Meine Augen flatterten. Ich war so müde, wollte eigentlich nur noch schlafen. Aber ich wusste auch, dass ich vermutlich nicht mehr aufwachen würde.
„Du musst wach bleiben!“, drängte er und ich versuchte meine Augen zu öffnen und ihn anzusehen. Seine dunklen Augen schimmerten besorgt und ich konnte ein Lächeln nicht verhindern.
„Was ist aus deiner Logik geworden?“, murmelte ich kraftlos, „Du solltest gehen und mich zurücklassen, würde das nicht die Logik diktieren?“
Er raufte sich die Haare und schwieg. Ich konnte ihm ansehen, wie sehr er mit sich kämpfte. Sein vertrautes Gesicht wirkte nicht so ruhig wie sonst.
„Erzähl mir etwas“, flüsterte ich, „Damit ich wach bleibe.“
„Wusstest du, dass ich dich am Anfang gar nicht leiden konnte?“, fragte er.
Ich lachte, bis der Schmerz in meinem Kopf mich zum Stöhnen brachte. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie er ein Stück näherkam, seine zitternden Hände verrieten seine Hilflosigkeit. „Das ist mir aufgefallen“, antwortete ich.
Als Halbblüter hatte man es nicht leicht. Viele mochten denken, dass man mit der Zugehörigkeit zu zwei Welten viel mehr Chancen hatte, doch eigentlich gehörte man zu keinem Volk wirklich dazu. Man war immer anders als die anderen Kinder, man war immer alleine.
Als ich ihn kennenlernte, dachte ich, dass er diese Gefühle verstehen könnte. Dass er sich genauso verloren fühlte wie ich, weil er ebenfalls ein Halbblut war. Wir beide hatten eine menschliche Hälfte, doch er hatte sich entschieden, sie auszulöschen und ganz nach den Gesetzen des Volkes seines Vaters zu leben, die Logik über alles stellten. Er ließ sich niemals eine Regung anmerken und zu Anfang glaubte ich, er hätte wirklich keine.
Wir lernten uns erst besser kennen, als wir zusammen in eine schwierige Situation gerieten. Wir waren aufeinander angewiesen und doch stritten wir am Anfang wie wir es immer taten, weil er meine Emotionalität nicht ertrug und ich seine stoische Ruhe hasste. Doch wir lernten, miteinander auszukommen und wir wurden Freunde – trotz unserer Unterschiede. Denn vielleicht waren wir uns doch ähnlicher als wir beide dachten.
Erst nach und nach begann ich zu begreifen, dass er mit seinem Fokus auf die Logik seine Gefühle zu verdrängen versuchte. Er litt unter der Ablehnung seines Vaters, liebte seine Mutter und konnte es ihr doch nicht zeigen. So sehr er sich auch bemühte, er konnte seine menschliche Hälfte nicht verleugnen. Als seine Mutter starb, war ich für ihn da, weil ich ihn sehr gut verstand. Ich hatte meine Familie schon vor sehr langer Zeit verloren.
„Wie ist es heute?“, wollte ich wissen.
„Es ist… anders“, gab er zu, „Ich habe deine Emotionalität nur schwer ertragen können, deine Offenheit und Fröhlichkeit und deine Neigung, jeden zu umarmen.“
Ich grinste. Ich erinnerte mich noch an sein Gesicht, als ich es das erste Mal gemacht hatte. Alleine deswegen war es das wert gewesen.
„Ich hielt dich für emotional und irrational.“
„Du musst nicht gleich so beleidigend sein.“ Frech zwinkerte ich ihm zu, ignorierte den Schmerz in meinem Kopf.
„Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass es deine Art ist, mit deinem Kummer umzugehen und die schlechten Gefühle zu verdrängen“, sagte er.
Mir verrutschte das Grinsen, weil er mich durchschaut hatte. Aber was hatte ich denn erwartet? Er war klug und erkannte Dinge, die andere nicht sahen.
„Ich hab dich gehasst, weil es mir Angst gemacht hast, wie sehr du meine menschliche Hälfte zum Vorschein bringst“, murmelte er.
Ich lächelte wieder. „Menschlich zu sein bedeutet nicht immer etwas Schlechtes. Es hat auch seine guten Seiten. Das solltest du nicht vergessen.“
Ich hörte das Rascheln im Unterholz. Unsere Verfolger würden uns bald gefunden haben. Es konnte nicht mehr lange dauern. „Es wäre wirklich logisch, mich zurückzulassen.“
„Ich habe nicht vor zu gehen. Denn ich kann nicht logisch sein, wenn es um dich geht.“
Ich konnte nicht anders als zu lächeln. Für ihn war es eine Liebeserklärung. „Yavin“, murmelte ich, all meine Gefühle lagen in diesem einen Wort. Zaghaft streckte ich meine Hand nach ihm aus. Er ergriff sie und verschränkte seine Finger mit meinen, führte seine Hand an seinen Mund, berührte meine Haut sacht mit seinen Lippen. Ein Schauer durchfuhr mich. Seine dunklen Augen verschmolzen mit meinen.
„Ich habe Angst“, murmelte ich. Ich wollte nicht gehen, hatte noch so viel vorgehabt. Ich wollte ihn nicht verlassen.
Er sagte nichts, legte seine Hand an meine Schläfe und schaute mich fragend an. Ich ahnte, was er vorhatte und nickte zustimmend. Ich spürte, wie er eine mentale Brücke zwischen uns aufbaute, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Selbst wurden eins. Ich konnte ihn in meinem Geist fühlen, eine beruhigende Präsenz.
Ich hätte nie gedacht, dass Sterben so leicht sein konnte, so friedlich. Doch ich hatte keine Angst mehr, sie war ausgelöscht von seiner Liebe, die ich in meiner Seele widerhallen spürte.
Er konnte ihr Schwinden fühlen, spürte, wie ihre Seele langsam verschwand, bis nichts mehr da war. Sie war fort.
Eine erdrückende Leere blieb in ihm zurück.