Ich habe mich oft gefragt, was all die Mädchen an ihm finden. Ich sehe dabei zu, wie sie ihn anhimmeln, wie sie danach geifern, ausgewählt zu werden, sieben Minuten mit ihm in einem kleinen Raum zu verbringen. Sieben Minuten, in denen alles passieren kann.
Ich bin eine ganz normale Schülerin, keine Sportlerin, keine Hochbegabte. Ich bin weder beliebt noch verhasst. Ich bin einfach unauffällig, nicht existent.
Er ist das völlige Gegenteil von mir. Sportlich, beliebt, blaue Augen. Die Mädchen rennen ihm hinterher wie Hündchen und er kann sich unter ihnen aussuchen, wen er will. Und natürlich sucht er sich immer die Hübschesten aus. Zu denen werde ich niemals gehören und es macht mir nichts aus.
Manchmal ist es seltsam, wie das Leben spielt. Denn ich bin diejenige, die ausgewählt wird.
Es werden sieben Minuten des Schweigens. Er weiß nicht, was er sagen soll, denn er weiß nicht, wer ich bin. Vor diesem Moment habe ich nicht existiert und auch hinterher werde ich wieder in der Vergessenheit verschwinden. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil ich genau weiß, dass meine Worte nichts daran ändern werden, wie diese Situation ausgehen wird. Und doch werden diese sieben Minuten mein Leben verändern.
Ich beginne, von ihm zu träumen. Davon, wie er sein könnte, wie er zu mir wäre. Wie er mir ein Gefühl der Sicherheit, der Wärme und das alles so richtig ist, wie es ist, vermittelt. Ich träumte davon, dass wir eins wären. Es war der eine Gedanke, der mich immer am Leben hielt, in den sternenklaren Nächten, wenn ich auf der Wiese hinter unserem Haus lag und das Schreien meines Vaters und das Weinen meiner Mutter einfach ausblendete, wenn ich mir seine blauen Augen vorstellte. Ein Gedanke, der mein Leben bestimmte. Irgendwo dort draußen in dieser dunklen Nacht war auch er. Vielleicht schaute er ebenfalls wie ich gerade in die Sterne. Und vielleicht dachte er an mich. Das unsichtbare Mädchen, das für ihn nicht unsichtbar war.
Die Jahre vergingen, in denen ich ihn aus der Ferne beobachtete. Und dann stand der Abschluss vor der Tür und die erdrückende Erkenntnis kam, dass ich ihn bald nicht mehr jeden Tag sehen konnte. Diese Wahrheit verschloss ich tief in mir. Die Wahrheit, dass wir auseinander gehen würden, ohne uns je richtig begegnet zu sein. Ohne die Chance auf ein Wiedersehen.
Die Hoffnung verfolgte mich. Die Träume verfolgten mich. Vielleicht würde er mir am Tag des Abschlusses gestehen, dass er all die Jahre auch an mich gedacht hatte? Dass er mich vom ersten Moment geliebt hatte?
Die Zeit rannte immer schneller, sie rannte vor mir davon.
Ein letztes Lächeln. Ein Lächeln, das nicht mir galt. Dann ging er davon. Und schaute nie wieder zurück. Ich verlor ihn – ohne ihn jemals gehabt zu haben. Er verließ meine Welt, nahm das Licht mit sich fort. Die Sterne über mir am Himmel erloschen, als die innere Leere mich ergriff.
Und die Wahrheit holte mich ein. Die Wahrheit einer unerwiderten Liebe. Er würde gehen ohne einen Weg zurück, ohne sich jemals an mich zu erinnern. Und diese Wahrheit war zu schwer für mich zu tragen. Eine Wahrheit, mit der ich nicht leben konnte.
In Geschichten kann ich Träume ausleben. Wie es wohl wäre, wenn ich plötzlich nicht mehr unsichtbar wäre? Wie es wohl wäre, wenn er mich sehen würde? Weil es unwichtig ist, ob ich ihn kenne. Es reicht, dass ich es mir vorstelle.