Manchmal ging das Schicksal seltsame Wege. Ihre Großmutter hatte ihr immer gesagt, dass es manchmal Wendungen im Leben gab, die man kaum glauben könnte, wenn sie einem nicht selbst passierten, dass es Zufälle gäbe, die unmöglich als Zufälle erscheinen konnten, die vom Schicksal vorherbestimmt schienen. Sie hatte nie an das Schicksal geglaubt, bis sie selbst erlebt hatte, dass das Schicksal offenbar ein Scherzkeks war.
Wie sonst konnte sie sich erklären, dass die Frau, die zu ihrer besten Freundin geworden war, als diese sie weinend im Park gefunden und getröstet hatte, ausgerechnet die Schwester des Mannes war, der ihr das Herz gebrochen und überhaupt für ihren Kummer verantwortlich gewesen war? Aber sie konnte sie wohl kaum für ihren Bruder verantwortlich machen und sie hatte selten so eine tolle Freundin gefunden. Es fühlte sich an wie Schicksal, dass sie sich begegnet waren – beide mit ihren Unsicherheiten, Macken und Fehlern, die sie aneinander akzeptierten ohne Urteil.
Ihre Freundin hatte schon oft schlechte Erfahrungen gemacht. Viele hatten nur mit ihr befreundet sein wollen wegen ihres Bruders, der ein berühmter Sänger war und schon während der Schulzeit beliebt und unglaublich attraktiv gewesen war, weshalb seine Schwester für viele Frauen ein Sprungbrett für die Bekanntschaft mit ihm gewesen war. Sie hatte ihr glaubhaft versichern können, dass sie ganz sicher nicht aufgrund ihres Bruders mit ihr befreundet war. Und sie hatte es bewiesen, indem sie diesem konsequent aus dem Weg gegangen war. Da dieser nur selten nach Hause zu seiner Familie kam, war das auch nicht besonders schwierig, sodass sie ihre Freundin sogar schon zu Feiertagen zu deren Eltern begleitet hatte, da sie selbst keine Familie hatte. Denn obwohl sie immer ehrlich zueinander waren, gab es da eine Sache, die sie ihrer Freundin nicht erzählt hatte: ihre Verbindung zu ihrem Bruder. Die kurze Beziehung, die sie geführt hatten, bevor alles verloren gegangen war. Glücklicherweise wusste kaum jemand von ihnen, sodass sie ihr Geheimnis nicht bedroht sah.
„Mein Bruder kommt heute vorbei“, erzählte ihre Freundin, nachdem sie das Handy weggelegt hatte.
„Das ist dann mein Stichwort.“ Sie zwinkerte ihrer Freundin fröhlich zu und verbarg so die Anspannung, die sie jedes Mal überkam, wenn die Rede auf ihren Bruder kam.
„Du musst nicht jedes Mal gehen, wenn er kommt“, betonte sie, „Ich glaube dir auch so, dass du nichts von ihm willst.“
„Ach, ich habe einfach eine Allergie gegen berühmte Menschen“, scherzte sie.
„Ich würde mich aber freuen, wenn ihr euch mal kennenlernt.“
„Ein anderes Mal vielleicht.“
Doch da klingelte es bereits an der Tür und dann schaute sie in die Augen des Mannes, den sie so geliebt hatte, bevor dieser ihr Herz brach.