Sara sprang aus dem Sattel und berührte fassungslos das Horn. In diesem Augenblick wurde sie von einer Welle wundervoller, magischer Energie durchflutet. „A…aber…“ stotterte sie. „Das… kann doch nicht sein!“
„Doch es kann sein,“ meinte der Greif belustigt. „Dein Silberstern war schon immer ein Einhorn, bisher hat er sich euch einfach noch nicht als solches zu erkennen gegeben.“
„Aber… warum tut er es denn jetzt?“ wollte Sara wissen und schaute in die Augen ihres treuen Gefährten, in denen nun auf einmal ein blaues Leuchten lag.
In diesem Augenblick sprach Silberstern auf telepathischem Wege zu ihr: „Es war meine Aufgabe, als das Pferd deiner Tante getarnt, zu dir zu gelangen, damit du den dir vorbestimmten Auftrag, hier in der Trollen- Welt, erfüllen kannst.“
„Du hast gewusst, dass ich hierherkommen muss?“
„So ist es. Es oblag mir, als magiebegabtes Wesen, dich durch das Sphärentor, zwischen den beiden Bäumen, ins Reich des Halbmondes zu tragen. Sonst wäre das alles gar nicht möglich gewesen.“
Sara konnte kaum fassen, was sie da vernahm, und immer wieder fiel ihr Blick auf das silbern glänzende Horn ihres Reittiers.
„Mein Gott…“ sprach sie, „wenn ich das alles nur gewusst hätte…!“
„Auch wenn du es nicht gewusst hast, so hast du es dennoch erahnt. Deshalb hast du mit mir auch so oft wie mit einem Menschen gesprochen. Du hast mir auch weiterhin vertraut, als wir in dieser dir unbekannten Welt ankamen. Tatsächlich habe ich teilweise damals schon zu deinem Geist gesprochen. Erinnerst du dich noch, als wir beim Dorf des Halbmondes das erste Mal mit Triobald und seinen Schergen konfrontiert wurden? Da hast du doch eine Stimme gehört, die dir sagte, wir sollten bei den Häusern Schutz suchen.“
„Natürlich! Dann warst du es also, der damals zu mir sprach?“
„Genau. Ich wusste, dass wir bei den Häusern sicher sein würden, da dort auch Trions Leute ihren unterirdischen Stützpunkt hatten.“
Erneut staunte die junge Frau über das grosse Wissen, das Silberstern besass. Umso tiefer bewegte es sie, dass diese besondere Kreatur sie tatsächlich als seine Reiterin auserkoren hatte. „Ich kann einfach nicht glauben, dass ausgerechnet ich so etwas Wundervolles erlebe,“ sprach sie.
„Glaube es ruhig! Du bist etwas ganz Besonderes Sara und du warst mir all die Jahre hindurch, eine sehr liebe Freundin. Darum werde ich dich auch wieder nach Hause bringen. Danach jedoch… muss ich weiterziehen.“ „Weiterziehen?“ Sara erschrak. „Aber wohin?“
„Dorthin wo ich berufen werde. Ich habe noch einige Aufgaben zu erfüllen, jetzt da die Welten so in Aufruhr sind.“
„Aber… du kannst doch nicht einfach so weggehen…“ sprach Sara und auf einmal brannten Tränen in ihren Augen. „Was wird… meine Tante sagen, wenn ihr Pferd einfach fort ist?“
„Sie wird es gar nicht bemerken, denn ein anderes Pferd, das genauso aussieht wie ich, wird meinen Platz in eurem Stall einnehmen. Niemand wird diesen Austausch bemerken.“
„Doch…! Ich werde ihn bemerken!“ Sara konnte nun ihr Schluchzen nicht mehr zurückhalten und legte ihre Arme um Silbersterns Hals. Ihre Tränen benetzten dabei sein weisses Fell, dass nun noch viel mehr zu leuchten schien. Das Einhorn neigte seinen Kopf und schmiegte sich an das Mädchen. „Sei nicht traurig. Eines Tages werden wir uns wiedersehen.“
„Aber wir wissen doch gar nicht, was die Zukunft in diesen unsicheren Zeiten noch bringen wird.“
„Dennoch werden wir uns wiedersehen, wenn nicht in diesem Leben, dann ganz bestimmt im nächsten.“
„Im nächsten, ist mir viel zu lang,“ klagte die Frau.
„Ach was, irgendwann wird die Zeit immer mehr an Bedeutung verlieren.“
„Glaubst du?“
„Ich weiss es. Darum sei voller Zuversicht!“
„Das fällt mir gerade ziemlich schwer. Ich werde mich sehr allein fühlen, wenn du nicht mehr da bist, zumal Benjamin ja auch schon bald zu weiteren Abenteuern aufbrechen wird. Als Grosser Führer ist das leider unvermeidlich.“
„Aber auch du wirst immer mehr erstarken, meine liebe Freundin. Das, was du hier erlebt und vollbracht hast, ist erst der Anfang von noch so viel mehr.“
Sara nickte nur, ihr fehlten gerade die Worte.
Der Greif mischte sich nun ins Gespräch: „Leider geht es nicht anders. Silberstern wird dich aber, wie versprochen, noch zurück ins Juwelenreich bringen.
Ich jedoch muss mich hier, zumindest vorläufig, von euch verabschieden. Möge das grosse Gotteslicht euch auf eurem weiteren Pfade stets begleiten!“
Mit diesen Worten schlug der Greif mit seinen rubinroten Schwingen und erhob sich erneut in die Lüfte.
„Auf Wiedersehen!“ riefen ihm die Freunde zu „und vielen Dank für deine Hilfe!“
Der Greif zog nochmals einen Kreis über ihnen und rief: „Das habe ich sehr gerne getan! So lebt denn wohl, bis… wir uns eines Tages wiedersehen!“ Kurz darauf war er wie vom Erdboden verschwunden.
Benjamin trat zu Sara, und legte etwas besorgt den Arm um sie. „Du hast geweint. Warum?“ Die junge Frau löste sich nun wieder von dem Einhorn und warf sich stattdessen schluchzend in Bens Arme. „Silberstern wird uns… ebenfalls verlassen. Er… bringt mich nur noch zurück in meine Heimat, dann… muss er weiterziehen, denn seine Aufgabe an meiner Seite ist… erfüllt.“ Sie berichtete ihren Freunden nun alles, was sie und Silberstern besprochen hatten.
Benjamin streichelte ihr tröstend über das lockige Haar und sprach betrübt: „Es… tut mir sehr leid, dass du dich von ihm trennen musst. Ich weiss, wieviel er dir bedeutet hat. Aber… da können wir wohl nichts machen. Ein jedes Geschöpf im Omniversum hat seine ganz eigene Bestimmung. So bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als einfach dankbar für die Zeit zu sein, die wir, zusammen mit Silberstern, verbringen durften.“
Mit diesen Worten streichelte er sanft über die Flanke des Einhorns. Dieses drehte seinen Kopf zu ihm herum und schnaubte zustimmend.
Benjamin küsste Sara die letzten Tränen weg und half ihr dann wieder in den Sattel zu steigen. Schweigend setzten sie ihren Weg, kurz darauf, fort.