Mušḫuššu oder Mušḫušḫu (Sumerisch als 𒈲𒄭𒄊, Muš-ḫuš-šu, Muš-rušu, Sirruš, Aussprache vermutlich Musch-chusch-schu; babylonisch Bedeutung: schreckliche Schlange) ist als "Schlangendrache" ein Mischwesen der sumerischen Mythologie und war ursprünglich das Begleittier der Götter Enlil und Tišpak.
Merkmale
Die meisten Darstellungen zeigen Mušḫuššu mit Schwanz und Kopf einer Schlange, Vorderpfoten eines Löwen und Hinterbeinen eines Adlers. Das Haupt trägt Hörner, welche als Zeichen seiner Göttlichkeit betrachtet werden. Auf den ältesten Darstellungen in Uruk (3900 / 3700 v. Chr. bis 3100 / 2900 v. Chr.) und der frühdynastischen Zeit (2900 v. Chr. - 2340 v. Chr.) sind die Häupter noch katzenartig, was auf die Ursprünge aus dem ursprünglichen Serpopaden (einem Löwen mit langem, schlangenartigen Hals) hindeutet. Während der Amtszeit von Gudea von Lagaš (2141 v. Chr. bis ca. 2122 v. Chr.) waren auch Darstellungen mit Flügeln verbreitet.
Im Zusammenhang mit dem Schlangengott Tišpak, der oft auf dem Mušḫušḫu reitend dargestellt wird, werden Mušḫušḫu mehrheitlich sieben Köpfe zugeschrieben, in anderen Darstellungen erscheint das Wesen einköpfig. Da das Schlangen-Merkmal, ausgerechnet beim Schlangengott, eine Vervielfältigung erfährt, erscheint auffällig und kann damit eine symbolische Unterstreichung sein.
Als späteres Symboltier von Marduk und seinem Sohn Nabu wird der Mušḫuššu mit einem von Schuppen bedeckten Löwenkörper gezeigt. Wie auch in früheren Darstellungen enden die Hinterbeine in Vogelkrallen, während die Vorderbeine Löwentatzen enden. Der Schwanz ist auch bei "Marduks Mušḫuššu" lange und dünn. Auf der Schnauze des recht kleinen Kopfes sitzen ein oder zwei nach oben gerichtete Hörner; aus dem Maul wird die gespaltene Schlangenzunge gestreckt.
Ikonografisch ist Mušḫuššu als "rotes Schlangenmischwesen" zunächst als doppelt gehörnter Schlangenkopf mit geschupptem Körper dargestellt. Während sich die Extremitäten von den vorausgegangenen Beschreibungen nicht ändern, ist der Schwanz in der Ikonografie häufig, ein langer, aufgerichteter Skorpionstachel.
Die wohl bekannteste Abbildung des Mušḫuššu findet sich auf den Ziegelreliefs des Ištar-Tors, die Nebukadnezar II. (um 640 v. Chr.; † 562 v. Chr.) dort anbringen ließ [1]. Dort besitzt Mušḫuššu nur einen Kopf, weiter scheint der aufgerichtete Schwanz keinen Skorpionstachel zu tragen, sondern die für Löwen (Panthera leo) arttypische Schwanzquaste zu tragen, was zum Bild des Löwendrachen passt (Löwen wurden auf dem Tor, ebenfalls mit der Schwanzquaste dargestellt) [2], [3]. Der Skorpionsstachel leitet sich vermutlich von der Geburtsgeschichte der Drachen ab, da sie Kinder der Göttin Tiamat sind, welche u.a. Skorpione und Skorpionsmenschen ins Leben rief.
Der Drache soll eine Länge von 50 Meilen (ca. 80 km) besessen haben und eine Meile (1,61 km) breit sein. Sein Maul hatte der Überlieferung nach die Länge von sechs Ellen, der Umfang der Ohren beträgt zusätzlich zwölf Ellen. Der Drache ist in der Lage Vögel zu fangen, die 60 Ellen entfernt sind, und fähig aus neun Ellen tiefem Wasser Objekte herausziehen.
