Sein ganzes Leben hatte er streng nach dem Ritterkodex gelebt. Seine Ehre und sein gutes Herz hatten ihn nicht nur zum loyalsten Diener des Königs gemacht, sondern auch zum größten Ritter, dem ich je begegnet war, nicht nur weil er ein großartiger Kämpfer war.
Als ich ihm das erste Mal begegnete, war ich noch ein Kind von acht Jahren. Er war ein junger Ritter von gerademal 18 Jahren, der seine erste Mission erfüllte. In einem Königreich, in dem die Magie ein Verbot war, mussten die Wesen, die aus der Magie geboren waren, ständig auf der Hut sein. Gerade als Druidin wusste ich das besser als die meisten. Meine Eltern waren getötet worden, als ich gerade einmal gehen konnte. Das Volk der Druiden hielt zusammen, verwaiste Kinder wurden von der Gemeinschaft aufgezogen, die aus Furcht vor Verfolgung ein Nomadendasein führte. Und doch gab es zu oft Überfälle auf unsere Lager, auf unsere Dörfer. Es war ein Angriff auf unser Lager, als ich ihm das erste Mal begegnete. Er stand vor mir in seiner Rüstung, mit gezogenem Schwert, die wirren blonden Locken um sein Gesicht, die blauen Augen schockiert auf mich gerichtet. Er wusste, er sollte mich töten und ich wusste, dass es so sein würde, weil alle uns für die Verkörperung des Bösen hielten. Und doch starrten wir einander bloß in die Augen, bis er sein Schwert sinken ließ. „Geh“, sagte er, „Du bist noch ein Kind, wie solltest du jemandem etwas getan haben?“
Ich drehte mich um und verschwand in den Wald, doch bevor ich den Hang hinter mir ganz überquert hatte, wandte ich mich erneut zu ihm um. „Ihr habt Größe bewiesen und ich bin Euch zu Dank verpflichtet. Eines Tages werde ich mich für Eure Güte revanchieren.“ Ich wusste, dass der Wind meine Worte zu ihm tragen würde, bevor ich mich endgültig abwandte und in die Tiefen des Waldes verschwand zu dem nächsten Schutzort, die wir Druiden überall errichtet hatten.
Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis wir uns wiedersahen. Ich war eine Gefangene des Königs im Nachbarreich, der es lustig fand, Druiden zum Vergnügen zu halten. Wir sollten auf seinen Festen mit kleinen Zauberkunststückchen die Leute erfreuen. Wer es nicht tat, wurde mit Misshandlungen bestraft. Ich war bereits zwei Jahre in seiner Gewalt und er wurde immer unvorsichtiger, weil er glaubte, ich wäre ihm hörig. Dabei blieb ich nur, weil ich sonst keinen Ort hatte, an den ich gehen könnte und hier erhielt ich eine halbwegs ausreichende Versorgung, was besser war als nichts. Dort draußen erwartete mich nichts und von Freiheit konnte ich mir nichts kaufen. So war das Leben auf der Flucht. Das änderte sich, als sie ihn herbrachten – ein gefangener Ritter des Königs, mit dem man seit Jahren im Krieg lag. Ich erkannte ihn sofort, obwohl er älter geworden war und einen Bart trug. Er hatte keine Ahnung, wer ich war, auch nicht, als ich den Schlüssel zu seiner Kerkertür mitgehen ließ und wir gemeinsam flohen. Er verstand nicht, warum ich den Pfeil unserer Verfolger abfing, der ihm das Leben gekostet hätte und der sich tief in meine Schulter bohrte. Er wusste nicht, dass ich damit eine Schuld beglichen hatte, denn sicher hatte er das kleine Mädchen längst vergessen. Wir fanden Zuflucht in einem verlassenen Wachturm und konnten unsere Verfolger abschütteln, denn wenn man ständig auf der Flucht ist, kennt man alle Verstecke. Ich sagte ihm, er solle mich zurücklassen, aber er weigerte sich.
