Ein albernes Kichern, das aus dem Labor zu ihr hinüber schallte, verriet ihr alles, was sie wissen musste: Ihr Boss hatte mal wieder Damenbesuch. Vermutlich eine kurvige, blondierte Schnepfe mit dem IQ einer Banane, die sich von seinem guten Aussehen, dem vielen Geld, der Berühmtheit und dem oberflächlichen Charme ihres Chefs einlullen ließ. Diese Affären hielten allenfalls ein paar Tage, dann war sie dafür zuständig, die heulenden Frauen, deren Namen er nicht mal mehr kannte (wenn er ihn überhaupt je gekannt hatte), aus seiner Villa zu schaffen. Das war ihre Aufgabe als seine Sekretärin. Nicht gerade ihr Traumjob, aber sie hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt. Sie brauchte das Geld. Und für ihn, den genialen Erfinder, zu arbeiten, brachte ihr immerhin den Vorteil, dass sie sogar noch etwas lernte, wenn er wieder einer seiner Prahlphasen hatte oder ihr ein neues Objekt präsentierte, weil er die Bewunderung brauchte. Allerdings war sie nicht der Typ für ausschweifende Schwärmereien, sodass sie ihm nie die gewünschte, überschwängliche Lobtirade geboten hatte, auf die er gehofft hatte. Nach dem ersten Mal hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, etwas zu erfinden, das sie begeisterte. Das war für ihn eine Art Sport. Und eine größere Herausforderung als die leichten Herzen dieser Frauen zu gewinnen, mit denen er sich umgab, um sein Ego zu stärken.
Sie betrat das Labor, entdeckte besagte kurvige Blondine auf dem Schoß ihres Chefs, der sie eng an sich gezogen hatte und hingebungsvoll küsste, und räusperte sich lautstark. Ihr Boss löste sich von seinem neuesten Zeitvertreib und schaute sie deutlich missmutig an, was sie jedoch noch nie eingeschüchtert hatte. „Was ist denn?“, knurrte ihr Chef.
„Ich wollte Sie lediglich an Ihren Termin mit dem Investor in einer Stunde erinnern“, entgegnete sie.
„Ach Mist, das habe ich total vergessen!“, fluchte er. Natürlich hatte er das. Ohne sie würde er keine Woche überleben, weil er nie an etwas anderes dachte als an seine Erfindungen oder an seine Frauen. Wenn sie nicht sogar für ihn einkaufen würde und ihm gelegentlich Essen hinstellen würde, dann wäre er längst verhungert – und sie hätte keinen Job mehr. Und auch wenn ihr Chef sie gelegentlich maßlos ärgerte und sie seine Art nicht leiden konnte, so musste sie doch zugeben, dass es ein besserer Job war als ihr voriger. Er behandelte sie immerhin einigermaßen anständig, von gelegentlichen Flirtereien abgesehen hatte er sich ihr nie unangemessen genähert und behandelte sie respektvoll, was sie von ihrem vorigen Arbeitgeber nicht behaupten konnte.
Ihr Boss schaute seine neueste Flamme an. „Schatz, ich muss leider noch arbeiten.“
Die Blondine zog einen Schmollmund, der vermutlich irgendwie verführerisch aussehen sollte, aber eigentlich nur albern war. „Aber Liebling, du hast mir versprochen, dass du mir die Lösung der Stoker-Gleichungen erklärst“, sagte sie mit einem anrüchigen Unterton, als sei Gleichungen das Codewort für bestimmte unsittliche Handlungen.
„Die Navier-Stokes-Gleichungen, Schatz“, korrigierte er sie.
Die Sekretärin verdrehte die Augen. „Wofür es keine einfache Lösung gibt“, ergänzte sie, „Die Analyse der Gleichungen ist eines der größten mathematischen Probleme und so genial unser lieber Erfinder auch sein mag, er arbeitet auch nur mit den Annäherungen, so wie alle in der Luft- und Automobilindustrie. Wenn du Täubchen also jetzt gehen würdest“, fügte sie spöttisch hinzu, „Der Boss muss sich jetzt leider fertig machen. Und aus Erfahrung kann ich dir versprechen, dass er dich nicht anrufen wird.“
„Hey“, beschwerte sich ihr Chef.
Sie zuckte mit den Schultern. „Sie bezahlen mich nicht gut genug, als dass ich kritische Kommentare und Blicke unterlassen würde.“
Die Blondine schaute wütend von einem zum anderen, bevor sie die Sekretärin fixierte. „Wenn du doch ach-so-klug bist, warum arbeitest du dann als Terminflittchen, hä?“
„Red nicht so mit ihr“, ergriff ihr Boss für sie Partei, was sie zwar nett fand, aber nicht nötig hatte. Sie konnte für sich selbst sprechen.
„Männer mögen es nicht, wenn Frauen klüger als sie sind. Gerade du solltest das wissen. Du hättest keinen Erfolg mit der Verführung von Männern, wenn du einen klugen Kopf auf den Schultern hättest“, erklärte sie sachlich.
Die Blondine brauchte einen Moment, um die Beleidigung zu verstehen, dann packte sie ihr Täschchen und rauschte wütend davon. Das Trippeln ihrer Stöckelschuhe hallte noch lange durch das Labor.
Ihr Blick begegnete dem ihres Chefs. Er sagte: „Warum wusste ich nichts von Ihren mathematischen Kenntnissen?“
„Weil Sie vermutlich nie meinem Lebenslauf gelesen haben?“, schlug sie vor. Sie wusste genau, dass er bei der Wahl seiner Sekretärinnen sonst eher auf deren Aussehen geachtet hatte. Dass das nicht besonders hilfreich gewesen war, hatte er schnell gemerkt, und daher die Erstbeste mit Erfahrung im Sekretärbereich eingestellt – was wiederum sie gewesen war. Ganz sicher hatte er niemals ihren Abschluss in Mathematik, Physik und Luft- und Raumfahrttechnik gesehen.
„Sie sind gefeuert“, verkündete ihr Boss da.
Sprachlos starrte sie ihn an. Sie kannte seine Launen, aber das war jetzt ein neues Level.
„Und ich stelle Sie als Assistentin an. Für die Termine finde ich jemand anderen, Sie werden mir fortan hier im Labor bei meinen Erfindungen helfen. Ich will sehen, was Sie draufhaben.“
Das war die Chance, auf die sie immer gewartet hatte. Und das erste Mal, dass er es wirklich geschafft hatte, sie zu beeindrucken – ganz ohne irgendwelche Erfindungen.