Manuel erwachte, von tiefer Freude erfüllt, aus seinem ungewöhnlichen Traum, der sich doch so real angefühlt hatte. Einen Moment lang blieb er still liegen, um alles, was er erlebt hatte, nochmals revuepassieren zu lassen. Draussen dämmerte es bereits. Es war nun Anfang Januar und die Tage begannen schon wieder etwas länger zu werden.
( https://meteoatlas.de/russland/turuchansk-56513/wetter-im-januar)
Auch wenn sie mit etwas mehr als vier Stunden, immer noch sehr kurz waren. Manchmal machten diese Klimaverhältnisse Manuel schon etwas zu schaffen. Doch gerade fühlte er sich so erhoben, dass er dachte, nichts könne ihn mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Beschwingt sprang er aus dem Bett und kleidete sich an. Munter pfeifend bereitete er sich dann eine kleine, morgendliche Mahlzeit zu. Vermutlich würde der Wasser- Greif schon bald wieder auftauchen und dann war er bereit für weitere Lektionen. Die ganze Zeit klang das, was er durch das Eintreten in den Geist seiner verstorbenen Mutter erfahren hatte, wie eine wunderschöne Melodie in ihm nach. Die Gewissheit, dass sie und auch sein Vater eigentlich so friedlich den Übergang ins Jenseits hatten antreten dürfen, half dem Jungen, mit ihrem Tod einiges besser klarzukommen und er freute sich bereits sehr darauf, sie bald wiederzusehen. Immerhin hatte ihm der Weisse Ritter ja prophezeit, dass dies noch vor seinem eigenen, leiblichen Tod passieren würde, wenn… alles nach Plan verlief. Doch darüber wollte Manuel gerade nicht nachdenken. Er würde das schon irgendwie schaffen. Immerhin hatte er viele wunderbare Helfer an seiner Seite. Er setzte sich an den Tisch und begann sein Frühstück zu essen. Die beiden Wölfe gesellten sich zu ihm und schmiegten sich an seine Beine. Er streichelte sie und erzählte ihnen in Gedanken alles, was sich zugetragen hatte. Die beiden Tiere freuten sich sehr mit ihm und versicherten ihm, dass sie ihm weiterhin zu Seite stehen würden, egal was noch kommen mochte.
Als die Sonne dann über den verschneiten Hügeln aufging, tauchte die Wassergreifen- Frau dann tatsächlich, wie aus dem Nichts, wieder auf.
„Oh, du bist schon wach!“ freute sie sich. „Das ist sehr gut.“ Sie musterte ihren jungen Schüler prüfend, dann fuhr sie fort: „Du strahlst heute so. Kann es sein, dass du neue Erkenntnisse gewonnen hast?“
„So ist es tatsächlich!“ erwiderte der 20- jährige und erzählte seiner Mentorin alles, was sich zugetragen hatte, auch wenn diese vermutlich schon Bescheid wusste.
Als er geendet hatte, meinte die Greifen Frau: „Es freut mich sehr, dass dir letzte Nacht so ein grosses Geschenk zuteilwurde. Ich vermute, du kannst den Tod deiner Eltern jetzt nochmals mit anderen Augen sehen.“
„Ja, so ist es! Der Weisse Ritter hat mir viele wichtige Dinge gezeigt und erklärt. Ich glaube nun, dass ich für die nächsten Schritte bereit bin.“
„Das sehe ich auch so. Dann lass uns also mit unserem Unterricht beginnen!“
Tatsächlich ging Manuel, von jenem Zeitpunkt an, alles viel leichter von der Hand. Der Wasser Greif weihte ihn in viele wichtige Gesetzmässigkeiten der Schöpfung ein. Er begleitete ihn auf wundervolle Reisen, in fremde Zeiten und fremde Welten. Die beiden kümmerten sich auch weiterhin, sehr bewusst, um die inneren Dämonen des Jungen, welche ihn teilweise schon viel länger begleiteten, als nur in diesem einen Leben als Manuel. Da gab es jedoch auch viele wichtige Helfer und Freunde, die Manuel bereits durch mehrere Leben begleitet hatten.
Noch einmal reisten sie in wichtige Momente im Leben von Ululala und in einige, weiter zurückliegende Inkarnationen. Dadurch erhielt Manuel eine tieferes Verständnis über die Zusammenhängen seines Daseins.
