"Brauchst du nicht auch nochmal bald neue Schuhe?", wollte seine Mutter wissen und sah an ihrem Sohn herunter, der die mit Abstand ausgelatschtesten Schuhe trug, die sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Dass er in der Hinsicht ganz nach dem Vater kam, hatte sie schon immer gewusst, aber nicht, dass er sich so vehement gegen ein neues Paar wehren würde. "Nein, Mama, ich will keine neuen Schuhe. Vor allem nicht, weil diese Schuhe ganz viele Geschichten in sich vereinen!", erklärte er ihr. "Welche Geschichten denn? Die, wie deine Füße stinken und du sie nicht ein Mal gewaschen hast, in den drei Jahren, die du sie hattest?", neckte sie ihn. "Nein! Sie waren mit mir in England und in Berlin! Und in Italien! Wenn ich die wegwerfe, dann gehen diese Dinge verloren! Vor allem, weil sie genau deshalb so aussehen, wie sie aussehen! Das ist einfach so viel und es findet in diesen paar Fetzen Stoff statt!", schwärmte er ihr vor. Es waren noch ganz andere Dinge, von denen er ihr nicht erzählen konnte. Mit diesen Schuhen war er ins Wasser gefallen, weil sie einen Fluss durchqueren mussten, um vor der Polizei wegzulaufen, die sie erwischt hatten, wie sie an diesem Fluss einen Joint geraucht hatten. Die Schuhe waren vor der Tür der Ferienwohnung gestanden, in welcher er sein erstes Mal mit seiner Exfreundin gehabt hatte. All diese Dinge, dabei waren nicht dazu gedacht, sie seiner Mutter zu erzählen. Aber es waren Geschichten, bei denen die Schuhe ihn begleitet hatten. "Du bist doch normalerweise der von uns, der viel zu viel wegwirft und nichts behalten möchte! Warum hast du das bei diesen Schuhen so sehr?", hakte sie nach, schüttelte dann den Kopf. "Du musst sie ja nicht wegwerfen. Wir kaufen dir Neue und du kannst die Alten auf dem Dachboden verstauen, wie ist das?", schlug sie ihm vor. "Aber nur, wenn es dieselben sind!", stellte er seine Bedingung. Seufzend gab sie nach: "Natürlich, wenn dich das glücklich macht, kaufen wir dir dieselben Schuhe!", stimmte sie endlich zu. "Es würde mich sogar sehr glücklich machen!" Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und machte sich dann auf den Weg in sein Zimmer. Er musste sich frisch machen, für das Date heute Abend.