Mizuchi (jap. 蛟, auch Midzuchi) ist eine Art von Drache oder Schlangenwesen aus der japanischen Mythologie, welches mit Wasser in Verbindung gebracht wird.
Etymologie
Minakata Kumagusu (japanisch 南方 熊楠; geb. 18. Mai 1867 in Wakayama (Provinz Kii); gest. 29. Dezember 1941 in Tanabe), japanischer Biologe, Ethnologe und Folklorist, vermutete, dass das Suffix -chi von nushi stammt, was Meister bedeutet. Demnach würde mizuchi so viel wie Meister des Wassers bedeuten.
Weiter vermutete auch Minakata, dass tsuchi oder chi so viel wie Schlange bedeutet, so heißt z.B. auch die Tigernatter (Rhabdophis tigrinus) auf Japanisch yamakagashi, und das schlangenartiges Fabelwesen Tsuchinoko.
Motoori (jap. 本居 宣長; * 21. Juni 1730; † 5. November 1801), japanischer Gelehrter zur Zeit des Tokugawa-Shōgunates, vermutete, dass das Suffix aus der gleichen Wurzel stammt wie auch bei Yamata no Orochi. Einem achtköpfigen Drachen der japanischen Mythologie.
Yanagita Kunio (japanisch 柳田 國男; wirklicher Name: Matsuoka Kunio, * 31. Juli 1875 in Fujisaki (福崎町), Präfektur Hyōgo; † 8. August 1962 in Tokio), ein japanischer Volkskundler und Autor, leitet das -chi als "Geist" ab. Was den Mizuchi als Wassergeist übersetzbar macht.
Mizuchi wird zudem als japanischer Name diverser chinesischer Drachen(arten) verwendet, u.a. Jiāolóng, dem Qíulóng und dem Chilóng. Diese Gleichsetzung ist aber eher linguistischer Natur. Eine ähnliche Gleichsetzung erfährt Mizuchi durch Minakata, der eine Gleichsetzung mit dem japanischen Yōkai Kappa als möglich betrachtet.
Merkmale
Im Nihonshoki wird erwähnt, dass Mizuchi in der Lage sind Gift zu speien und in ihrer Gestalt an eine große Wasserschlange oder einen Drachen erinnern. Mizuchi ist allerdings in der Lage seine Gestalt zu ändern, was eine genauere Beschreibung erschweren könnte. Es ist möglich, sie durch Schwerthiebe zu töten, allerdings ist nicht jedes Schwert in der Lage diesen Wesen Schaden zuzufügen.
Sie sind in der Lage, Windhosen zu erzeugen.
Vorkommen
Mizuchi besiedeln Gewässer Japans unter anderem den Kawashima-Fluss. Dort leben sie aquatisch und suchen gelegentlich Unterwasserhöhlen auf.
Lebensweise
Über die Lebensweise der Mizuchi ist nur wenig bekannt, es ist anzunehmen, dass sie räuberisch lebten.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Agatamori
Die älteste überlieferte Erwähnung eines Mizuchi stammt aus dem Nihonshoki, wo beschrieben wird, dass im 67. Regierungsjahr des Kaisers Nintoku (jap. 仁徳天皇, Nintoku-tennō; * 257; † 7. Februar 399; Regenschaftzsiet: 14. Februar 313 – 7. Februar 399; demnach im Jahr 379) im Kawashima-Fluss, in der Provinz Kibi, eine Gift speiende Wasserschlange bzw. ein Drache (大虬) lebte. Welche durch diesen Giftatem bzw. das Giftspeien viele Passanten verletzte oder gar tötete.
Ein Mann namens Agatamori (県守), stellte sich dem Monster und warf drei Kalebassen (Flaschenkürbisse) in den Fluss, die auf der Oberfläche schwammen. Er forderte die Mizuchi heraus, die Kürbisse zu versenken, da er sie sonst töten würde. Die Schlange verwandelte sich in einen Hirsch und versuchte, die Kürbisse zu versenken, was ihr nicht gelang. Deshalb tötete Agatamori die Mizuchi.
Die anderen Wasserdrachen versammekten sich darauf in einer Höhle am Grund des Flusses. Agatamori folgte ihnen und tötete jeden einzelnen davon, das Blut dieser Drachen floss in solchen Strömen, dass es das Wasser nicht nur eingefärbt, sondern vollkommen verdrängt haben soll.
Noch heute nennt man das Gewässer das Becken von Agatamori.
Agatamori soll ebenfalls ein Vorfahre des Kasa-no-omi (笠臣) -Clans gewesen sein, welche nach der Regentschaft Nintokus, die westliche Präfektur Okayama bis östliche Präfektur Hiroshima, zentriert auf die Stadt Kasaoka beherrschten.
