"Wie verblendet kann ein Mensch denn sein? Wieso sollte man sich so lange in einer solchen Beziehung halten, wenn man es nicht einmal hinbekommt, miteinander zu reden? Nur, weil er hübsch ist?", regte der junge Mann sich auf. Sein Freund saß neben ihm und schien absolut nicht begeistert von der Idee zu sein, mit dem Jungen über ein Mädchen zu reden, von dem er selbst ganz offensichtlich nicht besonders viel hielt. Trotzdem sagte er nichts und ertrug mit einem sehr uninteressierten Blick die Beschwerden seines Sitznachbarn. Außerdem saßen in der Bahn noch zwei alte Damen, die sich ebenfalls unterhielten, doch so interessant war es nicht und sie wussten wenigstens, wie man seine Stimme regulierte und nicht jedem Menschen mit den Ausführungen der Rundungen einer bestimmten Frau auf die Nerven ging. Alle schienen erleichtert, als die beiden Jugendlichen ausstiegen, nur Marie wollte sie irgendwie noch nicht gehen lassen. In den wenigen Momenten hatte sie die beiden ins Herz geschlossen, wie sie so unterschiedlich wirkten und trotzdem eine Verbindung hatten, die man auf den ersten Blick nicht erkennen konnte. Sie hatte sich bereits die komplette Geschichte der Freundschaft der beiden ausgedacht, Charaktere nach echten Menschen. Es machte Sinn, denn sie kannte die Menschen um sich herum genauso wenig wie die Charaktere über die sie schrieb. In ihrem Kopf war gerade alles so voll, sie würde gar nicht mehr die Zeit haben, das alles daraus hervorzubringen. Ihre Finger schienen beinahe von selbst die Tasten suchen zu wollen. Sie wollte diesen Jungen verewigen, nicht ihn, aber ihre Projektion seiner Person, die sie aus nur diesem einen Gespräch gezogen und konzentriert hatte. Es war nicht die richtige Sicht, es war nicht die Wahrheit, doch es war ihre Wahrheit. Es war nicht das, was sie sah, sondern das, was sie dachte. Alles basierte auf Vermutungen, auf Dingen, die sie schon kannte und Erfahrungen, die sie schon gemacht hatte, es war ein Bild ihres Kopfes und mit jedem Wort, dass sie schrieb, gab sie einen Einblick in diesen. Manchmal interpretierte sie zu viel in gewisse Dinge hinein, doch sie war der Überzeugung, dass das auch nur eine Projektion war.