„Erinnerst du dich noch daran, wie wir uns kennengelernt haben?“
Erstaunt schaute ich Colin an. Seine blauen Augen musterten mich nachdenklich und es war schwer zu sagen, was in seinem Kopf vor sich ging, er war schon immer sehr verschlossen gewesen. Am Anfang war es mir daher sehr schwergefallen, mit ihm umzugehen, aber er war bald aufgetaut und ich hatte unter seiner zynischen und pessimistischen Fassade einen sehr pflichtbewussten und bescheidenen Mann kennengelernt, der voller Überraschungen steckte.
„Natürlich erinnere ich mich daran. Du warst anfangs überhaupt nicht begeistert von mir.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das war wohl eine Untertreibung. Er hatte mich am Anfang regelrecht gehasst, nachdem ich seine Autorität untergraben hatte. Er war Waffenoffizier auf dem gleichen Raumschiff gewesen, auf dem ich als Ärztin gearbeitet hatte und bei der Pflichtuntersuchung für alle Crewmitglieder war er nicht aufgetaucht, weshalb ich ihm nicht gerade freundlich ein paar Takte gesagt hatte – vor seinen Untergebenen, die es deutlich amüsanter gefunden hatten, wie er von einer deutlich kleineren Frau heruntergeputzt wurde, als er selbst. Er hatte die ganze Untersuchung gemurrt, aber ich hatte es mit Humor genommen. Und er war schnell dahintergekommen, dass ich ihn extra fies piekte, was ich auch zugegeben hatte. Das war der Anfang einer Reihe von Streitereien gewesen.
Colin lächelte schief. „Im ersten Moment war ich wirklich nicht begeistert, aber eigentlich mochte ich dich. Und unsere Streitereien.“
Ich lächelte. „Ich auch.“
„Erinnerst du dich auch noch, als sich unsere Beziehung dann verändert hat und wir Freunde geworden sind?“
„Sicher“, antwortete ich, „Der Kampfunterricht.“ Der Captain hatte verfügt, dass ich Kampfunterricht bei ihm nehmen sollte und so waren wir irgendwann dazu gekommen, uns auszusprechen.
Seine Wangen färbten sich leicht rosa. „Es tut mir leid, wie ich dich behandelt habe. Deine stoische Ruhe hat mich beinahe in den Wahnsinn getrieben und dass du nie Emotionen gezeigt hast… Trotzdem hätte ich dich nicht derart provozieren sollen, um dir Reaktionen zu entlocken.“
„Ich weiß. Das ist schon längst vergessen. Du hast die Quittung ja gekriegt.“
Er lachte. „Oh ja. Ich hätte niemals ahnen können, dass ich plötzlich kopfüber von der Decke baumeln sollte.“
Ich lachte ebenfalls. „Ja, das war mal ein Anblick.“ Mein Leben lang hatte ich meine Emotionen zu kontrollieren versucht, weil unvorhersehbare Dinge passierten, wenn ich es nicht tat.
„Du bist mir danach wochenlang aus dem Weg gegangen.“
Ich schluckte. „Ja. Ich hatte Angst, dass du mir Fragen stellen würdest, vor denen ich mich fürchtete. Ich weiß noch, dass es erst einer gemeinsamen Gefangennahme brauchte, um die Dinge wieder richtig zu rücken.“ Wir waren in einem Team zur Erkundung eines Tunnelsystems auf einem fremden Planeten ausgesandt worden und recht bald verfolgt und beschossen worden. Die meisten aus dem Team hatten entkommen können, nur Colin war am Bein verletzt worden und hatte deshalb zurückbleiben müssen. Da ich die einzige Ärztin im Team gewesen war, war ich auch geblieben – entgegen seines Protests. Und so waren wir beide zu Geiseln einer fremden Spezies geworden. Die Gefangennahme hatte an dunkle Erinnerungen gerührt und ich hatte beinahe eine Panikattacke, aber in diesem Moment war er da gewesen. Er hatte mich beruhigt und uns beide dort rausgeholt. Dafür war ich ihm bis heute unendlich dankbar.
