„Ist das alles meine Schuld?“ Er konnte nicht verhindern, dass Tränen in seinen Augen glänzten. Er konnte das Gefühl der Schuld und der Reue in seinem Inneren nicht leugnen, während er ihr in die Augen schaute, die ihm so fremd vorkamen.
Es war so lange her, dass er sie gesehen hatten. Und auch wenn er sie kaum gekannt hatte, hatte er sich ihr verbunden gefühlt. Sie hatte ihm vertraut – und er hatte sie verraten. Und mit der Zeit hatte er sie vergessen, die Zeit, die verstrich, deckte an seine Erinnerungen an sie zu, als wäre sie völlig unbedeutend.
Er hatte ihr nur helfen wollen, niemals hätte er gedacht, dass es so weit kommen würde. Doch als sie heute vor ihm gestanden hatte, hatte er sie kaum erkannt, so sehr hatte sie sich verändert. Die vielen Narben, die von Verletzungen und Schmerzen erzählten, durchschnitten ihr Gesicht wie Furchen, erzählten eine furchtbare Geschichte des Leids.
Sie war zu einer der Vergessenen geworden. Von allen Menschen übersehen hatte es niemanden gegeben, der ihr Verschwinden bemerkt hatte. Niemand kümmerte sich um das Schicksal dieser Unsichtbaren, sie wurden geholt und zerstört, bis sie ihren eigenen Namen vergaßen und bedingungslos gehorsam waren. Die Narben in ihrem Gesicht erzählten von dem Versuch, sie zu brechen.
Doch sie erzählten auch von ihrer Stärke. Eine Stärke, die er übersehen hatte, als sie sich damals begegnet waren. Er hatte nur die Schwäche gesehen, die sie umklammert hielt und nicht die Stärke, mit der sie ihr jeden einzelnen Tag entgegentrat. Vielleicht hätte es gereicht, wenn er einfach nur zugehört hatte. Aber das hatte er nicht. Er hatte sie vergessen – wie alle anderen. Er war der letzte Faden gewesen, der sie gebunden hatte und er hatte ihn durchtrennt und sie ihrem Schicksal überlassen. Einem Schicksal, dass sie durch die Hölle und zurück geführt hatte, bis in die Arme des Widerstandes, der Menschen wie sie rettete und bei sich aufnahm. Und die für Menschen wie ihn kämpften, denen das gleiche Schicksal zu drohen blühte. Denn es gab niemanden, der ihn vermisste. Sie waren gekommen, um ihn zu holen, bevor die Rebellen aufgetaucht waren. Die Menschen unter der Maske. Die Unsichtbaren.
Sie lächelte ihn an. Eine Spur von Traurigkeit lag darin, weil es von ihrem Leben erzählte, in dem sie nie besonders viel Freude erfahren hatte, aber es war dennoch ein ehrliches Lächeln. „Nein“, antwortete sie und es lag nur feste Überzeugung in ihrer Stimme. „Das hier ist meine Bestimmung.“
Einer der anderen Unsichtbaren, von denen keiner mehr einen Namen besaß, meldete, dass sie verfolgt wurden. Sie schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor sie sich ihren Verfolgern entgegenstellte.
Manchmal ging das Leben seltsame Wege. Ihre Schicksale hatten sich gekreuzt und wieder getrennt, jeder von ihnen war den Weg gegangen, der ihnen bestimmt war, bevor sie wieder für einen kurzen Moment zusammengeführt worden waren.
Er sah sie niemals wieder. Denn an diesem Tag fand ihr Leben ein Ende.
So wie sie es sich schon vor vielen Jahren gewünscht hatte.