Als meine Wunde so weit geheilt war, dass ich wieder reisen konnte, nahm er mich mit ins Schloss. Ich hielt es für keine gute Idee, aber er war überzeugt davon. Er hatte keine Ahnung, wer und was ich war, aber ich hatte gelernt, es zu verbergen, und ich kam zu der Überzeugung, dass ich am Hof des Königs vielleicht sicherer war als im Wald bei den Druiden, von denen es immer weniger gab und die ständig verfolgt wurden. Lyndon verschaffte mir eine Stelle am Hof als Zofe für eine freundliche Lady, die mich gut behandelte und ich begann mich einzuleben und das erste Mal wie Zuhause zu fühlen. Doch auch zu Lyndon behielt ich den Kontakt. Hin und wieder ließ er mich bei seiner Rüstung helfen, bevor er auf eine Mission oder schlicht auf Patrouille ritt. Er half mir gegen die Schikanen einiger Adliger, die Dienerinnen wie mich als minderwertig und frei verfügbar ansahen, und brachte mir ein wenig den Kampf bei, weil er wollte, dass ich mich verteidigen konnte. Wir kamen uns während all der Zeit langsam näher und jedes Mal, wenn er fortritt, blieb ich sorgenvoll mit schwerem Herzen zurück.
Einmal, als meine Herrin einen Ausflug machen wollte, wurden er und zwei weitere Ritter uns als Begleitschutz zugeteilt. Wir gerieten in einen Hinterhalt und während die zwei Ritter meine Herrin in Sicherheit brachten, blieb er und kämpfte. Ich blieb an seiner Seite, auch als er mir sagte, dass ich weglaufen sollte. Aber ich konnte ihn nicht in so großer Gefahr zurücklassen. Wie sehr meine Anwesenheit ihn ablenkte, merkte ich erst, als er schwer verwundet wurde, als er mich zu beschützen versuchte. Meine Gefühle überwältigten mich und meine Macht brach sich in einem Schrei Bahn, der alle verbliebenen Feinde mühelos umwarf. Ich kniete mich neben Lyndon, doch er war schon nicht mehr bei Bewusstsein.
Die Druiden mussten meine Macht gespürt haben, denn es dauerte nicht lange, bis sie uns zu Hilfe kamen. Ich konnte sie überzeugen, dass Lyndon es wert war, gerettet zu werden, auch wenn er ein Ritter des Königs war. Wir Druiden sollten nicht werden wie der König, wir sollten seinem Hass mit Liebe, seiner Verfolgung mit Güte begegnen, denn das war das Einzige, was uns stärker machte als ihn. Die Druiden pflegten Lyndon gesund und als er aufwachte, sagte ich ihm, dass er sein Leben nicht hätte riskieren dürfen. Er sagte, dass er nicht hätte zulassen können, dass mir etwas geschehe. Und während unserer Zeit bei den Druiden begann er sich zu erinnern. An unsere erste Begegnung. Und er erkannte, was ich war. Ich sagte ihm die ganze Wahrheit über mich, weil es keinen Unterschied machte. Wir würden ihn vergessen lassen, bevor wir uns zurück zum Schloss aufmachten. Die Druiden mussten sich schützen und es war der einzige Weg. Damals wusste ich noch nicht, dass der Gedächtniszauber bei ihm misslang, zumal er mir nach unserer Rückkehr nicht sagte, dass er noch um meine Zauberkraft wusste und alle Erinnerungen behalten hatte. Ich schenkte ihm meine magische Schutzkette, deren Bedeutung ich ihm natürlich nicht verriet. Aber ich wollte ihn in Sicherheit wissen, soweit ich es zu beeinflussen vermochte. Weil ich begonnen hatte, ihn zu lieben.
Und dann kam die Nachricht seines Todes. Seine gesamte Patrouille war überfallen und getötet worden. Die nächsten Tage waren für mich ein Albtraum, Tag und Nacht. Und dann kehrte er überraschend doch zurück. Ich kümmerte mich um ihn, während er sich ausruhte, und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, als ich sein vertrautes Gesicht endlich wiedersah. Er fragte mich, warum ich weinte. Ich sagte ihm, dass ich mir solche Sorgen um ihn gemacht hatte. Er schwieg eine Weile, dann versprach er mir, dass er immer zu mir zurückkehren würde. Er hätte geglaubt, sterben zu müssen, und doch war er am Leben, hatte eine zweite Chance erhalten und die wollte er nicht mehr ohne mich verbringen. Er gestand mir, mich zu lieben und ich konnte ihm nur schluchzend sagen, dass ich seine Gefühle erwiderte. Er sagte mir, dass er sich an alles erinnerte und ich begriff. Es gab keine stärkere Kraft als die Liebe, denn nicht einmal Magie konnte sie überwinden.