„Deine Seele,“ sprach der Wassergreif, am Ende der ersten Woche des gemeinsamen Trainings, „wurde bereits vor unendlich langer Zeit, aus dem Göttlichen, dem Alleins- Sein heraus geboren. Schon früh verspürte sie die Sehnsucht danach, selbst kreativ zu werden und neues Wissen zu sammeln. So begann sie, mit der Unterstützung des grossen Schöpfergeistes, ihre Lektionen zu planen, um das Omniversum etwas besser zu machen. Sie durchwanderte viele unterschiedliche Existenzen, bis sie genug an Erfahrungen und Weisheit gewonnen hatte, um für die Herausforderungen in dieser Zeit gewappnet zu sein. Wir befinden uns nun in einer sehr wichtigen Zeit-Epoche. In einer Epoche, welche Erlösung für viele Welten, aber vor allem für die Erde bedeuten wird.“
„Bedeutet das die Vernichtung der grobstofflichen Erde?“
„Nein, keine Vernichtung, sie wird in eine neue Daseinsform hinüberwechseln.“
„Aber wie soll das zugehen? Es gibt doch noch so viel Böses auf ihr und das Böse nimmt augenscheinlich eher zu als ab.“
„Das täuscht. Viele Geschöpfe sind bereits auf einem guten Weg und jene, die noch nicht so weit sind… auch für sie… wird es einen Platz geben.“
„Aber wo ist dieser Platz, wenn die Erde als Schulungsplanet wegfällt?“
„Darüber darf ich dir noch nichts sagen. Doch glaube mir, es steht uns eine wundervolle Zeit bevor, eine Zeit, in der das Göttliche wieder in direktem Kontakt mit all den Geschöpfen treten wird, die bereit sind sich Seinem Liebes- und Seinem Friedenslicht zu öffnen.“
„Das klingt schon mal gut. Allerdings wird es wohl noch etwas dauern, bis es so weit ist. Sonst müssten du und deine Geschwister mich ja nicht auf solch intensive Weise ausbilden.“
„Damit liegst du richtig. Du bist ein sehr wichtiger Akteur in diesem Prozess der Veränderung. Denn dir obliegt es, die gefährlichsten Widersacher, welche der Erde und den, mit ihr verbundenen Welten, grösstmöglichen Schaden zufügen wollen, aus dem Verkehr zu ziehen. Ich werde dir bei Gelegenheit zeigen, was diese bereits angerichtet haben und in welcher Verbindung sie zu den drei bösen Rittern stehen.
Doch vorerst werden wir deine Fähigkeiten in der Sphärenwanderung verfeinern. Und wer weiss… vielleicht wirst du dadurch lernen, in Welten einzutauchen, von denen du noch nicht einmal zu träumen gewagt hättest.
Das werden wir jedoch erst einmal verschieben. Ich würde dir empfehlen, abschliessend noch ein Bad in unserem Teich vor dem Haus zu nehmen, das wird dich stärken und deine neuen Erkenntnisse festigen.“
Es war das erste Mal, dass ihn der Wasser- Greif zu so einem Bad aufforderte und ehrlich gesagt, sträubte sich einiges in Manuel noch immer dagegen. Ihm erschien es schlichtweg viel zu kalt um zu baden, obwohl der Teich der vor kurzem vor seinem Haus entstanden war, trotz der extremen Wetterverhältnisse hier, noch nicht gefroren war.
„Keine Angst,“ meinte die Greifen- Frau. „Ich werde den Teich noch ein wenig für dich aufwärmen.“
„Das kannst du?“
„Ja, natürlich! Ich bin der Wassergreif! Ich kann alles mit Wasser tun.“
„Also gut. Dann… äh… werde ich mich jetzt erst mal umziehen.“
Manuel ging zu seinem Schrank und zog sich eine Boxershorts über, dann trat er wieder hinaus zu dem Teich.
Die Greifen Frau stand währenddessen, tief versunken und mit geschlossenen Augen, am Ufer des kleinen Gewässers und bewegte anmutig ihre Hände mit den schlanken Fingern. Das Wasser begann leicht in Bewegung zu geraten und auf einmal stieg Dampf aus dem kleinen Teich empor.
Manuels Mentorin beendete ihren Zauber und meinte dann: „Es sollte jetzt warm genug sein.“
Die Pforte des Lichts
Der Junge streckte vorsichtig seinen Zeh in das Wasser und tatsächlich, dieses war nun angenehm warm geworden.
„Steig nun in das Becken und lass dich ganz vom Wasser tragen!“ wies die Greifen- Frau ihn an und Manuel tat, wie ihm geheissen.
„Fühle wie dich das Wasser umfliesst, wie es all deine negativen Gedanken und Gefühle hinwegspült!“
Die Greifen Frau, liess dem Jungen etwas Zeit, um ihre Anleitung zu befolgen. Während Manuel das tat, murmelte sie immer mal wieder eine leise Zauberformel vor sich hin und tatsächlich… der Junge merkte, wie ihm leichter und leichter ums Herz wurde.
