Die Wani (鰐) sind Seeungeheuerdrachen der japanischen Mythologie.
Die Wani stellen eine verhältnismäßig kleine Drachengattung dar, sind aber als Vorfahren der japanischen Kaiser von besondere Bedeutung.
Da ihr Name mit dem Kanji 鰐 (von Chinesisch 鰐 oder 鱷 "Krokodil; Alligator") geschrieben wird, wird Wani mit "Krokodil", aber auch manchmal "Hai" (von wanizame 鰐鮫 "Hai") übersetzt.
Etymologie
Das Wort Wani erscheint erstmals im Kojiki (jap. 古事記, dt. "Aufzeichnung alter Geschehnisse", aus dem Jahr 712), geschrieben mit man'yōgana (einer archaischen phonetischen Silbe). Später wurde das Wort mit dem Kanji 鰐geschrieben. Wani bezog sich damit ursprünglich auf Haie und andere "Seeungeheuer", denen Seeleute und Fischer auf dem Meer begegnen könnten. Im Laufe der Zeit erweiterte sich die Bedeutung des Wortes auf Krokodile und Haie und bezog sich dann nur noch auf Krokodile. Heutzutage bedeuten sowohl das Kanji als auch der Name Wani "Krokodil" und werden nur noch selten für Seedrachen verwendet.
Der Begriff wani könnte aber auch vom chinesischen wan-ê abstammen, was dort ebenfalls Krokodil bedeutet.
Merkmale
Wani haben lange, schlangenförmige Körper, mit vier Extremitäten. Diese Beine tragen Füße mit Schwimmflossen, welche im extrem an Flossen erinnern können. Sie sind in der Lage sowohl Luft als auch Wasser zu atmen. Wani besitzen ebenfalls die Fähigkeit, ihre Gestalt zu wandeln und bevorzugen dabei menschliche Verkörperungen.
Zum Teil haben Wani Kontrolle über Gewässer, sie treten aber im Gegensatz zu den Ryū nicht als Regenbringer auf.
Vorkommen
Alle Wani-Arten besiedeln vorrangig die Meere des japanischen Archipels. Gelegentlich treten sie auch in Seen und Flüssen auf. Gerade das Vorkommen in Flüssen wird von manchen Experten als Fehldeutung von Ryū als Wani interpretiert.
Lebensweise
Ernährung
Wani sind Allesfresser.
Verhalten
Wani haben eine komplexe politische Hierarchie, welche die der Oberflächenwelt widerspiegelt. Es gibt Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Kurtisanen, Diener und so weiter.
An der Spitze dieser Hierachie steht der Kami Watatsumi, welcher häufiger mit Ryūjin gleichgesetzt wird. Er regiert das Meer von seinem Palast Ryūgū-jō aus. Mit den Gezeitenjuwelen Kanju und Manju kontrolliert er Ebbe und Flut des Ozeans.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Abstammung der Kaiser
Die japanische Kaiserfamilie, die älteste Erbmonarchie der Welt, stammt angeblich von Drachen (und anderen Göttern) ab. Die Monarchie soll 660 v. Chr. von Kaiser Jimmu, dem legendären ersten Herrscher Japans, gegründet worden sein. Sein Vater war der Sohn von Toyotama Hime, die wiederum die Tochter von Ryūjin, dem Drachengott des Meeres, war, der wiederum ein Wani darstellt (es ist nicht abschließend geklärt, ob Ryūjin für sich steht oder es sich um einen Ehrentitel von Watatsumi handelt, in beiden Fällen handelt es sich aber um Wani). Der Überlieferung nach ist der Kaiser von Japan also der direkte Nachkomme eines Wani.
Wissenschaftliche Erklärungsversuche
Wissenschaftler sind sich nicht einig darüber, ob die frühesten Wani-Legenden aus Japan stammen oder aus anderen Kulturen importiert wurden, und verweisen auf Ähnlichkeiten zwischen Wani und dem chinesischen Long oder dem indischen Naga.