„So seltsam es auch klingen mag, ich bin froh, dass wir damals hineingeraten sind. Immerhin sind wir beinahe unversehrt wieder rausgekommen. Es hat mir geholfen, dich besser zu verstehen.“
„Mir auch.“
Von da an hatte sich unsere Beziehung verändert. Wir hatten uns oft während des Essens unterhalten und ich hatte diese Begegnungen wirklich zu schätzen gelernt. Anfangs hatten wir kaum über persönliche Dinge gesprochen, denn Colin war noch nie jemand gewesen, der gerne über seine eigenen Wünsche sprach, doch irgendwann hatten wir uns doch näher kennengelernt und auch über unsere Familien gesprochen. Er hatte erzählt, wie enttäuscht sein Vater gewesen war, als er mit der Familientradition gebrochen hatte, indem er statt in die Armee zur Raumfahrt gegangen war. Seitdem hätte er nicht viel Kontakt zu seinen Eltern. Ich hatte ihm erzählt, dass ich keine Familie mehr hätte.
Und dann waren meine Eltern aufgetaucht.
„Erinnerst du dich noch an die Begegnung mit meinen Eltern?“, fragte ich ihn.
Er nickte. „Wie könnte ich deine Eltern vergessen. Sie haben dich wie Dreck behandelt und ich wusste anfangs überhaupt nicht, dass es deine Eltern sind, doch als ich es erfahren habe, war ich so…“
„Wütend?“, schlug ich vor. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er mir Vorwürfe gemacht hatte, ihn angelogen zu haben, und wie zornig er gewesen war.
„Ja.“ Beschämt wich er meinem Blick aus. „Ich war wütend, weil du mir nicht die Wahrheit über dich gesagt hattest. Natürlich wusste ich nach der Sache während des Kampfunterrichts, dass du irgendwie anders warst, aber ich hätte nie gedacht, dass du zu einer komplett anderen Spezies gehörst. Zumal du nicht die typischen spitzen Ohren hattest. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man Verstoßenen bei euch die Ohrenspitzen abzuschneiden pflegte.“ Er verzog das Gesicht über diese Grausamkeit. Auch mich schmerzte es noch heute, dass ich derart von meinem Volk verstoßen worden war, aber ansonsten hätte ich ihn niemals kennengelernt. Und das war für mich alle Qualen wert gewesen. Er sprach weiter: „Später hast du mir gesagt, dass deine Eltern für dich gestorben sind, als sie dich verstoßen haben und du deshalb keine Familie mehr hast und da habe ich dich langsam zu verstehen begonnen. Und du hast mir von deinem Bruder erzählt, der so ist wie du, der sich aber für eine andere Seite entschieden hat. Ich verstehe, warum du es mir nicht gesagt hast.“
Ich wusste nicht wirklich, was ich dazu sagen sollte. Noch heute schmerzten mich die Erinnerungen. Es kam hin und wieder vor, dass in meinem Volk talentierte Kinder geboren wurden, die besondere Fähigkeiten hatten. Sie wurden gleichermaßen gefürchtet wie geehrt und die meisten versteckten ihre Fähigkeiten, da schon ein kleiner Fehler die Verbannung bedeuten konnte. Und so war es letztlich bei meinem Bruder und mir gewesen. „Ich hatte Angst“, gab ich zu, „Angst, dass du dich vor mir fürchten könntest.“
„Ja, das hast du mir damals auch gesagt. Und ich habe dir gesagt, dass deine Fähigkeiten eine Gabe sind, die du nutzen solltest und nicht unterdrücken.“
Daran erinnerte ich mich noch genau. Mit seinen Worten hatte sich erstmals dieser Knoten in meiner Brust gelöst, der all die Jahre dort gesessen hatte und mir das Atmen schwer gemacht hatte. Ein Knoten voller Furcht und Selbstverachtung. Dank ihm hatte ich gelernt, ich selbst zu sein und mich zu akzeptieren, wie ich war. „Ich glaube, ich habe dir niemals dafür gedankt.“
„Das musst du nicht.“
„Ich möchte es aber. Auch wenn ich mich nicht lange danach ohnehin nicht mehr verstecken konnte.“
Er schlug die Augen nieder. „Und das war alles meine Schuld.“
