Der Tarantasio (auch Tarantino oder Tarànto) ist ein Drache, der die Bewohner des Gebiets um den Lago di Gerundo (See) nahe Lodi in Italien terrorisierte.
Merkmale
Es gibt fünf verschiedene Darstellungen des Tarantasio.
Die älteste grafische Darstellung des Drachen Tarantasio stammt aus dem 11. Jahrhundert in einem Mosaik, das in der Abtei von San Colombano in Bobbio aufbewahrt wird. [1] Der Drache besitzt einen großen Kopf mit spitzer Schnauze. Das geöffnete Maul zeigt Zähne und eine große Zunge, die aber nicht gespalten ist. Das Haupt trägt Hörner oder Ohren und endet in einem langen Hals. Der große Rumpf besitzt vier Extremitäten, die genaue Lage dieser ist schwer auszumachen. Die Beine enden in schmale Unterschenkel und Klauen besetzt Füßen. Es lassen sich vier Zehen ausmachen, drei nach vorne gerichtet und eine als Sporn nach hinten, vergleichbar mit den Füßen von Singvögeln. Weiter besitzt der Drache ein paar Federn besetzte Flügel. Der Rumpf endet in einen langen Schwanz, der mindestens der Körper-Rumpf-Länge entspricht, bis hin das Doppelte dieser ist. In dieser Darstellung besitzt der Drache einen rötlichen Kopf und eine rote Oberseite. Der Hals, Bauch und die Schwanzunterseite sind weißlich, die Flügeln teilweise gräulich.
Die zweite findet sich auf einem Fresko aus dem 11. Jahrhundert der Abtei von San Pietro al Mone di Civate und ist damit aus der Zeit der ersten Erwähnungen entstanden. [2] Das Fresko zeigt den Drachen mit einem rundlichen, großen Kopf, sowie einer Schnauze und Ohren, vergleichbar mit dem eines Wolfes. Der Mönch
Sabbio, ebenfalls aus dem 11. Jahrhundert, sagt aus, dass die Ohren der Darstellungen Hörner seien.
Die Zunge ist gespalten. Der Kopf folgt einem längeren Hals, welcher in den Rumpf endet. Aus diesem wachsen sechs kleinere Köpfe, welche nur in dieser Einstellung zu finden sind. Im Bereich des Schultergürtels sind Extremitäten in Form von Füßen auszumachen und Flügel. Dem Schultergürtel entspringen somit 4 Extremitäten. Die Füße tragen fünf kleine Klauen besetzten Zehen, aus anderen Überlieferungen bekannt, lassen sich die Schwimmflossen zwischen den Zehen erahnen. Die Flügel sind violett befiedert - sie zeigen in der Darstellung klar erkennbar Federansätze im Flügelbereich. Der Rumpf trägt keine Hinterextremitäten und endet in einem Schwanz, welcher in der Darstellung sich zweimal um den Leib des Drachen windet. Damit dürfte der Schwanz mindestens dreimal so lang seien, wie die eigentliche Körper-Rumpf-Länge. Der Kopf und die Oberseite des Drachen sind rot, die Unterseite des Halses und des Schwanzes ist weißlich. Beide Seiten werden von schwarzen Punkten getrennt, welche an das Seitenlinienorgan von Fischen erinnern.
Die dritte Darstellung entstammt dem Mailänder Dom, dessen Bau erst 1386 in gotischen Formen begonnen wurde und ab der napoleonischen Zeit seine heutige Fassade erhielt. Die Marmorfresken der Sakristeien wurden um 1600 angefertigt, ob das die Darstellung des Tarantasio mit einschließt, ist nicht bekannt. [3] Sollte dies aber der Fall seien, ist diese Darstellung gut 500 Jahre älter, was gewisse Unterschiede erklären dürfte. Der Tarantasio des Mailänder Doms besitzt einen runden Kopf, mit deutlich schwächer ausgeprägter Schnauzenregion. Es fehlen die Ohren und im Allgemeinen wirkt der Kopf eher Echsenartig. Eine Zunge ist nicht erkennbar, da die Darstellung das Wesen mit einem Blatt im Maul darstellt. Der Hals ist lang und endet in einem hochrückigen Rumpf. Flügel scheinen zu fehlen, dafür hat der Drache Vorder- und Hinterextremitäten. Die schmalen Beine enden in dreizehige Füße mit Schwimmflossen und erinnern an Entenfüße. Ein Schwanz scheint zu fehlen (bzw. ist nicht zu sehen) oder er ist vergleichsweise kurz. Da es sich um ein Marmorfresko handelt, können keine Aussagen über die Färbung des Drachens getroffen werden. Es fallen deutliche Unterschiede zum Tarantasio von San Pietro al Mone di Civate auf.
