Natürlich wurde das Fest bei den Erdgnomen wieder zu einem wundervollen Erlebnis. Dieses Volk wusste wirklich, wie man feierte. Alle kamen in einer riesigen Grotte, in der Nähe des Zentralviertels zusammen, in der es genug Platz für alle hatte. Aus allen Ecken des Erdreiches kamen Gäste, auch die Höhlenelfen waren dabei und auch viele der einsichtig gewordenen Nordoks, hatte man eingeladen. Das Fest sollte nämlich auch gleichzeitig ein Versöhnungsfest werden, bei dem man sich zwanglos über wichtige Themen unterhalten und sich etwas besser kennenlernen konnte.
Es wurde gesungen, getanzt, gelacht und geschlemmt. Saftige Braten hingen über flackernden Feuern und Fässer von Met, Bier und Wein wurden angezapft. Dazu gab es frisch gebackenes Brot, Kartoffeln und einen Eintopf aus verschiedenen Wurzelgemüsen.
Die Geschwister, Malek und auch Lumniuz wurden weiterhin von allen Seiten umschwirrt, man stellte ihnen verschiedene Fragen und überschüttete sie mit Ehrbekundungen.
Mit der Zeit wurde es Pia und Benjamin zu bunt und sie zogen sich ein wenig aus dem ganzen Getümmel zurück.
Auch wenn das Fest grossen Spass machte, konnten sie sich nicht so wirklich entspannen, denn sie wussten noch immer nicht, wie es mit dem Schlüssel von Obislavs Welt weitergehen würde. So machten sie einen kleinen Spaziergang durch die naheliegenden Gänge, als… sie auf einmal die wohlklingende Stimme des Wassergreifs vernahmen. Das Mischwesen tauchte gerade aus einem dunklen Höhleneingang auf und kam auf sie zu. „Nun, habt ihr schon genug vom Feiern?“ fragte er sie mit Schalk in seinen Augen.
„Nein, nein, wir brauchten einfach eine Pause,“ gab Pia zurück. „Diesen ganzen Hype um unsere Person ist nicht so unser Ding. War es eigentlich nie.“
„Das weiss ich. Ihr seid eben sehr bescheiden und von eurem Naturelle her eher introvertiert. Ihr wurdet in diese Rolle der Grossen Führer einfach so hineingeworfen, ohne dass ihr euch dagegen wehren konntet.“
„Ja, das stimmt wohl,“ stimmte Benjamin zu. „Auch wenn man es uns nicht immer ansieht, sind im innersten Kern tatsächlich eher introvertiert und diese Rolle, die wir da einnehmen sollen, kann manchmal auch eine Last sein. Oftmals sehnen wir uns einfach nach einem ruhigen Leben, im engsten Kreise unserer liebsten Menschen. Vermutlich ist das auch mit ein Grund, warum wir so viele Jahre gewartet haben, bis wir wieder ins Märchenreich zurückgekehrt sind. Doch bei allem, was im Omniversum gerade geschieht, können wir nicht einfach wegschauen. Aus irgendeinem Grund wurde uns diese Aufgabe ja schliesslich übertragen.“
„So ist es und ich finde eure Hingabe an diese Aufgabe sehr bewundernswert. Ihr stellt euch all den Problemen in den Welten und findet immer wieder gute Lösungen.“
„Wir haben ja auch stets eine Menge Helfer an unserer Seite,“ erwiderte Pia.
„Diese Hilfe erhaltet ihr jedoch auch, weil ihr stets vertraut, stets versucht, den Willen des Grossen Geistes zu erfüllen und weil ihr eine grosse Liebe für alle Geschöpfe in euren Herzen tragt. Ihr inspiriert viele und das ist eure grosse Stärke. Besonders in den letzten Tagen habt ihr das wieder deutlich unter Beweis gestellt.“
Benjamin lachte auf. „Ach was! Was haben wir schon getan, ausser uns von den beiden Rittern gefangen nehmen zu lassen. Wären du, Malek und all die anderen nicht gewesen, wäre unser Schicksal wohl besiegelt gewesen.“
„Auch wenn die Ritter euch durch einen feigen Hinterhalt gefangen genommen haben, so habt ihr euch doch als sehr tapfer erwiesen und in erster Linie an die anderen gedacht. Auch euer Kampf gegen den roten Ritter war heldenhaft. Stellt also euer Licht nicht stets unter den Scheffel! Ihr habt euch erneut bewährt und gezeigt, was in euch steckt und darum… werde ich euch nicht noch einmal prüfen.“
Der Greif hatte nun auf einmal einen Schlüssel in seiner Adlerklauee. Dieser bestand aus altem, schwarzen Gusseisen, dessen Griff reich mit vielfältigen Schnörkeln verziert war. Ein amethystfarbener Schimmer umgab ihn.
„Ihr habt, nach all den Schrecken und der vielen Prüfungen verdient, dass ihr den Schlüssel in Obislavs Welt endlich erhaltet. So lange habt ihr nach ihm gesucht und nun ist der Zeitpunkt gekommen, ihn euch auszuhändigen.“
„Du… gibst ihn uns also einfach so?“ fragte Benjamin und riss seine Augen weit auf. Auch Pia konnte es kaum fassen.