Wir waren ein heimliches Paar, da ein Ritter für gewöhnlich eine Dame zu heiraten hatte und keine einfache Dienerin, schon gar keine Druidin. Und dann kam die Zauberin. Niemand wusste, was es mit ihr auf sich hatte und sie zu verraten, hätte mich selbst verraten, daher schwieg ich. Sie verführte Lyndon und ich begann zu begreifen, wie verletzbar ich mich durch die Liebe zu Lyndon machte und wie sehr ich ihn in Gefahr brachte, wenn ich ihn in meine Welt hineinzog. Als der Zauber gelöst war, wollte ich es beenden, aber er hatte nicht vor, es zuzulassen. Stattdessen bat er mich, ihn zu heiraten. Er ließ nicht locker und weil es mir schwerfiel, so selbstlos zu sein, ihn aufzugeben, wenn er sich so sehr dagegen wehrte, stimmte ich zu.
Die Zauberin griff das Reich an. Ich spürte die mächtige Magie, die in dem Artefakt steckte, das sie nutzte und ich konnte nichts dagegen tun, dass man mich als Verräterin brandmarkte und der Zauberei anklagte. Lyndon bat den Prinzen, der ihm ein guter Freund war und den er schon einige Male gerettet hatte, um Hilfe und der ließ sich erweichen, mich gehen zu lassen. Er glaubte an meine Unschuld und ermöglichte mir die Flucht. Lyndon brachte mich fort, doch als ich ihn bat, bei mir zu bleiben, konnte er es nicht, denn er war dem König und dem Prinzen verpflichtet. Es war seine Pflicht, das Reich mit seinem Leben zu schützen, und er konnte nicht einfach den Eid brechen, vor allem nicht, wenn es sich tödlicher Gefahr ausgesetzt sah. Ich verstand es und ließ ihn gehen, obwohl es mir das Herz brach.
Schon bald hörte ich von der Eroberung des Reiches. Die neue Königin, die niemand anderes als die Zauberin war, hielt ihn gefangen. Ich wusste, dass er und die anderen Ritter sich weigern würden, die neue Herrscherin anzuerkennen und ihr zu dienen. Er würde eher sterben. Ich schlug mich auf die Seite der Zauberin, um ihn retten zu können und uns gelang mit knapper Not die Flucht.
Der König war tot und der Prinz wollte sein Reich nicht kampflos aufgeben, also rüstete er zur letzten Schlacht an einem Ort in den Bergen. Eine tödliche Falle für die Armee der Zauberin, aber auch für uns. Keine Seite konnte entkommen. Hier würde es enden. Mit unserem Leben oder unserem Tod. Die letzte Schlacht.
All diese Erinnerungen gehen mir durch den Kopf, während ich den Mann neben mir betrachte. Im Licht des Mondes, das durch die Zeltplane dringt, wirkt er blass. Zärtlich streiche ich ihm über die Wange. Er fängt meine Hand ab. „Ich wusste nicht, dass du wach bist“, flüstere ich.
„Wie sollte ich schlafen können?“
„Hast du Angst?“
„Vor dem Tod? Nein. Dich zu verlieren? So sehr, dass es mir das Herz zerdrückt.“
„Geht mir genauso“, murmele ich, „Aber ich weiß, dass du überleben wirst. Wir werden siegen und dann wird alles gut.“
„Dein Glaube an mich gibt mir mehr Kraft als alles andere.“ Er zieht mich fest in seine Arme und küsst mich. Ich lasse mich in seine Küsse und seine Berührungen fallen.
Vielleicht ist dies unsere letzte Nacht. Vielleicht ist dies das Ende. Vielleicht ist es aber auch ein Anfang.