„Es ist schon in Ordnung. Solche Dinge passieren.“ Wir waren auf Urlaub gewesen und Colin und ein Freund von ihm waren in eine Bar gegangen. Dort hatten die Beiden zwei hübsche Frauen kennengelernt, denen sie natürlich bereitwillig in den Keller gefolgt waren, was mich mehr verletzt hatte als die Tatsache, dass ich nicht so glimpflich aus der Sache herausgekommen war. Die Beiden hatten sich nämlich als getarnte Männer erwiesen, die die Beiden vermeintlich als Geiseln hatten nehmen wollen. Niemand hatte ahnen können, dass es eine Falle für mich gewesen war, denn ich war den Beiden zu Hilfe geeilt, aber darauf hatten die Fremden nur gewartet. Ich war angeschossen worden, wofür sich Colin offensichtlich bis heute die Schuld gab. Schon damals waren seine Schuldgefühle lästig gewesen. Ich war schwer verletzt gewesen, aber es war nichts gewesen, was nicht wieder geworden wäre. Schlimmer war für mich gewesen, dass die Fremden die Blockade aufgehoben hatten, mit der ich meine Fähigkeiten besser unterdrückt hatte. Damit war auch meine ursprüngliche violette Augenfarbe zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich sie mit gläsernen Linsen verdecken wollen, aber Colin hatte gemeint, dass ich es nicht tun sollte, weil meine Augen wunderschön seien. Wir waren beide rot geworden und er hatte einfach weitergesprochen und gesagt, ich dürfte keine Angst davor haben, wer ich sei. Er hatte mir geholfen, meine Fähigkeiten zu trainieren. Trotz aller Fehlschläge hatte er niemals aufgegeben und immer an mich geglaubt.
Und dann war die Bombe gekommen. „Erinnerst du dich noch an die Bombenentschärfung?“, wollte ich wissen.
Er nickte wieder. „Natürlich. Ich war bereit, mich zu opfern. Und du warst nicht bereit, mich gehen zu lassen.“
„Wärst du bereit gewesen, mich gehen zu lassen?“
Er schwieg einen Moment, als er darüber nachdachte. „Ich glaube, jetzt verstehe ich es besser. Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war. Ich hatte Angst, dass du sterben könntest, wenn du mir mit der Bombe hilfst und sie explodiert.“
„Ich weiß. Ging mir genauso. Zum Glück ist alles gut gegangen und dein Bein ist auch wieder verheilt.“
Er lächelte versonnen. „Stimmt. Und auch wenn die Zeit auf der Krankenstation unendlich lang gewesen ist, weil ich mit meiner Beinverletzung nichts tun konnte, war es schön, bei dir zu sein.“
Ich konnte nicht anders als zu lachen. „Ich fand deine Gesellschaft auch schön, aber manches Mal hätte ich dich gerne erwürgt.“
Colin grinste schief. „Ich war ein schwieriger Patient, nicht wahr?“
„Das ist noch untertrieben! Du hast die ganze Zeit gejammert und einen ziemlichen Aufstand geprobt. Ständig wolltest du wissen, wann du endlich wieder an die Arbeit kannst und ich habe dir ständig gesagt, dass die Einstellung entscheidend ist, aber das hat dich nicht davon abgehalten, weiter zu jammern.“
„Du hast auch gesagt, dass man als Arzt keine Wunden zufügen darf, aber so viel Schmerzen wie nötig! Und ich bin mir nicht sicher, ob du nicht die nötigen Schmerzen bis zum Maximum ausgereizt hast.“
Ich grinste ihn an. „Wer weiß, wer weiß.“
„Und als ich endlich entlassen wurde, hast du mich aufgezogen, dass ich auch gerne einfach so kommen kann, wenn ich deine Gesellschaft mag und mich nicht verletzen muss und dann jammern, um so lange wie möglich zu bleiben.“
Ich lachte, als ich mich an seinen Gesichtsausdruck erinnerte. „Ja, dein verdatterter Blick war es echt wert.“
Er lächelte kurz, bevor er wieder ernst wurde. „Ich war so verdattert, weil ich dachte, du wüsstest Bescheid. Damals ist mir klar geworden, dass ich dich deutlich mehr als nur als Freundin mag, und ich fürchtete, du hättest es gemerkt.“
„Nein, ich habe nichts davon gemerkt. Vermutlich, weil meine eigenen Gefühle mich geblendet haben, denn man sagt nicht ohne Grund, dass Liebe blind mache.“
„Aber irgendwann hast du die Wahrheit erkannt?“
Ich lachte leise. „Deine Aufnahme auf der Fähre war da wirklich hilfreich.“ Ich zwinkerte ihm zu und beobachtete, wie er rosa wurde.
