Vorsichtig öffnete sie die Tür, sah nach der Frau, die in ihrem Bett lag. Sie schien zu schlafen, doch wenn man sie gut kannte, wusste man, dass das nicht der Fall war. Immer wieder lag sie in ihrem Bett, hielt die Augen geschlossen und genoss einfach, dass sie ihre Ruhe hatte. Vermutlich war das einfach so, wann man langsam irgendwann neunzig wurde. Dann hatte man genug von den ganzen Menschen um einen herum. Die Schwester konnte sie gut verstehen, auch ihr gingen die meisten Menschen sehr schnell auf die Nerven. Wieso auch nicht? Sie waren kompliziert und erforderten so viel Aufmerksamkeit. Die alte Frau bekam sehr oft Besuch. Ihre fünf Kinder kamen sie besuchen, ihre Enkel ebenfalls. Und manchmal nahmen sie sogar Uhrenkel mit. Auf eine gewisse Art war das sehr niedlich, denn das Testament war lange geschrieben und niemand konnte mehr etwas daran ändern. Was bedeutete, dass sich die Leute wirklich um ihre Verwandten sorgten. Immer wieder traf man Menschen, die nicht nur wegen ihrer kranken Angehörigen hier waren, sondern wegen dem Geld.
Doch die alte Frau bekam Besuch. Und auch, wenn sie nie wirklich antwortete, weil nur Kauderwelsch aus ihrem Mund kam, seit die Demenz ihr die Möglichkeit genommen hatte, richtige Sätze zu bilden, hörte man ihr doch zu.
"Ich hab Ihnen zum Abendessen das angekreuzt, was sie früher immer gerne gegessen haben, ich hoffe, sie freuen sich darüber. Keine Sorge, in ein paar Stunden schaue ich wieder nach Ihnen! Ihre Tochter hat angerufen, dass sie heute eine Stunde später kommen will, dann können Sie zusammen essen!", erklärte sie der Frau, die keine Reaktion zeigte. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig, doch ihre Augen blieben geschlossen. Vielleicht schlief sie auch. Wenn das der Fall war, wollte man sie nicht stören. Vorsichtig huschte die Schwester wieder aus dem Zimmer und machte sich auf zum nächsten Zimmer, in welchem ein Patient lag, der nicht so viel Glück hatte.