Er schaute sich noch einmal sorgfältig um, bevor er das Büro seines Arbeitgebers, dem er als Bodyguard diente, betrat. Denn eigentlich war er als Agent eingeschleust worden, um die kriminellen Machenschaften seines jetzigen Bosses aufzudecken.
Es war niemand zu sehen, also huschte er auf leisen Sohlen hinein, ließ seinen geübten Blick über den Schreibtisch und die Regale an der Wand schweifen und begann dann hektisch die Unterlagen durchzusehen. Er musste sich beeilen, Beweise zu finden oder auch nur Hinweise, denn jeden Moment konnte er entdeckt werden.
„Was machst du denn da?“, erklang die hohe Stimme der Stieftochter seines Bosses. Erschrocken ließ er die Papiere, die er in der Hand gehalten hatte, fallen.
„Ich, ähm, ich sollte bloß eine Mappe für den Boss holen.“ Er griff wahllos die erste Akte, die ihm auffiel. „Ah, da ist sie ja.“
„Aber mein Papa ist doch gerade gar nicht da.“ Ihr blödes Kichern ließ ihn beinahe die Augen verdrehen. Die blondierte Frau hatte den IQ einer Banane. Sie interessierte sich nur für das Geld, das ihr Stiefvater ihr für ihre exzessiven Shoppingtouren gab. Den meisten Tag verbrachte sie entweder in den Läden in der Stadt, unterzog sich irgendwelchen Beauty-Kuren oder lag am Pool und flirtete mit dem Poolboy. Auch ihm hatte sie schon ein paar Mal schöne Augen gemacht, also dürfte es ein leichtes sein, seinen kleinen Ausflug aus ihrem Gedächtnis zu löschen oder sie wenigstens zu überzeugen, ihrem Vater nichts gegenüber zu erwähnen.
Er legte die Mappe zurück auf den Schreibtisch und achtete darauf, dass er sie genau auf die gleiche Stelle legte, damit nichts auf seine Anwesenheit hier hindeutete. Dann sprach er in seinem besten verführerischen Tonfall, der bisher jeder Frau die Knie weich werden lassen hatte, denn immerhin war er mit einem attraktiven Aussehen ausgestattet: „Dann haben wir ein wenig Zeit für uns.“
Sie kicherte affektiert und er überwand die wenigen Schritte zwischen ihnen. Sie schaute ihm erwartend entgegen und er nahm die Einladung an, beugte sich vor und küsste sie. Und dafür, dass sie nicht mit besonderer Intelligenz gesegnet war, küsste sie verdammt gut.
Es war das Klicken seiner Pistole, das ihn aus dem Kuss riss. Er wich einen Schritt zurück und konnte so bestens erkennen, dass sie seine Pistole aus dem Holster entwendet hatte. Und sie wusste offensichtlich, was sie tat, denn sie entsicherte die Waffe gekonnt. Bisher hatte sie sie nicht auf ihn gerichtet, aber er fürchtete, dass es nur eine Frage der Zeit war. „Wie schade.“ Sie seufzte und klang so ganz anders als sonst. „Ich hatte mehr erwartet. Für einen Agenten der besten Organisation der Welt ist das wirkliche eine schwache Leistung. Selbstüberschätzung und was sie mit einem macht.“ Sie betrachtete ihn mit einem wachen, intelligenten Blick und er begriff, dass auch sie nur eine Rolle gespielt hatte.
„Wer bist du?“, wollte er wissen.
