Als sie ihre Erzählungen beendet hatten, fragte Damian: „Und was habt ihr als nächstes vor? Wisst ihr schon, wie es weitergehen wird?“
„So wie es aussieht, werden wir wohl als nächstes ins Kristallreich und von dort aus ins Reich der Erde reisen. Der Feuer- Greif meinte, dass sich dort seine Schwester, der Wasser- Greif, aufhält. Vermutlich werden wir uns übermorgen, ganz früh, wieder auf den Weg machen.“
Bei diesen Worten, fiel ein bekümmerter Schatten über das Gesicht von Sara und Nofrete.
„Dann… haben wir aber nicht mehr viel Zeit,“ meinte die Prinzessin traurig. Malek legte den Arm um sie. „Tut mir leid. Aber wir müssen uns beeilen. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis wir das Mischwesen finden. Nicht dass es schon wieder weitergezogen ist, wenn wir dort ankommen. Du weisst doch, wir brauchen diesen Schlüssel zu Obislavs Welt dringend.“
Nofrete nickte traurig und schmiegte sich an ihren Liebsten. Auch Sara merke, wie erneut Tränen in ihren Augen brannten und barg ihr Gesicht ebenfalls an Benjamins Brust.
Dieser streichelte beschwichtigend ihren Rücken und sprach: „Wir werden so schnell als möglich zurückkehren und… wir haben ja nun diesen wundersamen Talisman. Damit können wir uns stets in unseren Träumen treffen.“
„Sofern der Talisman überhaupt funktioniert,“ gab Sara etwas zweifelnd zurück.
„Von was für einem Talisman sprecht ihr da?“ wollte Pia neugierig wissen. Benjamin und seine Liebste zeigten die beiden Hälften des Sternenmedaillons, welches sie um den Hals trugen, und der blonde Mann sprach: „Sara hat es in der letzten Nacht von den Sternenfeen geschenkt bekommen.“
„Tatsächlich? Das ist sehr freundlich von ihnen.“
„Allerdings! Die Feen sagten, dass ein Teil ihrer Macht in diesem Talisman eingeschlossen ist. Das befähigt die Träger der beiden Hälften dazu, sich in der Traumebene, über eine Sternenbrücke zu treffen. Das soll uns Trost spenden, wenn wir einander sehr vermissen.“
„Ach wie schön,“ meinte Pia. „Wenn Hungoloz und ich nur auch so einen Talisman hätten.“
„Ja, oder Malek und ich,“ meinte Nofrete.
„Bestimmt gibt es einen Grund, warum gerade Sara diesen Talisman geschenkt bekommen hat,“ sprach Ismala. Sie drückte die Hand des dunkelhaarigen Mädchen und sprach: „Ich gönne es euch so sehr, dass die Sternefeen euch so eine wundervolles Geschenk gemacht haben. Nutzt es weise!“
Sara nickte und sprach: „Ja! Ganz bestimmt!“
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Sehnsucht eines Gnoms
Manuel wanderte nachdenklich durch die zahllosen Gänge des Kristallschlosses. Immer wieder musste er an die unglaubliche Begegnung mit den vier mächtigen Greifen zurückdenken und daran, dass er nur noch fünf Tage Zeit hatte, bis ihn das Schicksal wieder von hier fortführen würde. Eigentlich gefiel ihm das gar nicht, denn er fühlte sich hier unglaublich wohl. Ausserdem… wie würde Lumniuz reagieren, wenn er ihn nun ebenfalls im Stich liess? Schon Hungoloz‘ Weggang hatte den Erdgnomen ziemlich mitgenommen. Denn, auch wenn dieser das niemals zugegeben hätte, so glaubte Manuel, dass auch Lumniuz sich oftmals nach seiner Heimat- dem Erdreich, zurücksehnte. Er schien auch nicht mehr sonderlich glücklich über seine Verpflichtungen hier zu sein. Wie also würde er dann auf Manuels Weggang reagieren? Schon seit einiger Zeit, grübelte der junge Mann nun darüber nach, wie er dem Erdgnomen die Neuigkeiten so schonend wie möglich beibringen konnte.
Sein Gedankenkarussell wurde jäh unterbrochen als Lumniuz um eine Ecke bog und direkt auf Manuel zulief.
„Wo warst du denn bloss die ganze Zeit?“ fragte er vorwurfsvoll. „Wir haben noch einiges zu tun heute. Eine Delegation aus den umliegenden Reichen, ist auf dem Weg hierher. Wir müssen mit ihnen einige Gespräche und Verhandlungen führen. Es geht auch um die neuen Lehrlinge, die sich bei uns bewerben wollen.“
„Neue Lehrlinge?“ fragte Manuel und erschrak im ersten Moment, denn mit solchen Dingen, hatte er noch keinerlei Erfahrungen. Er konnte deshalb nur hoffen, dass er sich, zu gegebener Zeit, wieder an seine Erfahrungen als Ululala erinnern würde.
