„Du sagst, wir sind im Reich der Lüfte?“ fragte Daniel. „Aber… was genau bedeutet das?“
„Das Reich der Lüfte ist eins der vier zentralen Elementarreiche. Es gibt auch noch das Reich des Wassers, das Reich des Feuers und das Reich der Erde. Allerdings gibt es auch innerhalb dieser Elementarreiche noch Abstufungen. Dieser Ort hier, ist, wie ich bereits vorhin kurz erwähnte, eine Art Paralleldimension zur Erde. Er ist jedoch einer der feinstofflicheren Reiche der Luft. Eure Heimat ist zwar auch auf den vier Elementen aufgebaut, doch natürlich in einer etwas tief schwingenderen Weise, als es hier der Fall ist. Alles in der grobstofflichen Welt, entstand einst aus einem Vorbild, aus einer Blaupause, kreiert in den höheren, geistigen Reichen. Es gibt also auf Erden nichts, das nicht schon mal in der geistigen Welt dagewesen ist. Allerdings ist die Schwingung eurer Heimat, vor langer Zeit, sehr stark abgesunken. So sind die Menschen zu einer Art Schnittstelle geworden, zwischen der geistigen und der materieller Welt. An dem Ort, wo wir jetzt sind, ist die Beschaffenheit des Luftelements ganz anders als auf der Erde und ihr könnt hier sogar den sonst unsichtbaren Wesen begegnen, die dieses bewohnen. Man nennt sie die Sylphen bzw. Luftgeister. Ein wahrhaft zartes, wundervolles Volk, beinahe engelsgleich. Ein hochentwickelter, weiser Geist, führt sie an. Wir nennen diesen uralten, weiblichen Geist: Die Mutter der Vier Winde oder schlicht Die alte Windfrau. Sie hat sich damals schon um Benjamin und Pia gekümmert und wird sich jetzt auch um euch kümmern. Ich werde mich leider wieder von euch verabschieden müssen, denn ich habe noch einige Aufgaben zu erledigen.“
„Aber…, wir haben doch noch so viele Fragen!“ rief Julia aus. „Was für Fragen denn? Ihr dürft sie mir ruhig stellen. Ein wenig Zeit bleibt mir schon noch.“
Der Greif legte sich, mit diesen Worten, entspannt auf die Wiese, welche sich unter seinem gewaltigen Körper sogleich verflüchtigte und sich, ein Stück weit entfernt, wieder neu formte.
„Aus was besteht diese Wiese?“ platzte Daniel sogleich heraus.
„Es ist so etwas wie eine Äther- Substanz, die sehr beweglich und formbar ist. Für euch, die ihr euch daran gewöhnt seid, nur mit festen Substanzen zu hantieren, mag das anfangs etwas verwirrend und befremdlich wirken. Doch mit der Zeit werdet ihr euch daran gewöhnen und auch die Vorteile darin erkennen. So kann man diese Substanz z.B., mit seinen eigenen Gedanken formen und gestalten.“
„Wirklich?“ Julias Augen leuchteten fasziniert. „Dann könnte ich dieser roten Blume dort also sagen, sie soll blau werden und sie tut es?“
„Nun ja, theoretisch schon. Doch das alles will natürlich geübt sein. Ausserdem ist dazu eine besondere Ausrichtung vonnöten und vor allem eine Wertschätzung für alles Lebendige. Das bedeutet du zwingst keiner Schöpfung deinen Willen auf. Du gehst vielmehr mit der Schöpfung in Kontakt und sagst zu dieser Blume dort z.B.: „Wäre es für dich in Ordnung blau zu werden? Das würde mich sehr freuen! Ohne Zwang jedoch. Es geht um ein leises Bitten und das stets auf Augenhöhe. Verstehst du das?“
„Ja, das verstehe ich.“
„Es wird trotzdem einige Zeit brauchen, bis ihr bereit, so eine Haltung einzunehmen. Denn noch seid ihr zu sehr vom irdischen Denken der Trennung und der Unfreiheit geprägt. Allerdings werdet ihr euch mehr und mehr an diesen Zustand hier gewöhnen und euren Geist mit der Zeit so zu schulen, dass ihr euch auch jenseits des Dämmerzustandes, in dem ihr euch jetzt noch befindet, hier aufhalten könnt.“
