erzählte er seinem Dorf von der unmittelbaren Gefahr. Gerade als er seine Geschichte beendet hatte, verwandelte er sich in Stein und der Berg barst im gleichen Moment. Durch die frühe Warnung von Jägerjunge konnten die Dorfbewohner rechtzeitig die höheren Lagen erreichen.
Als die Dorfbewohner am nächsten Tag zurückkehrten, wo Tags zuvor noch ihr Dorf gestanden hatte, fanden sie nur noch die Statue von Jägerjunge stehend.
Noch heute steht Jägerjunge (eine blaue Felsformation) im Altai-Gebirge neben einer Quelle, welche friedlich aus dem Berg sprudelt.
Taxonomische Stellung
Der Luu ist die einzige Art der gleichnamigen Gattung Luu und somit Teil der Lóngdrachen. Er zeigt klare Charakteristika eines reptiloiden Mischwesens. Seine nächsten Verwandten sind die Druk und die Lóng. Da der Luu Merkmale aus beiden Gattungen zu vereinen scheint, könnte es sich auch um eine Hybridform aus Druk und Lóng handeln.
Weiter besteht die Möglichkeit, dass es sich beim Olgoi-Khorchoi (Besser bekannt als "Mongolischer Todeswurm") sich um die Larve des Luu handelt. Da Schlangen und Drachen in der mongolischen Mythologie einen ähnlichen Stand besitzen und sich der Luu aus einer schlangenartigen Form zu entwickeln scheint.
Nachweise
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