Lumniuz fügte ziemlich ärgerlich hinzu. „Eigentlich ist gerade überhaupt nicht der richtige Zeitpunkt, um neue Lehrlinge aufzunehmen. Denn wer um alles in der Welt, soll diese denn bloss richtig ausbilden? Jetzt da Malek ständig mit Pia und Benjamin unterwegs ist und Hungoloz zum König des Waldreiches gekrönt wurde!“
„Das ist jetzt tatsächlich etwas unglücklich,“ meinte Manuel und grosse Schuldgefühle ergriffen ihn.
„Denn…, auch wenn ich es irgendwie hinkriegen sollte, an das alte Wissen aus meinem Leben als Ululala anzudocken, so werde auch ich das Kristallreich schon bald verlassen müssen.“
Lumniuz blickte ihn erschrocken an. „Du… willst uns ebenfalls verlassen?!“
„Nun ja… eigentlich will ich nicht. Aber ich habe von vier mächtigen Wesen der Auftrag erhalten, innert 5 Tagen meine Angelegenheiten hier zu regeln. Dann werden mich die Greife erneut aufsuchen und… mir weitere Instruktionen geben.“
„Die Greife haben dich aufgesucht?!“ fragte Lumniuz fassungslos. „Aber… das sind unglaublich mächtige Wesen! Die erscheinen normalerweise nicht einfach so und schon gar nicht alle vier zusammen!“
„Das dachte ich mir auch, denn ich spürte ihre gewaltige Macht deutlich. Darum kann ich wohl nicht anders, ich muss ihrem Ruf folgen. Tut mir echt leid.“
Ein Schatten der Verzweiflung fiel auf einmal über das Gesicht des Erdgnoms. „Das kommt jetzt tatsächlich sehr ungelegen. So können wir es gleich vergessen mit neuen Lehrlingen. Ich allein kann das nicht alles stemmen. Bei der grossen Erdmutter, das gibt’s doch einfach nicht!“
Er setzte sich auf eine steinerne, verschnörkelte Bank, die sich auf einer der unzähligen Terrassen des Kristallschlosses befand und verbarg sein Gesicht in den Händen.
Manuel setzte sich mit schlechtem Gewissen neben ihn. „Es tut mir wirklich sehr, sehr leid.“
„Ach… ist schon gut!“ winkte Lumniuz ab und der 20-jährige glaubte auf einmal Tränen in den Augen des Gnoms zu entdecken. „Weinst du etwa Lumniuz?“ fragte er und legte die Hand auf den Rücken seines Freundes. „Nein, nein!“ wehrte Lumniuz erneut ab und strich sich schnell mit dem Arm über die Augen.
„Aber ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Ich würde ja auch wirklich gerne hierbleiben, aber wenn die Greife mich rufen...“
„Das ist mir schon klar. Dennoch… ich habe sehr gerne mit dir zusammengearbeitet. Es war wie einstmals mit Ululala. Wir hatten so schöne Zeiten, als er und Hungoloz noch da waren und Malek hat uns auch noch lange unterstützt. Nun jedoch, scheint alles immer mehr zu zerfallen und… ich fühle mich hier immer mehr gefangen.“
„Du fühlst dich im Kristallschloss gefangen?“
„Ja, irgendwie schon. Ich sehne mich nach dem Erdreich. Ich dachte, ich könne bald wieder dorthin zurückkehren. Als du zu uns gestossen bist, da schien sich diese Sehnsucht endlich zu erfüllen. Ich wollte dir alles beibringen was ich weiss und mich dann eine längere Zeit beurlauben lassen, um mein Volk zu besuchen. Nun aber… geht das auch wieder nicht. Ich muss hierbleiben, wenn du auch noch weggehst, sowieso.“
„Aber ich komme bestimmt wieder zurück!“
„Das weiss man nie so genau. Es sind unsichere Zeiten und so wie es aussieht, bist du zu etwas Höherem bestimmt. Nur ich werde wohl immer hierbleiben müssen. An diesem Ort, wo mir das Licht eigentlich viel zu hell ist, wo so viele Pflichten zu erfüllen sind. Lange gefiel es mir, so am Puls des Lebens zu sein, doch je älter ich werde, umso mehr fehlt mir meine alte Heimat.“
„Das kann ich gut verstehen. Auch mir fehlt meine alte Heimat, bei meinen Eltern, noch oft. Auch wenn ich an diesem Ort hier sehr glücklich bin. Aber vor allem jene die einem nahestehen…, fehlen einem, sie werden… einem immer fehlen.“
Lumniuz nickte betrübt. „Ja, das stimmt.“
Dann jedoch riss er sich zusammen und erhob sich wieder. „Nun… Es ist wie es ist! Ich muss mich jetzt einfach aktiv nach Leuten umschauen, die mich hier etwas entlasten könnten.“
„Vielleicht kann uns ja sogar jemand von der Delegation, die uns heute besucht, helfen,“ schlug Manuel vor.
„Ja, du hast recht! Dann machen wir uns jetzt also mal an die Arbeit!“ Er legte den Arm kameradschaftlich um den jüngeren Mann und zusammen machten sie sich auf den Weg zum grossen Audienzsaal.