„Das kann ich mir kaum vorstellen,“ meinte Daniel. „Dazu sind wir noch viel zu unterentwickelt. Bis vor kurzem haben wir unsere Kinder noch für verrückt gehalten, als sie uns von diesen Reichen, jenseits der irdischen Welt, berichtet haben. Nun sind wir hier und wir wissen gar nicht recht, wie es nun weitergehen soll. Zumindest geht es mir so. July muss natürlich für sich selbst sprechen.“
„Also ich habe unsere Kinder zwar nie für verrückt gehalten, aber ich konnte all das trotzdem lange nicht wirklich glauben. Auch teile ich mit meinem Mann die Ratlosigkeit, wie es jetzt weitergehen soll. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir uns hier wirklich so weit akklimatisieren können, dass wir uns irgendwann, bei vollem Bewusstsein, in dieser ätherischen Welt aufzuhalten vermögen. Denn wie Daniel bereits sagte, fühle auch ich mich noch zu unterentwickelt dafür.“
Der Greif liess ein leises, amüsiertes Lachen hören: „So unterentwickelt seid ihr nun auch wieder nicht, denn wie alle Menschenkinder, habt ihr euer ganz eigenes, wundervolles Potenzial, das ihr nur wieder entdecken müsst. Schliesslich seid ihr die Eltern der Grossen Führer. Darum sehe ich das Potenzial in euch, in manchen Bereichen, zur Meisterschaft aufzusteigen. Die Windfrau wird euch bei diesem Prozess eine wunderbare Begleiterin sein.“ „Aber warum kannst nicht du uns einfach dabei begleiten?“ fragte Julia.
„Wie gesagt, ich habe noch einiges anderes zu tun. Das göttliche Liebeslicht hat für mich ein paar sehr wichtige Aufträge, jetzt da die Umwälzungen im Omniversum in vollem Gange sind. Nur ich kann diese Aufträge erfüllen, weil ich in jegliche Welt des Omniversums reisen und dort auch eine Zeit lang verweilen kann. Ausserdem vereinen sich in mir alle erdenklichen Eigenschaften und ich erhalte dadurch Einblicke in Dinge, die sich die wenigsten vorstellen können.“
Die Eltern Turner nickten etwas bekümmert. Bestimmt würden sie sich hier ziemlich verloren fühlen, wenn der Greif sie wieder verliess. Als ob er ihre Gedanken erneut gelesen hätte, meinte dieser tröstend: „Keine Sorge! Geht einfach vertrauensvoll in nördlicher Richtung weiter, dann wird sich euch die Windfrau zum gegebenen Zeitpunkt offenbaren. Auf Wiedersehen!“ Der Greif breitete nun seine Schwingen aus und wenig später, war er den Blicken der Turners entschwunden!
Diese blieben noch einen Augenblick lang unschlüssig stehen, während die ätherische Materie dieser Welt hier, sie umwaberte und immer wieder ihre Form wechselte. Schliesslich sprach Daniel als Erster: „Dann also los, machen wir uns auf gen Norden!“
Die beiden setzen sich nun in Bewegung, während das Gras unter ihren Füssen, sich wie Dunst verflüchtigte. Das alles war schon eine seltsame Erfahrung.
Schliesslich meinte Julia: „Ich kann noch immer kaum fassen, dass all diese Dinge wirklich passieren. Vielleicht träumen wir ja nur und werden schon bald wieder aufwachen.“
„Das glaube ich nicht,“ erwiderte Daniel überzeugt. „Das hier fühlt sich für mich sehr real an. Es ist… mehr als nur ein Traum. Da bin ich sicher. Dennoch, der Gedanke, dass es tatsächlich so wundervolle Welten im Universum gibt, ist noch immer schwer zu fassen.“
„Ich bin schon sehr gespannt wie die alte Windfrau sein wird. Meinst du sie taucht schon bald auf?“
Gerade als Julia das gesagt hatte, entstand über der Wiese, durch die sie gingen, eine kleine, leuchtende Wolke. Diese ballte sich nun immer mehr zusammen und unter den weit aufgerissenen Augen der Turners, nahm sie nun immer mehr die Form einer uralten Frau mit weissem, langen Haar und wehendem Gewand vor ihnen. „Die Mutter der Vier Winde, war also tatsächlich gekommen!