Taxonomische Stellung
Die Wani sind eine Gruppe reptiloider Mischwesen (Krokodil-, Drachen- und Hai-Charakteristiken können hier gemischt sein) und lassen sich eindeutig in Gruppe der "Östlichen Drachen" einordnen, deren nächste Verwandte Gattungen die chinesischen Lóng, japanischen Ryū, vietnamesisch Lóng und die koreanischen Yong darstellen.
Aus morphologischer Sicht bilden die chinesischen Lóng mit den anderen Drachengattungen eine homogene Gemeinschaft, sollte diese eine Abstammungsgemeinschaft repräsentieren, würden die Wani dieser Klade Ostasiatischer Drachen gegenüberstehen.
Alternativ könnten die Wani und die Ryū eine nahe Verwandtschaft besitzen, bei der die Ryū, die nächsten Verwandten der Wani, Yong und chinesischen Lóng sind, während die Wani nur eine nähere Verwandtschaft zu den Ryū besitzen.
Interne Systematik
- Gewöhnlicher Wani
- Kuma-Wani (Art-Status fraglich)
- Watatsumiwani
- Kagewani (Drachenstatus fraglich)
- Isonade (Drachenstatus sehr fraglich)
Da Wani auch generisch für "Seeungeheuer" verwendet werden kann, könnte es sich beim Kagewani und Isonade um Nicht-Drachen handeln, da beide meist als fischartige Kreaturen bezeichnet werden.
Aber auch der Status etablierter Wani ist infrage zu stellen, da zwischen dem Gewöhnlichen Wani und dem Watatsumiwani nur in geringe Unterschiede gelten gemacht werden können, es ist daher theoretisch möglich, dass alle Wani, die als Drachenartig beschrieben werden können, einer einzigen Spezies angehören.
Kagewani
Kagewani trägt das "Wani" bereits im Namen, ist aber kein "Wani" im Sinne eines Drachen, sondern eines Seeungeheuers. Das Wesen wird als fischartig beschrieben und hat große Ähnlichkeiten mit Isonade. Bei einem Fall, wo ein Kagewani geschossen wurde, sollen dessen Knochen durch die Luft geflogen sein und im Fuß des Jägers stecken geblieben sein. Sobald dieser den Landboden berührte, verstarb er. Da Kagewani normalerweise als "Schattenhaie" übersetzt werden, sollten sie keine Knochen dieser Art besitzen (da man annehmen kann, dass wenn es ein Zahn war, dieser auch als solcher betitelt worden wäre und andere harte Elemente finden sich im Knorpelfischskelett nicht). Moderne Darstellungen leiten sich häufig von der modernen Verwendung des Begriffs "Wani" ab und stellen den Kagewani als Mosasaurus dar. Die Stellung des Kagewani ist daher fraglich, aber von den wenigen Überlieferungen ist er den fischartigen Wesen, ohne Verbindungen zu Drachen, zuzuweißen.
Isonade
Isonade wird zwar auch als Ōguchiwani (巨口鰐 "Riesenmaulkrokodil") im Honzō Ikō (本草異考) bezeichnet, Beschreibungen weisen es aber klar als Haiwesen aus, das "Wani" in Ōguchiwani bezieht sich hier also sehr wahrscheinlich auf "Wani" als Hai oder Seeungeheuer.
Nachweise
- Ernest Mason Satow (1881),"Ancient Japanese Rituals, Part III in Transactions of the Asiatic Society of Japan, Asiatic Society of Japan
- Klaus Antoni: Der weiße Hase von Inaba: Vom Mythos zum Märchen. Analyse eines japanischen, Mythos der ewigen Wiederkehr‘ vor dem Hintergrund altchinesischen und zirkumpazifischen Denkens. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag 1982 S. 46, 274. https://www.researchgate.net/publication/305332314_Der_Weisse_Hase_von_Inaba_Vom_Mythos_zum_Marchen_Analyse_eines_japanischen_Mythos_der_ewigen_Wiederkehr_vor_dem_Hintergrund_altchinesischen_und_zirkumpazifischen_Denkens_Munchener_Ostasiatische_Studie Abgerufen am 12.02.2024
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