Wie hatte er sich von seinem Freund nur zu dieser dummen Idee überreden lassen können? Seufzend ließ er das Handy sinken, das er sich eigens für diesen Zweck angeschafft hatte. Wieder nur ein weiterer Fan. Wieder nur eine Frau, die ihn vollgesülzt hatte, wie toll sie ihn doch fand. Aber was hatte er auch erwartet, als er, der Sänger einer berühmten Band, einen öffentlichen Aufruf gestartet hatte, um eine Frau zu finden, mit der er nur einen einzigen Tag verbracht hatte? Aber manchmal war ein Tag genug. Diese Frau war etwas Besonderes. Sie hatte sich nicht von seinem Ruhm beeindrucken lassen, beinahe mühelos hatte sie hinter seine öffentliche Fassade geblickt und den Menschen dahinter, dem er selbst schon fremd geworden war, gesehen. Sie hatte ihn wieder an die wichtigen Dinge des Lebens erinnert, die er im Rausch des Ruhms vergessen hatte. Sie hatte ihn wieder auf den Boden geholt, ihn an sich selbst und seine Ideale erinnert. Als er angefangen hatte mit der Musik, hatte er davon geträumt, seine Leidenschaft mit anderen zu teilen und die Welt ein Stück besser zu machen. Doch diese Leidenschaft war mit der Zeit zu Arbeit verkommen und an die Welt hatte er auch keinen Gedanken mehr verschwendet. Sie hatte ihn daran erinnert, dass er eine Stimme hatte, die gehört wurde, dass er etwas bewirken konnte. Und sie hatte ihm die Liebe zur Musik zurückgebracht. Es war nur ein Tag gewesen – doch er hatte alles geändert.
Sie waren unter dem Sternenhimmel eingeschlafen und am nächsten Morgen war sie fort gewesen. Er hatte versucht, sie zu finden, aber bis auf ihren Vornamen wusste er nahezu nichts über sie. Außer, dass sie wohl Fotografin war – immerhin hatte ihre Kamera ihn dazu gereizt, sie ziemlich ruppig anzugehen, weil er sie für eine Paparazzi hielt, was sie mit einem Lächeln entgegnet hatte -, doch er hatte im Internet nichts über sie finden können. Sein Freund, der als Gitarrist mit ihm in der Band spielte, hatte gemerkt, dass ihn etwas bedrückte und als er ihm dann von der mysteriösen Frau erzählt hatte, hatte dieser die tolle Idee gehabt, einen Aufruf auf seinen Social-Media-Accounts zu veröffentlichen. Sie hatten ein Wegwerf-Handy besorgt, sodass er dessen Nummer angeben konnte. An den ersten Tagen hatte er sich vor Anrufen nicht retten können. Das Handy war regelrecht explodiert. Weibliche Fans, aber auch vereinzelte Männer hatten ihn zu überzeugen versucht, dass sie die Richtige waren und als sie seine Frage, die er gestellt hatte, um sicherzugehen, dass er sie auch wirklich erkannte, nicht beantworten konnten, hatten sie ihn angefleht oder behauptet, die Liebe seines Lebens zu sein, er wüsste das halt nur noch nicht und so weiter. Es hatte ihn schrecklich ausgelaugt. Natürlich war sie nicht dabei gewesen.
Mit der Zeit waren die Anrufe weniger geworden, nur noch hin und wieder gab es den ein oder anderen Fan, der es noch mal probierte oder sich erst jetzt meldete. Niemand konnte ihm die Frage beantworten, was sie ihm als Letztes gesagt hatte. Denn nur sie konnte es wissen und sie hatte sich nicht gemeldet. Hatte sie seinen Aufruf nicht gesehen? Obwohl sich die Boulevardpresse darauf gestürzt hatte? Oder wollte sie sich einfach nicht melden? Langsam schwand seine Hoffnung, sie jemals wiederzusehen, doch noch flackerte das kleine Flämmchen der Hoffnung in seinem Inneren, sodass er das Handy noch nicht ausgeschaltet hatte und immer Sorge dafür trug, dass es geladen war und der Akku niemals leer. Doch auch der Anruf gerade eben war nicht der Erfolg gewesen, den er sich erhofft hatte. Die Frau am anderen Ende hatte angefangen zu weinen, als er ihr gesagt hatte, dass sie nicht diejenige war, die er suchte und es tat ihm leid, dass er ihr womöglich das Herz gebrochen hatte, aber sie kannte ihn nun einmal nicht. Nicht richtig. Nicht so wie sie.