„Die hast du dir wirklich angehört?“
„Der Captain hat sie mir gegeben.“
„Der Captain hat sie auch gehört?“ Er vergrub das Gesicht in seinen Händen.
„Ist doch halb so schlimm, die halbe Crew hatte Wetten auf uns abgeschlossen, wann wir zusammenkommen. Ein Ob gab es schon gar nicht mehr. Und ohne deine Nachricht hätte es vielleicht viel länger gedauert und wer weiß schon, ob wir heute hier sitzen würden?“
Colin ließ die Hände vom Gesicht sinken und warf mir einen Blick zu. „Da könntest du Recht haben.“
Ich griff nach seiner Hand, woraufhin er sie fest um meine schloss. Meine Gedanken schweiften zu dem Unglück mit dem Shuttle. Colin war mit einem Mechaniker auf eine Außenmission gegangen und nach einigen Stunden hatten wir den Kontakt verloren. Wir hatten uns sofort auf die Suche gemacht, aber der Weltraum war nun einmal groß. Währenddessen waren die beiden in der Fähre wohl davon ausgegangen, dass sie sterben müssten, nachdem das Shuttle beschädigt, die Sauerstoffversorgung kritisch und die Wärmeversorgung ausgefallen war. Für einen Moment schienen die Beiden auch gedacht zu haben, dass es keine Hoffnung auf Rettung mehr gab, zumal sie uns alle für tot hielten, denn offenbar hatten sie auf einem der Monde einige Trümmerteile des Raumschiffes entdeckt, die nach einem Zusammenstoß mit einem Asteroiden verloren gegangen waren. Wie mir der Mechaniker später heimlich mitgeteilt hatte, war Colin wohl völlig fertig gewesen. Er war nie besonders optimistisch gewesen, hatte sich immer als Zyniker und Pessimist gegeben, aber ich wusste, dass es nur seine Art war, sich zu schützen und der Mechaniker, der bald ein guter Freund sein sollte, hatte auch begonnen, es zu begreifen. Colin hatte ihm gesagt, dass er nicht sterben wolle, aber dass er alle, die ihm etwas bedeuten, mit dem Schiff verloren hätte. Ich hatte Colin nie gesagt, dass mir sein Freund auch gesagt hatte, dass er geweint hätte. Als die Beiden ihren Irrtum bemerkt hatten, hatte Colin geschworen, dass er mir seine Gefühle gestehen würde, sollten wir uns wider Erwarten wiedersehen. Die Beiden hatten in der Kälte ausgeharrt und mit jeder Stunde waren die Überlebenschancen gesunken. Und dann hatte er diese Nachricht aufgenommen. Eine Nachricht, in der er mir gesagt hatte, dass er mich liebte und nicht aufhören würde zu bereuen, dass er es mir nie gesagt hatte. Eine Reue, die ihn bis an sein – baldiges – Lebensende verfolgen würde und vielleicht sogar danach, je nachdem was danach kommen sollte. Selbst im Schlaf habe er meinen Namen gemurmelt, hatte mir sein Freund erzählt.