Die Unterschiede könnten auf den Lariosauro verweisen. Diese folkloristische Kreatur soll am Lago di Como unweit der Stadt anzutreffen sein, etwa 50 Kilometer entfernt von Mailand. Die erste Sichtung des Wesens soll 1946 stattgefunden haben. Sie beschreiben das Wesen als reptilienartig. Der Name leitet sich vom 1830, im selben Gebiet entdeckten, Skelett eines Lariosaurus balsami ab. Diese prähistorischen Reptilien (ausgestorben vor rund 235 Millionen Jahren) lebten in Flüssen und küstennahen Gebieten und konnten sich auch an Land fortbewegen. Ihre Vorderbeine hatten sich an die aquatische Lebensweise angepasst und wurden stromlinienförmiger, die Hinterbeine sahen dagegen noch wie die Beine eines Landlebewesens aus. Der Kopf war langgezogen, wie der eines Krokodils oder Warans. An der Sichtung von 1946 und vier weiteren Folge-Sichtungen gibt es berechtigte Zweifel, welche meist auf Fehlbeobachtungen von anderen Tieren zurückzuführen sind oder Schwindel, welche von Trittbrettfahrern der ersten Sichtung unternommen wurden (auch an der ersten Sichtung gibt es große Zweifel). Auch wenn der moderne Lariosauro vermutlich ein Schwindel ist, wirft er den Lariosaurus balsami mit in unsere Betrachtung. Wir wissen, dass Fossilien nicht erst im 20. Jahrhundert plötzlich auftauchten, ein Lariosaurus konnte auch zur Bauzeit des Mailänder Doms gefunden worden sein und als Referenz für das Fresko gedient haben. Was zurzeit passen würde, den im 16. Jahrhundert hatte die Anatomie einen hohen Stellenwert der bildenden Künste. Sie war Teil der Grundausbildung der Studenten. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass diese These, welche leider nicht belegbar ist, eine hinreichende Erklärung für die unterschiedlichen Darstellungen liefert.
Die vierte Darstellung wurde von Ulisse Aldrovandi, auch Ulysses Aldrovandi (latinisiert auch Ulysses Aldrovandus) (* 11. September 1522 in Bologna; † 4. Mai 1605 ebenda) war ein italienischer Arzt und Biologe angelegt. [4]
Der Drache hat einen großen Kopf mit langer Schnauze und trägt Ohren. Die Zunge ist schwer zu erkennen. Der Kopf sitzt auf einem langen Hals, der in einen klobigen Rumpf endet. Auf dem Schultergürtel sitzen die Ansätze der Vorderbeine. Sie enden in Füßen mit drei Zehen und sind Klauen besetzt. Aus den Oberschenkeln heraus bilden sich die häutigen Flügel. Der Schwanz ist etwa genauso lang, wie die Körper-Rumpf-Länge. Die Schuppen der Oberseite sind grün und klein, die Schuppen der Unterseiten von Hals, Bauch und Schwanz sind größer und von gelblicher Farbe. Die Flügelinnenseite ist braun, die Außenseite grün.
Die fünfte Darstellung ist mehr eine inspirierte Ableitung. [5] Der Tarantasio soll das Vorbild des sechsbeinigen Hundes gewesen sein, der das Logo der Firma Agip schmückt. Nehmen wir an, das wäre korrekt, würde der Drache wieder einen eher wolfsartigen Kopf erhalten und sechs Beine. Allerdings ist die Anzahl der Beine hier symbolisch stehend für die vier "Beine" des Autos und die zwei des Fahrers. Da sich der Bildhauer Luigi Broggini bei dem 1952 eingereichten Logo von dem Tarantasio inspirieren lassen hat, kann man annehmen, er habe sich von der ursprünglichen Variante des Tarantasios inspirieren lassen. Aufgrund der künstlerischen Neuinterpretation und der vergangenen Zeit zur eigentlichen Erzählung kann man aber hier kaum bis keine Rückschlüsse auf den Tarantasio ziehen.
Dieses Werk geht davon aus, dass der Tarantasio San Colombano in Bobbio und teilweise der San Pietro al Mone di Civate am ehesten dem eigentlichen Drachen nahekommt (nur ohne die sechs weiteren Häupter).
