Der Qíulóng (chin. 虬龙, trad. chin. 虯龍, Pinyin: qíulóng; Wade–Giles: ch'iu-lung, dt. Gewundender Drache), auch Qiu, ist in der chinesischen Mythologie eine Bezeichnung für einen Typ von Drachen.
Je nach Quelle werden sie als hornlose oder gehörnte Drachen definiert. In zweiteren Quellen wird ihnen meist der Chilóng als hornloser Drache gegenüber gestellt.
Etymologie
Das Wort qiu oder qiulong wurde seit seiner Entstehung sehr unterschiedlich verwendet. Die meisten chinesischen Wörterbücher kennen daher drei Definitionen für 虯 bzw. 虬:
- Hornlos
- Gewunden
- Gehörnt
Definition 1: Hornloser Drache
Insbesondere die klassischen Texte der Han-Dynastie (chinesisch 漢朝 / 汉朝, Pinyin hàncháo) von 206 v. Chr. bis 220 n. Chr. identifizieren qiu als Drachen ohne Hörner, wodurch sie den Qíulóng als eine Form von Jungtier identifizieren.
Das Buch Chuci (chinesisch 楚辭 / 楚辞, Pinyin Chǔcí, W.-G. Ch'u-tz'ŭ), also Elegien oder Gesänge aus Chu (eine Sammlung von Gedichten aus dem Süden Chinas) aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. verwendet das Wort qiu (虬) siebenmal, häufiger als jeder andere klassische Text. In vier Fällen mit der Bedeutung als "Drache" bzw. eine spezifische Form von Drachen.
Das Cuci unterscheidet zwischen:
- yuqiu (chin. 玉虬, dt. Jade Hornloser Drache): "Ich spannte eine Gruppe von Jade-Hornloseer Drachen vor einen mit Phönixen verzierten Wagen und wartete auf den Wind, um auf meine Reise zu fliegen."
- qiulong (chin. 虬龍, dt. Hornloser Drache): "Wo sind die hornlosen Drachen, die zum Spaß Bären auf ihren Rücken tragen?"
- qingqiu (chin. 青虬, dt. Grüner Drache, Azurdrache): "Mit einer Gruppe Azurdrachen, denen Weiße Schlangen folgten, ritt ich mit Chong Hua in den Garten von Jasper."
- qiu (chin. 虬, dt. Hornloser Drache): "Mit einer Gruppe hornloser Drachen bestieg ich den Himmel in einem Elfenbeinwagen." In diesem Fall wird qiu nicht nur als Charakteristika verwendet, sondern als eine Art unbestimmter hornloser Drachen.
Die Erwähnung der Hornlosigkeit des Qíulóng in der Han-Dynastie dient der Veranschaulichung als "Jungtier". Der qingqiu sollte nicht mit dem Qīng Lóng (Azurdrache) verwechselt werden, der sowohl Hörner als auch Flügel trägt und damit eine Verkörperung der Ying Lóng-Phase darstellt.
Defintion 2: Gewundener Drache
Der Begriff Qiu kann auch "gewunden", "verdreht", "sich windend" heißen. Wie etwa qiupan (chin. 虬蟠, dt. gewunden wie ein Drache), wird z.B. für Baumwurzeln verwendet; jiaoqiu (chin. 蛟虬, dt. sich rollen wie ein Drache) oder qiuran (chin. 虯髯, dt. gerollte Schnurrhaare), um nur eine Auswahl zu nennen.
Insbesondere das Chuci nutzt diese Bedeutung 3 Mal, sodass mit den 4 Verwendungen, als "Hornloser Drache", das Chuci den Begriff "qiu" stets mit einem Drachen assoziiert.
Neben den im Abschnitt "Hornloser Drache" aufgelisteten Erwähnungen von "qiu" im Chuci gibt es noch drei Fälle, in denen das Wort verwendet wird, um sich windende Drachen zu beschreiben:
- youqiu (chin. 蚴虬) wird zweimal genutzt, um den sich windenden Drachen Canglong (chin. 蒼龍, dt. Blauer Drache) zu beschreiben (ein alternativer Name des Azurdrachen (chin. 青龍, Qīng Lóng bzw. Qinglong), der wiederum Hörner tragend ist)
- liuqiu (chin. 蟉虬) beschreibt die Windung eines Chilóngs (chin. 螭), der wiederum keine Hörner besitzt.
Daran lässt sich gut festmachen, dass die Unterteilung zwischen ungehörnter Drache (Chilóng) und gehörnter Drache (Qíulóng) im 2. Jahrhundert v. Chr. noch nicht im Sprachgebrauch üblich war, ähnlich wie in Europa eine Unterscheidung der Drachen, mit spezifizierenden Namen, erst im Spätmittelalter erfolgte.