Wenn der Drache seinen Schwanz hob, berührte diesen den Himmel. Aufgrund der Größe, der Fähigkeiten und der Giftigkeit des Wesens, waren alle Götter vor Angst erfüllt.
Vorkommen
Mušḫušḫu besiedelte das alte Mesopotamien, was das Gebiet um die Flusssysteme des Euphrat und Tigris, ihrer Zuflüsse sowie dem Unterlauf des Karun beschreibt und somit die Südosttürkei, Nordostsyrien, den Irak, Irakisch-Kurdistan, Nordostkuwait und den Westiran geografisch beschreibt.
Kulturelle Bedeutung
Mušḫuššu als Begleiter
Mušḫuššu erste namentliche Erwähnungen entstammen der sumerischen Mythologie aus dem 21. Jahrhundert vor Christus. Zu Beginn gehörte der Drache zum Gott Ninazu (Stadtgott von Eschnunna und Enegi, Unterweltsgott, Gott des Schutzes und des Krieges, aber auch Gott der Heilung).
Unter akkadischen Einfluss ersetzt Tišpak Ninazu im 3. Jahrtausend v. Chr. als Stadtgott von Ešnunna und übernahm dabei einige seiner Charakteristiken, z.B. die Assoziation mit Schlangen und Löwen. In dieser Zeit als Stadtgott wurde ihm auch Mušḫuššu als Begleittier zugeschrieben. Beim Schlangengott trägt Mušḫuššu sieben Köpfe, welche er bereits bei seinem nächsten Besitzer nicht mehr aufweist.
Während des Babylonischen Reiches (1894/1830 v. Chr. bis 1595/1531 v. Chr., genauer nach der Eroberung von Ešnunna durch Hammurapi I. um 1760 v. Chr.) war Mušḫuššu das Begleittier des Gottes Marduk und seines Sohnes Nabu.
Im 1. Jahrtausend v. Chr. änderte sich die Darstellung von Mušḫuššu erneut.
Hier tritt der Drache in der Enûma Eliš (9. Jahrhundert v. Chr.) auf und ist eine der vielen Kreaturen der göttlichen Armee der Salzgöttin Tiamat. Während im ursprünglichen Mythos die meisten Lakaien und Tiamat selbst getötet werden, wird Mušḫuššu nach dem Kampf Marduks Begleiter, wie es dazu genau kommt, wird im Mythos nicht näher erläutert.
Im 7. Jahrhundert v. Chr. wurde Mušḫuššu zum Begleittier des Gottes Aššur, da Babylon inzwischen unter der Herrschaft des assyrischen Reiches stand, dessen Schutzgott Aššur war.
Nach dem Fall des assyrischen Reiches (ca. 614 - 609 v. Chr.) kehrte im Neubabylonischen Reich, die traditionelle Marduk-Darstellung zurück und so wurde Mušḫuššu wieder zum Begleittier Marduk und seines Sohnes Nabu. Tatsächlich ist Mušḫuššu so sehr mit Marduk verbunden, dass er in einigen Quellen auch als "Marduktier" bezeichnet wird.
Nach dem Ende des Neubabylonischen Reiches (539 v. Chr.) werden Darstellungen und Erwähnungen von Mušḫuššu seltener.
Möglicherweise ist Mušḫuššu der Drache aus der Bibelgeschichte Bel und der Drache. Bel wäre in diesem Fall vermutlich Marduk.
Mušḫuššu im Drachenkampf
Der Kampf des Gottes Tišpak (Schlangengott) gegen Mušḫušḫu wird in einem Text aus der Bibliothek des Aššurbanipal beschrieben, hier gelingt es dem Gott schließlich, den Drachen in einem schrecklichen Sturm mit einem Pfeil zu töten, das giftige Blut des Drachen fließt drei Jahre und drei Monate lang, Tag und Nacht.
