„Geh jetzt!“, drängt er, während der Blick aus seinen Augen meine Traurigkeit spiegelt. „Und dreh dich nicht um!“, erinnert er mich.
Ich nicke, ein Kloß in meinem Hals verhindert, dass ich auch nur ein Wort herausbringe. Obwohl ich ihm so viel sagen möchte. Er nickt und lächelt zaghaft, als wüsste er genau, was ich sagen möchte und wahrscheinlich stimmt es auch.
Ich reiße mich von seinem Anblick los und drehe mich um. Eiligen Schrittes gehe ich hinaus auf die grüne Wiese, immer weiter auf den Fluss zu, der meine Welt von der seinen trennt. Der Welt der Geister.
Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich versehentlich in die Welt der Geister geraten bin, jedes Zeitgefühl hat längst an Bedeutung verloren. Es spielt auch keine Rolle.
Jeder Schritt, den ich mache, fällt mir schwerer. Vielleicht ist es eine letzte Last der Geisterwelt, um zu verhindern, dass jemand sie wieder verlässt, wenn man der Entrückung entgehen kann. Ohne ihn hätte ich den Weg nicht gefunden.
Er war der Erste, der mir begegnete, als ich in diese Welt hineingeriet, völlig überwältigt und verwirrt von der Fremdheit, der Andersartigkeit der Wesen und der ganzen Welt. Er hat mir geholfen, hat mich versteckt und beschützt vor allen Gefahren, die Menschen in dieser Welt erwarten. Er war immer für mich da und half mir, dass ich mich nicht alleine fühlte – selbst wenn ich ihn nicht berühren konnte, weil er verflucht war. Und mit jedem Tag war es schwerer gewesen, ihn nicht berühren zu können. Ich sehnte mich so sehr danach, ihn zu spüren – weil ich ihn liebte.
Ich revanchierte mich, indem ich ihn half, den Fluch zu lösen. Nur ein Mensch konnte den Palast der Geister unbemerkt betreten und die Quelle der Macht der Königin, die über alle ein eisernes Regiment führte, zerstören. Mit seiner Unterstützung gelang es mir und ich konnte ihn befreien. Auf diese Weise konnte ich auch den Bann brechen, der mich an diese Welt band. Ich war frei, zurückzukehren. Er hatte mir den Weg gezeigt und mich ermahnt, nicht zurückzusehen. Ich hatte ihn gefragt, warum er wollte, dass ich ging. Und er sagte mir, dass er mich so sehr lieben würde, dass er mich nicht an dieses Leben binden wollte und wollte, dass ich glücklich war. Denn obwohl ich ihn auch liebte, konnte ich nicht in seiner Welt bleiben, wenn ich länger ein Mensch sein wollte. Wenn ich länger blieb, würde ich zu einer der Ihren werden und niemals mehr zurückkehren.
Ich bemerke kaum, wie meine Schritte langsamer werden, während die Gedanken in meinem Kopf kreisen. Warum will ich unbedingt in die andere Welt zurückkehren, wo ich auch immer nur alleine gewesen bin? Warum sollte ich nicht einfach bei ihm bleiben? Warum sollte ich nicht bleiben, wenn ich eigentlich nicht gehen will? Ich will nicht gehen, weil es bedeutet, dass ich ihn nie wiedersehen werde.
Ich denke nicht weiter darüber nach, als ich umdrehe und zu ihm zurückkehre. Mit Tränen in den Augen sieht er mich an, ich bin mir nicht sicher, ob er wütend oder glücklich ist. Er schüttelt den Kopf. „Nun wirst du für immer an diesen Ort gefesselt sein“, sagt er.
„Wenn es bedeutet, dass ich bei dir sein kann, dann nehme ich das in Kauf“, erwidere ich.
„Du wirst nie wieder zurückkehren können.“ Er streicht mir über die Wange, eine hauchzarte Berührung, die mich mit einer Wärme erfüllt, die ich vor ihm nicht kannte.
„In der anderen Welt erwartet mich nichts. Ich will bei dir bleiben.“
„Du… Idiotin!“, stößt er hervor, bevor er mich ruckartig in seine Arme zieht, „Wie kannst du so dumm sein? Wie kannst du mich so glücklich machen?“ Er küsst mein Haar, meine Stirn, meine Wangen, meinen Mund.
Weil ich ohne ihn nicht glücklich sein könnte.