Definition 3: Gehörnter Drache
Das Huainanzi, (chinesisch 淮南子 – „Meister von Huainan“) ist ein unter der Leitung von Liu An (劉安; 180–122 v. Chr.), dem Prinzen von Huainan, geschriebenes Werk der chinesischen Philosophie, erwähnt an zwei Stellen qingqiu (chin. 青虯) als "Grüne gehörnte Drachen":
- "Als der Rote hornlose Drache (chin. 赤螭, chichi) und der Grüne gehörnte Drache im Land von Chi (chin. 冀) lebten, war der Himmel durchsichtig und die Erde ungestört."
- "Sie [Fu Xi und Nüwa] ritten den Donnerwagen, gezogen von geflügelten Drachen (chin. 應龍, yinglong) als inneres Paar und grünen Drachen als äußeres Paar."
Das Baopuzi (vereinfachtes Chinesisch:抱朴子; traditionelles Chinesisch:抱樸子) ist ein literarisches Werk von Ge Hong (chinesisch 葛洪, Pinyin Gě Hóng, W.-G. Ko Hung, Beiname (courtesy name) Zhichuan 稚 ;* um 280; † um 340), erwähnt das qiu viermal, davon dreimal mit einer Verwendung als "Gehörnter Drache".
- shenqiu (chin. 神虬, Göttlicher Gehörnter Drache): "Wenn ein Teich mit Fischen und Gavialen entwässert wird, wird der Göttliche Gehörnte Drache ihn verlassen."
- qingqiu (chin. 青虬, Grüner Gehörnter Drache): "Der Grüne Gehörnte Drache hat keine Flügel und fliegt dennoch in den Himmel.", "Platziere ein Bild des Drachen auf einem Tablett und der Grüne Gehörnte Drache wird in dunklem Dunst erscheinen."
Das Wörterbuch Shuowen Jiezi (chinesisch 說文解字 / 说文解字, Pinyin Shuōwén Jiězì – "Erklärung einfacher und Analyse zusammengesetzter Schriftzeichen") ist das erste Zeichenlexikon der chinesischen Schrift, aus dem Jahr 121. Es definiert je nach Fassung qiu (chin. 虯) unterschiedlich. Frühe Versionen definierten es als "Drache ohne Hörner", während spätere Revisionen von einem "Jungdrachen mit Hörnern" sprechen. Was noch einmal nahe legt, dass der Begriff zwischen 100 und 230 n. Chr. einen Wandel erfuhr.
Der Shuowen Jiezi Experte Zhu Junsheng (chin. 朱駿聲, 1788–1834) erklärt, dass erwachsene männliche Lóng-Drachen Hörner hätten, weibliche und Jungtiere jedoch nicht. Jiao (Jiāolóng) hätten ein Horn, qiu zwei und chi keine Hörner.
Das Guangya-Wörterbuch (Chinesisch:廣雅/广雅; Pinyin: Guǎngyǎ; Wade-Giles: Kuang Ya; zu dt. "Erweitertes [Er]ya") aus dem ungefähren Jahr 230 definiert qiu (geschrieben mit 黽) als "Gehörnter Drache" und chi (chin. 螭) als "Hornloser Drache". Diese Definition wird in vielen späteren Wörterbüchern wiederholt und gilt heute als gängige Übersetzung der entsprechenden Schriftzeichen.
Andere Werke und Autoren, wie das Buch Shiji von 100 v. Chr. im Gedicht Zixu und Gao Yu (chin. 高淯, ca. 205) erwähnen die qinqiu (Qíulóng) und chichi (Chilóng) als Arten von Lóng-Drachen, treffen aber keine Angaben zur Unterscheidung.
Merkmale
Der Qíulóng hat den Körper eines riesigen Karpfens, mit den Beinen eines Tigers, den Krallen eines Adlers und unterscheidet sich vom Chilóng durch das Vorhandensein von einem Paar Hirschhörnern. Andere Quellen beschreiben den Qíulóng, mit dem Kopf eines Kamels, Ohren einer Kuh, Bauch eines Frosches, Pfoten eines Tigers, lange Schnurrhaare einer Katze, Schuppen eines Karpfens, Augen eines Dämons, langer Hals einer Schlange, den Krallen eines Adlers und den charakteristischen Hirschhörnern.
Nicht allen Qíulóng-Beschreibungen ist gemein, dass sie Hörner besitzen, da in früheren Zeiten der Begriff des Qíulóngs ebenfalls für hornlose Drachen verwendet wurde, die heute als Chilóng bezeichnet werden.
In den meisten Qíulóng Beschreibungen (gleichviel, ob sie nun Hörner tragen oder nicht), wird diese Drachenform als grün gefärbt beschrieben, also die Farbe des Ostens, eben jene der vier Himmelsrichtungen, welche beim Chilóng unterrepräsentiert erscheint. Visser gibt an, dass die gehörnten Drachen blau seien. Da Azurblau, eine Mischung aus Blau und grün ist, könnte sich hier her seine abweichende Annahme entwickelt haben.
Da Qíulóng eine weiterentwickelte Form der Chilóng sind und sich viele Merkmale teilen, tragen sie die Perle der Weisheit ebenfalls in ihrem Mund.