Wir hatten sie gerade noch rechtzeitig gefunden. Sie hatten beide eine heftige Unterkühlung, aber ansonsten ging es ihnen gut und nachdem ich die Nachricht gehört hatte, war ich gleich in sein Quartier gegangen, wo er sich noch ausgeruht hatte. Denn das Leben konnte so schnell vorbei sein, das hatten wir beide nun begriffen. Es war wichtig, die Zeit zu nutzen, die man hatte und nicht auf etwas zu warten. Es konnte so schnell zu spät sein.
„Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss?“
„Das ist etwas, das ich niemals vergessen werde“, sagte er, „Du bist zu mir gekommen, als wir zurück waren und ich war so froh, dich zu sehen.“
„Das hat man dir aber nur bedingt angemerkt. Du hast nur gesagt, dass du nicht gedacht hättest, mich wiederzusehen.“
„Okay, ich gebe zu, das kann man auch falsch verstehen. Aber du warst wie immer und hast mich aufgezogen, dass du dich auch freuen würdest, mich zu sehen.“
„So bin ich halt.“ Ich grinste.
Colin lächelte versonnen, als wäre er immer noch in den Erinnerungen versunken. „Du hast dich zu mir auf die Bettkante gesetzt und ich habe dir gesagt, dass ich dir etwas sagen will und dann habe ich kein Wort mehr herausbekommen. Und du hast mein hilfloses Gestammel einfach mit einem Kuss unterbrochen.“
„Das erschien mir am effektivsten.“
Colin lachte. „Das war es auch. Und als du mich gefragt hast, was ich noch gleich sagen wollte, konnte ich einfach abwinken und dich erneut küssen.“
„Und dann kam der General.“
Sein Gesicht verfinsterte sich. „Nicht gerade meine besten Erinnerungen.“
„Aber sie gehören zu unserer Geschichte und ich finde, die Begegnung mit dem General hat uns deutlich weitergebracht.“
„Ja, vielleicht“, stimmte er mir halbherzig zu. Wenigstens widersprach er mir nicht mehr so heftig wie am Anfang, sodass ich sicher sein konnte, dass er begonnen hatte, damit abzuschließen.
Der General war der Anführer einer speziellen Kampftruppe gewesen, die an Bord des Raumschiffes gekommen war. Er war Colin unglaublich ähnlich gewesen. Vielleicht war das der Grund dafür gewesen, dass die Beiden eine derartige Konkurrenzbeziehung entwickelt hatten. Es hatte erst richtig begonnen, nachdem ich im Training mit dem General verletzt worden war. Colin war schon immer sehr beschützend gewesen und war regelrecht ausgeflippt. Und als er dann auch noch selbst beim Training versagt hatte, war die Eifersucht hinzugekommen. Colin hatte Angst gehabt, dass der General ihn ersetzen würde, auch wenn er mit mir nicht darüber gesprochen hatte, was unsere erste Beziehungskrise ausgelöst hatte. Wie hatte ich ihm denn helfen sollen, ihm zur Seite stehen, wenn er nicht mit mir sprach? Es hatte damit geendet, dass die Beiden um die Vorherrschaft gekämpft hatten und beide suspendiert wurden. Erst dann hatte er mir gesagt, dass es nicht nur um seinen Job ginge. Dass er auch Angst hatte, mich zu verlieren. Es hatte ihn nicht gewundert, dass er immer alleine geblieben war, denn er war niemand, den man lieben könnte. Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn aber liebte.
„Du hast mir damals das erste Mal gesagt, dass du mich liebst“, sagte Colin, „Ich habe gedacht, mein Herz würde explodieren.“ Es war einer der seltenen Momente, in denen Colin sich so öffnete, dass ich nicht anders konnte, als ihn anzulächeln, meinen Kopf auf seine Schulter zu legen und mich an ihn zu schmiegen. Er legte einen Arm um meine Schulter und zog mich noch näher zu sich. „Und dann ist alles schief gegangen“, murmelte er.
