Auf dem Hof konnte sie das Holzgerüst sehen, von dem drei Schlaufen baumelten. Sie konnte den Blick nicht abwenden, wollte es auch gar nicht. Sie wollte ihrem Schicksal mutig entgegensehen.
Sie hatte geahnt, dass es so kommen würde. Obwohl ihre Eltern gesagt hatten, dass alles gut werden würde. Obwohl der Mann, der sie beschützen sollte, versprochen hatte, dass ihr niemals etwas geschehen würde. Sie hatte gewusst, dass es so enden würde.
Je mehr Macht die Rebellen gewonnen hatten, desto mehr hatte sich ihr Vater im Schloss verschanzt, hatte neue Wachleute angeworben und ihr einen neuen Trupp zur Seite gestellt, von dem er gedacht hatte, er wäre loyal. Doch sie hatte den Unmut gespürt, der mit jedem Tag stärker wurde. Der Unmut eines Volkes gegenüber seinem König, der sich nicht um das Volk kümmerte. Sie hatte sich bemüht, dem Volk eine gute Prinzessin zu sein, sich als gute zukünftige Königin zu zeigen, doch sie hatte versagt.
Und dann kam der Tag, an dem auch die letzten Wachleute flohen und zu den Rebellen überliefen – und mit ihnen der Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, der versprochen hatte, dass sie leben würde.
Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, aber es war ein trauriges Lächeln. Sie hatte gewusst, dass es so kommen würde, auch wenn da immer die Hoffnung gewesen war, dass sie sich irrte und alle Ermutigungen am Ende richtig sein sollten. Doch am Ende hatte sie Recht behalten.
Sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete und eine Stimme erklang: „Es ist so weit, Prinzessin.“
Sie nickte, stolz und gefasst – wie es sich für eine Prinzessin gehörte. Der Rebell, der sie an der Tür erwartete, begegnete ihr mit Respekt, ließ sie ihren letzten Weg alleine gehen. Vielleicht, weil er wusste, dass sie ohnehin nirgendwo hinkonnte. Und trotzdem war sie froh darum.
Auf dem Weg fragte sie sich, ob der Mann, der ihr gesagt hatte, dass er sie liebte, bereute, dass er fortgegangen war.
Sie würde die Antwort nie erfahren.
Der Galgen wartete auf sie.