Nach einiger Zeit sprach seine Mentorin: „Stell dir nun ebenfalls vor, wie all deine neuen Erkenntnisse, die positiven Gedanken und Gefühle, von diesem Wasser verstärkt werden und du davon, wie durch einen warmen Mantel, eingehüllt wirst. Spüre, wie dadurch Stille, Frieden und Entspannung in dein Inneres einkehren und lasse ganz bewusst die Blockaden los, welche dich davon abhalten, dein Potenzial voll und ganz auszuschöpfen!“
Der junge Mann befolgte alle Anweisungen seiner Lehrmeisterin und fühlte sich dabei auf wundervolle, einzigartige Weise erhoben.
Auf einmal jedoch, geschah etwas Unerwartetes: Das Wasser um ihn herum begann plötzlich zu strahlen! Es strahlte so hell, dass es weit herum sichtbar sein musste. Ohne zu zögern, tauchte Manuel nun hinab in den Teich. Dieser war viel tiefer als er bisher gedacht hatte, so viel tiefer. Es kam ihm vor, als würde er in eine gänzlich andere Welt eintauchen.
Er suchte die Lichtquelle, welche das Wasser so zum Strahlen brachte, und tauchte dabei immer weiter und weiter hinab. Seltsamerweise verspürte er dabei keine Angst und er hatte auch keinen Augenblick lang das Gefühl, nicht atmen zu können. Was nur geschah hier? Doch er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es zog ihn einfach nur weiter zu diesem herrlichen Licht, dessen Ursprung tief, ganz tief unter der Wasseroberfläche liegen musste.
Ein Wimpernschlag lang, wollte sein Verstand sich einschalten, um ihn daran zu erinnern, dass er unter Wasser doch eigentlich gar nicht atmen konnte. Doch er liess diese Gedanken einfach an sich vorbeiziehen. Sie berührten ihn nicht mehr, sie waren… wie Wasser, das einfach über seinen Körper hinwegglitt, jedoch keinerlei Spuren hinterliess. In Manuel war ein tiefes Vertrauen, eine Wärme, die er bisher noch nie zuvor empfunden hatte. Immer weiter schwamm er auf das strahlende Licht zu und schliesslich… erreichte er eine durchsichtige Pforte. Hinter dieser Pforte musste das Licht seinen Ursprung haben. Aber… war es schon in der Lage diese zu öffnen? Durfte er diesen Schritt überhaupt schon wagen? Was würde ihn hinter dieser Pforte wirklich erwarten?“
„Sei mutig!“ vernahm er, ganz aus der Ferne, die vertraute Stimme der Wassergreifen- Frau. „Sei mutig und öffne die Pforte. Es wird dir zu grossem Segen gereichen!“
Noch einmal zögerte der Junge. Doch dann beschloss er, seiner Mentorin zu vertrauen und drückte die Klinke der geheimnisvollen Tür herunter. Diese schwang zurück und eine Welle von Licht, schwappte ihm nun entgegen. Manuel war vollends davon erschlagen und er spürte, wie das Licht ganz in ihn eindrang, ihn durchdrang. Und… auf einmal wusste er, wo er sich befand: Er befand sich in seinem eigenen Herzen!
Keuchend tauchte er wieder aus dem Wasser empor und fand sich wieder in den kleinen Teich, den seine Mentorin eben erst erschaffen hatte.
Das helle Leuchten unter dessen klarer Oberfläche, war nun fort. Doch stattdessen spürte er dieses nun ganz deutlich auf der Höhe seines
Herz-Zentrums. Es fühlte sich wundervoll an und erfüllte seinen ganzen Körper, seinen Geist und seine Seele. Ihm kam es vor, als habe er eine Grenze übertreten, die ihm bisher unüberwindlich erschienen war und das weckte in ihm ein tiefes Gefühl des Friedens und der Glückseligkeit. „Was… ist da gerade passiert?“ fragte er seine Mentorin erstaunt.
„Du hast heute die Tür aufgestossen, die zu deinem wahren Potenzial führt,“ erwiderte diese feierlich. „Das Wasser der Heiligen Quelle, hat dir dabei geholfen.“
„Das Wasser der Heiligen Quelle? Aber ich sehe hier keine Quelle.“
„Sie ist für dich auch noch nicht sichtbar, denn sie entspringt an einem anderen Ort, einem Ort, der noch hinter dem Schleier verborgen liegt. Nun jedoch wirst du mehr und mehr in der Lage sein, diesen Schleier wahrhaftig zu heben. Freue dich mein Kind, freue dich, denn du hast heute einen sehr wichtigen Schritt getan! Ich bin sehr stolz auf dich!“