Kawa no Kami
Ein in Nintokus elftem Regierungsjahr (vermutlich im Jahr 323) im Yodo (bedeutender jap. Fluss) gesichteter Flussgott (jap. 河伯, Kawa no Kami) wird ebenfalls als Mizuchi angesehen. Der Fluss trat regelmäßig über die Ufer, durchbrach die Deiche. Der Kaiser hatte einen Traum, dass der Flussgott besänftigt werden musste. Um dies zu verwirklichen, ließ er zwei Männer, Kowa-kubi aus der Musashi Provinz und Koromo-no-ko aus der Kawachi-Provinz, opfern, um den Gott zu besänftigen.
Einer der beiden Männer wollte diesem Schicksal entgehen und forderte den Flussgott auf, eine Kalebasse zu versenken - um zu beweisen, dass es göttlicher Wille war, der sein Opfer forderte. Der Flussgott erzeugte einen Wirbelwind, aber die Kalebasse versank sie, sie schwebte einfach davon und so befreite sich der Mann mit seinem Verstand aus dem Tod. Es ist nicht überliefert, welcher von den beiden Männern diesen rettenden Einfall hatte. Auffallend ist, dass der Kawa no Kami eine Windhose nutzten wollte, um die Kalebasse zu versenken, Windhosen, sowie auch Wasserhosen, Zyklone und Taifune, werden in Japan mit Drachen in Verbindung gebracht. Ein Indiz dafür, dass es sich bei diesem Flussgott um einen Drachen handeln könnte. Weiter ist die Kalebasse wichtiges Verbindungsglied zwischen Kawa no Kami und der Geschichte von Agatamori. Ein Schluss, den unter anderem auch William George Aston (* 9. April 1841 bei Derry; † 22. November 1911 in Beer in der südenglischen Grafschaft Devon), ein britischer Konsularbeamter in Japan und Korea, zog.
Man'yōshū
Ein Mizuchi wird auch im Man'yōshū (759), der alten Sammlung japanischer Gedichte, erwähnt. Das von Prinz Sakaibe verfasste Tanka- Gedicht Nr. 3833 liest sich frei übersetzt:
„Ich könnte auf einem Tiger reiten, um über die Alte Hütte zum grünen Teich zu springen und dort den Mizuchi-Drachen zu besiegen, wenn ich nur ein Schwert hätte, das genau das könnte.“
Mizuchi und Kappas
In diversen Gegenden Japans gibt es Wörter, die mizuchi ähnlich sind, z.B. mizushi (Ishikawa, Fukui), medochi (Iwate, Ehime) oder mintsuchi (Hokkaido), jedoch lokale Namen des Fabelwesens Kappa sind. Minakata sieht dies als Grundlage an, dass Kappa und andere Wassergeister aus den Legenden über den Mizuchi entstanden sind. Eine direkte Beziehung der Mizuchi aus dem Nihonshoki zu den in späterer Zeit beschriebenen Kappa ist literarisch jedoch nicht nachweisbar.
Neben den Ähnlichkeiten im Namen heißt es in der Überlieferung der Provinz Echigo (Präfektur Niigata), dass die Kappa den Kalebasse-Kürbis verabscheuen, was an die Episoden in Nihonshoki erinnert. Wie auch dass die Schlangen und die Kappa (neben der Suppon-Weichschildkröte, gemeint ist die Amur-Weichsschildkröte (Pelodiscus maackii)) in Asakawa Zen'an [ ja ] s Aufsatz Zen'an zuihitsu als drei Kreaturen zusammengefasst wurden. Allen Dreien sagte man nach, dass sie Menschen im Wasser töten würden. Mit der Zeit setzte sich der Kappa als Wassergeist durch, die schlangenartigen Mizuchi gerieten in Vergessenheit.
Taxonomische Stellung
Mizuchi wird zwar mit mehreren Drachen aus der Gattung Lóng namentlich gleichgesetzt, gehört dieser Gattung aber nicht an. Diese Gleichstellung ist rein linguistischer Natur und so steht Mizuchi auch nicht in direkter Verwandtschaft zu anderen Drachen der Lóng-Gruppe. Gleiches gilt für den Kappa.
Nachweise
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- Shinmura, Izuru 新村出, ed. (1991). "chi" ち【霊】. Kōjien 広辞苑 (4 ed.). Iwanami. (electronic edition).
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- Yanagita, Kunio 柳田國男 (2014) [1959]. Ishii, Masami 石井正己 (ed.). Yanagita Kunio no kokyo nanajūnen 柳田国男の故郷七十年. PHP Kenkyusho. p. 133. ISBN 978-4-569-82106-1.
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