Nachdem alle ausgeruht und satt waren, machten sie sich wieder auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, bis sie von weitem den mächtigen, heiligen Berg sahen, auf dessen Gipfel sie, das erste Mal, den Windgeistern begegnet waren.
Als sie an dessen Fusse standen, blickte Micha beeindruckt nach oben. „Auf der Bergspitze haust also diese… alte Dame?“ fragte er an Pia gewandt, welche neben ihm ging.
Pia lachte und erwiderte: „Du meinst die Alte Windfrau?“
„Äh ja…“
„Nein, sie lebt nicht auf dem Berg selbst, aber sie hat ihr Wolkenschloss darüber.“
„Da gibt es ein Wolkenschloss?“
„Ja.“
„Darf ich das auch sehen?“ fragte der Junge und seine Augen leuchteten.
„Ich kann es dir nicht sagen, nur sehr wenige kommen wirklich ins Wolkenreich und wenn, dann auch nur ohne den grobstofflichen Körper.
Malek wird jetzt, stellvertretend für uns alle, den Deva dieses Berges begrüssen und ihn um seine Erlaubnis bitten, dass wir den heiligen Gipfel besteigen dürfen.“
„Man muss den Deva um Erlaubnis bitten?“ fragte nun Manuel, ebenfalls sehr neugierig geworden.
„Ja, es ist von Vorteil, denn wenn der Bergdeva uns wohlgesinnt ist, wird uns der Aufstieg viel leichter fallen. Ihr werdet es selbst sehen.“
Malek rief nun laut: „Sei gegrüsst, grosser Deva des Heiligen Berges! Wir würden gerne auf deinen Gipfel steigen. Es handelt sich um eine Sache, grösster Dringlichkeit! Die Grossen Führer sind zurückgekehrt und wir brauchen die Gewänder der Klarheit, einmal mehr.
Es dauerte einen kurzen Moment, dann erklang eine mächtige Stimme: „Ja, ich erinnere mich an euch. Seid willkommen!“
„Wir können nun mit dem Aufstieg beginnen!“ sprach Malek an seine Begleiter gewandt und begann dann den Berg zu erklimmen.
Voller Erstaunen stellten Manuel und Micha fest, wie sich der Weg vor ihren Füssen sichtbar glättete, gefährliche Unebenheiten und Geröll verschwanden und dort wo es nötig war zu klettern, erschienen Vertiefungen für Füsse und Hände.
„Macht Malek diese Sachen?“ fragte Micha.
„Nein, das ist der Geist des Berges selbst. Er sorgt dafür, dass uns nichts geschieht. Darum war es so wichtig ihn zu begrüssen, um ihm unseren Respekt zu zeigen.“
„Das ist unglaublich! Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich ist.“
„Wenn du bei Malek in die Lehre gehst, wird er dir alles Wissen beibringen, das es braucht,“ versicherte ihm Benjamin, der jetzt hinter Micha ging.
„Ach ich weiss nicht,“ meinte der Junge bekümmert. „Vermutlich wird das nie passieren.“
„Da wäre ich nicht so sicher. Wir kennen Malek mittlerweile ziemlich gut und ich glaube, er wird es sich noch einmal überlegen. Er wollte nur nicht, dass die etwas zustösst.“
„Meinst du?“
„Ja. Ich würde sagen, warte einfach noch etwas ab und dränge ihn nicht zu sehr, dann wird sich alles bestimmt fügen, so wie du es dir wünscht.“
„Das wäre natürlich schön. Es gibt doch noch so vieles über die Wesen und Welten des Omniversums lernen.“
„Das stimmt und Malek ist bestimmt ein toller Lehrmeister.“
Nach einer Weile kamen die Freunde auf der Spitze es Berges an. Dieser war mit so dichtem Nebel eingehüllt, dass man nicht die Hand vor Augen sah. „Durch die Nebel verbergen sich die Luftgeister, vor unliebsamen Augen“ erklärte Ben den beiden jüngeren Burschen. „Ausserdem halten sie sich sehr gerne in diesen Nebeln auf. Nebel und Wind, sind ihre Heimstatt…“
In seine Augen trat ein träumerischer Ausdruck, ebenso in Pias. Die beiden erinnerten sich noch so gut, an ihren ersten Besuch hier. An die wundervollen Sylphen und ihre weise Mutter. An das herrliche Wolkenschloss, in dem diese lebten und all die Lernprozesse, welche sie hier doch durchlaufen hatten. Ihre Gedanken reisten zurück zu der Zeit, in der sie in einer Höhle, etwas weiter unten, mehrere Tage verbracht und ein Gedicht in den Fels geritzt hatten. Sie dachten an die Erlebnisse im Labyrinth der Erinnerungen, die ihnen so vieles offenbarten. Sie erinnerten sich auch an die Spannungen zurück, die damals zwischen ihnen drei geherrscht hatten, bis sie alle begriffen hatten, dass sie einfach mehr vertrauen mussten.