„Nicht einfach so. Ihr habt genug geleistet und eure Treue und Hingabe einmal mehr unter Beweis gestellt. Ich bin sicher, ihr werdet auch in Zukunft alle Prüfungen bestehen, die noch auf euch warten. Vielleicht wird die Konfrontation mit dem bösen Geist Obislav sogar eine der grössten Prüfungen für euch werden. Ihr müsst wissen, sobald ihr die Pforte zu dessen dunklem Reich überschreitet, tretet ihr in den Machtkreis dieser boshaften Kreatur ein. Einer Kreatur, die im Laufe von Äonen gelernt hat, in die Psyche, die Gedanken und die Gefühle jener einzudringen, die sich in seine Nähe wagen. So manche sind bei dem Versuch, Obislav zu entmachten, schon gescheitert und darum müsst ihr fest in eurem Glauben und eurem Vertrauen sein. Bedenkt aber auch, das Obislav, auch wenn er grosse Macht hat, euch nur beeinflussen kann, wenn ihr es zulasst. Bewahrt euch das Licht in eurem Herzen, denn dies ist der einzige Weg diesem Dämonen zu trotzen.“
„Aber wie vernichten wir ihn und den Obelisken?“
„Damit…“ Der Greif liess nun eine den Geschwistern wohlbekannte Waffe vor ihnen in der Luft erscheinen.
„Aber… das ist ja der Weisse Diamantdolch! Wir haben gar nicht bemerkt, dass du ihn hattest.“
„Ich hatte ihn mir nur kurz ausgeborgt,“ meinte der Greif belustigt „und… ich und meine Geschwister, haben ihm sozusagen ein… Update verpasst. Das war es, was ich noch erledigen musste.“
„Ihr habt ihm ein Update verpasst?“ fragte Ben erstaunt. „Ja, nimm ihn ruhig in die Hand, dann wird es dir sogleich auffallen.
Der blonde Mann nahm den Diamantdolch entgegen und sogleich spürte er deutlich seine Macht, die offensichtlich um einiges zugenommen hatte. Abwechselnd leuchtete er nun in einem goldenem, einem roten, einem grünen und einem blauen Licht auf, das sich in den ungläubigen Gesichtern der Geschwister widerspiegelte und sie mit Freude und Zuversicht erfüllte.
„In ihm ist nun ein Teil unserer Elementarmacht gespeichert,“ erklärte das blaue Mischwesen. „Ausserdem kann er seine Form nach Wunsch verändern. Damit solltet ihr Obislav und dessen Obelisk den Garaus machen können.“
„Wow! Das ist ja Wahnsinn!“ freute sich Pia. „Vielen herzlichen Dank, Grosser Greif!“
„Ja, vielen herzlichen Dank!“ sprach auch Benjamin. „Ohne dich und deine Brüder wären wir schon oft verloren gewesen.“ „Nun ja,“ meinte de Greif verschmitzt „man tut, was man kann. So jetzt geht aber und geniesst noch den Rest des Festes.“ „Kommst du nicht mit uns?“ „Ach nein! Solche Festlichkeiten sind nichts mehr für mich. Ich lebe schon so lange und habe schon jede Art von Fest miterlebt. Ich bleibe aber noch hier und wenn ihr wollt, kann ich euch, wenn ihr hier fertig seid, irgendwo hinbringen.“ „Dieses Angebot würden wir natürlich sehr gerne annehmen,“ erwiderte Pia. „Doch, eine Frage wäre da noch: „Wie verwendet man den Schlüssel eigentlich genau?“ „Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen! Eigentlich müsst ihr euch nur vor eine Wand stellen und einen besonderen Spruch aufsagen:
Schwarzer Schlüssel so öffne die Türe, auf dunklen Pfaden mich zu ihm führe. Zur Stätte voll Bosheit und niedrigem Trachten, auf das ich dort Obislav möge entmachten!“
„Gar nicht so einfach,“ sprach Ben mit einem etwas gequälten Ausdruck im Gesicht. „Zum Glück hat Pia das bessere Gedächtnis als ich.“
„Ach was, das ist keine Problem!“ meinte die Frau. „Das kann ich mir gut merken.“ Sie wiederholte den Satz noch mehrmals und der Greif nickte ihr wohlwollend zu. „Sehr gut gemacht! Dann werdet ihr also bald ins Reich des Schwarzen Obelisken reisen?“
„Noch nicht sogleich,“ erwiderte die Frau. „Zuerst kehren wir ins Kristallschloss zurück. Dann sehen wir weiter.“
„Meine Schwester will natürlich noch ihren Liebsten Hungoloz besuchen,“ sagte Benjamin etwas ironisch.
„Und das ist auch vollkommen verständlich,“ gab das Mischwesen mit einem Augenzwinkern zurück. „Dann sehen wir uns also später wieder. Ruft mich einfach, wenn ihr mich braucht. Viel Spass!“
Mit diesen Worten wandte sich das Mischwesen um und trottete davon.