Missmutig warf er das Handy auf die Bettdecke vor sich und lehnte sich erschöpft in die weichen Kissen des Hotelbetts. Er konnte sich wirklich nicht beschweren, seine Unterkünfte hatten stets einen gewissen Luxus, die Betten waren weich und gemütlich, doch insgeheim sehnte er sich danach, ein richtiges Zuhause zu haben. Ein Zuhause, wohin er zurückkehren konnte und ganz er selbst sein.
Ohne sich damit aufzuhalten, anzuklopfen, betrat sein bester Freund das Hotelzimmer. „Komm doch rein“, grummelte er schlecht gelaunt. Er war nicht in der Stimmung für Gesellschaft. Erst recht nicht für die des Gitarristen, der ihm diese Hoffnung geschenkt hatte, die jedes Mal aufs Neue enttäuscht wurde.
Aber sein bester Freund war nicht umsonst sein bester Freund – er wusste genau, was in seinem Kopf vor sich ging und so deutete er nur auf das Handy vor ihm. „Wieder nichts?“
Seufzend schüttelte er den Kopf.
Sein Freund schwieg einen Moment, bevor er sich ebenfalls auf das Bett setzte. „Vielleicht ist es an der Zeit, die Aktion zu beenden. Ich habe wirklich geglaubt, dass wir sie finden könnten, aber…“
Das Klingeln des Handys unterbrach ihn. Beide schauten es an. Er machte keine Anstalten danach zu greifen. Er war müde, zu müde für diese blöde Suche. Sein Freund ergriff das nervige Teil schließlich und hob ab. Seine Stimme war alles andere als freundlich, als er dem Anrufer entgegen schmetterte: „Mein Freund hat jetzt wirklich genug von diesen Anrufen, Sie sollten sich schämen, seine Hoffnung auf diese Weise auszunutzen!“
Er konnte die Antwort nicht verstehen, aber er sah, wie das Gesicht seines Freundes zusammenfiel.
„Was ist?“, wollte er neugierig wissen.
Sein Freund bedeckte das Telefon mit einer Hand und sagte zu ihm: „Es ist eine Frau. Sie sagt, dass sie nur wissen wolle, ob du wieder an deine Träume glauben würdest.“
Sein Herz begann zu rasen. „Gib mir das Telefon“, verlangte er und streckte die Hand aus.
Sein Freund gab ihm das silberne Gerät und hektisch hielt er es sich ans Ohr. „Hallo?“ Er merkte selbst, wie zittrig sein Atem klang.
„Findest du nicht, dass diese ganze Aktion ein bisschen albern ist?“, antwortete eine Stimme mit einem Lachen, das er unter Tausenden wieder erkannt hatte. Sein Herz hüpfte vor Freude und ein riesiger Stein fiel ihm vom Herzen.
„Mir blieb ja keine andere Wahl, als du einfach morgens verschwunden warst“, entgegnete er. Sein Freund schaute ihn fragend an und er streckte ihm den Daumen hoch hin. Sie war es. Sie hatten sie endlich gefunden. Er hatte sie gefunden.
Sein Freund grinste breit, dann deutete er auf die Tür und verschwand auch sogleich.
„Stell dir vor, es gibt Leute, auf die warten Flugzeuge nicht“, spottete sie. Es war dieser Spott, mit dem sie ihm von Anfang an begegnet war und mit dem sie ihn letztlich um den Finger gewickelt hatte.
„Du hättest wenigstens eine Nachricht hinterlassen können.“
„Ich war wirklich spät dran. Außerdem wusste ich ja nicht, ob du mich wiedersehen willst.“ Da lag plötzlich eine Unsicherheit in ihrer Stimme, die er von ihr nicht gewohnt war. Sein Herz machte einen aufgeregten Hüpfer. Bedeutete das etwa, dass sie ihn auch mochte? Dass sie ihn eigentlich auch gerne wiedersehen wollte? Hätte sie sonst angerufen? Oder wollte sie ihm nur sagen, dass sie ihn nicht wiedersehen wollte und er alle Hoffnung aufgeben sollte und sie wusste nur nicht, wie?
„Wenn es nicht gereicht hat, dass ich überall nach dir gesucht habe, formuliere ich es noch einmal deutlich: Ich möchte dich sehr gerne wiedersehen. Wenn du es möchtest.“ Damit stellte er sich, all seine Hoffnungen und Wünsche, ihrem Wohlwollen. Er hatte sich geöffnet und konnte nur hoffen, dass er nicht enttäuscht werden würde. Angespannt hielt er den Atem an.
„Morgen Abend. Wenn die Sonne untergeht. Auf unserem Hügel.“ Und schon hatte sie aufgelegt.
Er konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Er würde sie wiedersehen. Und dann würden sie dort fortfahren, wo sie stehen geblieben waren.
Glaube an deine Träume, denn sie sind es, die deinen Weg bestimmen.