Mušḫuššu als Wächter
Die auf den Ziegelreliefs des Ištar-Tors befindlichen Mušḫuššu wurden von Nebukadnezar II. anbringen lassen, in dem Glauben, dass selbst die Reliefs der Drachen, Feinden der Stadt Angst bedeuten würden und sie mit Gift bespritzen könnten.
Taxonomische Stellung
Noch in Ausarbeitung
Bildnachweise
- [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mushkhusshu,_il_drago-serpente_raffigurato_sulla_porta_di_Ishtar_-_Pergamon_Museum,_Berlin.jpg
- [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ischtar-Tor#/media/Datei:Ishtar_Gate_Dragon.JPG
- [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Fragment-bramy-isztar.jpg
Nachweise
- Dietz-Otto Edzard u. a.: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie. Band 1, de Gruyter, Berlin 1993, ISBN 3-11-004451-X, S. 120.
- Helmut Freydank u. a.: Lexikon Alter Orient. Ägypten * Indien * China * Vorderasien. VMA-Verlag, Wiesbaden 1997, ISBN 3-928127-40-3.
- Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen. Artemis & Winkler, Stuttgart 2004, ISBN 3-7608-2306-8.
- W. G. Lambert: The History of the “muš-ḫuš” in Ancient Mesopotamia. In: P. Borgeaud (Hrsg.): L'animal, l'homme, le dieu dans le proche orient ancien. Editions Peeters, Leuven 1985, S. 89–92.
- F. A. M. Wiggermann: Tišpak, his Seal, and the Dragon mušḫušḫu. In: O. Haex et al. (Hrsg.): To the Euphrates and Beyond: Archaeological Studies in Honour of Maurits N. van Loon. Balkema, Rotterdam 1989.
- Claudia Suter (2000), Gudea's Temple Building: The Representation of an Early Mesopotamian Ruler in Text and Image, STYX publications, ISBN 9789056930356
- Piotr Bienkowski, Alan Ralph Millard (2000), Dictionary of the Ancient Near East, University of Pennsylvania Press, ISBN 978-0-8122-3557-9
- Theodore J. Lewis (1996), CT 13.33-34 and Ezekiel 32: Lion-Dragon Myths, Journal of the American Oriental Society 116/1, 29. https://www.jstor.org/stable/606370 Abgerufen am 17.01.2023
- Johannes Bach (2019), Drachen im alten Mesopotamien in Markus May, Michael Baumann, Robert Baumgartner, Tobias Eder (2019), Den Drachen denken, transcript, ISBN 978-3-8376-4663-4
- 𒂊𒉡𒈠𒂊𒇺 (Enūma eliš, ca. 9. Jahrhundert v. Chr.)
- Grant Frame (2007), Babylonia 689-627 B.C.: A Political History, Nederlands Instituut voor het Nabije Osten, ISBN 90-6258-069-6
- Wayne Horowitz (1998), Mesopotamian Cosmic Geography, Eisenbrauns, ISBN 9780931464997
- Paul-Alain Beaulieu (1999), The Babylonian Man in the Moon, Journal of Cuneiform Studies, Vol. 51, https://doi.org/10.2307/1359732, https://www.jstor.org/stable/1359732
- Beate Kowalski (2009), Bel und Drache, Deutsche Bibelgesellschaft
- Hesekiel 32:2 https://www.biblegateway.com/passage/?search=Ezekiel+32&version=LUTH1545 Abgerufen am 17.01.2023
- Psalm 91:13 https://www.biblegateway.com/passage/?search=Psalm+91%3A13&version=LUTH1545 Abgerufen am 17.01.2023
- Sebastian Helm, Mušḫuššu, Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e.V. https://www.vergleichende-mythologie.de/ueber-uns/mytho-welten/mythisch-literarisches-bestiarium/tierisch-vermischt/mus%e1%b8%abussu/ Abgerufen am 17.01.2023