„Es kommt mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, seit wir das letzte Mal hier waren,“ sprach Pia zu ihrem Bruder. Dieser nickte zustimmend. „Wir müssen dann später Micha und Manuel unbedingt unsere Höhle mit dem Gedicht zeigen.“
Auch Malek reiste in der Zeit zurück. Er erinnerte sich an die Schwere, die zu Beginn ihres Aufenthaltes hier, auf ihm gelastet hatte und daran, wie er diesem eigenartigen, schwarzen Druiden begegnet war, der ihm offenbarte, dass er der Avatar eines uralten Gottes, namens Balorion war, der einst grosse Macht im Omniversum gehabt hatte. Wie genau war ihm das Gespräch mit dem Druiden noch im Gedächtnis:
«Du bist nicht dazu berufen, der Lakai irgendwelcher Kinder zu sein, sondern dazu, mehr als eine einzige Welt zu beherrschen. Für mich bist du nach wie vor ein Gott.»
«Ein Gott? Das war ich nie und werde es niemals sein.»
«Oh doch! Die Schriften unserer Gemeinschaft, sehen in dir die Inkarnation unseres Gottes, den wir seit uralten Zeiten verehren. Sein Name ist Balorion.»
«Nie etwas von ihm gehört.»
«Das erstaunt mich nicht. Balorion war unglaublich mächtig und einer der ersten Götter, die es gab. Viele kennen ihn heute aber nicht mehr. Er war riesenhaft und mit einem Auge, das imstande war, unglaubliche Zerstörung anzurichten…»
Er hatte damals sehr mit sich gerungen und sich überlegt, die Geschwister sich selbst zu überlassen, schlussendlich jedoch, hatte er ihnen die Treue gehalten, weil er wusste dass es das Richtige war.
Während ihrer Reise in die Unterwelt, war ihm Balorion dann leibhaftig begegnet und Malek erfuhr, dass der Herr der Finsternis diesen schon seit Ewigkeiten in einem Gefängnis, unter dem grausigen Blut-Meer, gefangen hielt.
«Der Herr der Finstenis hat mich hier unten eingesperrt, ich kann nicht weg von diesem Ort, darum habe ich dich zu mir bringen lassen, um dich um Hilfe zu ersuchen.»
«Hilfe? Ich soll dir helfen von hier zu fliehen?»
«Ja, das könnte man so sagen.»
«Was kann ich da schon tun?»
«Du bist, wie ich sagte, eine Inkarnation von mir, dort oben auf der Welt. Du kannst das Denken der Geschöpfe so beeinflussen, dass sie mir wieder anfangen zu huldigen, so wie die Schwarzen Druiden, die sich einst von der alten Lehre der Tuatha de Danann (Druiden), abgewandt haben, um mir zu dienen. Sie sind es, die meine Macht auf den Welten, wieder so weit festigen können, dass ich erneut aufsteigen kann…»
Schliesslich hatte Malek einen Pakt mit dem alten Gott geschlossen und befreite diesen aus seinem Gefängnis. Balorion wurde zu ihrem Verbündeten und forderte schlussendlich den Herrn der Finsternis heraus, damit dieser Pia und Benjamin in Zukunft in Ruhe liess.
Malek hatte sich ab und zu durch seine mentale Verbindung mit dem Gott, dessen Avatar er tatsächlich war, über die neuesten Entwicklungen in der Unterwelt informiert und es schien wirklich so, als würde Balorion sein Wort halten, die Unterwelt auf positive Weise umzugestalten. Es wurde wirklich wieder einmal Zeit, den Gott zu kontaktieren. Es interessiert Malek, was dieser ihm über die drei schrecklichen Ritter zu erzählen wusste.
Pias begeisterte Rufe, riessen den Magier aus seinen Gedanken. „Dort vorne haben wir immer meditiert!“ Sie ging auf eine Gruppe von mächtigen Felsbrocken zu, welche von einem kleinen verkrüppelten Baum überschattet wurden. Deren Umrisse waren nur Schemen im undurchdringlich scheinenden Nebel.
Einen Moment standen die Freunde reglos, während die Turner Geschwister und Malek von Erinnerungen durchflutet wurden. Sie hörten auf das Pfeifen des eisigen Windes und spürten die kühlen Nebelschwaden auf ihrer Haut.
Und…auf einmal glaubten sie in diesen Schwaden, eine Gestalt wahrzunehmen! Alle blickten wie erstarrt darauf, während sich vor ihren erstaunten Augen, eine uralte Frau materialisierte! Ihr langes, weisses Haar und ihr ebenfalls weisses Gewand flatterten im Wind. Micha und Manuel rissen ihre Münder auf und schauten fassungslos auf die geheimnisvolle Erscheinung.
„Es ist die Alte Windfrau!“ rief Pia begeistert und ging, schnellen Schrittes auf die Dame zu.
Sie verneigte sich vor ihr und sprach: „Wie wundervoll es ist, dich wiederzusehen, Mutter der Vier Winde. Es ist lange her…“
„Ja, das ist es!“ erwiderte die Windfrau mit einer klaren, glockenhellen Stimme, die das Getöse des Windes problemlos durchdrang.
„Es ist mir eine grosse Freude!“