Der Drache ist in der Lage, Feuer zu speien und Rauch aus den Nüstern zu versprühen. Sein Atem verursacht Gelbfieber.
Der Dichter Filiberto Villani aus Lodi ergänzt in seiner Ode Federigo or Lodi reconstructed (1650) dass der Drache in der Lage sei Gewässer auszutrocknen und Pflanzen zu vertrocknen, allerdings impliziert das im Umkehrschluss der Drache habe, sein eigenes Gewässer ausgetrocknet, was allerdings durch Menschenhand geschah und diese Dichtung eher unter künstlerischer Freiheit verbuchen lässt.
Vorkommen
Der Tarantasio lebte in den Gewässern des Lago di Gerundo nahe Lodi. Da dieser See inzwischen ausgetrocknet ist, ist anzunehmen, dass der Drache seines Lebensraums beraubt, ausgestorben ist.
Lebensweise
Ernährung
Der Tarantasio war ein Fleischfresser, der vorrangig Kindern nachstellte.
Lebensweise
Der Drache lebte aquatisch bzw. semiaquatisch in den Gewässern des Lago di Gerundo. Dort versenkte er einige Boote.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Der Drache verschlang einst Kinder, versenkte Boote und sein Atem verbreitete die Gelbsucht an den Ufern des Lago di Gerundos.
Laut einer Legende soll der Drache aus dem verfaulenden Fleisch des toten Ezzelino da Romano (* 25. April 1194 in Onara bei Padua; † September/Oktober 1259 in Soncino bei Cremona) entstanden sein. Die Grausamkeit des Drachens ließe sich damit auf den grausamen Feldheern zurückführen. Dagegen spricht, dass der Drache bereits in einem Fresko im 11. Jahrhundert dargestellt wurde.
Besiegt wurde der Tarantasio je nach Quelle vom heiligen Christophorus oder von Friedrich I. (Barbarossa) (* um 1122; † 10. Juni 1190 im Fluss Saleph nahe Seleucia, Kleinarmenien).
Am eindrucksvollsten ist die Tötung des Drachen durch den Stammvater der Familie Visconti, der später die besiegte Kreatur als Symbol annahm, das den Drachen später als Biscione in ihr Wappen aufnahm. Eine Schlange der Heraldik, die vor allem mit der Stadt Mailand assoziiert wird. Der Name Biscione leitet sich ab von biscia (it. ungiftige Schlange). Sie wird stets als blauer bzw. blaugrünlicher, ungeflügelter Schlangendrache dargestellt, der einen Menschen, nach den meisten Beschreibungen einen Mauren oder Ottomanen, verschlingt, aber eben auch ein Kind darstellen kann. [6]
Der Kadaver des Drachen liegt der Legende nach auf der Insel Achilli, sichtbar rechts von der Brücke über die Adda in Lodi, die seit 2016 vom Kulturverein "Num del Burgh" unterhalten wird.
Das gesamte Skelett des Drachen soll einst in der Kirche Sant'Andrea in Lodi aufbewahrt worden sein, wo es wahrscheinlich bis ins 18. Jahrhundert verblieb. Eine vermeintliche Drachenrippe wurde in der Kirche San Cristoforo in Lodi aufbewahrt, wo sie bis zur napoleonischen Ära blieb, als mit der Besetzung der Kirche alle Spuren von der Drachenrippe verloren gingen.
Andere Rippen des Drachen sind heute noch in der Kirche San Bassiano in Pizzighettone, Cremona (170 Zentimeter), bei der Kirche San Giorgio in Lemine in Almenno San Salvatore, Bergamo (260 Zentimeter) und im Heiligtum der Geburt der Heiligen Jungfrau in Sombreno, einem Weiler in der Gemeinde Paladina, in der Provinz Bergamo (180 Zentimeter). Diese letzte Rippe wurde im 19. Jahrhundert vom Naturforscher Enrico Caffi untersucht, der sie einem Mammut zuordnete.
Ein vermeintlicher Wirbelknochen des Drachens ist auf der Insel San Giulio im Ortasee in der Gemeinde Orta San Giulio in der Provinz Novara zu besichtigen.
Die Wallfahrtskirche Beata Vergine delle Grazie in Curtatone in der Provinz Mantua und die Wallfahrtskirche Madonna delle Lacrime in Ponte Nossa in der Provinz Bergamo besitzen Überreste von "Drachenbaby/jungen", welche einbalsamierte bzw. ausgestopfte Krokodile sind.