Ich erwiderte nichts. Noch immer sorgten die Erinnerungen an diese Zeit dafür, dass sich mir der Hals zuschnürte. Ich war in Gefangenschaft geraten und misshandelt worden. Er hatte sich die Schuld darangegeben, weil er sich mit den falschen Leuten eingelassen hatte und diese nun mich als Druckmittel gegen ihn verwenden wollten. Um mein Leben zu retten, war er bereit gewesen, alles zu tun und alles zu geben. Er musste sich wieder mit diesen Leuten einlassen, auch wenn das bedeutet hatte, mich zu verlieren, weil ich ihm nicht dorthin folgen könnte. Am Ende war alles gut gegangen und ich hatte keine Ahnung gehabt, dass mir das Schlimmste noch bevorstehen sollte. Denn viel schlimmer als alle Misshandlungen, war das Gefühl gewesen, als er mir das Herz herausgerissen, als er mich verlassen hatte. Er hatte gesagt, er sei nicht gut für mich. Er wäre eine Gefahr für mich und er wolle mich nicht mehr gefährden, weil ich Besseres verdient hätte als ihn, der er doch ein furchtbarer Freund sei, der sich nicht öffnen könne. Er verdiene mich nicht. Ich hatte versucht, es ihm auszureden, aber er hatte mich nur ein letztes Mal geküsst. Ein Kuss, der so anders gewesen war als alle vorherigen. Ein Kuss, der ein Abschied gewesen war.
Wir beide hatten unter seiner Entscheidung gelitten, aber er war nicht bereit gewesen, sie zu revidieren, weil er es für die beste Entscheidung gehalten hatte. Er hatte mich beschützen wollen – ohne zu begreifen, dass ich mich in seiner Nähe am sichersten fühlte.
Er hatte sich versetzen lassen, um es für uns beide einfacher zu machen, doch auch als ich ihn nicht mehr jeden Tag sehen konnte und musste, waren die Gedanken an ihn immer präsent, sie hatten mich nicht losgelassen und mich verfolgt.
Und eines Nachts hatten die Träume begonnen. Träume seines Leidens. Erst einige Tage später hatte ich erfahren, dass diese Träume weit realer waren als ich es gehofft hatte. Er war in die Fänge meines Bruders geraten, der ihn als Druckmittel hatte einsetzen wollen, um mich auf seine Seite zu ziehen. Uns war verboten worden, einzugreifen und so hatte ich es alleine versucht. Ich hatte meinen Job und vielleicht auch mein Leben aufs Spiel gesetzt, aber ich hatte die Person, die mir am meisten bedeutete, nicht im Stich lassen wollen, zumal ich genau gewusst hatte, dass er dasselbe für mich getan hätte, selbst wenn er vorgegeben hatte, dass ich ihm nichts mehr bedeutete.
Ich hatte ihn befreien können und wir waren gemeinsam auf der Flucht gewesen. Unsere Fähre hatte eine Fehlfunktion gehabt und wir mussten auf einem einsamen Planeten landen. Ich war wütend auf ihn gewesen, weil er mich verlassen hatte, und er war wütend auf mich gewesen, weil ich mein Leben riskiert hatte, sodass wir uns ständig in den Haaren gelegen hatten. Und bei einem Streit hatte er mich einfach geküsst. Alles hatte sich wieder richtig angefühlt, das Gefühl, das ich solange vermisst hatte, hatte mich durchflutet, aber nach einem Moment, in dem ich wieder zur Vernunft gekommen war, hatte ich ihn fortgestoßen. Ich hatte ihn gefragt, ob es ihm Spaß mache, mich zu quälen. Zu meiner Überraschung waren ihm Tränen über die Wangen gelaufen, als er mir die Wahrheit gestanden hatte. Dass er mich nur hatte schützen wollen und dass er mich mehr liebte als alles andere. Dass er in einem Universum, in dem ich nicht mehr war, nicht leben konnte, aber dass er nicht länger selbstlos genug sei, ohne mich zu leben.
„Erinnerst du dich an diesen einsamen Planeten, als du mir das erste Mal gesagt hast, dass du mich liebst?“, erkundigte ich mich.
