Der Chilóng (螭龍, zu dt. Hornloser Drache) sind Drachen der chinesischen Mythologie, die im Gegensatz zu den meisten Lóng-Drachen keine Hörner haben. Alternative Schreibweisen sind Chih-Lung oder Ch'i-Lung, wie auch Lang oder irreführend Lóng bzw. Lung.
Etymologie
Chi, vor allem als Wortbestandteil von Chimei (chin. 螭魅 oder 魑魅), kann sowohl als Chilóng verstanden werden, als auch als Berg-Dämon. Diese Bedeutung ist wesentlich älter und kommt schon 389 v. Chr. im Zuozhuan (chinesisch 左傳 / 左传, Pinyin Zuǒ Zhuàn, W.-G. Tso Chuan) oder Chunqiu Zuozhuan (春秋左傳 / 春秋左传, Chūnqiū Zuǒ Zhuàn – "Überlieferung des Zuo zur Zeit der Frühling-und-Herbstperiode"), das früheste chinesische Werk narrativer Geschichte, welches die Zeit von 722 bis 468 vor Chr. umspannt.
Die älteste bekannte Verwendung des Wortes Chi für einen hornlosen Drachen stammt aus dem Buch Lüshi chunqiu (chinesisch 呂氏春秋 / 吕氏春秋, Pinyin Lüshi chūnqiū, W.-G. Lü-shih ch'un-ch'iu, englisch The Annals of Lü Buwei, deutsch Frühling und Herbst des Lü Buwei), laut Nachwort aus dem Jahr 239 v. Chr., aber erst nach 235 v. Chr. veröffentlicht. In diesem Buch in einem Konfiuzius-Zitat wird der Chi als besser als ein yu (chin. 魚, Fisch), aber niedriger als ein Drache bezeichnet. Also ein Wesen zwischen Fisch und Drache, was die Yu-Lung-Form der Lóngdrachen aufgreift und weniger die Jiāolóngform. Chi wird im Kontext des Buches manchmal auch als "Einbeiniger Drache" übersetzt.
Der Begriff Chilóng wurde erstmals im Buch Chuci (chinesisch 楚辭 / 楚辞, Pinyin Chǔcí, W.-G. Ch'u-tz'ŭ), also Elegien oder Gesänge aus Chu (eine Sammlung von Gedichten aus dem Süden Chinas) erwähnt, hier aber noch als Begriff für gehörnte Drachen (die Trennung dieser beiden Drachenformen erfolgte erst 200 n. Chr.), welche man heute als Qui Lóng bezeichnet.
Merkmale
Der Chilóng hat den Körper eines riesigen Karpfens, mit den Beinen eines Tigers, den Krallen eines Adlers. Andere Quellen beschreiben den Chilóng, mit dem Kopf eines Kamels, Ohren einer Kuh, Bauch eines Frosches, Pfoten eines Tigers, lange Schnurrhaare einer Katze, Schuppen eines Karpfens, Augen eines Dämons, langer Hals einer Schlange und den Krallen eines Adlers. Alternativ werden Chilóng mit einem schuppigen, schlangenartigen Körper, vier Beinen, vier Pfoten, vier riesigen Krallen an jeder Pfote, einem geschwungenen Schwanz und dem Kopf einer riesigen Eidechse dargestellt.
Allen Chilóng-Beschreibungen ist gemein, dass sie keine Hörner besitzen.
Die unterschiedlichen Beschreibungen der chinesischen Lóng ergeben sich aus der Tatsache, dass sich die Form des Drachen im Laufe der Zeit veränderte, sowie dem Lebenszyklus dieser Drachengattung, die stark von Metamorphosen geprägt sind (siehe Fortpflanzung). Um das dritte Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich das noch heute präsente Bild der Lóng. Visser gibt an, dass diese Drachenform üblicherweise eine rote, weiße oder grüne Färbung zeigen würden, damit ist Visser die einzige Quelle, welche grüne, hornlose Drachen beschreibt. Das Buch Chuci aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus erwähnt den Xuanchi (chin. 玄螭, schwarzer hornloser Drache) und der Báichī (chin. 白螭, weißer hornloser Drache).
Im Huainanzi (chinesisch 淮南子 – „Meister von Huainan“) ist ein unter der Leitung von Liu An (劉安; 180–122 v. Chr.), dem Prinzen von Huainan, geschriebenes Werk der chinesischen Philosophie, kommt neben dem Báichī auch der bisher nicht erwähnte Chichi (chin. 赤螭, roter hornloser Drache) vor. Letzterer soll vor langer Zeit zusammen mit dem Azurdrachen existiert haben, als die Erde noch ungestört war.
Der grüne Drache ist das Symbol des Ostens, der rote Drache das Symbol des Westens. Weiße Drachen symbolisieren den Süden und schwarze Drachen den Norden. Es ist daher möglich, dass diese Farblehre auf einer Beobachtung basiert, dass in diesen Himmelsrichtungen die jeweiligen Farbschläge der Chilóng zu beobachten waren.