Die Schuppen auf dem Körper der Qíulóng symbolisieren universelle Harmonie. Sie haben insgesamt einhundertsiebzehn Schuppen, wobei einundachtzig Schuppen den Yang-Einfluss und sechsunddreißig Schuppen den Yin-Einfluss haben. Das weiße Yang verkörpert die Eigenschaften: hell, hoch, hart, heiß, positiv, aktiv, bewegt und männlich und das schwarze Yin verkörpert die Eigenschaften: dunkel, weich, feucht, kalt, negativ, passiv, ruhig und weiblich. Trotz der höheren Yang-Schuppenzahl werden Qíulóng meist mit Wasser assoziiert, welches sich eher im Yin verkörpert sieht. Zusammengefasst sind die Qíulóng Geschöpfe mit sowohl aktiver als auch reaktiver Kraft, genannt Yin und Yang. Sie bewahren und beseitigen somit Elemente in der Natur.
Qíulóng sind in der Lage, ihre Gestalt zu wandeln. Sie können sich unsichtbar machen und ihre Größe auf die Größe einer Seidenraupe (Bombyx mori) (2 Millimeter bis 10 Zentimeter, je nach Wachstumstadium) verkleinern oder sich so sehr vergrößern, dass sie die gesamte Sonne verdecken.
Aus den Nasenlöchern steigt Rauch oder Feuer, insbesondere wenn die Qíulóng zwischen Regenwolken fliegen. Im Gegensatz zu den Chilóng besteht kein Zweifel an den Flugkünsten der Qíulóng.
Qíulóng sind in der Lage Regen und Dürren zu kontrollieren und können auch als Regenbringer auftrete. Die Kraft eines Lóng geht mit dem Gewässer einher, in dem er lebt, je größer das Gewässer, desto mächtiger der Qíulóng. Im Unterschied zum Chilóng erhört der Qíulóng auch Gebete und Wünsche nach Regen und schönem Wetter. Da sie in der Lage sind zu hören.
Neben der Macht über die Gewässer beherrschen Qíulóng, wie auch die anderen Lóngdrachen, die Kontrolle über Windphänomene, wie Wasserhosen (lóngjuǎn 龍卷(wörtlich "Drachenrolle")) und Zyklonen (lóngjuǎnfēng 龍卷風 ("Drachenrolle Wind")).
Vorkommen
Qíulóng besiedelt wie die anderen Larven der Lóngdrachen den chinesischen Raum.
Qíulóng bewohnen Teiche bzw. Seen, mit Gavialen und Fischen zusammen. Trocknet eines dieser Gewässer aus, wandert der Qíulóng ab und seine Segnung für dieses Gebiet verfällt.
Lebensweise
Ernährung
Qíulóng bevorzugen wie alle anderen Lóngdrachen Schwalben als Nahrung.
Lebenszyklus & Metamorphose
Der Qíulóng entwickelt sich aus dem Chilóng, nachdem dieser das Alter von 500 Jahren erreicht hat.
Nachdem ein Qíulóng eintausend Jahre alt geworden ist, verwandelt er sich in einen Ying Long.
Manche Lóngarten scheinen aber dauerhaft in diesem Stadium zu verweilen und nie Flügel auszubilden, wie die unterirdisch lebenden Dìlóng, deren komplettes Lebenskonzept den himmlischen Prinzipien widerspricht. Sodass diese Entwicklungsphase, sowohl als Larvenphase, als auch als Adultphase betrachtet werden kann, auch wenn sie typischerweise als Larvenphase betrachtet wird.
Fortpflanzung
Qíulóng besitzen je nach Art die Fähigkeit zur Neotenie (Eintritt der Geschlechtsreife im Larvenzustand ohne Metamorphose, z. B. bei Schwanzlurchen.) in Abhängigkeit, ob ihre Spezies sich zu einer Ying Longform entwickelt oder nicht. Sie sind eierlegend.
Alternativ zu ihrem Lebenszyklus kann der Qíu Lóng aus einer Meerespflanze names Hai-iu geboren werden.
Kulturelle Bedeutung
Beschwörung
Platziert man ein Abbild eines Qíulóng auf einem Tablett, erscheint der Qíulóng aus dunklem Dunst heraus.
Taxonomische Stellung
Der Qíulóng kann nach einer Lebenszeit von 1000 Jahren zu einem Ying Long werden, damit handelt sich um eine Larvenform fast aller Lóng-Drachen, welche eine Ying Lóngform besitzen, ausgenommen der Tiánlong und Lóng, die eine alternative Entwicklung durchzogen. Zeitgleich kann der Qíulóng die Adultform von allen Lóngdrachen darstellen, welche keine Ying Long Form entwickeln, wie der Dìlóng.
In beiden Fällen verkörpert der Qíulóng Lebensabschnitte von Lóng-Arten und stellt im taxonomischen Stammbaum der Drachen keine eigenständige Art dar, auch wenn es sich klar um einen Drachen handelt.
Weiter kann der Qíulóng als "Eigentlicher Lóng" betrachtet werden, eine Sammelklade für alle singulären Lóngdrachen, welche nicht zu den anderen spezifischen Lóngspezies gezählt werden können.
Nachweise
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