„Unwichtig. Aber du solltest gehen. Vergiss deinen Auftrag, das geht über dein Können hinaus.“
„Ich bin der Beste!“
Sie grinste ihn spöttisch an. „Ja, das sehe ich. Du hast keine Ahnung, worum es hier wirklich geht, mit wem du dich anlegst. Verschwinde von hier, bevor du es herausfindest.“
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Rasch reichte sie ihm seine Pistole, die er zurück in seinen Holster steckte, bevor sie sich die Haare zerwuschelte und mit diesem blöden Kichern, das sie offenbar nur als Fassade benutzte, betont zweideutig meinte: „Danke für diese besondere… Erfahrung.“
In diesem Moment trat sein Boss ein und musterte sie beide skeptisch. „Was tut ihr beiden hier?“
„Oh, ich hab deinem neuen Bodyguard nur ein wenig das Haus gezeigt. Damit er auch weiß, wo alles zu finden ist.“ Sie kicherte wieder so blöd, sodass ihr Vater nun denken musste, sie hätten es miteinander getrieben. Er war sich nicht sicher, was besser war: Dass er als Spion entlarvt wurde oder dass er als Verführer der Stieftochter seines Bosses dastand, immerhin schien der ihr alles zu geben, was sie wollte.
Sein Boss seufzte. „Schade. Ich hatte wirklich gedacht, dieses Mal einen ordentlichen Bodyguard bekommen zu haben.“ Irgendwas an der Stimme ließ ihn aufhorchen und ließ seine Alarmglocken schrillen. Er griff instinktiv zu seiner Waffe, doch kaum, dass er sie gezogen hatte, flog sie ihm wie von einem starken Magneten angezogen aus der Hand. Sein Chef richtete sie direkt auf ihn. „Auf die Knie.“
Er wusste, dass es besser war, ihm zu gehorchen, zumal er keine Ahnung hatte, wie sein Zielobjekt das gemacht hatte.
„Aber Daddy, was tust du denn da?“, tat die Stieftochter überrascht.
Der Angesprochene drehte sich abrupt zu ihr um und schlug sie mit der Pistole so heftig ins Gesicht, dass sie zu Boden ging. „Glaubst du wirklich, ich kaufe dir diese Fassade ab? Eine kluge Idee, Tiffany als Maske zu benutzen, aber hast du wirklich gedacht, ich durchschaue dich nicht? Ich nehme an, die echte Tiffany befindet sich in einem Straßengraben oder einem dunklen Keller? Du hast noch nie irgendwelche Skrupel besessen, aber du bist ja auch meine Schöpfung.“ Sein Zielobjekt hatte sich neben sie gekniet und strich ihr mit dem Lauf der Pistole über die Wange. Sie spuckte ihm mitten ins Gesicht, was ihr einen weiteren Schlag einbrachte.
Und dann geschah etwas, dass er sich genauso wenig erklären konnte, wie die Aktion mit der Pistole vorhin. Sie veränderte sich. Das blonde Haar und die blauen Augen wichen dunklem Haar und grauen Augen, selbst die Gesichtszüge veränderten sich.
Sein Chef grinste zufrieden und richtete sich wieder auf, um sich zu ihm umzudrehen. „Ist es nicht großartig, was ich geschaffen habe? Eine Armee aus perfekten Kriegern, Genmutationen, die besondere Fähigkeiten hervorrufen. Nur mit dem Gehorsam mangelt es. Aber eine Fehlerquote schleicht sich ja immer mal ein.“ Sein Boss drehte sich zu der Fremden um. „Ich weiß, warum du hier bist. Du suchst immer noch nach ihr, aber du hättest dir die Mühe sparen können, sie ist nicht mehr bei mir.“
Sie rappelte sich auf. „Was hast du mit ihr gemacht, du Monster?“
„Gar nichts. Sie ist davon gelaufen. Undankbares Miststück. Aber wenigstens hat ihr Schatten dich noch zu mir gelockt, damit ich allem ein endgültiges Ende setzen kann.“ Mit diesen Worten hob er die Pistole, richtete sie auf ihre Stirn und drückte ab.
Der Spion konnte ein Keuchen nicht unterdrücken, als die Fremde tot zu Boden fiel. Sein Zielobjekt drehte sich zu ihm herum. „Und nun zu dir.“ Seine Augen funkelten voller Vorfreude auf die Grausamkeiten, die er ihm antun wollte. Und ihm wurde klar, dass die Fremde Recht gehabt hatte. Er hatte keine Ahnung, mit wem er sich angelegt hatte.