Es ist viele Jahre her, dass ich zum ersten Mal einen Androiden traf. Er sah beinahe menschlich aus, auch wenn ihn seine blasse Haut und die goldenen Augen verrieten. Er war auf eine Art viel schöner als alle Menschen, die ich je getroffen hatte. Vielleicht, weil er künstlich von Menschen erschaffen wurde. Als Manifestation des Perfektionsstrebens der Menschheit.
Er war in jeder Hinsicht den Menschen überlegen. Seine objektiven Analysen von Sachverhalten und Informationen waren an Effizienz nicht zu überbieten. Selbst körperlich war er belastbarer und an Kraft den Menschen weit überlegen.
Seine einzige Schwäche war seine mangelnde Sozialkompetenz und fehlende Emotionen. Zumindest sah er es selbst als Schwäche. Sein größter Wunsch war es, ein Mensch zu werden. Schon bei unserer ersten Begegnung vertraute er mir das an und ich fragte ihn, warum er so verzweifelt wie die Menschen sein wollte, obwohl er doch eigentlich besser sein sollte als sie. Er hatte keine Antwort.
Jahre später trafen wir uns wieder. Er hatte mich nie vergessen, weil er auch über bessere Erinnerungsfähigkeit verfügte. Ich hatte ihn nie vergessen, weil er einfach so einzigartig war, dass es unmöglich war, ihn zu vergessen. Er hatte eine Antwort gefunden. Für ihn war die Fähigkeit zu Emotionen, die Fähigkeit, Humor zu verstehen und Taktgefühl zu entwickeln, eine elementare Fähigkeit der Menschen, mit denen sie in seinen Augen den Androiden bei weitem überlegen waren. Ich sagte ihm nicht, dass ich glaubte, er würde die Menschen romantisieren. Dass ich mein Leben lang damit zugebracht hatte, meine Gefühle zu unterdrücken, sie gar auszumerzen. Und er wollte sich all dem Leid und Schmerz der Menschen aussetzen, ihren Egoismus und ihre Arroganz übernehmen. Er war perfekt und er selbst sah es als seine Schwäche. Aber ich wollte ihm nicht seine Hoffnung nehmen, die ihn menschlicher machte, als er selbst glaubte. Er konnte niemals ein Mensch werden, aber ich zerstörte seine Hoffnung nicht, denn es war seine Entscheidung, was er glaubte. Was er zu wissen meinte mit seiner unglaublichen Weisheit.
Jahre nach seiner Zerstörung - nach seinem Tod, denn für mich war er ein Mensch gewesen, ein perfekter Mensch, ein Freund, der die Ehrlichkeit höher schätzte als die Menschen, die mit Lügen lebten - erfuhr ich, dass er einmal die Chance gehabt hatte, seine Funktionen dergestalt zu erweitern, dass er in der Lage gewesen wäre, Emotionen zu empfinden. Doch er hatte sich dagegen entschieden, nachdem ein anderer Android ein Überlegenheitsbewusstsein entwickelt hatte, eine Arroganz und Aggressivität, die ihn dazu trieb, sich über die Menschen zu setzen. Er war den Menschen in jeder Hinsicht überlegen und das wusste er. Und auch der Androide, der mein Freund war, wusste es. Er entschied sich gegen die Erweiterung. Gerne hätte ich ihn gefragt, warum er das getan hatte.
Viele Helden heutzutage sind posthuman. Tragische Helden, die nicht als ‚echte‘ Menschen betrachtet werden, die kein Subjekt sind, sondern nur eine denkende Maschine. Eine künstliche Intelligenz.
Manchmal wünschte ich, ich hätte ihn wiedergesehen – mit seiner neuen Funktion. Vielleicht wäre er der Einzige gewesen, der mich verstanden hätte. Vielleicht hätte er mir geholfen, mich nicht mehr so alleine zu fühlen.
Sein Leben war nicht einfach. Die Menschen stritten sich um ihn, stritten darum, ob er Besitz oder Mensch war. Für mich war er ein Mensch. Ein posthumaner Mensch, der seine fehlende Menschlichkeit als Schwäche betrachtet hatte, ohne daran zu denken, dass sein Mangel an Emotionen ihn als Einziges überlegen gemacht hatte. Menschlichkeit ist die Schwäche der Menschen und zugleich ihre Stärke, die sie nicht nutzen.
Vielleicht ist es Zeit, dass wir im posthumanen Zeitalter ankommen – oder sind wir das schon?
Ich stehe an seinem Grab und betrachte den Namen, der den grauen Stein ziert. Er war kein Mensch, aber auch er hat ein Grab verdient, einen Ort des Gedenkens. Viele haben sich dagegen ausgesprochen, ihm ein Grab zu schaffen. Denn er war kein Mensch. Und ich glaube, das war seine Stärke, er war eine Maschine, aber er hat mehr von Menschlichkeit verstanden als wir Menschen, weil wir unsere Menschlichkeit längst verloren haben – in endlosen Kriegen und Feindschaften, in Hunger und Leid, das wir auf der ganzen Welt noch immer zulassen. Was bedeutet es schon, ein Mensch zu sein, wenn man nicht menschlich ist?