In der Weite des Ozeans liegt eine Insel, von der kaum jemand weiß. Verborgen in den dichten Wäldern leben zwei Wesen, zwei wundersame Wesen, die diesen geheimen Ort ihr Zuhause nennen. Zwei Schwestern, geboren aus Wasser und Luft. Auf diese Insel verirrt sich nur selten jemand, dort leben sie geschützt und behütet ohne Furcht vor Entdeckung oder Verfolgung. Seit tausend Jahren leben sie dort und in der Einsamkeit der Insel haben sie einander. Während die eine Schwester mit ihren Flügeln durch die Luft gleitet, durchschwimmt die andere mit ihren Flossen das Wasser.
Doch eines Tages verirrte sich ein junger Wissenschaftler auf die Insel. Im Gegensatz zu anderen Besuchern erschrak er nicht, als er die Schwestern erblickte, sondern reagierte mit Faszination und Neugierde. Er blieb für eine lange Zeit und währenddessen verliebte er sich in die Tochter des Wassers. Er verbrachte mit ihr den Großteil seiner Zeit und ließ sich in alle Geheimnisse einweihen.
„Bekommt ihr oft Besuch?“, fragte er sie eines Tages.
„Hin und wieder verirrt sich ein einsamer Seemann hierher. Aber keiner bleibt lange. Mit manchen tauschen wir uns über die Welt dort draußen aus, manche lassen wir sofort wieder gehen.“
„Weiht ihr alle in eure Geheimnisse ein?“
Sie schüttelte den Kopf, während sie mit ihrer Flosse sanft das Wasser streichelte.
„Wie kommt es, dass nie jemand über euch berichtet hat?“, wollte er neugierig wissen.
Sie wich seinem Blick aus. „Wir lassen sie vergessen.“
„Wie das?“
Sie zögerte, bevor sie antwortete: „Mit einem Kuss.“
„Ein Kuss?“
„Wir nennen es den Kuss des Vergessens. Wir beide besitzen diese Gabe. Ein Kuss und jeder vergisst alles, was er gesehen hat. Das Erwachen wird sein wie ein Traum, den man bald nach dem Aufwachen vergessen hat.“
„Wirst du das auch mit mir machen?“
„Wir müssen unser Geheimnis beschützen.“
„Das ist keine Antwort. Glaubst du, ich würde euch verraten?“
„Nein, aber meine Schwester… Sie misstraut allen.“ Entschuldigend schaute sie ihn an und ihre Augen hielten ihn gefangen.
„Und wenn ich nicht gehe? Wenn ich für immer bei dir bleibe?“
„Das würde dir auf Dauer zu langweilig werden.“
„Also, steht deine Entscheidung bereits fest?“
„Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg.“
Er bemerkte nicht, wie sie einen Blick mit ihrer Schwester tauschte, die auf den Ästen eines Baumes hinter ihm saß. Dann sah sie ihm wieder in die Augen, hielt seinen Blick gefangen, vernebelte seinen Geist. Er merkte kaum, wie sie sich ein Stück aus dem Wasser schob. Und schließlich berührten ihre Lippen die seinen. Ein kurzer, unschuldiger Kuss – wie aus einem Traum.
Würde ihre Liebe die Magie des Kusses überwinden? Wer kann das schon sagen? Denn es gibt niemanden, der jemals ihre Geschichte erzählen kann.