„Hast du es schon gehört?“ Aufgeregt schaut das Mädchen mit den blonden Zöpfen mich an, während ich ihr Frühstück für die Schule schmiere.
„Was denn?“, will ich wissen.
„Mein Bruder ist wieder da!“, verkündet sie freudestrahlend.
Ich kann mir ein Zusammenzucken gerade noch so verkneifen. Sie ist zwar erst acht, aber sie ist clever. Sie würde mich sofort durchschauen. „Das ist ja schön“, sage ich und versuche angemessene Begeisterung in meine Stimme zu legen.
Da betritt ihre ältere Schwester, die gerade vierzehn geworden ist, den Raum. Und offenbar hat sie unser Gespräch gehört. „Ja, vielleicht werdet ihr dann ja wieder ein Paar.“
Ich drehe mich um und öffne den Kühlschrank. Dort tue ich so, als ob ich gerade sehr beschäftigt etwas im Kühlschrank suche, damit die Beiden mein Gesicht nicht sehen. Ich war noch nie besonders gut darin, meine Gefühle zu verstecken und ich will nicht, dass sie den Schmerz auf meinem Gesicht sehen. Die Sehnsucht. Ja, ich habe ihren Bruder vermisst. Selbst nachdem er zwei Jahre fort war, unterwegs auf großer Weltreise, vermisse ich ihn noch immer. Aber es gibt kein Zurück zu unserer Schulzeit. Bevor er mir das Herz gebrochen hat.
Wir hatten eine besondere Verbindung. Er war auf der Highschool sehr beliebt gewesen. Besonders bei den Mädchen, denn er war gutaussehend und charmant, lustig und freundlich zu jedem. Niemals hätte ich gedacht, dass er sich ausgerechnet für mich entscheiden würde, ich, die ich doch die meiste Zeit unauffällig und still gewesen war. Aber irgendwie spürten wir beide es von Beginn an. Es war keine Liebe auf den ersten Blick oder so, wir verstanden uns einfach gut. Und dann kam der Unfall, bei dem seine Eltern starben. Er war am Boden zerstört und ich wollte für ihn da sein, aber er ließ mich nicht. Ich verstand, dass er unter dem Verlust litt und wollte ihm Zeit geben, doch keine Zeit der Welt schien etwas zu ändern. Er stieß mich fort. Nach dem Abschluss zog es ihn in die Welt hinaus. Und selbst wenn er mich gefragt hätte, ob ich mit ihm käme, hätte ich es nicht können. Meine Mum war krank und brauchte mich.
Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Eine Zeit voller Veränderungen. Er wird nicht mehr der sein, der aufgebrochen ist. Genauso wenig wie ich noch die bin, die er verlassen hat. Meine Mum starb kurz nach seiner Abreise. Ich war am Boden zerstört, aber dann wurde seine Oma krank, die seine Schwestern nach dem Tod der Eltern aufgenommen hatte. Wir waren vier Jahre lang ein Paar gewesen, also stand ich auch seinen Schwestern nahe. Es war selbstverständlich gewesen zu helfen. Und es war leicht gewesen, den Schmerz in meinem Herzen zu ignorieren, während er fort war. Es war leicht, so zu tun, als würde es keine Rolle spielen. Als wäre es nicht seine Familie, die zu der meinen geworden war. Doch jetzt, wo er zurück ist, würde sich wieder alles ändern.
Ich atme tief durch, sammele mich und hole den Käse aus dem Kühlschrank, der sich direkt vor meiner Nase befindet. „Das wird nicht passieren“, antworte ich bemüht gelassen, „Das mit deinem Bruder und mir ist seit zwei Jahren vorbei und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Aber ich freue mich für euch. Wenn euer Bruder wieder da ist, dann könnt ihr wieder eine Familie sein.“
„Sicher?“
„Natürlich. Oder glaubst du, er wird wieder gehen?“
„Das meinte ich nicht.“ Seine älteste Schwester rollt mit den Augen. Sie sieht ihm wirklich ähnlich. Sie hat sein Lächeln, auch wenn davon jetzt nichts zu sehen ist, so wie sie die Nase krauszieht. „Ich meine dich und ihn. Tu nicht so, als würdest du ihn nicht immer noch lieben. Und leugne es nicht, du hast nicht einfach so deine Nase fast fünf Minuten in den Kühlschrank gehalten, obwohl der Käse direkt vor dir war!“
Ich seufze. „Du bist ein viel zu aufmerksames kleines Biest.“
Sie grinst breit. „Danke. Und was ist jetzt? Meinst du nicht, ihr solltet es noch mal versuchen?“
„Es sind zwei Jahre vergangen. Das ist eine lange Zeit. Wir beide werden uns verändert haben. Das lässt sich nicht einfach ignorieren.“
„Aber ihr könnt es doch wenigstens probieren! Wenn ihr doch immer noch Gefühle füreinander habt!“
„Woher willst du wissen, dass er noch Gefühle für mich hat? Du weißt nicht, ob er nicht eine Frau unterwegs getroffen hat, in die er sich verliebt hat.“ Alleine bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. So war es mir die ganzen zwei Jahre gegangen, in denen er fort war. Immer wieder hatte ich mich gefragt, ob er auch so oft an mich dachte wie ich an ihn. Nur um zu der Erkenntnis zu kommen, wie unwahrscheinlich das war. Während ich hier in dieser Kleinstadt mit den immer gleichen Menschen rumhing, war er durch die Welt gereist und hatte sicher zig schöne Frauen kennengelernt. Und dass mir der Gedanke auch nach zwei Jahren noch genauso zusetzte wie am Anfang, sagte mir, dass ich wirklich keinen Schritt damit weitergekommen war, ihn loszulassen. Vielleicht war es ganz gut, dass er endlich zurück war. Vielleicht würde es mir helfen zu sehen, wie sehr er sich verändert hatte. Es würde schmerzhaft sein, ihm wieder gegenüber zu treten, aber vielleicht würde es die Wunde endlich heilen.
Ein triumphierendes Grinsen schleicht sich auf die Lippen seiner Schwester. „Weil er auf seinem Handy immer noch ein Bild von euch beiden als Hintergrundbild hat!“
Hätte ich sie doch nicht gefragt. Dann würde die kleine Flamme der Hoffnung jetzt nicht in meinem Herzen flackern.