Ich spürte sein Nicken. „Ja. Ich habe mich dir geöffnet wie niemals jemandem zuvor und es hat mir eine Heidenangst eingejagt. Aber ich konnte nicht mehr ohne dich leben, ich weiß bis heute nicht, wie ich jemals dachte, es zu können. Ich wollte dich einfach nur wieder halten, dich küssen und vergessen, was ich getan hatte.“
„Ich wollte dich schlagen“, gab ich grinsend zu.
Er lachte. „Das hätte ich verdient gehabt.“
„Auf jeden Fall. Aber es ist gut so, wie es jetzt ist.“
„Ich vermute, es hat geholfen, dich zu besänftigen, dass ich dich gefragt habe, ob du mich heiraten willst.“
Ich lachte. „Ja, das war auf jeden Fall eine Überraschung, die mir den Wind aus den Segeln genommen hat. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt war es auf jeden Fall.“
„Ich hätte auch auf den richtigen Augenblick warten können, aber da es den vorher nie gab, war ich am Zweifeln, ob er je kommen würde.“
„Der Antrag war perfekt.“
„Und der Captain hat es gewusst. Auch ohne Verlobungsring.“
„Der Captain hat wahrscheinlich nur darauf gewartet.“ Kaum waren wir zurück zum Schiff gelangt, hatte der Captain den Vorschlag gemacht, dass er uns verheiraten könnte. Als Captain besäße er die Autorität und da wir nicht länger warten wollten, hatten wir zugestimmt und noch am selben Tag einander das Ja-Wort gegeben.
„Und nach der ungewöhnlichen Hochzeit kamen die ungewöhnlichen Flitterwochen.“ Er seufzte.
„So kann man es ausdrücken, ja.“ Ich lachte leise. „Mit dir wird es eben nie langweilig.“
Er war als Hochverräter angeklagt worden, kaum eine Woche nach unserer Hochzeit, und ins Gefängnis gesteckt worden. Wir hatten für seine Freilassung gekämpft, während er unter Druck gesetzt wurde, seine vermeintliche Schuld einzugestehen, bevor ich sterben würde. Als wir erkannt hatten, dass es keine Chance auf eine legale und friedliche Einigung geben würde, hatten wir ihn befreit und waren gemeinsam untergetaucht.
„Du weißt, dass du jetzt nie mehr zurückkannst“, erinnerte er mich, „Mit meiner Befreiung hast du deine Karriere aufs Spiel gesetzt und jetzt werden wir hier ein Leben führen müssen.“ Er ließ seinen Blick über die einfache Siedlung schweifen, die wir von unserem Platz auf dem Felsen bestens betrachten konnten. Es war eine Kolonie aus Wesen verschiedener Völker, die keinen anderen Platz zum Leben mehr hatten. Der perfekte Ort für uns.
„Ich habe dich, das reicht mir. Außerdem wollte ich nicht, dass unser Kind ohne seinen Vater aufwächst.“ Ich befreite mich aus seinem Arm und wandte ihm meinen Blick zu. Ich wollte seine Reaktion auf meine Offenbarung sehen.
Er war sprachlos. Mehrfach klappte er ratlos den Mund auf und zu. „Du bist schwanger?“, brachte er schließlich heraus.
Ich nickte.
„Das ist einfach… unglaublich! Fantastisch!“ Er zog mich an sich und küsste mich.
„Es ist vielleicht nicht das Leben, das du dir vorgestellt hast, das Abenteuer, aber ich hoffe, du wirst trotzdem glücklich mit mir und dem Baby“, sagte ich, als wir uns wieder voneinander lösten.
„Ein Leben mit dir ist mir Abenteuer genug und wenn das Kind auch nur ein wenig nach dir kommt, wird es sicher anstrengender als alle Missionen auf dem Raumschiff zusammen.“
Ich knuffte ihm in die Seite, aber er lachte nur. Glücklicher und befreiter, als ich es jemals von ihm gehört hatte.