Die Chilóng tragen die Perle der Weisheit bereits in ihrem Mund. Die Schuppen auf dem Körper der Chilóng symbolisieren universelle Harmonie. Sie haben insgesamt einhundertsiebzehn Schuppen, wobei einundachtzig Schuppen den Yang-Einfluss und sechsunddreißig Schuppen den Yin-Einfluss haben. Das weiße Yang verkörpert die Eigenschaften: hell, hoch, hart, heiß, positiv, aktiv, bewegt und männlich und das schwarze Yin verkörpert die Eigenschaften: dunkel, weich, feucht, kalt, negativ, passiv, ruhig und weiblich. Trotz der höheren Yang-Schuppenzahl werden Chilóng meist mit Wasser assoziiert, welches sich eher im Yin verkörpert sieht. Zusammengefasst sind die Chilóng Geschöpfe mit sowohl aktiver als auch reaktiver Kraft, genannt Yin und Yang. Sie bewahren und beseitigen somit Elemente in der Natur.
Chilóng sind in der Lage, ihre Gestalt zu wandeln. Sie können sich unsichtbar machen und ihre Größe auf die Größe einer Seidenraupe (Bombyx mori) (2 Millimeter bis 10 Zentimeter, je nach Wachstumstadium) verkleinern oder sich so sehr vergrößern, dass sie die gesamte Sonne verdecken.
Aus den Nasenlöchern steigt Rauch oder Feuer, insbesondere wenn die Chilóng zwischen Regenwolken fliegen. (Es ist nicht sicher geklärt, ob der Chilóng fliegen kann oder nicht, manche Quellen schreiben diese Fähigkeit erst dem Qui Lóng Stadium zu).
Chilóng sind in der Lage Regen und Dürren zu kontrollieren und können auch als Regenbringer auftreten. Die Kraft eines Lóng geht mit dem Gewässer einher, in dem er lebt, je größer das Gewässer, desto mächtiger der Chilóng.
Neben der Macht über die Gewässer beherrschen Chilóng, wie auch die anderen Lóngdrachen, die Kontrolle über Windphänomene, wie Wasserhosen (lóngjuǎn 龍卷(wörtlich "Drachenrolle")) und Zyklonen (lóngjuǎnfēng 龍卷風 ("Drachenrolle Wind")).
Manche Quellen bescheinigen dem Chilóng neben den fehlenden Hörnern auch eine fehlende Hörfähigkeit. Allerdings wird nicht vollständig etabliert, ob der Chilóng taub ist oder ob er nur keine Gebete erhöhen kann, da beispielsweise die Shui Hui als hörfähig in ihren Legenden beschrieben wird und sie die erste Larvenform darstellt.
Vorkommen
Besiedelt China. Aufgrund der Bergdämonenvergleiche kann eine Lebensweise in den Bergen angenommen werden. Sie sollen zudem in den Gewässern und Wolken leben.
Lebensweise
Ernährung
Bevorzugt Schwalben als Nahrung. Laut dem Buch Lüshi chunqiu fressen Chilóng im Gegensatz zu Fischen nicht im schlammigen Wasser, sondern nur im sauberen Wasser. Auch wenn sie im schlammigen Wasser leben würden. Möglicherweise meint das Buch damit, dass Fische am Gewässergrund ihre Nahrung auf sich nehmen würden und Chilóng an der Oberfläche, die während der Ruhephasen zum Gewässergrund absinken.
Fortpflanzung
Obwohl Larvenstadien, wie der Chilóng keine adulten Exemplare darstellen, sind sie häufig in der Lage Eier zu legen und sich zu vermehren. Diese Form der Neotenie (Eintritt der Geschlechtsreife im Larvenzustand ohne Metamorphose, z. B. bei Schwanzlurchen.) hat höchstwahrscheinlich dazu geführt, dass der Chilóng fälschlicherweise als eigene Art angesehen wurde.
Der Chilóng selbst entwickelt sich aus dem Yu-Lung oder dem Jiāolóng nach einer Lebensspanne von rund 1000 Jahren. Im Fall des Yu-Lungs wird zusätzlich der Sprung über das sog. Drachentor benötigt.
Ein Chilóng wird nach weiteren 500 Jahren zu einem Qiu Lóng (虯龍, Gehörnter Drache), dieser besitzt Hörner und kann hören.
Kulturelle Bedeutung
Architektur
Chiwen 螭吻(wörtlich "Mund des hornlosen Drachens") war eine kaiserliche Dachdekoration in der traditionellen chinesischen Architektur, vergleichbar mit westlichen Gargoyles. Vergleichbare Ornamente sind die Chishou (chin. 螭首, hornloser Drachenkopf).
Mythologie
Drachensöhne
Einer der Neun Söhne des Drachen ist Chīwěn (chin. 螭吻). Als der Drachenkönig seine Kinder besuchte, beschwerten sich die Nachbarn seines Sohnes Chīwěn darüber, dass er nur auf Dächern stand und in die Ferne starrte. So befahl der Drachenkönig, dass das Bild von Chiwen als Wächter die Dächer von Gebäuden schmücken und die Entfernung nach Anzeichen von Gefahr absuchen sollte. Dabei suchte Chīwěn auf den Dächern nicht nach Gefahren, er verehrte einfach die Poesie.
In einer anderen Version der Geschichte war Chīwěn für seine Vorliebe für Schlucken und Schlingen bekannt. Deshalb wurde sein Bild an beiden Enden der Dächer angebracht, um alle bösen Einflüsse zu vernichten.
Taxonomische Stellung
Der Chilóng kann nach einer Lebenszeit von 500 Jahren zu einem Lung-Drachen werden, damit handelt sich um eine Larvenform dieser Drachen und stellt im taxonomischen Stammbaum der Drachen keine eigenständige Art dar.
Kroll stellt den Chilóng aufgrund seiner Verwendung als Gargoyle den Wyvernen gleich, was aber anatomisch nicht haltbar ist.
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