Die Wallfahrtskirche Santa Maria del Monte in der Provinz Varese besitzt ebenfalls Drachenüberreste, welche teilweise an Krokodilleder erinnern.
Trivia
Vom Namen des Drachen soll sich der Name der Ortschaft Taranta in Cassano d’Adda ableiten. Weiter soll der Drache das Vorbild des sechsbeinigen Hundes gewesen sein, der das Logo der Firma Agip schmückt.
Taxonomische Stellung
?
Bilder
- [1] https://it-m-wikipedia-org.translate.goog/wiki/File:Bestiario_medievale,_Mosaico_Pavimentale_dell%27abbazia_di_San_Colombano_di_Bobbio_01.jpg?_x_tr_sl=it&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc
- [2] https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8b/Civate_San_Pietro_Apocalisse_01.JPG
- [3] https://res.cloudinary.com/hello-tickets/image/upload/c_limit,f_auto,q_auto,w_768/v1658307748/post_images/milan-135/Duomo-milan/3c1714e8-4b16-442f-9691-88919b64af4d_xl.jpg
- [4] https://it.wikipedia.org/wiki/File:Drago_Tarantasio.jpg
- [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Agip_logo.svg
- [6] https://it.wikipedia.org/wiki/File:Famiglie_celebri_italiane_-_Visconti_stemma.jpg
Nachweise
- Riley, Gillian (2007). The Oxford companion to Italian food. Oxford: Oxford University Press. p. 236. ISBN 9780191567001
- L. Veronelli, Lombardia, Garzanti, Milano, 1968
- M. Merlo, Leggende lombarde, Longanesi, Milano, 1979
- U. Cordier, Guida ai draghi e mostri in Italia, SugarCo, Milano 1986
- G. Pederiali, Donna di spade, Rizzoli, Milano, 1991 EAN 9788817665148
- C. Fayer, M. Signorelli, Racconti del Gerundo, aspetti di un territorio, SIED Milano 2001
- F. Belotti, G. L. Mereghetti, 101 storie su Milano che non ti hanno mai raccontato, Milano, 2015
- A. Giacomini, L. Rusconi, Da Milano a Lodi la storia del biscione - il drago Tarantaso nel lago Gerundo, Milano, 2020, ISBN 8869927113
- Andrea Castagnetti, Le comunità della regione gardense fra potere centrale, governi cittadini e autonomie nel medioevo (secoli VIII-XIV), in Giorgio Borelli (a cura di), Un lago, una civiltà: il Garda, vol. I, Verona, 1983, pp. 31-114.
- Andrea Piazza, Le carte di San Colombano di Bardolino (1134-1205), Editrice Antenore, Padova , 1994 (Fonti per la storia della Terraferma veneta, 8), pp. 230
- Bruno Chiappa, I beni del priorato di San Colombano di Bardolino fra Seicento e Settecento, Il priorato di San Colombano di Bardolino e la presenza monastica nella Gardesana Orientale, Atti del Convegno (Bardolino 26-27 ottobre 1996), Caselle di Sommacampagna, Centro Studi per il Territorio Benacense, 1997, pp. 81-94.
- https://prolocotarantasio.altervista.org Abgerufen am 7.04.2023
- eni.com: The six-legged dog: a history of Eni’s logo from 1953 to 1998, https://www.eni.com/en-IT/about-us/history-of-logo.html Abgerufen am 7.04.2023
- Spiegel online: Agip, https://www.spiegel.de/fotostrecke/spiegel-onlines-markenwelt-sechsbeiniger-hund-an-tankstellen-fotostrecke-1005.html Abgerufen am 7.04.2023
- Giorno, Il (2013-08-23). "Il lago di Como ha il suo mostro Tra leggende e avvistamenti la vera storia del Lariosauro - Il Giorno". Il Giorno (in Italian) https://www.ilgiorno.it/como/cronaca/2013/08/24/938741-lariosauro-leggenda-carlo-lucarelli.shtml Abgerufen am 7.04.2023
- Giorgio Castiglioni, Mostri dei laghi e dei fiumi italiani, su europacz.com. URL consultato l'8 agosto 2007 (archiviato dall'url originale l'8 ottobre 2007) https://web.archive.org/web/20071008092901/http://europacz.com/itItalianLakeMonsters.htm Abgerufen am 7.04.2023
- Id., Il lariosauro tra fantasia e zoologia (sui "mostri" del lago di Como) http://bibliotopia.altervista.org/zoologia/zed01castiglioni.htm Abgerufen am 7.04.2023